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1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 09.02.2023 – 12 Ca 4919/22 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
3. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Nachholung der Zahlung von ausgesetzten arbeitgeberseitigen Beiträgen zur betrieblichen Altersversorgung.
3Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 20.01.2000 auf Basis eines Arbeitsvertrages vom 17.01.2000 (BL. 8 f. d.A.) als Flugbegleiterin beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag befindet sich unter Ziffer 5 eine Regelung zur zusätzlichen Altersversorgung, dort heißt es:
4„L sagt Frau C d S eine betriebliche Altersvorsorge zu. Inhalt und Umfang der Versorgungsleistung sind in einem Tarifvertrag geregelt, dessen jeweils geltende Bestimmungen Inhalt dieses Vertrages sind.“
5Der Tarifvertrag L Rente Kabine ist von dem Arbeitgeberverband Luftverkehr e.V. (AGVL) und der Gewerkschaft Unabhängige Flugbegleiter e.V. (UFO) mit Gültigkeit ab dem 01.01.2014 abgeschlossen worden. Dieser Tarifvertrag ist Teil der sogenannten „neuen Versorgungsordnung“, bei der ver.di nicht mehr Tarifpartei ist. Die Beklagte ist Mitglied des AGVL, die Klägerin ist kein Mitglied der UFO. In dem Tarifvertrag ist insbesondere geregelt, dass die Beklagte verschiedene arbeitgeberseitige Beitragszahlungen - unter anderem eine AV-Beitragszahlung, eine ÜV-Beitragszahlung sowie eine VKK-Beitragszahlung - leistet. Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Tarifvertrages wird auf Bl. 15 ff. d.A. verwiesen.
6Anlässlich der Auswirkungen der Coronakrise haben der AGVL und UFO am 24.06.2020, in der Änderungsfassung vom 07.07.2020, einen Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung, den TV Krisenbeitrag und Absicherung Kabine LHA (Bl. 140 ff. d.A.) (im Folgenden: „TV Krise“), geschlossen. Dieser gilt für Mitarbeiter im Geltungsbereich des jeweils gültigen Manteltarifvertrags Nr. 2 für das Kabinenpersonal der D L AG (MTV Nr. 2) mit Homebase in D und endet gemäß § 6 Nr. 1 Satz 1, ohne dass es einer Kündigung bedarf, spätestens mit Ablauf des 31.12.2023 ohne Nachwirkung.
7In § 2 Ziff. 2 lit. a bis c TV Krise sieht dieser für unterschiedliche Zeiträume die Aussetzung der tarifvertraglich begründeten Beitragszahlungen der Beklagten hinsichtlich der betrieblichen Altersversorgung, der ÜV-Versorgung und der VKK-Versorgung vor. Im Zuge der Umsetzung des TV Krise wurden daraufhin vom 01.07.202 bis 31.01.2021 arbeitgeberseitig die AV-Beitragszahlungen, vom 01.07.2020 bis 30.06.2021 arbeitgeberseitig die ÜV-Beitragszahlungen und vom 01.01.2021 bis 31.01.2022 arbeitgeberseitig die VKK-Beitragszahlungen zur betrieblichen Altersvorsorge der Klägerin ausgesetzt. Die Höhe der ausgesetzten Beitragszahlungen zur betrieblichen Altersvorsorge der Klägerin beläuft sich auf etwa 12.253,24 Euro.
8In § 2 Ziff. 4 des TV Krise ist vereinbart, dass die Beklagte schnellstmöglich zur Verringerung des Personalüberhangs Freiwilligenprogramme anbietet und die Tarifvertragsparteien diese Freiwilligenprogramme gemeinsam bewerben.
9In § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise wurde folgende Ausnahme von der o.g. Aussetzung, die in § 2 Ziff. 2 lit. a-c TV Krise geregelt ist, vereinbart:
10„Die Regelungen dieser Ziffer 2 gelten nicht für Mitarbeiter, die innerhalb der von der D L AG gesetzten Annahmefrist des Freiwilligenprogramms einen Aufhebungsvertrag abschließen oder auf Grund der Freiwilligenprogramme in die Versorgung ausscheiden.“
11Parallel zu dem TV Krise verhandelten die Beklagte und die Personalvertretung Kabine ein Freiwilligenprogramm für ein incentiviertes Ausscheiden. Dieses wurde im Rahmen einer Duldungsvereinbarung am 31.08.2020 abgeschlossen (Im Folgenden DV I). In der Präambel der DV I ist von mehreren in der Duldungsvereinbarung geregelten Freiwilligenprogrammen die Rede. In § 2 Abs. 1 der DV I ist sodann das incentivierte Ausscheiden für versorgungsnahe Jahrgänge geregelt und in § 2 Abs. 2 das Freiwilligenprogramm für Mitarbeiter versorgungsferner Jahrgänge geplant. Die DV I endet nach § 3 Abs. 1 DV I zum 31.03.2021 ohne Nachwirkung. Wegen der weiteren Einzelheiten der DV I wird auf Bl. 190 ff. d.A. Bezug genommen.
12Aufgrund der anhaltenden Coronakrise wurde am 05.10.2021 das weitere Freiwilligenprogramm Nr. 2 „Now!Cabin“ in Form einer weiteren Duldungsvereinbarung (DV II) aufgelegt.
13Im Abschnitt Geltungsbereich der DV II ist explizit geregelt, dass die Vereinbarung nicht für Mitarbeitende gilt, auf die der Tarifvertrag L Betriebsrente Kabinenpersonal vom 01.07.2003 und/oder der Tarifvertrag Übergangsversorgung für Flugbegleiter der D vom 01.07.2003 Anwendung findet. Wegen der weiteren Einzelheiten der DV II wird auf Bl. 195 ff. d.A. verwiesen.
14Im Rahmen des Freiwilligenprogramm Nr. 2, welches sich aus der DV II ergibt, schlossen die Parteien am 01.12.2021 einen Aufhebungsvertrag zum 31.01.2022 gegen Zahlung einer Abfindung.
15Nach Ziffer 9. des Aufhebungsvertrages haben die Parteien unter der Überschrift Betriebliche Altersversorgung/Übergangsversorgung Folgendes vereinbart:
16„Im Hinblick auf etwaige Unklarheiten zwischen den Parteien zum Anspruch von Frau D S auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung und der Übergangsversorgung, stellen die Parteien klar, dass die Arbeitnehmerin Ansprüche auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach dem Tarifvertrag L Rente Kabine hat. Weitere Zusagen auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung und Übergangsversorgung besteht nicht. Im Übrigen finden die Regelungen der Duldungsvereinbarung Freiwilligenprogramm Nr. 2 „Now!Cabin“ vom 05.10.2021 Anwendung.“
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Aufhebungsvertrages wird auf Bl. 10 ff. d.A. verwiesen.
18Am 25.05.2022 protokollierten der AGVL und UFO eine Klarstellung zum TV Krise. Dort stellten sie unter anderem, unter der Überschrift „Zu § 2 Ziff. 2 lit. f, § 2 Ziff. 4 und § 3 Ziff. 2: Freiwilligenprogramme“, fest:
19„…Die Parteien erwarteten bei Abschluss des Tarifvertrages, dass allein die im Jahr 2020 durch die D L AG angebotenen Freiwilligenprogramme ausreichend erfolgreich sein würden, um den Personalüberhang hinreichend zu verringern.
