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Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 19.04.2023 – 2 Ca 7114/22 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um die Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie Schadensersatz.
3Die Klägerin ist seit 29.03.1998 bei der beklagten Fluggesellschaft als Flugbegleiterin auf der Grundlage des Anstellungsvertrages vom 24.03.1998 (Bl. 142 f. d.A. ArbG) beschäftigt.
4Am 09.01.2019 meldete die Klägerin bei der Beklagten u.a. den Eintritt von Kopf-Hals-Augenschmerzen und Schwindel im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von chemischen Geruch beim Einsatz auf einer B (B) am 03.01.2019. Wegen der Einzelheiten der Unfallmeldung wird auf Bl. 144 d.A. ArbG verwiesen. Hinsichtlich der Einzelheiten des von der Klägerin geschilderten Unfallhergangs wird ergänzend auf den Durchgangsarztbericht vom 05.02.2019 (Bl. 152 ff. d.A. ArbG) sowie den „Anamnesebogen nach fume-event an Bord von Verkehrsflugzeugen“ (Bl. 160 ff. d.A. ArbG) Bezug genommen. Bezüglich der bei der Klägerin diagnostizierten Gesundheitsschäden wird auf den Entlassungsbericht der Spezialklinik N (Bl. 172 ff. d.A. ArbG) und das ärztliche Attest vom 02.09.2020 (Bl. 167 d.A. ArbG) verwiesen.
5Die Klägerin ist auf unbestimmte Zeit arbeitsunfähig im Sinne einer vorläufigen Fluguntauglichkeit. Die Berufsgenossenschaft (B) hat mit Bescheid vom 15.07.2020 einen Arbeitsunfall am 03.01.2019 festgestellt, aber unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit nur bis zum 04.01.2019 angenommen. Zur Begründung hat die B u.a. ausgeführt, das Geruchserlebnis am 03.01.2019 habe akute Gesundheitsstörungen, wie z.B. Kopfschmerzen und Schwindel, ausgelöst. Eine Behandlungsbedürftigkeit habe auf Basis toxikologisch-wissenschaftlicher Sicht aufgrund der geringen toxischen Mengen nur bis zum 04.01.12019 bestanden. Soweit die Klägerin an weiteren Gesundheitsstörungen leide, seien diese nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge des Arbeitsunfalls. Wegen der weiteren Einzelheiten des Bescheids der B vom 15.07.2020 wird auf Bl. 181 f. d.A. ArbG Bezug genommen.
6Mit der Klage vom 30.12.2022 hat die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von Schmerzensgeld sowie die Feststellung von Schadensersatz begehrt. Zur Begründung hat sie behauptet, durch mehrstündige Exposition toxikologischer Stoffe seien ihr dauerhafte und gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen entstanden. Sie leide aufgrund des Flugereignisses u.a. an ausgeprägtem Erschöpfungszustand mit Kraftlosigkeit, Tagesmüdigkeit, Ruheschmerz, Schlafdefizit, Unverträglichkeit gegenüber Putzmitteln, Desinfektionsmitteln, Parfüm und Nikotingerüchen.
7Das Arbeitsgericht Köln hat mit Versäumnisurteil vom 08.02.2023 (Bl. 64 f. d.A. ArbG) die Klage abgewiesen.
8Nach form- und fristgerechtem Einspruch gegen das Versäumnisurteil hat das Arbeitsgericht mit Urteil vom 19.04.2023 (Bl. 198 ff. d.A. ArbG) das Versäumnisurteil vom 08.02.023 aufrechterhalten. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, eine Pflichtverletzung der Beklagten sei nicht dargetan; darüber hinaus seien keine Anhaltspunkte vorhanden, die darauf schließen ließen, die Beklagte habe der Klägerin vorsätzlich einen Gesundheitsschaden beibringen wollen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichtes wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
9Die Klägerin hat gegen das ihr am 25.04.2023 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 23.05.2023 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 16.07.2023 begründet.
