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Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 22.03.2023 – 3 Ca 1873/22 – abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet war, der Klägerin einen Arbeitnehmerweiterbildungsurlaub zu gewähren.
3Die Klägerin ist seit dem 01.05.2020 bei dem beklagten Kreis als Sachbearbeiterin in der Ausländerbehörde in Teilzeit beschäftigt und befindet sich in der Einarbeitungsphase. Die Ausländerbehörde ist in fünf Sachgebiete aufgegliedert, wozu u.a. die Sachgebiete „Servicecenter“ und „Allgemeine Ausländerangelegenheiten“ gehören. Die Klägerin ist dem Sachgebiet „Allgemeine Ausländerangelegenheiten“ zugeordnet. Im beklagten Kreis sind etwa 1.540 Ausländer ansässig, wovon drei Personen japanischer Nationalität sind.
4Die Klägerin meldete sich im Sommer 2022 bei der Volkshochschule (VHS) B zu dem Kurs „Japanisch für Anfänger*innen A 1.1 – Online-Bildungsurlaub“ für den Zeitraum 10.10.2022 bis 14.10.2022 an. Wegen der Einzelheiten der Kursbeschreibung wird auf Bl. 72 f. d.A. verweisen. Den Antrag der Klägerin vom 22.08.2022 auf Freistellung nach dem AWbG NW zum Zwecke der Kursteilnahme lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 31.08.2022 ab. Die Klägerin nahm daraufhin für den genannten Zeitraum Erholungsurlaub und absolvierte den Kurs.
5Das Arbeitsgericht Siegburg hat mit Urteil vom 22.03.2023 (Bl. 109 ff. d.A.) festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet gewesen sei, die Klägerin in der Zeit vom 10.10.2022 bis zum 14.10.2022 unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts zur Teilnahme an der Bildungsveranstaltung der VHS B „Japanisch für Anfänger*innen A 1.1“ freizustellen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass für die Feststellungsklage ein Rechtsschutzinteresse bestehe, denn für den Fall einer unrechtmäßigen Verweigerung der Freistellung sei ein Schadensersatzanspruch auf spätere Freistellung nach Ablauf des Urlaubsjahres aus Gründen des Verzuges denkbar. Die Klage sei auch begründet, denn es habe sich um berufliche Weiterbildung iSv. § 1 Abs. 3 AWbG NW gehandelt. Der Bildungskurs vermittele nicht nur Vorratswissen, sondern die erworbenen Kenntnisse könnten aufgrund der Aufgabenstellung der Klägerin eingesetzt werden. Es diene der wechselseitigen Verständigung und Vertrauensbildung, wenn die Klägerin z.B. japanische Anrede und Grußformel beherrsche und über Kenntnisse der Gesellschaft und der Kultur Japans verfüge. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichtes wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
6Gegen das ihm am 29.03.2023 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 18.04.2023 Berufung eingelegt und diese am 24.05.2023 begründet.
7Unter Darstellung der bisherigen Kontaktaufnahmen zwischen dem Personenkreis japanischer Herkunft und der Ausländerbehörde meint der Beklagte, dass es außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit sei und lediglich die hypothetische Möglichkeit bestehe, dass die Klägerin die erworbenen Kenntnisse nutzbringend einsetzen könne. Die Klägerin kommuniziere überwiegend mit 85 % ihrer Arbeitszeit schriftlich mit den Antragstellern. Sie sei nach dem viertägigen Sprachkurs nicht in der Lage, japanische Dokumente und die darauf abgebildeten Kanji-Zeichen zu entziffern. Zudem seien fremdsprachige Dokumente und Schriftstücke bei der Ausländerbehörde generell mit Übersetzung durch einen vereidigten Dolmetscher vorzulegen, es sei denn, es handele sich um englischsprachige Dokumente. Der letzte Kontakt mit einem japanischen Muttersprachler habe die Ausländerbehörde 2014/2015 gehabt. Die Klägerin selbst sei zu keinem Zeitpunkt, weder mündlich noch schriftlich, mit einem japanisch-sprechenden Kunden in Kontakt getreten.
8Der Beklagte beantragt,
9das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg abzuändern und die Klage abzuweisen.
10Die Klägerin beantragt,
11die Berufung zurückzuweisen.
12Die Klägerin verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Sie verweist darauf, dass sie zweimal die Woche telefonisch für den betreuten Personenkreis erreichbar sein müsse und sie auch für die japanischen Muttersprachler zuständig sei. Ausländische Sprachkenntnisse seien im Rahmen der Tätigkeit bei einer Ausländerbehörde immer förderlich für die tägliche Arbeit, die Klägerin müsse durchgehend kommunikationsfähig sein.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze vom 24.05.2023, 07.07.2023 und 28.07.2023, die Sitzungsniederschrift vom 09.08.2023 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
15I. Die Berufung des Beklagten ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2b) ArbGG statthaft und wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.
16II. Die Berufung ist begründet. Der Sprachkurs der VHS B „Japanisch für Anfänger*innen A 1.1“ stellt vorliegend keine berufliche Arbeitnehmerbildung iSv. § 1 Abs. 3 AWbG NW dar, so dass keine Freistellungsverpflichtung des Beklagten nach § 1 Abs. 1 AWbG NW bestand.
