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1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 03.02.2022 – 7 Ca 1917/21 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
2Die Parteien streiten im Rahmen der Berufung noch um eine ordentliche, betriebsbedingte Kündigung der Beklagten. Gegen den erstinstanzlich ebenfalls anhängigen Zahlungsantrag legte die insoweit unterlegene Beklagte kein Rechtsmittel ein.
3Bei der Beklagten, die ausschließlich der Auszubildenden mehr als 10 Mitarbeiter beschäftigt, handelt es sich um eine Ausgründung aus der R A und um eine 100%ige Tochtergesellschaft der G GmbH. Sie beschäftigt sich mit der Entwicklung eines Wundklebers, um beispielsweise eine Alternative zum Vernähen von Wunden zu haben. Ein weiteres, vom der Beklagten betriebenes Entwicklungsprojekt beschäftigte sich mit einem Kleber zur Verwendung im Körper, z.B. bei Operationen am Herz.
4Die am 1989 geborene, verheiratete Klägerin – Mutter eines Kindes – ist seit dem 15.11.2018 bei der Beklagten als Quality Manager beschäftigt. Ihre Bruttomonatsvergütung belief sich auf ca. 5.000 Euro. Sie befindet sich seit dem 26.07.2020 – bis zum 25.07.2023 - in Elternzeit. Ab dem 26.07.2021 arbeitete sie mit 25 Stunden in der Woche Teilzeit während der Elternzeit bei der Beklagten.
5Gemäß Beschluss der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 18.12.2020 wurde entschieden, die betrieblichen Aktivitäten der Gesellschaft mit Wirkung zum 31.03.2021 vollständig und dauerhaft einzustellen.
6Die Beklagte kündigte daraufhin die Arbeitsverhältnisse mit allen 16 Arbeitnehmern beziehungsweise schloss Aufhebungsverträge.
7Der Mietvertrag über die Räumlichkeiten in der Z straße wurde zwischen der Muttergesellschaft als Vermieterin und der Beklagten als Mieterin einvernehmlich und rückwirkend zum 01.01.2021 aufgehoben.
8Des Weiteren wurden der Telefonanschluss und Dienstleistungsverträge mit Dritten gekündigt.
9Mit Schreiben vom 16.12.2020 kündigte die Beklagte den Zertifizierungsvertrag mit der e -Zertifizierungsgesellschaft mit sofortiger Wirkung.
10Unter dem 28.01.2021 schaltete die G -Gruppe eine Stellenanzeige. Gesucht wurde für die Position Auditor/Supplier Quality Expert External Supply QA, vgl. Blatt 176 der Akte.
11Mit Bescheid des Bezirksregierung K vom 29.06.2021 erklärte diese die noch auszusprechende Kündigung des mit der Klägerin bestehenden Arbeitsverhältnisses sowie des Teilzeitarbeitsverhältnisses in der Elternzeit für zulässig, nachdem die Beklagte unter dem 18.01.2021 einen entsprechenden Antrag gestellt hatte.
12Mit Schreiben vom 30.06.2021, welches der Klägerin am selben Tage zuging, kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.09.2201.
13Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass diese Kündigung sozial nicht gerechtfertigt sei.
14Sie hat vorgetragen, dass sie nicht von einer Stilllegungsabsicht ausgehe, was sich bereits daraus ergebe, dass die Beklagte selber im Zustimmungsantrag gegenüber der Bezirksregierung ausgeführt habe, dass weitere Einsatzmöglichkeiten geprüft würden und Gespräche zu einem möglichen zukünftigen Set-Up stattfänden. Dies könne nur bedeuten, dass die Beklagte bzw. die Geschäftsgegenstände und die Produkte der Beklagten auch zukünftig fortgeführt würden.
15Die Klägerin hat behauptet, dass der Stilllegungsbeschluss nicht umgesetzt worden sei, zumal die Beklagte – unstreitig – am 27.04.2021 noch eine weitere Geschäftsführerin in das Handelsregister habe eintragen lassen und ausweislich des Registerauszuges unverändert 6 Gesamtprokuristen beschäftige.
16Die Klägerin hat behauptete Produktionseinstellung bestritten und darauf verwiesen, dass die Beklagte 2 Zertifizierungsstellen beauftragt und nur gegenüber der „e “ gekündigt habe, die noch dazu nicht mehr berechtigt sei, Medizinprodukte jeglicher Art zu zertifizieren, sondern lediglich das Qualitätsmanagementsystem von Medizintechnikfirmen. Bei einer Betriebsstilllegung müsse jedoch alles gekündigt und beendet werden.
17Soweit sich die Beklagte auf die Beendigung des Mietvertrages mit der alleinigen Gesellschafterin berufe, hat die Klägerin die Ansicht vertreten, dass dies rechtlich irrelevant sei, da es keinen nachvollziehbaren Grund gegeben habe, die Betriebsräume zu vermieten. Die G GmbH könne der Beklagten vielmehr unverändert Räume zur Verfügung stellen, ohne, dass es hierfür eines förmlichen Mietvertrages bedürfe.
