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Bei der Ermittlung der für die Verpflichtung zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige maßgeblichen Schwellenwerte gem. § 17 Abs. 1 KSchG ist nach Auflösung der betrieblichen Strukturen auf die letzte aktive Betriebsstätte abzustellen
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 06.05.2021 – 12 Ca 6036/20 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit ordentlicher, betriebsbedingter Kündigungen.
3Der am .1985 geborene, ledige und keinem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtete Kläger war seit dem 01.05.2011 bei der A B PLC & Co. Luftverkehrs KG (in Folgenden: Schuldnerin) als erster Offizier (Pilot) zu einer monatlichen Bruttovergütung von zuletzt 6.016,84 Euro beschäftigt. Sein Einsatzort war zuletzt die Station der Schuldnerin in K .
4Die Schuldnerin war eine Fluggesellschaft mit Sitz in B , die verschiedene Stationen an inländischen Flughäfen unterhielt, u.a. am Flughafen K /Bo . Insgesamt waren in den Bereichen Cockpit, Kabine und am Boden im August 2017 über 6.000 Personen bei der Schuldnerin beschäftigt. Die Leitung des Flugbetriebs in operativer Hinsicht oblag dem „Head of Flight Operations“, der in B ansässig war. Die gesamte Steuerung des Flugbetriebs erfolgte zentral von B aus dem dortigen Operation Control Center. Für die einzelnen Stationen waren Regionalmanager tätig, denen sog. Areamanager beigeordnet waren.
5Gem. § 117 Abs. 2 BetrVG war für das Cockpitpersonal durch Abschluss des „Tarifvertrags Personalvertretung (TV PV) für das Cockpitpersonal der A B PLC & Co. Luftverkehrs KG“ eine Personalvertretung (im Folgenden: PV Cockpit) gebildet. Für das Kabinenpersonal wurde durch den „Tarifvertrag Personalvertretung (TV PV Kabine) für das Kabinenpersonal der A B PLC & Co. Luftverkehrs KG“ eine Personalvertretung errichtet. Beide Gremien hatten ihren Sitz in B . Das Bodenpersonal wurde durch die regional zuständigen Betriebsräte (Boden Nord, West und Süd) und den Gesamtbetriebsrat vertreten.
6Die Schuldnerin setzte im Flugbetrieb ausschließlich geleaste Flugzeuge ein. Seit Anfang des Jahres 2017 führte sie neben dem eigenwirtschaftlichen Flugbetrieb auch Flüge im sogenannten „Wet-Lease“, insbesondere für die E GmbH, durch. Hierbei stellte die Schuldnerin die von ihr selbst geleasten Flugzeuge der E GmbH als weiterer Leasingnehmerin nebst Besatzung, Wartung und Versicherung zur Verfügung, wobei die Personalplanung bei der Schuldnerin verblieb.
7Am 15.08.2017 beschloss das Amtsgericht Charlottenburg (Az. 36a IN 4295/17) auf Antrag der Schuldnerin vom gleichen Tag die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen in vorläufiger Eigenverwaltung und bestellte am 16.08.2017 den Beklagten zum vorläufigen Sachwalter. Es wurde ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt. Hiernach leitete die Schuldnerin eine Investorensuche ein, die eine Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen einer übertragenden Sanierung ermöglichen sollte. Nach Ablauf der Angebotsfrist am 15.09.2017 lag kein annahmefähiges Angebot vor. Daraufhin wurde beschlossen, weitere Verhandlungen mit der Lufthansa-Gruppe sowie der Fluggesellschaft e Europe Airline GmbH zu führen, die Interesse für einzelne Vermögenswerte der Schuldnerin bekundet hatten.
8Am 12.10.2017 unterzeichnete der Executive Director der persönlich haftenden Gesellschafterin der Schuldnerin, der Generalbevollmächtigte der Schuldnerin und der Beklagte für die Schuldnerin eine Erklärung, nach der der operative Flugverkehr im Namen und auf Rechnung der Schuldnerin zum 28.10.2017 eingestellt werden und die im Rahmen des Wet Lease gegenüber der E GmbH mit 13 Flugzeugen zu erbringenden Dienstleistungen bis maximal zum 31.01.2018 weiter erfolgen sollten. Am 24.10.2017 bestätigte der vorläufige Gläubigerausschuss die beabsichtigte Betriebseinstellung zum 31.01.2018 und wies die vorläufige Eigenverwaltung an, die erforderlichen Maßnahmen umzusetzen. Der letzte in Namen der Schuldnerin durchgeführte Flug landete am 27.10.2017 auf dem Flughafen B -T . Hiernach wurden nur noch Flugleistungen im Wet Lease erbracht.
9Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 01.11.2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet, Eigenverwaltung angeordnet und der Beklagte zum Sachwalter bestellt. Dieser zeigte noch am gleichen Tag gegenüber dem Insolvenzgericht eine drohende Masseunzulänglichkeit an.
10Mit Schreiben vom 28.11.2017 kündigte die Schuldnerin - die zuvor am 24.11.2017 eine das Cockpitpersonal an allen Stationen betreffende Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit B Nord erstattet hatte - mit Zustimmung des Beklagten die Arbeitsverhältnisse des Cockpitpersonals, darunter auch das des Klägers, soweit die Kündigung nicht einer behördlichen Zustimmung bedurfte. Zum 31.12.2017 stellte die Schuldnerin auch die Durchführung von Flügen im Wet Lease ein. Mit Beschluss vom 17.01.2018 hob das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung auf und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter. Die für die Aufrechterhaltung des Flugbetriebs der Schuldnerin erforderlichen Lizenzen und Genehmigungen erloschen mit Ablauf des 31.01.2018. Am 20.04.2019 und 27.05.2020 zeigte der Beklagte erneut die Masseunzulänglichkeit an.
11Auf die durch den Kläger erhobene Kündigungsschutzklage stellte das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 13.02.2020 (Az: 6 AZR 270/19) letztinstanzlich fest, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung vom 28.11.2017 nicht aufgelöst worden war.
12Auf Grund dieser und anderer Entscheidungen in gleichgelagerten Fällen, in denen das Bundesarbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigungen insbesondere auf Grund fehlerhafter Massenentlassungsanzeige festgestellt hatte, leitete der Beklagte mit Schreiben vom 17.04.2020 erneute Konsultationsverfahren gegenüber der PV Cockpit, der PV Kabine und dem Betriebsrat Nord ein. Hierin wurde den Personalvertretungen u.a. mitgeteilt, dass auf Grund der Einstellung des Flugbetriebs und der nicht geplanten Wiederaufnahme desselben, alle Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse bislang nicht rechtskräftigt beendet worden waren, entlassen werden sollten. Mit Schreiben vom 20.05.2020 teilte der Beklagte ergänzend mit, dass in den zuvor übermittelten Listen versehentlich 66 Arbeitsverhältnisse nicht erfasst gewesen seien, die ebenfalls gekündigt werden sollten. Mit E-Mail vom 05.06.2020 wurde ein weiteres Arbeitsverhältnis nachgemeldet und die Arbeitnehmervertretungen aufgefordert, dieses in die Beratungen einzubeziehen. An der Station K bestanden zu diesem Zeitpunkt noch 9 nicht rechtskräftig beendete Arbeitsverhältnisse. Nachdem die PV Cockpit und der Beklagte zunächst schriftlich über Nachfragen der PV Cockpit korrespondiert hatten, fand am 04.07.2020 in H ein gemeinsamer Tagungstermin statt, in dessen Rahmen ein Insolvenzsozialplan gem. § 123 InsO sowie eine Vereinbarung zur einvernehmlichen Beendigung des Konsultationsverfahrens gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 Nr. 1-6 KSchG abgeschlossen wurden.
13Mit Schreiben vom 07.08.2020 wurden die PV Cockpit sowie die PV Kabine und der Betriebsrat Boden Nord zu den geplanten Entlassungen angehört; ergänzend wurde die PV-Cockpit mit Schreiben vom 14.08.2020 über die wesentlichen Inhalte der Konsultationsverfahren mit der PB-Kabine und dem Betriebstrat Boden Nord informiert. Die PV Cockpit wiedersprach den beabsichtigten Kündigungen mit Schreiben vom 13.08.2020. Nachdem der Beklagte hierauf mit einem erläuternden Schreiben vom 17.08.2020 reagiert hatte, wiederholte die PV Cockpit ihren Widerspruch mit Schreiben vom 21.08.2021 und verwies u.a. auf einen aus ihrer Sicht erfolgten (Teil-) Betriebsübergang. Eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit K wurde nicht erstattet.