10Die Klägerin ist unter Bezugnahme und Vertiefung ihres Vorbingens erster Instanz der Ansicht, dass die Beklagte jedenfalls den eingetretenen Gesundheitsschaden für möglich gehalten habe und ihn billigend in Kauf genommen hätten. Die Beklagte habe pflichtwidrig auf Filtersysteme zur Reinigung der Kabinenluft verzichtet. Die Problematik von Gesundheitsschäden in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit Kabinenluftfällen sei, was die Beklagte wisse, seit mehr als 70 Kalenderjahren bekannt und seither Gegenstand reger wissenschaftlicher Forschung. Laut Internetauftritt der BG Verkehr existierten Standardverfahren für Betroffene nach einem Fume- and Smell-Event. Eine Vielzahl gleichgelagerter Kabinenluftvorfälle sei bekannt und auch im Airbus-Report aus dem Jahre 2013 erwähnt. Zumindest im Zeitraum der letzten siebzehn Jahre korrespondierten führende Gremien aus Wissenschaft und Praxis wegen dieser Thematik mit der Beklagten. Die Kenntnis der Beklagten von der Problematik zeige sich an den Angaben im Flottenmagazin der B aus dem März 2019 sowie aus Aufzeichnungen über ein L-Meeting vom 17.01.2019. In der von der Beklagten herausgegeben Broschüre „Cabin Air Quality“ gestehe die Beklagte ein, dass Kabinenluftzwischenfälle geeignet seien, gesundheitliche Beschwerden hervorzurufen. Dies habe auch der Medizinische Dient der Beklagten bestätigt und die Beklagte habe einen eigenen „Smell Event Guide“ verfasst. Die Beklagte sei bei Vorbereitungen und Dreharbeiten der W-Dokumentation “Nervengift im Flugzeug“ einbezogen gewesen. Schließlich habe sich die Legislative der Bundesrepublik Deutschland mit der Thematik befasst, welche auch unternehmensintern im Crewforum diskutiert werde. Die Beklagte habe Empfehlungen internationaler Gremien – wie etwa den Einbau von Sensoren, die Unterschiede zwischen Gerüchen durch harmlose Verunreinigungen und denen durch ernstzunehmende Ölleckage anzeigen – nicht umgesetzt.
11Die Klägerin beantragt,
121. Das am 19. April 2023 verkündete und am 25. April 2023 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Köln zu Aktenzeichen 2 Ca 7114/22 abzuändern;
132. das Versäumnisurteil vom 8.Februar 2023 aufzuheben;
143. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von min. 80.000,00 EUR zu zahlen, dessen exakte Höhe in das Ermessen des erkennenden Gerichts gestellt wird.
154. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und sämtliche derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus dem Kabinenluftzwischenfall am 3./4. Januar 2019 zu ersetzen, soweit die Forderungen nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
16Die Beklagte beantragt,
17die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 19. April 2023 – 2 Ca 7114/22 – zurückzuweisen.
18Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Sie führt aus, dass bei sog. „Fume-Events“ eine Pflichtverletzung und die Billigung des Erfolgs eines Gesundheitsschadens nicht angenommen werden könne, wenn das Flugzeug – wie im Streitfall - zuvor beanstandungsfrei gewartet worden und daraufhin ohne Probleme oder Vorkommnisse geflogen sei. Die Beklagte gesteht zu, dass Fume-Events an Bord von Flugzeugen vorkommen können und Gegenstand wissenschaftlicher Überlegungen seien. Allerdings seien solche Ereignisse bezogen auf die Anzahl von Flügen lediglich im Promillebereich registriert. Der im März 2017 veröffentlichten Studie der Europäischen Luftaufsichtsbehörde EASA sei zu entnehmen, dass die Kabinenluftqualität besser sei als etwa in Büroräumen. Es mangele an einem gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisstand, allenfalls vage Verdachtsmomente seien gegeben. Dies werde durch die Veröffentlichungen der BG Verkehr bestätigt, zuletzt durch die Ende 2021 abgeschlossene FUSE-II-Studie. Es habe nicht wissenschaftlich bestätigt werden können, dass die bisher diskutierten neurotoxischen Stoffe, wie n-Hexan und Toluol, in der betroffenen Vergleichsgruppe in höherem Umfang anzutreffen gewesen seien.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 12.07.2023, 21.08.2023, 09.10.2023 und 22.03.2024, die Sitzungsniederschriften vom 20.09.2023 und 03.07.2024 sowie den übrigen Akteninhalt erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
21I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2b) ArbGG statthaft und sie wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.
22II. Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend die Klage abgewiesen. Die Berufungsbegründung rechtfertigt keine Abänderung der angefochtenen Entscheidung, denn die Beklagte ist der Klägerin weder zum Schadensersatz noch zur Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen des Fume Events vom 03.01.2029 verpflichtet.
231. Zwar können sich Schadensersatzansprüche nach den §§ 249 ff. BGB sowie ein Entschädigungsanspruch wegen immaterieller Schäden gemäß § 253 Abs. 2 BGB grundsätzlich aus § 280 Abs. 1 BGB iVm. § 241 Abs. 2 BGB oder wegen unerlaubter Handlung aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben. Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB gilt dies nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat, wobei der Schuldner nach § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat. Nach § 823 Abs. 1 BGB ist dem anderen zum Schadensersatz verpflichtet, wer vorsätzlich oder fahrlässig ua. den Körper oder die Gesundheit eines anderen widerrechtlich verletzt. Dabei kann die Verletzungshandlung auch in einem Unterlassen einer vertraglichen Schutzpflicht bestehen (BAG, 28.11.2019 – 8 AZR 35/19 – m.w.N.).
242. Ein Anspruch auf Schadensersatz oder Zahlung eines Schmerzensgeldes steht im vorliegenden Fall jedenfalls entgegen, dass zugunsten der Beklagten die sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des § 104 Abs. 1 SGB VII eingreift.