18Sämtliche relevanten Entscheidungen außerhalb des reinen Tagesgeschäftes der Beklagten seien nicht von den Geschäftsführern der Beklagten, sondern von der Muttergesellschaft getroffen worden. Die Beklagte sei vollständig bei G eingegliedert. Insoweit hat die Klägerin auf beigefügte Organigramme sowie auf die bereits aus diesem Rechtsstreit ersichtlichen Verflechtungen im Rahmen personeller Entscheidungen verwiesen. Im Rahmen der täglichen Arbeit sei es zu einem ständigen, wechselseitigen Personaleinsatz gekommen. Die Klägerin ist folglich von einem Gemeinschaftsbetrieb zwischen der Beklagten und der G GmbH sowie der G GmbH & Co. KG und ggf. noch anderen Gesellschaften der G -Gruppe ausgegangen. Daher hat sie die Ansicht vertreten, dass eine unternehmensübergreifende Sozialauswahl hätte erfolgen müssen.
19Die Klägerin hat behauptet, dass freie Arbeitsplätze zur Verfügung stünden. Bei der G GmbH bzw. der G -Gruppe gebe es Arbeitsplätze im Bereich Qualitätsmanagement, auf denen sie eingesetzt werden könne. Dies ergebe sich bereits aus der Stellenanzeige vom 28.01.2021, welche zunächst in Deutschland ausgeschrieben und erst in dem Moment in L bei der G S.A. angesiedelt worden sei, nachdem die Klägerin diese Stelle im Rahmen des Zustimmungsverfahrens vorgelegt habe.
20Darüber hinaus hat sie erstinstanzlich noch eine Zielprämie geltend gemacht.
21Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
221. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 30.06.2021 nicht mit dem 30.09.2021 sein Ende finden wird, sondern über diesen Zeitpunkt hinaus unverändert fortbesteht;
2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern über den 30.09.2021 hinaus unverändert fortbesteht;
3. die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.000 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz über dem Basiszinssatz seit dem 02.05.2021 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass die streitgegenständliche Kündigung sozial gerechtfertigt sei.
31Sie hat sich darauf berufen, dass sich der betriebsbedingte Kündigungsgrund aus dem Stilllegungsbeschluss ergebe, der bereits greifbare Formen angenommen habe. Neben den unstreitigen Ereignissen hat sie zudem darauf verwiesen, dass sie die wesentlichen Betriebsmittel an die O C GmbH sowie an die S S.p.A veräußert habe. Diesbezüglich hat sie auf die beigefügten Verträge verwiesen.
32Sie hat behauptet, dass ein gemeinsamer Betrieb nicht bestehe und auch nicht dargelegt worden sei. Zudem hat sie vorgetragen, dass ein solcher spätestens mit der Stilllegung eines Betriebes ende, so dass eine Sozialauswahl nicht vorzunehmen gewesen sei.
33Die Klägerin könne zudem nicht beanspruchen, dass die Beklagte die Frage des freien Arbeitsplatzes unternehmensübergreifend prüfe. Ein solcher Anspruch bestehe nicht.
34Mit Urteil vom 03.02.2022 hat das Arbeitsgericht die Feststellungsanträge abgewiesen und der Zahlungsklage stattgegeben. Die Abweisung erfolgte im Wesentlichen mit folgender Begründung: Die Kündigung sei gemäß § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt, da sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sei. Die Beklagte habe im Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung ihren Geschäftsbetrieb bereits eingestellt und den Betrieb stillgelegt. Zum Beleg habe die Beklagte das Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 18.12.2020 vorgelegt. Zudem habe sie vortragen können, dass der Mietvertrag aufgehoben worden sei und die Beklagte die Arbeitsverhältnisse mit allen Beschäftigten beendet habe. Des Weiteren sei der Vertrag über die Nutzung mit dem Telekommunikationsanbieter mit Wirkung zum 31.03.2021 sowie der Vertrag über die Zertifizierung ihrer Produkte mit dem Anbieter mit sofortiger Wirkung gekündigt worden. Der Verkauf von Betriebsmitteln sei durch Vorlage der Verträge nachgewiesen. Soweit die Klägerin einen Beschäftigungsbedarf bei der G GmbH behaupte, habe sie hierauf weder einen arbeitsvertraglichen Anspruch noch ergebe sich ein solcher aus dem Aspekt des Gemeinschaftsbetriebes. Selbst wenn ein Gemeinschaftsbetrieb zwischen der Beklagten und einer anderen Gesellschaft der G -Gruppe bestanden hätte, wäre dieser im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigungserklärung bereits aufgelöst gewesen. Letztendlich habe die Klägerin auch nicht schlüssig vortragen können, dass die Firma G GmbH den bis dahin der Beklagten zugeordneten Betrieb bzw. Betriebsteil unverändert seit dem 01.04.2021 fortführe.
35Gegen das der Klägerin 21.06.2022 zugestellte Urteil richtet sich deren am 20.07.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung, die sie am 20.09.2022 innerhalb der bis zum 20.09.2022 verlängerten Berufungsbegründungsfrist unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen wie folgt begründet:
36Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht von der sozialen Rechtfertigung der streitgegenständlichen Kündigung ausgegangen.