14Mit Schreiben vom 27.08.2020, dem Kläger zugegangen am 28.08.2020, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut, nunmehr zum 30.11.2020.
15Zum Stichtag 01.12.2020 bestanden noch insgesamt fünf nicht rechtskräftig beendete Arbeitsverhältnisse, die der Station K zuzuordnen waren. Nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 27.11.2020 ein erneutes Konsultationsverfahren eingeleitet hatte, schloss er am 08.01.2021 mit der PV Cockpit einen Insolvenzsozialplan gem. § 123 InsO sowie eine Vereinbarung über das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ab. Mit Schreiben vom 19.01.2021 wurde die PV Cockpit zu den geplanten Entlassungen angehört. Diesen widersprach die PV Cockpit mit Schreiben vom 25.01.2021 und machte u.a. die ihrer Auffassung nach fehlerhafte Sozialauswahl sowie Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten an einem anderen Arbeitsplatz im Flugbetrieb geltend. Eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit K wurde nicht erstattet.
16Mit Schreiben vom 28.01.2021, dem Kläger zugegangen am 29.01.2021, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers nochmals vorsorglich zum 30.04.2021.
17Mit seiner am 14.09.2020 beim Arbeitsgericht Köln eingegangenen Klage und der am 08.02.2021 eigegangenen Klageerweiterung hat sich der Kläger gegen die Kündigungen vom 27.08.2020 und 28.01.2021 gewandt. Er hat geltend gemacht, es fehle bereits an einer (neuerlichen) unternehmerischen Entscheidung dazu, den Betrieb stillzulegen bzw. nicht wieder zu eröffnen. Der Kläger hat weiter die Auffassung vertreten, die Kündigungen seien unwirksam, weil der Beklagte für die der Station K zugeordneten Arbeitnehmer keine Massenentlassungsanzeige erstattet habe; richtigerweise hätte eine die Beschäftigungsverhältnisse aller Stationen erfassende Massenentlassungsanzeige bei der für den Betriebssitz zuständigen Agentur für Arbeit in B erstattet werden müssen. Denn da der Betrieb der Schuldnerin bereits seit Beginn des Jahres 2018 eingestellt gewesen sei, dürfe für die neuerliche Massenentlassung nicht mehr auf die jeweilige Heimatbasis als Betrieb im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie abgestellt werden, da eine Organisationsstruktur sowie eine örtliche Leitung dort nicht mehr vorhanden seien. Demzufolge sei von nur noch einem einheitlichen (Gesamt-) Betrieb auszugehen, der dann auch für die Berechnung der Schwellenwerte maßgeblich sei, so dass auch die der Station K zugeordneten Arbeitsverhältnisse bei der Massenentlassungsanzeige hätten berücksichtigt werden müssen. Diesbezüglich hat der Kläger weiter die Auffassung vertreten, es hätten nicht nur die Arbeitnehmer berücksichtigt werden müssen, deren Arbeitsverhältnisse im Jahr 2020 bzw. 2021 noch nicht rechtskräftig beendet gewesen seien. Vielmehr seien auch die in der ersten Kündigungswelle entlassenen Arbeitnehmer einzubeziehen gewesen, da es bei einer Betriebsstilllegung in mehreren Entlassungswellen auf den Zeitpunkt des Stilllegungsbeschlusses ankomme. Da zu diesem Zeitpunkt für die Station K über 150 Arbeitnehmer beschäftigt waren, sei der Schwellenwert auch dann überschritten, wenn man lediglich die Station K als maßgeblichen Betrieb betrachte.
18Zudem sei das Konsultationsverfahren gem. § 17 Abs. 2 KSchG nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Denn zum Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeigen für die anderen Stationen sei das mit der PV Kabine eingeleitete Konsultationsverfahren auf Grund von unbeantworteten Fragen der PV Kabine noch nicht beendet gewesen. Ferner sei die PV Cockpit auch nicht ordnungsgemäß gem. § 74 TV PV angehört worden. Insbesondere sei der PV Cockpit im Rahmen der Anhörung irreführend mitgeteilt worden, dass keine Massenentlassungsanzeige für die Mitarbeiter der K Station zu erstatten sei.