25a) Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Unternehmer den Versicherten, die - wie der Kläger - für ihre Unternehmen tätig sind, sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall (§ 7 SGB VII) verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben. Die Norm bezieht sich auf alle Haftungsgründe des bürgerlichen Rechts. Der Haftungsausschluss bezweckt, den Arbeitgeber von der Haftung wegen Personenschäden insgesamt freizustellen, d.h. einschließlich des Ersatzes immaterieller Schäden (Schmerzensgeld) sowie materieller Schäden wegen der Verletzung des Versicherten. Der Haftungsausschluss nach § 104 Abs. 1 SGB VII entfällt nicht bereits dann, wenn ein bestimmtes Handeln, das für den Unfall ursächlich gewesen ist, gewollt und gebilligt wurde. Für die Annahme der vorsätzlichen Herbeiführung eines Versicherungsfalls ist vielmehr ein „doppelter Vorsatz“ erforderlich. Der Vorsatz des Schädigers muss nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen. Daher genügt in der Regel auch nicht ein vorsätzlicher Verstoß gegen eine Verkehrssicherungspflicht oder eine Unfallverhütungsvorschrift. Selbst derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, will regelmäßig nicht die Schädigung und den Arbeitsunfall des Arbeitnehmers selbst, sondern hofft, dass diesem kein Unfall widerfahren werde (BAG, Urt. v. 28.11.2019 – 8 AZR 35/19 – m. w. N.). Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an. So kann im Einzelfall die Annahme der Billigung eines pflichtwidrigen Erfolgs angenommen werden, wenn der Schädiger sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsguts durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, und es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht (vgl.: BAG, Urt. v. 20.06.2013 – 8 AZR 471/12 – m. w. N.).
26b) Im Streitfall ist (zumindest) nicht hinreichend feststellbar, dass die Beklagte vorsätzlich eine Gesundheitsbeschädigung der Klägerin anlässlich der Tätigkeit im Flugdienst billigend in Kauf genommen haben. Es mangelt jedenfalls an der Annahme einer hinreichend erkennbaren starken Gefährdungslage. Dass die Beklagte gegen normierte Arbeitsschutzvorschriften oder Unfallverhütungsvorschriften verstoßen hat, behauptet die Klägerin nicht. Die Gefährdungslage war auch nicht derart intensiv, dass sie einen Rückschluss auf die Billigung des Eintritts von Gesundheitsschäden zulässt. Dies folgt daraus, dass hinsichtlich sog. Fume-Events bis heute keine wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnisse über die näheren technischen Ursachen dieser Events und ebenso wenig über die medizinisch-naturwissenschaftlichen Wirkmechanismen, die die von Betroffenen geschilderten oder bei Betroffenen diagnostizierten Symptome hervorgerufen haben könnten. Selbst die Frage, inwieweit sog. Fume-Events überhaupt als Ursache für medizinische Langzeitschädigungen in Betracht kommen, ist wissenschaftlich weiterhin ungeklärt (LAG Köln, 11.01.2018 – 7 Sa 356/17 -). Auch wenn es immer mal wieder zu solchen Fume-Events kommt, auf die einige Crewmitglieder mit Befindlichkeitsstörungen reagieren; ist ein Zusammenhang mit dem Entstehen kodierbarer Gesundheitsstörungen ist bislang wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt, weil es bislang an einem Nachweis der Exposition bestimmter toxischer Stoffe fehlt (LSG NRW, 13.12.2022 – L 15 U 391/18 -). Selbst die Bemühungen der BG Verkehr, eine hinreichende wissenschaftliche Grundlage zur Auswirkung neurotoxischer Stoffe (n-Hexan und Toluol) auf die betroffenen Crewmitglieder zu finden, waren bisher erfolglos, wie sich an der Ende des Jahres 2021 abgeschlossen FUSE-II-Studie zeigt. Zudem spricht die Durchführung einer ordnungsgemäßen Wartung vor Flugantritt am 03.01.2019 eher dafür, dass die Beklagte es nicht nur dem Zufall überlässt, ob ein Gesundheitsschaden eines Crewmitglieds eintritt, sondern die Beklagte mit der Wartung auch dem etwaigen Eintritt solcher Schäden vorbeugen will. Es sind auch keine Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich, die gesteigerte Schutzmaßnahmen der Beklagten aufgrund Kenntnis einer spezifischen, persönlichen Disposition der Klägerin erfordert hätten. In der Gesamtschau ist daher zusammenfassend festzustellen, dass die Beklagte den Flugdienst der Klägerin am 03.01.2019 nicht trotz erkennbar starker Gesundheitsgefährdung veranlasst hat und es auch nicht dem Zufall überlassen hat, ob sich diese Gefahr verwirklicht.
27III. Die Kostenentscheidung beruht auf den § 97 Abs. 1 ZPO.
28IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.