37Unverändert sei davon auszugehen, dass der Betrieb nicht stillgelegt worden sei. Dass der Zertifzierungsvertrag nur mit der „e “ und zunächst nicht mit der „M “ beendet worden sei, verdeutliche dies, da gerade der Vertrag mit der „M “ maßgeblich für die Fortführung sei. Die Beklagte habe sich demzufolge stets vorbehalten, den Betrieb nach „einem eigenen Setup“ fortzuführen. Mit diesem Vortrag habe sich das erstinstanzliche Gericht nicht auseinandergesetzt.
38Gegen die ernsthafte Stilllegungsabsicht spreche, dass noch im April 2021 mit Wirkung zum 27.04.2021 die bisherige Mitarbeiterin E K zur weiteren Geschäftsführerin der Beklagten in das Handelsregister eingetragen worden sei. Aus dem Registerauszug ergebe sich zudem, dass noch insgesamt 6 Gesamtprokuristen beschäftigt würden. Auch dieser Vortrag sei in der erstinstanzlichen Entscheidung nicht einbezogen worden.
39Die bestehenden Besonderheiten hinsichtlich der gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen habe das Arbeitsgericht nicht berücksichtigt, sondern stattdessen vielmehr formelhaft die üblicherweise in der Rechtsprechung genannten Beendigungsszenarien durchgeprüft.
40Selbst im Falle einer Stilllegung hätte man ihr einen anderweitigen Arbeitsplatz bei der G GmbH bzw. innerhalb der G -Gruppe anbieten müssen. In der Gruppe seien zu dem Zeitpunkt, zu dem die Beklagte bei der Bezirksregierung einen Antrag auf Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung gestellt habe, mehrere Stellen ausgeschrieben, für die die Klägerin geeignet gewesen sei. Auf die Stellenausschreibung vom 28.01.2021 verweise sie beispielhaft.
41Entgegen der Ansicht des erstinstanzlichen Gerichts habe bei der Beklagten und der G GmbH bzw. weiteren Unternehmen der G -Gruppe ein Gemeinschaftsbetrieb im arbeitsrechtlichen Sinne bestanden. Die Beklagte sei wie eine Abteilung geführt worden und vollständig in die gesamte Organisation bei Grünenthal eingegliedert gewesen. Auf den vorgelegten Organigrammen würden der Beklagten daher auch eine bestimmte Anzahl von FTEs (Full time equivalent) zugeordnet, was relevant für die Mitarbeiterplanung sei. Der Personaleinsatz erfolge wechselseitig.
42Demzufolge würden auch sämtliche Personalentscheidungen von Herrn O L („Head of HR Germany“ und „Global Human Resources“ bei G ) mitunterzeichnet. Die Geschäftsführer der Beklagten könnten also keine eigenständigen Entscheidungen hinsichtlich irgendwelcher Personalien treffen. Gerade der von der Beklagten eingebrachte Dienstleistungsvertrag verdeutliche die personellen Verflechtungen. Hierauf sei die erste Instanz nicht eingegangen.
43Eine einheitliche Leitung wäre selbst bei einer Betriebsstilllegung fortgeführt worden, da sie nunmehr G innehabe. Auf die höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu sei die erste Instanz nicht eingegangen.
44Die Klägerin beantragt,
45das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 03.02.2022, Az. 7 Ca 1917/21 abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.06.2021 nicht mit dem 30.09.2021 sein Ende gefunden hat, sondern über diesen Zeitpunkt hinaus unverändert fortbesteht.
46Die Beklagte beantragt,
47die Berufung zurückzuweisen.
48Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil, wiederholt und vertieft ihre erstinstanzlichen Ausführungen und führt ergänzend aus:
49Sie habe die Entscheidung zur dauerhaften und endgültigen Betriebsstilllegung nunmehr umgesetzt, was sich daraus ableiten lasse, dass sich die Beklagte seit dem 01.07.2022 in Liquidation befinde. Der Umstand, dass die Beklagte den Zertifizierungsvertrag mit der „M “ erst am 24.09.2021 gekündigt habe, sei irrelevant, da die Klägerin übersehe, dass der Prozess der Stilllegung nicht von heute auf morgen ablaufe. Zudem könne die Beklagte mit dem Zertifizierungsvertrag allein – ohne Mitarbeiter und ohne Betriebsmittel – nichts anfangen. Entscheidend sei, dass niemand den Betrieb über den 31.03.2021 hinaus fortgesetzt habe. Es verbleibe zudem dabei, dass keine Verpflichtung bestehe, unternehmensübergreifend freie Arbeitsplätze anzubieten. Zudem habe die Klägerin unverändert keinen einzigen Vorgang substantiiert angeführt, bei dem es zur Ausübung einer einheitlichen Leitung gegenüber Mitarbeitern der Beklagten und Mitarbeitern anderer Gesellschaften der G -Gruppe gekommen sei. Ein gemeinsamer Betrieb sei damit unverändert nicht erkennbar. Spätestens mit Auflösung eines solchen wäre dieser Einwand ohnehin nicht mehr relevant.
50Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die ausweislich der Sitzungsprotokolle abgegebenen Erklärungen ergänzend Bezug genommen.
51E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
52Die Berufung der Klägerin ist an sich statthaft (§ 64 Absatz 1, Absatz 2 lit. c) ArbGG) und nach den §§ 64 Absatz 6, 66 Absatz 1 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 519 ZPO am 20.07.2022 gegen das am 21.06.2022 zugestellte Urteil form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist ordnungsgemäß begründet worden.
53Das Gericht legte den im Rahmen der Berufung gestellten Antrag – im Vergleich zu den erstinstanzlich gestellten Anträgen – so aus, dass der allgemeine Feststellungsantrag – ursprünglicher Klageantrag zu 2) - in der Berufung nicht mehr gestellt werden sollte. Der Antrag wurde entsprechend umformuliert und es fehlten zudem Ausführungen hierzu in der Berufungsbegründung. Die so verstandene Berufung war insgesamt zulässig.
54Sie ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Kündigungsschutzklage abgewiesen.
55Im Einzelnen:
56Der Kündigungsschutzantrag ist zulässig, jedoch unbegründet.
571) Zulässigkeit
58Der Kündigungsschutzantrag war zulässig. Das entsprechende Feststellungsinteresse ergab sich vorliegend aus den §§ 4,7 KSchG.
592) Begründetheit
60Die Klage war insoweit jedoch unbegründet.
61Die streitgegenständliche Kündigung beendete das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist.
62Nachdem die Klägerin, die sich auf die Anwendbarkeit des KSchG nach den §§ 1,23 KSchG berufen konnte, die vorliegende Kündigungsschutzklage innerhalb der Frist der §§ 4,7 KSchG eingereicht hatte, war die streitgegenständliche Kündigung auf ihre soziale Rechtfertigung hin zu überprüfen.
63Eine solche lag vor.
64Nach § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung unter anderem dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.
65Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG können sich aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidungen wie z.B. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) oder außerbetrieblichen Gründen (z.B. Auftragsmangel oder Umsatzrückgang) ergeben. Eine Kündigung aus innerbetrieblichen Gründen ist gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei der im Rahmen der innerbetrieblichen Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt (BAG NZA 2012, 852; BAG 16.12.2010 - 2 AZR 770/09; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 211 f). Dabei muss der Arbeitgeber darlegen, welche organisatorischen und technischen Maßnahmen er angeordnet hat und wie sich die von ihm behaupteten Umstände unmittelbar oder mittelbar auf die Beschäftigungsmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers auswirken. Der Vortrag muss erkennen lassen, dass durch eine innerbetriebliche Maßnahme das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entfällt (BAG 17.6.1999 - 2 AZR 456/98). Der Beschäftigungsbedarf muss bei Zugang der Kündigung nicht bereits tatsächlich entfallen sein. Entscheidend ist, dass jedenfalls die Entwicklung, die für den künftigen Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit maßgeblich ist, zu diesem Zeitpunkt feststeht, also abschließend geplant ist, und dass die Erwartung berechtigt ist, sie würde sich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist realisiert haben. Erforderlich ist eine entsprechende Prognose (BAG 31.7.2014 – 2 AZR 422/13). Die unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich unvernünftig oder willkürlich ist. Dabei unterliegt der vollen Nachprüfung durch die Gerichte aber, ob eine entsprechende unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer tatsächlich entfallen lässt (BAG 21.9.2006 – 2 AZR 607/05). Die Beendigungskündigung muss darüber hinaus aber auch dringend sein. Das Erfordernis der Dringlichkeit ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Eine Beendigungskündigung ist demnach nur gerechtfertigten, wenn keine andere Möglichkeit besteht (ultima ratio), wobei auch der Vorrang der Änderungskündigung zu beachten ist (KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn. 528 ff.). Eine ordentliche Beendigungskündigung ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit daher ausgeschlossen, wenn die Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz, auch zu geänderten Arbeitsbedingungen, weiter zu beschäftigen (BAG 21.04.2005 - 2 AZR 132/04).
66Die Stilllegung des gesamten Betriebes durch den Arbeitgeber gehört zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen i.S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung abgeben können (BAG NZA-RR 2012, 570; BAG vom 16.02.2012 – 8 AZR 693/10; Erfk/Oetker, § 1 KSchG Rn. 277). Beruft sich der Arbeitgeber auf den betriebsbedingten Kündigungsgrund der Stilllegung, so ist, wenn das Vorliegen eines Stilllegungsentschlusses im Kündigungszeitpunkt bestritten wird, der Arbeitgeber verpflichtet, substantiiert darzulegen, dass und zu welchem Zeitpunkt er diejenigen organisatorischen Maßnahmen, die sich rechtlich als Betriebsstilllegung darstellen, geplant und beschlossen hat. Über diese Entschlussfassung hinaus muss der Arbeitgeber substantiiert vortragen, dass auch die geplanten Maßnahmen selbst zum Zeitpunkt der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen haben (BAG vom 16.02.2012 – 8 AZR 693/10). Der Umfang der Darlegungslast hängt dabei auch davon ab, wie sich der gekündigte Arbeitnehmer auf die vom Arbeitgeber gegebene Begründung der Kündigung einlässt (BAG vom 16.02.2012 – 8 AZR 693/10).