19Der Kläger hat beantragt,
201. festzustellen, dass das zwischen dem Kläger und dem Beklagten bzw. der A B PLC & Co. Luftverkehrs KG bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 27.08.2020, zugegangen am 28.08.2020 nicht aufgelöst werden wird;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern über den 30.11.2020 hinaus andauert;
hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Klageantrag zu
253. festzustellen, dass das zwischen dem Kläger und dem Beklagten bzw. der A B PLC & Co. Luftverkehrs KG bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 28.01.2021, zugegangen am 29.01.2020 nicht aufgelöst werden wird;
4. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern über den 30.04.2021 hinaus andauert.
Der Beklagte hat beantragt,
30die Klage abzuweisen.
31Er hat vorgetragen, die Kündigung sei auf Grund der tatsächlich erfolgten, vollständigen Stilllegung des Flugbetriebs spätestens zum 31.12.2017 sozial gerechtfertigt. Er habe sich dazu entschlossen, am ursprünglich getroffenen Stilllegungsbeschluss festzuhalten, den Betrieb nicht wieder zu eröffnen und die noch nicht rechtskräftig beendeten Arbeitsverhältnisse vorsorglich erneut zu kündigen.
32Eine Massenentlassungsanzeige habe hinsichtlich der der Station K zugeordneten Arbeitsverhältnisse bzw. beabsichtigten Entlassungen nicht erstattet werden müssen, da dort die maßgeblichen Schwellenwerte nicht erreicht worden seien. Nach Maßgabe der Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 14.05.2020 (Az. 6 AZR 235/19) bezogen auf eine Kündigung vom 27.01.2018 und die hierzu erstattete Massenentlassungsanzeige bildeten die einzelnen Stationen der Schuldnerin Betriebe im Sinne der Richtlinie 98/59/EG, so dass die Massenentlassungsanzeigen bei den für die jeweiligen Stationen örtlich zuständigen Arbeitsagenturen zu erstatten seien. Auch nach der Einstellung des Flugbetriebs bestehe kein einheitlicher Betrieb, da im Falle einer Betriebsstilllegung regelmäßig nur ein Rückblick auf die bisherige Betriebsstruktur und Belegschaftsstärke zulässig sei. Zudem bestünden seit der Stilllegung - auch in B - überhaupt keine organisatorischen Strukturen mehr, die die Annahme eines einheitlichen und von B aus geleiteten Betriebs begründen könnten. Da für die Station K der Schwellenwert nicht erreicht worden sei, sei für die dieser Station zugeordneten Arbeitsverhältnisse keine Massenentlassungsanzeige erforderlich gewesen.
33Der Beklagte hat weiter die Auffassung vertreten, ein Konsultationsverfahren sei für die Arbeitnehmer der Station K nicht erforderlich, aber dennoch vorsorglich ordnungsgemäß gem. § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt worden.
34Mit Urteil vom 06.05.2021 hat das Arbeitsgericht Köln die Klage abgewiesen. Gegen das ihm am 21.05.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.06.2021 Berufung eingelegt und diese, nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21.08.2021, am 10.08.2021 begründet.
35Er ist der Ansicht, die Kündigung sei wegen der nicht erfolgten Massenentlassungsanzeige für die der Station K zugeordneten Arbeitsverhältnisse unwirksam. Für die Erreichung des für die Massenentlassungsanzeige maßgeblichen Schwellenwertes sei nicht auf die einzelne Station, sondern auf die Summe aller bundesweit entlassener Arbeitnehmer abzustellen, da nach Auflösung der örtlichen Betriebsstrukturen nur noch ein einheitlicher Betrieb bestanden habe; für diesen sei örtlich die Agentur für Arbeit B , in dessen Bezirk der Unternehmenssitz liege, zuständig. Soweit das Bundesarbeitsgericht in seinen Entscheidungen zur ersten Kündigungswelle die einzelnen Stationen als Betrieb im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG (MERL) eingestuft habe, hätten sich die tatsächlichen Verhältnisse seit dem Zeitpunkt der ersten Massenentlassungsanzeige entscheidend geändert, da die betrieblichen Strukturen nunmehr aufgelöst gewesen seien. Das Bundesarbeitsgericht habe bereits in seiner Entscheidung vom 22.09.2016 (Az.2 AZR 676/16) ausgeführt, dass es auf die innerbetrieblichen Strukturen nicht mehr ankomme, wenn diese durch Stilllegung untergegangen seien und die Kündigungen – wie es auch hier der Fall sei – nur vorsorglich ausgesprochen worden seien.