20Aus diesem Grund stellen die Parteien klar, dass sämtliche Bezugnahmen auf ein Freiwilligenprogramm oder die Freiwilligenprogramme im Tarifvertrag ausschließlich die in der Duldungsvereinbarung zwischen der D L AG und der Gruppenvertretung Kabine vom 31.08.2020 beschriebenen freiwilligen Maßnahmen betreffen würde.“
21Wegen der weiteren Einzelheiten der Klarstellungsvereinbarung vom 25.05.2022 wird auf Bl. 212 d.A. verwiesen.
22Mit der am 12.09.2022 eingegangenen Klage beim Arbeitsgericht Köln begehrt die Klägerin die Zahlung der im Rahmen des TV Krise vom 01.07.2020 ausgesetzten Arbeitgeberbeiträge.
23Die Klägerin trägt erstinstanzlich vor, dass die Aussetzung nicht rechtmäßig gewesen sei; sie sei im Rahmen eines Freiwilligenprogramms ausgeschieden und falle daher unter die Ausnahmeregelung. Dies ergebe sich aus der Auslegung des TV Krise, insbesondere des § 2 Ziff. 2 lit. f. Aus dieser folge eindeutig, dass sich nicht nur auf ein, sondern auf mehrere Freiwilligenprogramme bezogen worden und somit auch das Freiwilligenprogramm Nr. 2 „Now!Cabin“, unter das der Aufhebungsvertrag der Klägerin falle, von dem § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise umfasst sei. Die Klägerin ist der Ansicht, dass sowohl der Wortlaut des § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise als auch der Wortlaut des § 2 Ziff. 4 des TV Krise ihre Auslegung stütze. Die Klarstellungsvereinbarung sei nicht für die Auslegung heranzuziehen, da es sich bei ihr um Tarifgeschichte handele, welche nur für die Auslegung heranzuziehen sei, wenn im Einzelfall noch Zweifel an der Auslegung bestünden. Dies sei aufgrund des eindeutigen Wortlauts nicht der Fall.
24Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt,
25die Beklagte wird verpflichtet,
26a. die vom 01.07.2020 – 31.01.2021 ausgesetzten arbeitgeberseitigen AV-Beitragssatzzahlungen,
b. die vom 01.07.2020 – 30.06.2021 ausgesetzten arbeitgeberseitigen ÜV-Beitragssatzzahlungen,
c. die vom 01.01.2021 – 31.01.2022 ausgesetzten arbeitgeberseitigen VKK-Beitragssatzzahlungen,
in der betrieblichen Altersversorgung „L Rente Kabine“ und Versorgungskasse der Klägerin nachzuholen.
31Die Beklagte hat beantragt,
32die Klage abzuweisen.
33Die Beklagte trägt erstinstanzlich vor, dass die Aussetzung rechtmäßig sei, da § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise auf die Klägerin keine Anwendung finde. Die lit. f beziehe sich nur auf die Mitarbeiter, die im Rahmen des ersten Freiwilligenprogramms, welches in der DV I geregelt ist, ausgeschieden seien. Dies folge schon aus der Auslegung des TV Krise, insbesondere der Ausnahmeregelung des § 2 Ziff. 2 lit. f. Die Beklagte ist der Ansicht, der Wortlaut des § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise, insbesondere der Teil „… innerhalb der von der D L AG gesetzten Annahmefrist des Freiwilligenprogramms…“ sei insofern ein eindeutiges Indiz für ihre Auffassung. Dem stehe auch nicht entgegen, dass an anderer Stelle im TV Krise im Plural von Freiwilligenprogrammen die Rede sei; damit seien lediglich die beiden Arten von Programmen, eines für versorgungsnahe und eines für versorgungsferne Jahrgänge, gemeint. Zudem spreche auch die zeitliche Abfolge der Abschlüsse der Duldungsvereinbarungen für diese Auslegung. Denn die Ausnahmeregelung nehme auf Freiwilligenprogramme Bezug, bei denen es sich denklogisch nur um solche handeln könne, die innerhalb der DV I vom 31.08.2020 anvisiert worden seien; lediglich diese Freiwilligenprogramme seien im Zeitpunkt des Abschlusses des TV Krise bereits bekannt und deren Planung bereits beabsichtigt. Die Beklagte ist weiterhin der Ansicht, es könne nicht unterstellt werden, dass mit der Ausnahmeregelung sämtliche zukünftige Freiwilligenprogramme hätten erfasst werden sollen. Der ansonsten notwendige Abrechnungsaufwand, für eventuell schon abgeschlossene Steuerjahre, der durch Rückbuchungen der ausgesetzten Beiträge entstünde, sei für sie ansonsten weder beherrschbar noch vorhersehbar. Weiterhin beruft sich die Beklagte auf die Klarstellungsvereinbarung, aus welcher eindeutig hervorgehe, wie der Wille der Tarifvertragsparteien zum Abschluss des TV Krise gewesen sei und wie demzufolge die Auslegung zu erfolgen habe.
34Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 09.02.2023 (Bl. 247 ff. d.A.) die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass das Ausscheiden der Klägerin im Rahmen des Freiwilligenprogramms Nr. 2 „Now!Cabin“ nicht unter die Ausnahmevorschrift des § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise falle. Die Tarifnorm sei dahingehend auszulegen, dass sie sich auf Teilnehmer des ersten Freiwilligenprogramms beziehe. Dies begründet das Gericht mit einer Auslegung des Wortlauts der Ausnahmevorschrift, welche auch durch das Zeitelement systematisch gestützt werde. Das Gericht folgt der Argumentation der Beklagten bezüglich der Begründung der unterschiedlichen Bezeichnung der Freiwilligenprogramme im Singular und im Plural. Restzweifel seien jedenfalls durch die Klarstellungsvereinbarung ausgeräumt.
35Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der ersten Instanz wird auf deren erstinstanzliche Schriftsätze Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründungen des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
36Gegen das ihr am 21.02.2023 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21.03.2023 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 22.05.2023 begründet.
37Die Klägerin trägt in der zweiten Instanz in der ersten Instanz vor, der TV Krise sei auf sie gar nicht anwendbar, somit gelte für sie die Aussetzungsregelung des § 2 Ziff. 2 lit. a-c nicht. Die Inbezugnahmeklausel im Arbeitsvertag sei mit Rücksicht auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28.04.2021 – 4 AZR 229/20 - nicht als dynamische Klausel, sondern lediglich als statische Klausel zu werten. Die Bezugnahmeklausel in dem Arbeitsvertrag der Klägerin gelte als statisch und beziehe lediglich die Tarifwerke L Betriebsrente Kabinenpersonal vom 01.07.2003 und den Tarifvertrag Übergangsversorgung für Flugbegleiter der D vom 01.07.2003 in den Arbeitsvertrag ein. Die Anwendbarkeit des TV Rente Kabine vom Jahr 2014 sei Folge der Ziffer 9 des Aufhebungsvertrages zwischen ihr und der Beklagten.