67Die Stilllegung setzt den ernstlichen und endgültigen Entschluss des Unternehmers voraus, die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer für einen seiner Dauer nach unbestimmten, wirtschaftlich nicht unerheblichen Zeitraum aufzugeben (BAG 30.11.2008 AP BGB § 613 a Nr. 358). Die Gründe, die den Arbeitgeber zur Stilllegung veranlasst haben, sind unerheblich.
68Die Voraussetzungen einer solchen Stilllegung konnte die Beklagte darlegen.
69Sie trug eine entsprechende unternehmerische Entscheidung vom 05.11.2020 vor. Diese sah eine Einstellung des Betriebes zum 31.03.2021 vor. Ebenfalls vorgelegt wurde das Protokoll der hiernach anberaumten Gesellschafterversammlung vom 18.12.2020, aus welchem sich der entsprechende Beschluss ebenfalls mit hinreichender Deutlichkeit ergab.
70Anhaltspunkte dafür, dass diese Entscheidung offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist, waren nicht ersichtlich und wurden von der Klägerin auch nicht vorgetragen.
71Zum Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung lagen zudem hinreichend greifbare Formen vor, aus denen sich ohne Weiteres die Ernsthaftigkeit des Beschlusses ableiten ließ:
72Die Beklagte beendete die Arbeitsverhältnisse aller 16 Arbeitnehmer entweder durch den Ausspruch entsprechender Kündigungen oder durch den Abschluss von Aufhebungsverträgen. Sie verfügte daher nicht mehr über eigene Mitarbeiter und war mithin nicht mehr in der Lage, ihren Betrieb fortzusetzen.
73Sie beendete den Mietvertrag mit der G GmbH über die Mietflächen in dem Gebäude , Z straße , A . Die Mietvertragsparteien verständigten sich ausweislich des vorgelegten Aufhebungsvertrages am 19.01.2021 auf eine einvernehmliche Beendigung rückwirkend zum 01.01.2021. Gänzlich irrelevant ist hierbei, dass Vermieterin die einzige Gesellschafterin der Beklagten ist und, dass die Beklagte theoretisch die Tätigkeit auch heute noch in den Räumlichkeiten der G GmbH ausführen könnte. Theoretisch könnte jeder Stilllegungsbeschluss durch Gegenmaßnahmen aufgehoben werden. Das Gericht hat keine Zweifel, dass die einzige Gesellschafterin vermutlich tatsächlich über Räumlichkeiten verfügt, in denen die Beklagte – so sie denn wollte – ihre Tätigkeit unverändert aus- und fortführen könnte. Entscheidend für den vorliegenden Rechtsstreit ist jedoch allein, dass keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Beklagte tatsächlich entsprechende Pläne zur Fortführung ihrer Geschäfte hat. Allein die theoretische Möglichkeit einer solchen bringt den Stilllegungsbeschluss selbstredend nicht zu Fall.
74Dass die Vermietung der Räumlichkeiten zwischen der Mutter- und der Tochtergesellschaft erfolgte, ist für den vorliegenden Rechtsstreit ebenfalls ohne Relevanz. Ob es – wie die Klägerin einwendet – „einen sachlichen und/oder nachvollziehbaren“ Grund für diese Konstellation gibt, bedarf keiner Überprüfung. Einzig und allein entscheidend für die hier relevante Frage, ob greifbare Formen für einen ernsthaften Stilllegungsbeschluss vorgetragen wurden, ist der Umstand, dass die Beklagte mit Abschluss des Aufhebungsvertrages vom 19.01.2021 über keinerlei Räumlichkeiten mehr verfügt, um ihren Betrieb fortzusetzen. Dass diese Aufhebung nur vorgeschoben ist und die Beklagte tatsächlich gänzlich andere Pläne hat, legte die Klägerin nicht ansatzweise dar.
75Die Beklagte kündigte zudem mit Schreiben vom 16.12.2020 den Zertifizierungsvertrag mit der e -Zertifizierungsgesellschaft mit sofortiger Wirkung. Gänzlich irrelevant ist hierbei, dass diese Gesellschaft zuletzt offenbar nur noch zuständig war für die Zertifizierung des Qualitätsmanagementsystems. Ebenso nicht relevant war die Tatsache, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung den weiteren Zertifizierungsvertrag mit der M um GmbH offenbar noch nicht gekündigt hatte. Die Klägerin übersah, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Stilllegung noch nicht gänzlich vollzogen sein muss. Es genügt – wie dargestellt – die Existenz greifbarer Formen. Dass ein Zertifizierungsvertrag zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt noch ungekündigt fortbestand, widerlegt ohne Hinzutreten weiterer Umstände die Stilllegungspläne der Beklagten nicht. Dies galt vorliegend umso mehr, als dass die Beklagte nunmehr mit Schreiben vom 24.09.2021 mittlerweile auch diesen Vertrag zum nächstmöglichen Zeitpunkt gekündigt hat.