36Selbst wenn man auf den Zeitpunkt der unternehmerischen Entscheidung abstellen wolle, ergebe sich kein anderes Ergebnis. Denn bezogen auf die hier betroffene Massenentlassung habe der Beklagte im Jahr 2020 eine neue unternehmerische Entscheidung des Inhalts getroffen, den Betrieb nicht wieder zu eröffnen. Zudem seien die ursprüngliche Stilllegungsentscheidung der Schuldnerin vom 12.10.2017 und die nunmehrige Entscheidung des Beklagten, den Betrieb nicht wieder aufzunehmen, von unterschiedlichen Entscheidungsträgern getroffen worden, was ebenfalls ein Beleg für eine neuerliche unternehmerische Entscheidung darstelle. Zum Zeitpunkt letzterer Entscheidung seien die betrieblichen Strukturen bereits aufgelöst gewesen.
37Auch aus teleologischen Erwägungen sei keine abweichende Bewertung der örtlichen Zuständigkeit der Agentur für Arbeit geboten. Denn dass die betroffenen Arbeitnehmer rund 2 ½ Jahre nach der Betriebsstilllegung noch in räumlicher Nähe zu ihrer ursprünglichen Station wohnen, sei reine Spekulation. Es gebe auch keine Grundlage für die Annahme, dass die Agentur für Arbeit am jeweiligen früheren Betriebssitz der einzelnen Stationen besser in der Lage sei, die Auswirkungen der Entlassungen aufzufangen. Dies gelte insbesondere im Hinblick darauf, dass die Arbeitnehmer ihren Wohnsitz oftmals nicht in räumlicher Nähe zum Betriebssitz führten und davon auszugehen sei, dass sich die Arbeitnehmer nach den Entlassungen um neue Stellen an anderen Heimatstationen bemüht hätten.
38Soweit das Arbeitsgericht davon ausgehe, dass der Beklagte keine (neue) unternehmerische Entscheidung getroffen habe, sei die Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG unwirksam.
39Auch die Anhörung nach § 74 TV PV i.V.m. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG sei unwirksam, da diese die unzutreffende Rechtseinschätzung enthalte, dass für die Mitarbeiter, die der Station K zugeordnet waren, keine Massenentlassungsanzeige erforderlich sei.
40Schließlich sei auch das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Insbesondere sei der Zeitraum der geplanten Entlassungen gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KSchG nicht angegeben worden. Soweit der Beklagte angegeben habe, die Kündigungen „ab Mai 2020“ aussprechen zu wollen, handele es sich nicht um die Angabe eines Zeitraums, da dieser begrifflich einen Anfangs- und einen Endtermin voraussetze. Die konkrete Angabe eines Zeitraums, einschließlich einem Endzeitpunkt, sei aber erforderlich, damit die Personalvertretung erkennen könne, ob die Entlassungen gleichzeitig oder sukzessive vorgenommen werden sollten bzw. ihre Konsultationspflicht überhaupt ausgelöst sei und sie in die Lage versetzte werde, konstruktive Vorschläge zur Vermeidung oder Einschränkung der Massenentlassung zu machen. Die Angabe, die Kündigungen sollten bei bestehendem Sonderkündigungsschutz nach Zustimmung bzw. Zulässigkeitserklärung der zuständigen Stellen erfolgen, sei insoweit nicht ausreichend.
41Der Kläger beantragt:
42Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 06.05.2021 – 12 Ca 6036/20 – wie folgt abgeändert:
431. Es wird festgestellt, dass das zwischen dem Kläger und dem Beklagten bzw. der A B PLC & Co. Luftverkehrs KG bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 27.08.2020 nicht aufgelöst worden ist;
hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1.,
462. Es wird festgestellt, dass das zwischen dem Kläger und dem Beklagten bzw. der A B PLC & Co. Luftverkehrs KG bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 28.01.2021 nicht aufgelöst worden ist.
Der Beklagte beantragt,
49die Berufung zurückzuweisen.