38Die Klägerin wendet gegenüber der erstinstanzlichen Entscheidung weiterhin ein, das Arbeitsgericht Köln habe rechtsfehlerhaft die Auslegung des TV Krise vorgenommen. Sie ist der Ansicht, die Auslegung des § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise sei vom Arbeitsgericht zwar vorgenommen worden, sie sei jedoch unvollständig und unzutreffend. So habe das Arbeitsgericht verkannt, dass das Aussetzen der Beiträge gerade nicht genau in den Zeitraum des ersten Freiwilligenprogramms falle. Dies habe zur Folge gehabt, dass auch im Rahmen des ersten Freiwilligenprogramms ausgesetzte Beiträge rückwirkend hätten nachgezahlt werden müssen. Somit sei das Argument, dass die abgeschlossenen Beitragszeiträume bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages im Rahmen des zweiten Freiwilligenprogramms unter großem Aufwand nachberechnet werden müssten, nicht mehr gegen eine Anwendung des § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise auf das zweite Freiwilligenprogramm heranzuziehen. Zudem bestreitet die Klägerin, dass die DV I und der TV Krise parallel verhandelt worden seien. Die Klägerin ist weiter der Ansicht, dass das Arbeitsgericht den Sinn und Zweck der Regelung des § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise verkannt habe. So sei Ziel des TV Krise, sowohl die Beschäftigungssicherheit der Mitarbeitenden der Beklagten, wie auch die langfristige Reduzierung der Personalkosten. Diese Interessenlage habe sich im Rahmen beider Freiwilligenprogramme niedergeschlagen. Die Klägerin ist weiter der Ansicht, die Klarstellungsvereinbarung habe zur Auslegung nicht herangezogen werden können; es sei schon unklar, ob diese überhaupt den tatsächlichen Willen der Tarifvertragsparteien beim Vertragsschluss wiedergebe. Die Klarstellungsvereinbarung sei von den Tarifvertragsparteien geschlossen worden, um den wirklichen Willen bei Tarifvertragsabschluss zu verschleiern. Dies folge schon daraus, dass die Klarstellung erst Ende Mai 2022 und damit fast zwei Jahre nach dem Abschluss des TV Krise erfolgt sei. Das zweite Freiwilligenprogramm sei davor bereits seit fast vier Monaten ausgelaufen. Zudem sei die Vereinbarung erst getroffen worden, nachdem sich ausscheidende Mitarbeiter bei der Beklagten nach ihren ausgesetzten Altersvorsorgebeiträgen erkundigt hätten. Somit sei von einem rückwirkenden und somit unwirksamen Eingriff der Tarifvertragsparteien in die bestehende Regelungslücke des TV Krise auszugehen. Die im Rahmen des zweiten Freiwilligenprogramms ausgeschiedenen Arbeitnehmer hätten davon ausgehen dürfen, von der Ausnahmeregelung umfasst zu sein. Die Klägerin ist zudem der Ansicht, dass selbst bei Annahme, die Klarstellung sei für die Auslegung des Willens der Tarifparteien von Bedeutung, die Tarifparteien bei Kenntnis der zukünftigen Entwicklungen nicht nur das erste Freiwilligenprogramm in die Regelung des § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise hätten einbeziehen wollen. Dies begründet sie mit einem Verweis auf die Ähnlichkeit der beiden Duldungsvereinbarungen sowie der darin geregelten Freiwilligenprogramme. Jedenfalls habe, selbst wenn der Klarstellung ein entgegenstehender Wille der Tarifvertragsparteien entnommen werden könne, dieser jedenfalls keinen Niederschlag im Wortlaut, in der Systematik und dem Gesamtzusammenhang des TV Krise gefunden. Somit sei dieser Wille daher nicht zur Auslegung des TV Krise heranzuziehen. Nach Ansicht der Klägerin habe das Arbeitsgericht Köln zudem zu Unrecht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gemäß dem Urteil vom 22.04.2010 – 6 AZR 962/08 - außer Acht gelassen. Danach sei im Zweifel der Auslegung der Vorzug zu geben, die bei einem unbefangenen Durchlesen der Regelung als näherliegend erscheine und folglich von den Normadressaten typischerweise als maßgeblich empfunden werde. Dabei sei bei Anwendung dieses Grundsatzes eine Auslegung nur zugunsten ihrer bisherigen Argumentation denkbar.
39Die Klägerin beantragt zuletzt in zweiter Instanz,
40das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 09.02.2023, Az. 12 Ca 4919/22 – abzuändern und die Beklagten zu verurteilen,
411. auf dem bei der L G B S GmbH für die Klägerin geführten Versorgungskonto Basiskonto AV AV-Beiträge in Höhe von
211,22 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 31.08.2020 sowie
44211,22 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 30.09.2020 sowie
45211,22 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 31.10.2020 sowie
46211,22 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 30.11.2020 sowie
47211,22 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 31.12.2020 sowie
48211,22 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 29.01.2021 sowie
49211,22 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 26.02.2021
50gutzuschreiben.
512. auf dem bei der L Gl B S GmbH für die Klägerin geführten Versorgungskonto Basiskonto ÜV ÜV-Beiträge in Höhe von
591,86 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 31.08.2020 sowie
54591,86 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 30.09.2020 sowie
55591,86 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 31.10.2020 sowie
56591,86 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 30.11.2020 sowie
57591,86 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 31.12.2020 sowie
58591,86 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 29.01.2021 sowie
59591,86 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 26.02.2021 sowie
60591,86 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 31.03.2021 sowie
61591,86 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 30.04.2021 sowie
62591,86 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 28.05.2021 sowie
63591,86 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 30.06.2021 sowie
64591,86 Euro netto sowie darüber hinaus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Investitionszeitpunkt 31.07.2021
65gutzuschreiben.
663. für die Klägerin in die Versorgungskasse Kabine e. V. VKK-Beiträge von insgesamt 3.672,37 Euro netto sowie darüber hinaus aus klageerweiternd zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zum Stichtag 31.01.2022 einzubezahlen.
Die Beklagte beantragt zuletzt in zweiter Instanz,
69die Berufung wird zurückgewiesen.
70Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus der ersten Instanz. Ergänzend führt sie an, dass der TV Krise vollumfänglich auf die Klägerin anzuwenden sei. Zunächst trägt sie vor, die Klägerin habe erstinstanzlich bereits unstreitig gestellt, dass der TV Krise auf sie Anwendung finde; dies habe seinen Niederschlag auch in dem unstreitigen Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils gefunden. Die Anwendbarkeit stelle somit eine festgestellte Tatsache des ersten Rechtszugs i.S.d. § 529 ZPO dar, die der Entscheidung des Berufungsgerichts zugrunde zu legen sei. Hilfsweise führt die Beklagte aus, dass die Rechtsprechung des BAG bezüglich der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag zwar statisch das Tarifwerk für anwendbar erkläre, welches zuletzt wortgleich abgeschlossen worden sei. Diese Rechtsprechung sei aber nur auf bestimmte Arbeitsverhältnisse übertragbar. Insbesondere habe auf keines der vom Bundesarbeitsgericht in den Urteilen vom 28.04.2021 betroffenen Arbeitsverhältnisse die neue Versorgungsordnung Anwendung gefunden. Dies sei aber gerade bei der Klägerin der Fall. Somit sei die Rechtsprechung nicht auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin übertragbar. Dass auf die Klägerin die „neue“ Versorgungsordnung, also das Tarifwerk welches nur noch mit der UFO und nicht mehr auch mit ver.di abgeschlossen worden sei, Anwendung finde, begründet die Beklagte mit der DV II, auf dessen Grundlage der Aufhebungsvertrag mit der Klägerin geschlossen worden sei. Aus dem Geltungsbereich der DV II folge, dass die gesamte Vereinbarung nicht für solche Mitarbeitende gelte, auf die die Tarifwerke von 2003, also die „alten“ Versorgungsordnungen Anwendung fänden. Die Klägerin habe jedoch einen Aufhebungsvertrag unterschrieben, der sich explizit auf die DV II bezieht. Dass in dem Aufhebungsvertrag in Ziffer 9 lediglich auf den TV L Rente Kabine Bezug genommen werde, stehe einer Anwendbarkeit der gesamten „neuen“ Versorgungsordnung nicht entgegen, dieser Verweis sei rein deklaratorisch und schließe die Anwendung des TV Krise nicht aus. Bei dem TV Krise handele es sich um ein ergänzendes Tarifvertragswerk, welches den TV L Rente Kabine modifiziere. Es sei treuwidrig von der Klägerin, sich lediglich auf die Anwendbarkeit eines Teils des gesamten Tarifvertragswerks zu berufen und den sie benachteiligenden Teil auszuklammern; dies sei als sogenanntes „cherry picking“ unzulässig und laufe dem Gesamtzweck der Tarifregelung entgegen. Dem entspreche, dass die Abfindungssumme die der Klägerin im Rahmen des Aufhebungsvertrages gezahlt worden sei, nach dem VTV Nr. 39 berechnet worden sei, ebenso wie deren letzte Vergütung. Der VTV Nr. 39 sei jedoch ebenfalls Teil der neueren Tarifwerke, auf die die statische Bezugnahmeklausel eben nicht mehr verweise. Der Aufhebungsvertrag beziehe sich hingegen auf die neuen Tarifwerke und genüge somit dem Bestimmtheitsgebot des Bundesarbeitsgerichts; die Klausel sei somit im Falle der Klägerin als dynamische Bezugnahmeklausel zu interpretieren. Die Beklagte trägt vor, dass die Klarstellungsvereinbarung den Umfang der streitentscheidenden Norm § 2 Ziff. 2 lit. f des TV Krise abschließend regele, der Wille beider Tarifvertragsparteien sei eindeutig zu verstehen. Eine weitere Auslegung der Ausnahmeregelung sei dem Gericht deshalb verwehrt, durch die authentische Interpretation sei dem Gericht der Ermessensspielraum hinsichtlich der Auslegung entzogen. Dabei stützt sich die Beklagte auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, welches zunächst im Urteil vom 27.03.2007 – 3 AZR 60/06 - festgestellt habe, dass eine rückwirkende Regelung nicht unbedingt gegen den Vertrauensgrundsatz verstoße. Die Beklagte sieht in der Klarstellungsvereinbarung eine solche rückwirkende Regelung. Des Weiteren stützt sich die Beklagte auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 17.09.2003 – 4 AZR 540/02 -, wonach nachträgliche Begriffsbestimmungen als verbindlich anzuerkennen seien. Die Tarifvertragsparteien hätten aus Sicht der Beklagten, durch gemeinsame verbindliche Erklärung in Form der Klarstellungsvereinbarung geregelt, dass sämtliche Bezugnahmen auf ein Freiwilligenprogramm oder die Freiwilligenprogramme im Tarifvertrag ausschließlich die in der DV I beschriebenen freiwilligen Maßnahmen beträfen. Ungeachtet der Klarstellungsvereinbarung sei eine Auslegung der Ausnahmeregelung aber ebenfalls einzig insofern richtig, als dass sie zum Schluss kommen müsse, lediglich die Freiwilligenprogramme im Zusammenhang mit der DV I seien von der Vorschrift erfasst. Hilfsweise vertieft die Beklagte ihren erstinstanzlichen Vortrag bezüglich der Auslegung und weist die Auffassung der Klägerin zurück, in welcher diese bezweifelt, dass der Willen der Tarifvertragsparteien zum Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses in der Vereinbarung zur Klarstellung seinen Niederschlag gefunden habe. Solche Zweifel ließen sich insbesondere nicht durch das Abschlussdatum der Klarstellungsvereinbarung begründen. Diese sei lediglich deshalb erst einige Zeit nach der DV II getroffen worden, weil ein Problem bei der Auslegung des TV Krise von den Parteien zuvor schlichtweg nicht gesehen worden sei. Die Tarifparteien seien sich beim Abschluss des TV Krise schließlich einig gewesen, dass von der Ausnahmeregelung nur die Freiwilligenprogramme der DV I hätten erfasst sein sollen. Gegen die von der Klägerin vorgebrachten Zweifel spreche zudem die Position der UFO als Gewerkschaft und Arbeitnehmervertreterin, die die Vereinbarung mitunterschrieben habe; es liege kein Grund vor, warum die UFO zu Lasten der Mitarbeiter einen fingierten Willen zum Zeitpunkt des Abschlusses des TV Krise in einer Vereinbarung festhalten würde. Die Beklagte stellt sich zudem der Ansicht der Klägerin entgegen, nach der in Zweifelsfällen bei der Auslegung von Tarifverträgen der Auslegung der Vorzug zu geben sei, die bei einem unbefangenen Durchlesen der Regelung als näherliegend erscheine und folglich von den Normadressaten typischerweise als maßgeblich empfunden werde. Gemäß dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13.07.2021 – 3 AZR 363/20 - sei auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse zu berücksichtigen; im Zweifel gebühre derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktischen brauchbaren Regelung führe. Die Einbeziehung nur der Freiwilligenprogramme im Zusammenhang mit der DV I in die Ausnahmeregelung stelle eine solche vernünftige, sachgerechte, zweckorientierte und praktisch brauchbare Regelung dar. Dieses Ergebnis sei von der sonstigen Auslegung des Wortlauts, der Systematik, des Sinns und Zwecks, der zeitlichen Abfolge sowie des gemeinsamen Verständnisses getragen, wobei insbesondere der zu begrenzende Abrechnungsaufwand zu berücksichtigen sei. Die Beklagte trägt weiter vor, dass bezüglich der Nachberechnung zu berücksichtigen sei, dass zwar auch im Rahmen des ersten Freiwilligenprogramms teilweise rückwirkende Zahlungen hätten geleistet werden müssen; dies sei jedoch in Kauf zu nehmen gewesen, da eine Aussetzung der arbeitgeberseitigen Beitragszahlungen schnellstmöglich hätte erfolgen sollen. Dadurch sei jedoch ein erheblich geringerer Abrechnungsaufwand entstanden, als wenn die im Rahmen der DV II festgelegten und geplanten Freiwilligenprogramme, die mehr als ein ganzes Jahr nach dem Beginn der Aussetzungszeiträume geschlossen wurde, komplett hätten rückabgewickelt werden müssen. Dies würde zudem dem von den Tarifparteien grundsätzlich in § 2 Ziff. 2 lit. a-c TV Krise festgelegten Grundsatz, die Beitragsaussetzungen seien nicht nachzuholen, widersprechen. Die Beklagte ist der Ansicht, die Formulierung „…schnellstmöglich…“ in § 2 Ziff. 4 TV Krise zeige, dass es zeitnah zu einer Vereinbarung hinsichtlich der Errichtung von Freiwilligenprogrammen hätte kommen und diese auch zeitnah hätten angeboten werden sollen. Daraus sei zu folgern, dass die Tarifparteien eben nicht davon ausgegangen seien, dass über die gesamte Laufzeit des TV Krise mehrfach Freiwilligenprogramme angeboten würden. Systematisch sei die Ausnahmeregelung in § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise im Zusammenhang mit diesen „schnellstmöglich“ zu vereinbarenden Freiwilligenprogrammen zu sehen. Hinzu kommt nach Ansicht der Beklagten, dass der Wortlaut der DV I an einer entscheidenden Stelle von dem der DV II abweiche. In der Präambel der DV II fehle der in der DV I noch enthaltene Satz: „Vor diesem Hintergrund duldet die Gruppenvertretung Kabine die vom Arbeitgeber angebotenen und in dieser Duldung geregelten Freiwilligenprogramme.