76Die Beklagte legte des Weiteren dar, dass auch der wichtigste Entwicklungsvertrag mit der S M AG mit Schreiben vom 15.01.2021 beendet worden war. Das entsprechende Schreiben legte die Beklagte vor und wurde von der Klägerin auch nicht konkret bestritten.
77Ebenfalls vorgelegt wurden zuletzt auch die von der Beklagten schon im Rahmen der Klageerwiderung erwähnten Kaufverträge mit der O C GmbH sowie der S S.p.A. über den Verkauf der wesentlichen Betriebsmittel. Soweit die Klägerin einen solchen Verkauf zunächst bestritten hatte, war diese pauschale Einlassung jedenfalls nach Vorlage der entsprechenden Verträge prozessual nicht mehr relevant.
78Auch die Telefonanschlüsse wurden gekündigt.
79Zuletzt konnte die Beklagte nachvollziehbar vortragen, dass ihr Patentportfolio nicht mehr aufrechterhalten bleiben wird, da die Patente sukzessive untergehen werden, weil die Beklagte ihrer Verpflichtung zur Aufrechterhaltung der Patente gegenüber den jeweiligen Patentämtern – wie etwa die Zahlung der entsprechenden Jahresgebühren - nicht mehr nachkommen wird.
80Greifbare Formen lagen damit vor. Diese konnte die Klägerin nicht widerlegen.
81Zudem lag auch kein Betriebsübergang vor. Betriebsstilllegung und Betriebsübergang schließen sich aus. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam, § 613a Absatz 4 Satz 1 BGB.
82Ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang nach § 613a BGB setzt die Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit voraus. Der Begriff wirtschaftliche Einheit bezieht sich hierbei auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung (BAG vom 07.04.2011, 8 AZR 730/09).
83Inwieweit die wirtschaftliche Einheit gewahrt und – vom wem auch immer – fortgeführt worden sein könnte, trug die Klägerin nicht vor. Ihre diesbezüglichen Ausführungen blieben gänzlich unkonkret und ohne Substanz. Sie schilderte nicht, welches Unternehmen nunmehr genau das Geschäftsfeld bedient, welches zuvor die Beklagte ausgefüllt hatte. Ein Betriebsübergang war damit nicht anzunehmen.
84Die dargelegten greifbaren Formen zur Stilllegung des Betriebes konnte die Klägerin auch nicht anderweitig widerlegen.
85Dass die Beklagte noch am 27.04.2021 eine weitere Geschäftsführerin im Handelsregister eintragen ließ, ist hierbei irrelevant. Gleiches gilt für den Umstand, dass die Beklagte ebenfalls noch 6 Gesamtprokuristen beschäftigte. Die Klägerin übersah bei dieser Argumentation, dass Stilllegungsabsicht und Liquidation nicht gleichbedeutend sind. Selbstverständlich kann ein Unternehmen beschließen, einen Betrieb stillzulegen, ohne dabei die Liquidation des gesamten Unternehmens zu planen. Dass sich die Beklagte offenbar auch zur Liquidation des Unternehmens entschlossen hat, ist für die arbeitsrechtliche Prüfung des ernsthaften Stilllegungsbeschlusses des Betriebes ohne Relevanz. Unabhängig davon trug die Beklagte richtigerweise vor, dass bis zum Abschluss der Liquidation selbstverständlich auch ein oder mehrere Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen werden müssen.
86Entgegen der Auffassung der Klägerin existierte auch kein freier Arbeitsplatz, den die Beklagte ihr hätte anbieten müssen. Jedenfalls trug sie einen solchen Arbeitsplatz nicht vor.
87Eine ordentliche Beendigungskündigung ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgeschlossen, wenn die Möglichkeit besteht, den Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz gegebenenfalls auch zu geänderten (schlechteren) Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen. Das Angebot einer Weiterbeschäftigung zu geänderten (schlechteren) Bedingungen kann lediglich in Extremfällen unterbleiben. Eine Weiterbeschäftigung hat auch dann vorrangig zu erfolgen, wenn sie erst nach einer Einarbeitung des Arbeitnehmers auf einer freien Stelle, gegebenenfalls erst nach einer dem Arbeitnehmer anzubietenden zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme möglich ist (BAG vom 05.06.2008, 2 AZR 107/07).
88Die Beklagte hatte stets vorgetragen, dass ein solcher Arbeitsplatz bei ihr nicht existiert. Sodann wäre es Aufgabe der Klägerin gewesen, hierzu konkret vorzutragen. Dies unterblieb. Das Gericht hatte nicht zu überprüfen, ob eine „Stellenausschreibung der G -Gruppe“ vorlag und ob die Klägerin für diese Stelle tatsächlich hinreichend qualifiziert war.