171. Bildungsveranstaltungen dienen der beruflichen Weiterbildung, wenn sie Kenntnisse für den ausgeübten Beruf oder jedenfalls Kenntnisse vermitteln, die im erlernten oder ausgeübten Beruf verwendet werden können. Es genügt, wenn Kenntnisse vermittelt werden, die der Arbeitnehmer zum auch nur mittelbar wirkenden Vorteil des Arbeitgebers in seinem Beruf verwenden kann. Erforderlich ist, dass die bei zukunftsorientierter Betrachtung voraussichtlich verwendbaren Kenntnisse zum Zeitpunkt der Antragstellung einen objektiv nachvollziehbaren oder fördernden Bezug zur konkreten arbeitsvertraglichen Tätigkeit aufweisen und kontinuierlich nutzbringend eingesetzt werden können (BAG, 18.11.2008 – 9 AZR 815/07 – m.w.N.). Ob Sprachkenntnisse in diesem Sinne voraussichtlich verwendbar sind, ist anhand einer Prognoseentscheidung zum Zeitpunkt der Verhältnisse bei Antragstellung zu beurteilen (vgl. z.B.: BAG, 21.10.1997 – 9 AZR 510/96 –).
182. Nach Einschätzung der Berufungskammer bestand im Streitfall zum Zeitpunkt der Antragstellung zwar die theoretische Möglichkeit, dass die Klägerin die im Sprachkurs „Japanisch für Anfänger*innen A 1.1“ vermittelten Kenntnisse der mündlichen Sprache, der Kultur und der Historie Japans im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben einsetzen kann, jedoch war nicht das gebotene Mindestmaß an Voraussehbarkeit gegeben, dass der Einsatz dieser Kenntnisse kontinuierlich nutzbringend, und sei es auch in größeren zeitlichen Abständen, zu erwarten war.
19a) Zunächst ist klarzustellen, dass die Klägerin nicht dargetan hat, dass in dem vorliegenden Japanisch-Kurs überhaupt anwendungsfähige Kenntnisse der japanischen Schrift vermittelt worden sind, dies lässt sich auch nicht der vorgelegten Kursbeschreibung entnehmen. Darüber hinaus wären solche Kenntnisse auch im Streitfall irrelevant, denn nach dem unbestrittenen Vortrag des Beklagten zur Aufgabenerledigung sind – mit Ausnahme englischsprachiger Dokumente – sämtliche fremdsprachige Dokumente und Schriftstücke bei der Ausländerbehörde mit Übersetzung durch einen vereidigten Dolmetscher vorzulegen.
20b) Die in der Kursbeschreibung genannten inhaltlichen Aspekte der kommunikativen Kompetenz im Alltag (Begrüßung, Verabschiedung, Vorstellung, Dank und Entschuldigung), einfache Sätze, Fragen und Redewendungen, grundlegende Elemente des höflichen Sprechens, Zahlen- und Mengenangaben sowie Aussprache und Körpersprache, nebst Informationen über die japanische Gesellschaft, Kultur und Verhaltensregeln, gewinnen ihre berufliche Relevanz im Falle des persönlichen Kontakts der Klägerin zu den japanischen Muttersprachlern. Diese Bildungsinhalte sind „an sich“ geeignet, um in der beruflichen Tätigkeit einen mittelbar wirkenden Vorteil für den Beklagten zu erzielen (§ 1 Abs. 3 S. 3 AWbG NW), denn sie erhöhen die Möglichkeit eines vertrauensvollen, persönlichen Umgangs der Klägerin mit den Personen japanischer Nationalität im Rahmen der zugewiesenen Sachbearbeitung. Jedoch mangelt es im Streitfall an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die erworbenen sprachlichen und sozio-kulturellen Kenntnisse voraussichtlich auch im Rahmen der Aufgabenstellung tatsächlich zum Einsatz kommen werden. Dies folgt zunächst daraus, dass die Klägerin selbst bisher in keinem einzigen Fall mit der Bearbeitung einer Angelegenheit befasst war, der die japanischen Muttersprachler betraf. Darüber hinaus liegt die letzte Kontaktaufnahme von Personen diese Sprachkreises mit der Ausländerbehörde nach unstreitigem Vorbringen des Beklagten mehr als sieben Jahre zurück, wobei nicht einmal feststellbar ist, ob in diesem Rahmen überhaupt eine persönliche Kontaktaufnahme stattgefunden hat. Die Klägerin vermochte auch nicht das Vorbringen des Beklagten zu widerlegen, dass Kenntnisse der japanischen Sprache deshalb nicht erforderlich seien, weil die drei Personen japanischer Herkunft, die von der Zuständigkeit der Ausländerbehörde des Beklagten erfasst sind, unter Berücksichtigung der Dauer ihres Aufenthalts von mindestens 23 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland sämtlich über gute oder sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen. Anhaltspunkte dafür, dass – wenn auch in größerem zeitlichen Abstand – ein regelmäßiger persönlicher Kontakt zwischen der Ausländerbehörde des Beklagten und den Personen japanischer Nationalität zustande kommt, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Vor diesem Hintergrund lässt sich nicht hinreichend prognostizieren, dass die Klägerin voraussichtlich zum mittelbaren Vorteil des Beklagten die im VHS-Kurs „Japanisch für Anfänger*innen A 1.1 – Online-Bildungsurlaub“ erworbenen Kenntnisse kontinuierlich nutzbringend im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben einsetzen kann.
21III. Die Kostenentscheidung beruht auf den § 91 Abs. 1 ZPO.
22IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.