“ Dies zeige, dass die DV II erkennbar über die von den Tarifpartnern im TV Krise bereits angelegten Freiwilligenprogramme hinausgehe. Die DV II habe aufgrund des nach wie vor geltenden Ausschlusses betriebsbedingter Kündigungen vereinbart werden müssen, sie sei aber nicht mehr von den im TV Krise genannten Freiwilligenprogrammen erfasst. Die Beklagte ist weiterhin der Ansicht, die Argumentation der Klägerin zum zeitlichen Ablauf sei insofern unzutreffend, als dass der TV Krise zwar vor der DV I abgeschlossen worden sei, dies aber kein Anzeichen für eine fehlende Parallelität der Verhandlungen sei, die immerhin in einem engen zeitlichen Zusammenhang stattgefunden hätten. So habe bereits auf die Planung und Unterscheidung von Freiwilligenprogrammen für versorgungsnahe und versorgungsferne Mitarbeiter eingegangen werden können. Ein paralleler Abschluss im Sinne einer zeitgleichen Unterzeichnung sei nicht erforderlich gewesen, insbesondere, da die Vertragsparteien beider Vereinbarungen nicht identisch gewesen seien. Bezüglich der Auslegung des TV Krise nach Sinn und Zweck schließt sich die Beklagte den von der Klägerin dargelegten Grundsätzen der Beschäftigungssicherung und der Reduzierung von Personalkosten grundsätzlich an; sie ist jedoch der Auffassung, dass beide Ziele hätten zeitnah erreicht werden sollen. Aus diesem Grund sei die Aussetzung der AV- sowie ÜV-Beiträge bereits kurz nach Abschluss des TV Krise erfolgt. Auch die Planung und Umsetzung der Freiwilligenprogramme sei schnellstmöglich vorgesehen. Die zeitnahe und parallele Umsetzung dieser beiden Komponenten sei auch folgerichtig, da damit auf die eine oder andere Weise eine Reduzierung der Personalkosten habe erreicht werden sollen. Insbesondere sei bei der Betrachtung von Sinn und Zweck zudem auch dessen Erreichbarkeit und Umsetzbarkeit zu berücksichtigen. Diesbezüglich nimmt die Beklagte wieder Bezug auf den aus ihrer Sicht unbeherrschbaren Abrechnungsaufwand, welcher bei Nachzahlung der ausgesetzten Beiträge der Mitarbeiter, die im Rahmen der Freiwilligenprogramme die aus der DV II folgen, ausgeschieden seien, eintrete.
71Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 22.05.2023, 12.07.2023, 13.11.2023 und 22.11.2023, die Sitzungsniederschrift vom 24.11.2023 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
72Entscheidungsgründe
73Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.
74I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 II b) ArbGG statthaft und wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 I ArbGG eingelegt und begründet.
75II. Die Berufung ist allerdings unbegründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die streitgegenständlichen, unstreitig ausgesetzten Arbeitgeberbeiträge dem Versorgungskonto AV/ÜV und dem Konto bei der Versorgungskasse Kabine e.V. gutzuschreiben bzw. einzuzahlen. Dies folgt aus der Anwendbarkeit des § 2 Ziff. 2 lit. a-c TV Krise, welcher der Beklagten gestattet die Beiträge für die dort bestimmten Zeiträume auszusetzen. Die Regelung des § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise steht dem im Falle der Klägerin nicht entgegen. Sie ist dahingehend auszulegen, dass sie nur die Personen erfasst, die aufgrund der Freiwilligenprogramme, welche auf der Duldungsverfügung I beruhen, ausgeschieden sind.
761. Der TV Krise ist in seiner Gesamtheit auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin anwendbar. Zwar ist der dem unstrittigen Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils widersprechende Vortrag der Klägerin in der Berufungsinstanz zu beachten, dieser begründet jedoch nicht hinreichend die Unanwendbarkeit des TV Krise.
77a) Der Vortrag der Klägerin, der TV Krise sei auf sie nicht anwendbar, ist nicht als verspätet zurückzuweisen. Ob es sich bei dem diesbezüglichen Vortrag der Klägerin in zweiter Instanz um ein verspätetes Vorbringen im Sinne des § 282 ZPO handelt, kann dahinstehen, da durch den geänderten Vortrag zumindest keine Verzögerung des Rechtsstreits entsteht. Gemäß § 67 III ArbGG sind neue Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug entgegen § 282 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht wurden, nur zuzulassen, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Berufungsgerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Parteien das Vorbringen im ersten Rechtszug nicht aus grober Nachlässigkeit unterlassen hatten. Eine Verzögerung liegt vor, wenn das Verfahren bei Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei dessen Zurückweisung, wobei die zeitliche Verschiebung der Beendigung nicht ganz unerheblich sein darf (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.06.2020 – 2 AZR 400/19). Entscheidend ist allein die Verzögerung in der Berufungsinstanz. Der neue Vortrag schafft keinen Bedarf für eine neue oder zusätzliche Beweiserhebung. In der zweiten Instanz hat ein Termin, zum Zeitpunkt des neuen Vorbringens, noch nicht stattgefunden. Das Vorbringen ist auch so rechtzeitig – nämlich in der Berufungsbegründung vom 22.05.2023 - erfolgt, dass die Beklagte hierauf vor dem anberaumten Verhandlungstermin am 24.11.2023 Stellung nehmen konnte.
78b) Dem Vortrag der Klägerin ist jedoch nicht zu folgen. Eine Anwendbarkeit des TV Krise folgt schon aus der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag der Klägerin. Diese wirkt für die Klägerin als dynamische Bezugnahmeklausel und bezieht somit die „neuen“ Tarifwerke, also unter anderem den TV L Rente Kabine sowie den TV Krise in das Arbeitsverhältnis ein.
79Zwar handelt es sich (s. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28.04.2021 – 4 AZR 229/20 -) bei der im Formulararbeitsvertrag der Beklagten genutzten Bezugnahmeklausel um eine statische, die ihre ursprünglich dynamische Wirkung durch fehlende eindeutige Bestimmbarkeit der in Bezug genommen Tarifwerke verloren hat; jedoch gilt dies nur für solche Arbeitsverhältnisse, auf die die neue Versorgungsordnung keine Anwendung findet. Dies ist bei der Klägerin jedoch der Fall. Die Klägerin hat sich spätestens durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages, der sich explizit auf die Duldungsvereinbarung Freiwilligenprogramm Nr. 2 „Now!Cabin“ bezieht, dem Anwendungsbereich der neuen Tarifwerke, auf welche sich die Duldungsvereinbarung bezieht, unterworfen. Für sie gilt die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag somit als dynamische Bezugnahmeklausel. Denn in der Duldungsverfügung ist der Geltungsbereich begrenzt auf solche Arbeitnehmer, für die die alten Tarifverträge von 2003 nicht Anwendung finden. Dies wäre aber bei der Klägerin der Fall, sollte sie sich auf die statische Bezugnahmeklausel berufen. Dann wäre jedoch der Anwendungsbereich für einen Aufhebungsvertrag schon gar nicht gegeben.