89Eine konzernweite Weiterbeschäftigungspflicht ist nur in Ausnahmefällen unter der Voraussetzung denkbar, dass sich ein anderes Konzernunternehmen ausdrücklich zur Übernahme des Arbeitnehmers bereit erklärt oder sich seine Übernahmeverpflichtung unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag oder anderen vertraglichen Absprachen ergibt und der Beschäftigungsbetrieb einen bestimmenden Einfluss auf die "Versetzung" ausübt (LAG Rheinland-Pfalz vom 15.11.2007, 4 Sa 154/07).
90Dass dieser Ausnahmetatbestand vorlag, trug die Klägerin nicht vor und war auch nicht ersichtlich.
91Konkret beschriebene, freie Arbeitsplätze bei der Beklagten behauptete die Klägerin nicht. Der allgemeine Hinweis, sie könne „auf allen QM Positionen“ eingesetzt werden, erfolgte zu pauschal und nicht hinreichend konkret.
92Zuletzt lag auch kein Verstoß gegen die Grundsätze der Sozialauswahl vor.
93Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 KSchG ist eine Kündigung trotz Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse i.S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Der Arbeitnehmer hat nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG erscheinen lassen. Die soziale Auswahl bezieht sich auf alle vergleichbaren Arbeitnehmer des Betriebs. Vergleichbar sind solche Arbeitnehmer, die austauschbar sind, sogenannte horizontale Vergleichbarkeit (BAG vom 26.03.2015, 2 AZR 478/13; BAG NZA 2005, 867; LAG Hessen vom 12.05.2006, 12 Sa 953/04). Die Abgrenzung wird sinnvoll danach vorgenommen, ob dem Arbeitnehmer, der für die Sozialauswahl in Betracht kommt, im Wege des Weisungsrechts und nicht nur im Wege der Änderungskündigung eine andere Beschäftigung zugewiesen werden kann (BAG NZA 2006, 31). Vergleichbar sind also diejenigen Arbeitnehmer, die kraft Weisungsrechts mit den anderen Aufgaben beschäftigt werden können (BAG NZA 2005, 867; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 323).
94Von denjenigen Arbeitnehmern, die den Bestandsschutz des § 1 KSchG genießen, werden für die Sozialauswahl nur diejenigen erfasst, die nach der betrieblichen Auswahl für eine Kündigung in Betracht kommen. Deshalb entfällt die Notwendigkeit einer sozialen Auswahl grundsätzlich, wenn allen Arbeitnehmern eines Betriebs gekündigt werden soll (BAG NZA 2015, 1457). Die betriebliche Auswahl erstreckt sich zum Zwecke der Durchführung der Sozialauswahl nur auf Arbeitnehmer des Betriebs und ist nicht auf andere Betriebe des Unternehmens auszudehnen (BAG NZA 2013, 837). Das gilt auch, wenn sich der Arbeitgeber ein betriebsübergreifendes Versetzungsrecht vorbehalten hat (BAG NZA 2006, 590). Hierdurch ist der Arbeitgeber bei dringenden betrieblichen Erfordernissen lediglich verpflichtet, den Arbeitnehmer auf einem freien Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb desselben Unternehmens weiter zu beschäftigen. Ausnahmen kommen allenfalls in Betracht, wenn der Arbeitnehmer für unternehmensweit wahrzunehmende Arbeitsaufgaben eingestellt wurde und er seine arbeitsvertraglichen Weisungen von der Unternehmensführung erhalten hat (LAG Rheinland-Pfalz, NZA-RR 2005, 588).
95Da die Beklagte den gesamten Betrieb stilllegte, schied eine Sozialauswahl aus. Die Arbeitsverhältnisse mit sämtlichen Mitarbeitern des Betriebes wurden beendet.
96Irrelevant war in diesem Zusammenhang die klägerische Einlassung, dass ihrer Auffassung nach von einem gemeinsamen Betrieb auszugehen war.
97Ein Betrieb ist eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber zusammen mit den von ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt (BAG vom 09.12.2009, 7 ABR 38/08). Ein Betrieb kann auch von mehreren Arbeitgebern als gemeinsamer Betrieb geführt werden. Die ist dann der Fall, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskräfte von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Dazu müssen sich die beteiligten Unternehmen zumindest konkludent zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben. Diese einheitliche Leitung muss sich auf die wesentlichen Funktionen eines Arbeitgebers in sozialen und personellen Angelegenheit erstrecken (BAG vom 13.02.2013, 7 ABR 36/11; 13.08.2008, 7 ABR 21/07).
98Das Gericht hatte bereits erhebliche Zweifel, ob ein gemeinsamer Betrieb in diesem Sinne gegeben war. Dass gewisse Verflechtungen innerhalb eines Konzerns existieren, führt nicht ohne Weiteres zu einem gemeinsamen Betrieb. Zudem legte sich die Klägerin auch nicht fest, mit wem ein solcher Betrieb bestehen sollte. Erstinstanzlich hatte sie vorgetragen, dass „zwischen der Beklagten und der G GmbH sowie der G GmbH & Co. KG und ggf. noch anderen Gesellschaften der G -Gruppe“ ein gemeinsamer Betrieb anzunehmen sei. Diese Einlassung verdeutlichte bereits die fehlende Konkretisierung. Im Rahmen der Berufung nahm die Klägerin nunmehr nur noch einen vermeintlich gemeinsamen Betrieb zwischen „der Beklagten und der G GmbH bzw. weiteren Unternehmen der G -Gruppe“ an, erwähnte die G GmbH & Co. KG nunmehr also nicht mehr explizit. Konkreter Sachvortrag hierzu unterlieb, zumal auch nicht ersichtlich war, woraus sich ein gemeinsamer arbeitstechnischer Zweck – mit wem auch immer – ergeben könnte, wenn die Beklagte den Bereich der Medizintechnik zum Inhalt hatte, während es sich bei der G GmbH um ein Pharmazieunternehmen handelt.