80Daran ändert auch der Einwand der Klägerin, für sie würde, durch die Bezugnahmeklausel im Aufhebungsvertrag, der TV L Rente Kabine von 2014 Anwendung finden, nichts. Die von der Klägerin angesprochene Bezugnahmeklausel bezieht die gesamten „neuen“ Tarifwerke ein, nicht nur den TV L Rente Kabine. Die Klausel ist so auszulegen, dass sie auf das gesamte Tarifwerk verweist und nicht nur auf den TV L Rente Kabine. Die Tarifverträge TV Krise und TV La Rente Kabine sind ein zusammengehörendes Tarifwerk, auf die eine Bezugnahme nicht einzeln, sondern nur im Ganzen erfolgen kann. Dies wird schon durch den Verweis auf die Regelungen des MTV Nr. 2 in Ziffer 2 des Aufhebungsvertrages deutlich, welcher ebenfalls lediglich mit der UFO abgeschlossen wurde und somit zu den „neuen“ Tarifwerken zu zählen ist. Ein sogenanntes „Cherrypicking“ der jeweils günstigsten Tarifverträge würde den Gesamtzweck der die Altersvorsorge betreffenden Tarifregelungen umgehen. Wie von der Klägerin selbst vorgetragen, ist wesentlicher Zweck des TV Krise unter anderem die Personalsicherung trotz der Erschwernisse für die Beklagte im Rahmen der Coronakrise. Dies erfordert jedoch einen Verzicht auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Auf Arbeitnehmerseite erfolgt dies in Form des zeitweisen Verzichts auf arbeitgeberseitige Rentenbeiträge. Dabei modifiziert der TV Krise den geltenden TV L Rente Kabine, der die Grundregeln für diese Rentenbeiträge setzt. Die Klägerin verhält sich somit treuwidrig, wenn sie lediglich die allgemeinen Regelungen des TV L Rente Kabine, nicht jedoch die Ausnahmeregelungen des TV Krise gegen sich gelten lassen will. Insbesondere, da sie einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen hat, der auf einem Freiwilligenprogramm beruht, welches unmittelbare Folge der Maßnahmen der Personalerhaltung im Rahmen der Coronakrise war.
81Dafür, dass die Klägerin die Wahl getroffen hat, die Bezugnahmeklausel als eine dynamische gegen und für sich gelten zu lassen, spricht auch, dass die Vergütung der Klägerin - auch diejenige, die im Aufhebungsvertag bei Berechnung der Höhe der Abfindung zugrunde gelegt wurde - nach dem VTV Nr. 39 berechnet wurde, einer Vereinbarung, die nach 2003 entstanden ist und somit nur im Rahmen einer dynamischen Bezugnahmeklausel wirksam einbezogen werden konnte.
822. Die Berufung der Klägerin scheitert an der Unanwendbarkeit des § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise für den Aufhebungsvertrag der Klägerin. Diese Ausnahmeklausel besagt nach Auffassung der Kammer, dass nur die Freiwilligenprogramme und die darauf basierenden Aufhebungsverträge, die im Rahmen der Duldungsverfügung Nr. 1 entstanden sind, unter ihren Anwendungsbereich fallen. Dies ergibt sich schon aus der nachträglichen abschließenden Regelung des Begriffs in der Klarstellungsvereinbarung. Auf eine weitergehende Auslegung der Norm kommt es daher gar nicht mehr an. Die Klägerin schied jedoch aufgrund eines Aufhebungsvertrages aus, der zu einem Freiwilligenprogramm, welches in der Duldungsverfügung Nr. 2 „Now!Cabin“ geregelt ist, gehört.
83Selbst wenn man jedoch nicht von einer verbindlichen Regelung in der Klarstellungsvereinbarung ausgeht, so würde eine Auslegung der Norm zum selben Ergebnis führen.
84a) Die Klarstellungsvereinbarung vom 25.05.2022 stellt eine tarifvertragliche Regelung dar, durch die ein gemeinsames Verständnis der Tarifvertragsparteien über einen Tarifbegriff nachträglich verbindlich bestimmt wurde.
85Voraussetzung dafür ist, dass es sich nicht bloß um eine Meinungsäußerung der Tarifparteien zur Auslegung handelt, sondern dass es sich um eine Rechtsnorm, eine verbindliche tarifliche Definition eines Tarifbegriffs, wie sie üblicherweise in einer Fußnote eines Tarifvertrages oder einer Protokollerklärung zum Tarifvertrag enthalten ist, handelt (BAG Urteil vom 17.09.2003 – 4 AZR 540/02 –). Mit dem Satz „Aus diesem Grund stellen die Parteien klar, dass sämtliche Bezugnahmen auf ein Freiwilligenprogramm oder die Freiwilligenprogramme im Tarifvertrag ausschließlich die in der Duldungsvereinbarung zwischen der D L AG und der Gruppenvertretung Kabine vom 31. August 2020 beschriebenen freiwilligen Maßnahmen betreffen“ treffen die Tarifvertragsparteien nicht nur eine bloße Meinungsäußerung zur richtigen Auslegung, sie bezwecken den umstrittenen und ungenauen Tarifbegriff „Freiwilligenprogramm/e“ im Nachhinein klärend und verbindlich zu definieren.
86Weiterhin liegen die formellen Voraussetzungen für eine wirksame tarifliche Regelung vor, insbesondere die Schriftlichkeit der Erklärung und die Unterschrift beider Tarifvertragsparteien.
87Die Nachträglichkeit dieser verbindlichen Bestimmung steht deren Wirksamkeit dabei nicht entgegen. Insbesondere verstößt die Klarstellungsvereinbarung trotz ihrer rückwirkenden Regelungsfunktion nicht gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Vertrauensgrundsatz. Eine rückwirkende Regelung verstößt dann nicht gegen den Vertrauensgrundsatz, wenn es an einem schutzwürdigen Vertrauen in den Fortbestand der begünstigenden Rechtslage fehlt. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn die rückwirkende Norm der Beseitigung einer unklaren Rechtslage dient (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.03.2007 – 3 AZR 60/06 – Rn. 34). Die Klarstellungsvereinbarung dient nach ihrem Wortlaut und ihrem Sinn und Zweck eindeutig der rückwirkenden Beseitigung einer solchen unklaren Rechtslage, sodass es hier an einem schutzwürdigen Vertrauen fehlt.
88b) Auch eine weitergehende Auslegung des TV Krise käme zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die Klarstellungsvereinbarung lediglich eine unverbindliche Darstellung des Willens der Tarifvertragsparteien ist, so wäre eine Auslegung des TV Krise und insbesondere des § 2 Ziff. 2 lit. f dieses Tarifvertrages vorzunehmen, welche jedoch letztendlich zum selben Ergebnis käme wie schon das Arbeitsgericht Köln in erster Instanz.
89Diese Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt, nach ständiger Rechtsprechung des BAG, den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tarifvertraglichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 16.11.2022 – 10 AZR 210/19 –; Urteil vom 20.07.2022 – 7 AZR 247/21 –). Auf die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urt. v. 22.04.2010 – 6 AZR 962/08 –) kommt es insofern nicht mehr an. Zudem kommt es auch nicht darauf an, ob die Tarifparteien bei Kenntnis der zukünftigen Entwicklung, nicht nur die ersten Freiwilligenprogramme, sondern auch die in der DV II geregelten Programme in die Regelung des § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise hätten einbeziehen wollen. Entscheidend für die Auslegung des Wortlauts ist lediglich der Wille der Tarifparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages, nicht eine hypothetische Situation, deren Vorliegen nicht erwiesen ist.