99Hierauf kam es streitentscheidend aus folgenden Gründen jedoch nicht an:
100Ist im Zeitpunkt der Kündigung einer der beiden Betriebe, die einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet haben, stillgelegt, so sind damit die Arbeitgeberfunktionen im Bereich der sozialen und personellen Angelegenheiten sowie die unternehmerischen Funktionen im Bereich der wirtschaftlichen Angelegenheiten dem vormals einheitlichen Leitungsapparat der beteiligten Unternehmen entzogen, der Gemeinschaftsbetrieb aufgelöst und damit die "gemeinsame Klammer", die eine unternehmensübergreifende Sozialauswahl veranlasst hat, entfallen (BAG vom 27.11.2003, 2 AZR 48/03).
101Gleiches gilt, wenn im Zeitpunkt der Kündigung der eine der beiden Betriebe, die zusammen einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet haben, zwar noch nicht stillgelegt ist, auf Grund einer unternehmerischen Entscheidung, die bereits greifbare Formen angenommen hat, aber feststeht, dass er bei Ablauf der Kündigungsfrist des Arbeitnehmers stillgelegt sein wird. Kündigungsgrund ist in einem solchen Fall das dringende betriebliche Erfordernis, das einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in dem stillzulegenden Betrieb nach Ablauf seiner Kündigungsfrist entgegensteht. Eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in dem bis zur Stilllegung des einen Betriebsteils zwischen beiden Unternehmen gebildeten Gemeinschaftsbetrieb kommt damit nicht mehr in Betracht. Wird, wie dies regelmäßig geschieht und auch hier - wenn überhaupt ein Gemeinschaftsbetrieb vorlag - geschehen ist, mit der Stilllegung des einen Betriebs auch die gemeinsame Leitungsstruktur beseitigt, so besteht ab dem Stilllegungszeitpunkt nur noch ein Betrieb fort, in dessen Führung durch den Unternehmer, dessen Betrieb stillgelegt worden ist, nicht mehr eingegriffen werden kann. Der Inhaber des stillzulegenden Betriebs ist damit nicht mehr in der Lage, eine Weiterbeschäftigung seiner Arbeitnehmer, denen wegen der Stilllegung betriebsbedingt zu kündigen ist, in dem fortgeführten Betrieb des anderen Unternehmers rechtlich durchzusetzen (BAG vom 18.09.2003, 2 AZR 139/03). Damit fehlt es für eine Sozialauswahl zwischen den Arbeitnehmern des ursprünglichen Gemeinschaftsbetriebs an der Vergleichbarkeit (BAG vom 27.11.2003, 2 AZR 48/03).
102Sofern also tatsächlich ein gemeinsamer Betrieb – mit wem auch immer – bestanden haben sollte, wäre dieser mit dem Stilllegungsbeschluss der Beklagten mit der Folge beendet, dass die Beklagte keine unternehmensübergreifende Sozialauswahl vornehmen musste.
103Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang erwähnte Entscheidung des BAG vom 24.02.2005, 2 AZR 214/05, ändert an diesem Ergebnis nichts. Denn im dortigen Verfahren blieb die einheitliche Leitung erhalten und wurde von der dortigen Beklagten ausgeübt. Dass dies vorliegend auch der Fall ist, ergibt sich nicht.
104Nach alldem war die Kündigung sozial gerechtfertigt.
105Auf einen etwaigen Sonderkündigungsschutz konnte sich die Klägerin nicht (mehr) berufen.
106Während der Elternzeit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht kündigen, § 18 Absatz 1 Satz 3 BEEG. In besonderen Fällen kann ausnahmsweise eine Kündigung für zulässig erklärt werden, § 18 Absatz 1 Satz 4 BEEG.
107Die Bezirksregierung K erklärte eine solche Zustimmung mit Bescheid vom 29.06.2021. Ein Verstoß gegen § 18 Absatz 1 Satz 3 BEEG schied damit aus.
108Das Arbeitsgericht hat die Klage insoweit richtigerweise als unbegründet abgewiesen. Gegen die Stattgabe des Zahlungsantrages legte die Beklagte keine Berufung ein.
109Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Absatz 6 ArbGG, 97 Absatz 1, 91 ZPO.
110Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Absatz 2 ArbGG sind nicht gegeben. Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit. Ferner lagen keine Gründe vor, die die Zulassung wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines der in § 72 Absatz 2 Nr. 2 ArbGG angesprochenen Gerichte rechtfertigen würde.