90aa) Der Wortlaut der umstrittenen Regelung § 2 Ziff. 2 lit. f des TV Krise ist hier aufgrund der Verwendung des Singulars wie auch des Plurals mehrdeutig, der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien steht jedoch fest. Dies folgt aus der Klarstellungsvereinbarung vom 25.05.2022 zwischen der Beklagten und der UFO. Diese stellt zumindest den Willen der Tarifvertragsparteien so eindeutig dar, dass für verbleibende Zweifel bei der Auslegung kein Raum mehr ist.
91aaa) Der in der Klarstellungsvereinbarung festgestellte Wille hat seinen Niederschlag in dem Wortlaut der tariflichen Regelungen, deren Systematik und deren Sinn und Zweck gefunden.
92Der festgestellte Wille der Tarifvertragsparteien, lediglich die freiwilligen Maßnahmen, die auf der Duldungsverfügung Nr. 1 vom 31.08.2022 beruhen, unter die Wörter Freiwilligenprogramm/ Freiwilligenprogramme im TV Krise zu subsumieren, ist im Wortlaut des TV Krise zumindest angedeutet. So spiegelt sich der Wille der Tarifparteien zunächst in dem Wortlaut des TV Krise in der Nutzung des Singulars „Freiwilligenprogramms“ in § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise wieder. Dabei schadet es nicht, dass im weiteren Verlauf der Norm am Ende des Satzes in lit. f TV Krise „Freiwilligenprogramme“ genannt sind. Diese Formulierung kann sich, wie von der Beklagten vorgetragen, durchaus auf die zwei Arten der Freiwilligenprogramme - für versorgungsnahe und versorgungsferne Mitarbeiter - beziehen.
93Auch in der Systematik des TV Krise findet der Wille der Tarifparteien seinen Niederschlag; die Tarifparteien wussten um die zeitgleiche Entwerfung der Duldungsverfügung Nr. 1 und den darin geplanten Freiwilligenprogrammen und bezogen sich im TV Krise deshalb nur auf diese. Der Einwand der Klägerin, der TV Krise sei nicht zeitgleich mit der DV I abgeschlossen worden, ändert nichts an der Parallelität der Verhandlungen, die in einem engen zeitlichen Zusammenhang stattgefunden haben. Dies folgt schon aus dem Bezug im TV Krise auf die zeitnah von der Arbeitgeberseite anzubietenden Freiwilligenprogramme, auf deren Unterscheidung für versorgungsnahe und versorgungsferne Mitarbeiter im Wortlaut des TV Krise eingegangen wurde. Dass dabei der TV Krise von den Tarifparteien, die DV I jedoch von den Betriebsparteien verhandelt wurden, ändert nichts daran, dass die Tarifparteien von der parallelen Verhandlung der DV I wussten, ja diese gerade bezweckten. Insbesondere der Wortlaut in § 2 Ziff. 4 TV Krise, indem die Beklagte sich verpflichtet die UFO über die Freiwilligenprogramme zu informieren und diese sodann gemeinsam zu bewerben, stützt dies. Es erscheint realitätsfremd eine Kooperation der Tarif- und Betriebsparteien in einem so wichtigen und für die Beklagte, die in beiden Verhandlungen Partei ist, existenziellen Thema, von der Hand zu weisen. Die von der Klägerin vorgebrachte Argumentation, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des TV Krise konkret verhandelte Freiwilligenprogramme noch nicht vorlagen, greift daher nicht. Diese Programme waren zumindest im Zeitpunkt der Verhandlung der DV I und somit auch im Zeitpunkt der Verhandlung des TV Krise bereits konkret geplant, ein zeitgleiches Vorliegen ist hingegen weder von der Beklagten behauptet noch notwendig für deren Argumentation.
94Das Gericht geht davon aus, dass den Tarifvertragsparteien, zum Zeitpunkt des Abschlusses des TV Krise nicht bewusst war, dass es später eine weitere Duldungsverfügung geben würde. Dies erschließt sich schon aus § 2 Ziff. 4 TV Krise, aus welchem hervorgeht, dass die Beklagte schnellstmöglich Freiwilligenprogramme anbieten sollte, es also zeitnah zu einer Vereinbarung kommen sollte, was dafür spricht, dass die Tarifparteien nicht davon ausgingen, dass sie für die gesamte Laufzeit des TV Krise mehrfach Freiwilligenprogramme anbieten würden. Betrachtet man dies im Zusammenhang mit § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise, so kann daraus hinreichend geschlussfolgert werden, dass sich die Ausnahmeregelung, entsprechend dem Willen der Tarifparteien, nur auf diese zeitnahen Freiwilligenprogramme beziehen sollte.
95Zuletzt findet der Wille der Tarifvertragsparteien seinen Niederschlag auch im Sinn und Zweck des TV Krise. Denn im Rahmen der Auslegung des Sinns und Zwecks des TV Krise ist nicht nur die Beschäftigungssicherheit und der Abbau von Personalkosten, sondern auch die Erreichbarkeit und zeitnahe Umsetzbarkeit dieser Leitmotive zu berücksichtigen. Zwar schlägt sich die Interessenlage der Tarifparteien bezüglich der Beschäftigungssicherung und dem Abbau von Personalkosten auch im Rahmen der späteren Freiwilligenprogramme nieder. Die Erreichbarkeit und zeitnahe Umsetzbarkeit dieser Motive sprechen jedoch für die Einbeziehung nur der Freiwilligenprogramme, die auf der DV I beruhen. Nur bei einer Interpretation des TV Krise nach dem Willen der Tarifparteien wäre kein unbeherrschbarer Abrechnungsaufwand entstanden. Folgt man der Meinung der Klägerin, so wäre für sämtliche im Rahmen aller Freiwilligenprograme ausgeschiedenen Mitarbeiter die Nachzahlung der ausgesetzten Beiträge im Nachhinein, steuerjahrübergreifend, zu berechnen; ein hoher Aufwand für die Beklagte, den diese zum Zeitpunkt des Abschlusses des TV Krise nicht überblicken oder einschätzen konnte.
96bbb) Die Klarstellungsvereinbarung ist insofern maßgeblich für die Auslegung des § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise, als dass sie den Willen der Tarifparteien abschließend regelt und somit zumindest aufzeigt, welcher Auslegung des Wortlauts zu folgen ist.
97Entgegen der Ansicht der Klägerin liegen keine ausreichenden Anzeichen für die Unanwendbarkeit der Klarstellung zur Auslegung des TV Krise vor. Weder aus dem zeitlichem Moment noch aus sonstigen Gründen. Dass die Klarstellungsvereinbarung erst geschlossen wurde, nachdem bereits einige ausgeschiedene Mitarbeiter sich über die unklare Regelung beschwerten, reicht nicht aus, um Zweifel an der Tatsache zu wecken, dass die Tarifparteien lediglich ihren Willen zum Zeitpunkt des Abschlusses des TV Krise im Nachhinein festhielten. Hierbei ist plausibel, dass die Vereinbarung erst, nachdem die ersten Fragen und Beschwerden ausgeschiedener Mitarbeiter aufkamen, getroffen wurde, gerade weil in jenem Zeitpunkt erst ein Bedarf für die Klarstellung erkannt wurde. Dafür spricht schon, dass die UFO als arbeitnehmernahe Partei kein Interesse daran hat, einer nachträglichen „missbräuchlichen“ Klarstellung des TV Krise zuzustimmen. Weitere stichhaltige Gründe, um an dem Willen der Tarifvertragsparteien zu zweifeln, werden von der Klägerin nicht vorgetragen.
98Dafür, dass die Klarstellungsvereinbarung den Willen der Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des TV Krise wiedergibt, spricht auch der unterschiedliche Wortlaut der Präambeln der DV I und II. Dieser stützt den Vortrag der Beklagten, zum Zeitpunkt des Erstellens des TV Krise sei man nur von einer künftigen Duldungsverfügung ausgegangen. Der in der Präambel der DV II fehlende Satz „Vor diesem Hintergrund duldet die Gruppenvertretung Kabine die vom Arbeitgeber angebotenen und in dieser Duldung geregelten Freiwilligenprogramme“ verdeutlicht, dass nur die in der ersten Duldungsverfügung geregelten Freiwilligenprogramme von den Tarifparteien als im TV Krise bereits angelegt gesehen wurden. Der Bezug auf „…die vom Arbeitgeber angebotenen und in dieser Duldung geregelten Freiwilligenprogramme…“ in der DV I zeigt eine maßgebliche Nähe zu dem Wortlaut des TV Krise, wo zum Beispiel in § 2 Ziff. 4 ebenfalls die Rede von, von der Beklagten anzubietenden, Freiwilligenprogrammen ist. Dieser Bezug fehlt im Wortlaut der Präambel des DV II.
99bb) Selbst wenn man von verbleibenden Zweifeln bei der Auslegung des Wortlauts ausgehen würde, so käme auch dann die Auslegung anhand der weiteren definierten Kriterien zum selben Ergebnis. Denn auch die Praktikabilität der Regelung und die Sachgerechtigkeit des Ergebnisses stützt die Auslegung, dass nur die DV I und deren Freiwilligenprogramme von § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise umfasst sind.
100aaa) Die Beklagte führt hier überzeugend an, dass es nicht sachgerecht wäre, von einer Interpretation des Begriffs „Freiwilligenprogramm/e“ auszugehen, die auch die weiteren als die in der DV I festgelegten Programme umfasst. Dies hätte zum Zeitpunkt des Abschlusses des TV Krise zu einem für sie unübersehbaren Aufwand geführt. Diese Interpretation der Regelung wäre somit nicht praktikabel.
101Der entstehende Abrechnungsaufwand für eventuell schon abgeschlossene Steuerjahre, der durch Rückbuchungen der ausgesetzten Beiträge entstünde, war für die Beklagte weder beherrschbar noch vorhersehbar. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Beklagte für einige im Rahmen des ersten Freiwilligenprograms ausgeschiedenen Mitarbeiter teilweise rückwirkende Zahlungen leisten musste. Eine schnellstmögliche Aussetzung der Beiträge war wegen der Krisenlage notwendig gewesen, der dadurch entstandene Aufwand ist jedoch vergleichsweise überschaubar.
102bbb) Die Rückforderung der ausgesetzten Beitragszahlungen für Teilnehmer der Freiwilligenprogramme, die auf der DV II beruhten, würde zudem zu einem unsachgerechten Ergebnis führen.
103Die Tarifparteien waren sich nicht darüber bewusst, wie lange die Coronakrise anhalten würde, sie waren jedoch davon ausgegangen, dass die im Rahmen der DV I angebotenen Freiwilligenprogramme ausreichen würden, um die Ziele des TV Krise zu erreichen. Diese Ziele umfassten nicht nur einen angemessenen Ausgleich zwischen dem notwendigen Personalausbau und der Beschäftigungssicherheit für die restlichen Mitarbeiter, sondern auch die zeitnahe Erreichung dieses Ziels, sowie dessen Erreichbarkeit und Umsetzbarkeit für die Tarifparteien, insbesondere für die Beklagte. Die Tarifparteien gingen nicht nur davon aus, dass der Personalabbau durch ein Freiwilligenprogramm ausreichend erzielt werden würde, sie entwickelten die DV I parallel zu dem TV Krise und im Blick auf dessen Regelungen im Zusammenhang mit diesem. Dabei verfolgten sie von Anfang an das Ziel, zeitnah die im TV Krise angekündigten Freiwilligenprogramme anzubieten. Diese zeitliche Dringlichkeit spiegelte sich auch im Wortlaut des § 2 Ziff. 4 TV Krise wider, wo die Formulierung „…schnellstmöglich zur Verringerung des Personalüberhangs Freiwilligenprogramme anbieten…“ verwendet wird. Die Ausnahmeregelung in § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise ist systematisch im Zusammenhang mit den „schnellstmöglich“ zu vereinbarenden Freiwilligenprogrammen zu sehen.
104Die in § 2 Ziff. 2 lit. a-c TV Krise festgesetzten Aussetzungen der Beitragssätze in die betriebliche Altersvorsorge dienten also dem Ziel, die Beklagte kurzfristig finanziell zu entlasten, um Mitarbeiter trotz schlechter Wirtschaftslage in der Krise halten zu können. Diese Kurzfristigkeit spiegelt sich in dem Zeitraum der Aussetzung wider, der insbesondere bezüglich der AV- und ÜV- Beiträge nur vom 01.07.2020 bis zum Ende Januar bzw. Juni 2021 reicht. Denklogisch erscheint, dass die Freiwilligenprogramme der DV I, welche nach § 3 Abs. 1 ohne Nachwirkung zum 31.03.2021 endete, im zeitlichen Zusammenhang mit der Ausnahmeregelung in § 2 Ziff. 2 lit. f TV Krise zu sehen sind. So ergibt es Sinn, dass den im Zeitraum während der Aussetzung der AV- und ÜV-Beiträge ausscheidenden Mitarbeitern, die Aussetzung ihrer Beiträge erlassen werden sollte. Die während des Aussetzungszeitraums freiwillig ausscheidenden Mitarbeiter bewirkten durch ihr Ausscheiden schließlich kurzfristig eine größere Ersparnis. Später im Rahmen anderer Duldungsvereinbarungen und daraus resultierender Freiwilligenprogramme ausscheidende Mitarbeiter hingegen, wie etwa die Klägerin, schieden während der Aussetzungsphase der AV- und ÜV-Beiträge nicht aus, sodass die Beklagte an anderer Stelle Kosten sparen musste. Eine Rückforderung der ausgesetzten Beiträge mehr als ein Jahr nach dem Ende dieses Aussetzungszeitraum erscheint daher nicht sachgerecht. Dem steht auch nicht entgegen, dass die VKK-Beitragszahlungen weitaus länger ausgesetzt waren. Dies lässt sich damit erklären, dass die Beitragssätze pro Monat wesentlich niedriger als die zur AV und ÜV waren und dass nur eine langfristige Aussetzung der VKK-Beiträge einen ähnlichen Einspareffekt wie der bei der kurzen Aussetzung der AV- und ÜV-Beiträge bewirkte.
105III. Da die Berufung der Klägerin zurückzuweisen war, trägt sie als unterlegene Partei nach § 97 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens.
106IV. Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG zuzulassen, da von einer Entscheidung einer anderen Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln abgewichen wird und die Entscheidung auf der Abweichung beruht. Die Entscheidung von der abgewichen wurde, ist das Urteil des LArbG Köln – 11 Sa 777/22 – vom 26.04.2023.