50Er verteidigt das angefochtene Urteil. Die Kündigung sei auf Grund der erfolgten Betriebsstilllegung sozial gerechtfertigt. Eine Massenentlassungsanzeige für die der Station K zugeordneten Arbeitsverhältnisse sei nicht erforderlich gewesen, da bei neun zu entlassenden Arbeitnehmern der Schwellenwert des § 17 Abs. 1 KSchG nicht erreicht worden sei. Bei der Feststellung der Schwellenwerte sei entgegen der Auffassung des Klägers nicht von einem Gesamtbetrieb auszugehen mit der Folge, dass alle bundesweit entlassenen Arbeitnehmer berücksichtigt werden müssten. Vielmehr sei auch nach der erfolgten Stilllegung auf die alten Betriebsstrukturen und Belegschaftsstärken zurückzugreifen. Denn nach der Zerschlagung der Schuldnerin und der Stilllegung des Flugbetriebs habe sich kein geänderter Betrieb herausbilden können, vielmehr bestehe gar kein Betrieb mehr. Auch in B sei keine Einheit mehr vorhanden, der die Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgaben zugeordnet werden könnten. Eine Zuordnung aller bundesweit noch verbliebenen Arbeitnehmer zu einem „Betrieb“ B , der ausschließlich an den Unternehmenssitz anknüpfe, sei willkürlich.
51Auch das Konsultationsverfahren sei – obschon nicht erforderlich – auch für die K Arbeitnehmer vorsorglich ordnungsgemäß und unter Angabe des Zeitraums gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KSchG durchgeführt worden. Eine Nennung konkreter Daten sei ihm nicht möglich gewesen, da das Ende der Konsultationsverfahren mit den Personalvertretungen und deren Anhörungen sowie eine Entscheidung der zuständigen Stellen in den Fällen, in denen die Kündigung einer behördlichen Zustimmung bedurfte, nicht kalendarisch bestimmbar gewesen sei. Aus den Angaben im Konsultationsschreiben vom 17.04.2020 sei aber eindeutig zu erkennen gewesen, dass die Entlassungen ab Ende des Monats Mai 2020 unmittelbar nach der Durchführung der erforderlichen Verfahren vorgenommen werden sollten. Dieses sei ausreichend, da es sich um eine bloße Absichtserklärung handele, die auf Grund der nicht vorauszusehenden Dauer der Konsultation, bei der es sich um einen dynamischen und flexiblen Prozess handele, nicht streng planbar sei.
52Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften beider Instanzen Bezug genommen.
53E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
54I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, weil sie statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 Buchstabe c) ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
55II. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen abgewiesen. Die Kündigung des Beklagten vom 27.08.2020, dem Kläger zugegangen am 28.08.2020, ist wirksam und das Arbeitsverhältnis des Klägers mit dem Beklagten zum Ablauf des 30.11.2020 aufgelöst worden. Der Hilfsantrag betreffend die Kündigung vom 28.01.2021 ist auf Grund des Unterliegens des Klägers mit dem Hauptantrag nicht zur Entscheidung angefallen.
561. Die Kündigung vom 27.08.2020 ist sozial gerechtfertigt i.S.v. § 1 Abs. 1, 2 KSchG, da dringende betriebliche Gründe vorliegen, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen. Es mag dahinstehen, ob der Beklagte im Jahr 2020 eine neue Entscheidung getroffen hat, den Flugbetrieb nicht wieder zu eröffnen oder ob er sich die Stilllegungsentscheidung der Schuldnerin aus dem Jahre 2017 zu Eigen gemacht und zum Zwecke ihrer Umsetzung neuerliche Kündigungen ausgesprochen hat. Denn im Ergebnis ist in beiden Fällen gleichermaßen auf Grund der endgültigen Stilllegung des Betriebs der Schuldnerin zum 31.12.2017 kein Beschäftigungsbedarf mehr für den Kläger vorhanden. Auch eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit besteht nicht.
572. Die Kündigung ist nicht nach § 134 BGB i.V.m. § 17 Abs. 1 KSchG unwirksam, weil es der Beklagte unterlassen hat, für die ursprünglich der Station K zugeordneten Arbeitnehmer eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten; denn an der Station K ist mit neun geplanten Entlassungen der Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG nicht erreicht worden.
58a) Die Anzeige- und Konsultationspflichten des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 1 bis Abs. 3 KSchG knüpfen ebenso wie Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Unterabs. I MERL, auf dessen Umsetzung § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG gerichtet ist, an den Betrieb an. Zentraler Bezugspunkt des Massenentlassungsschutzes ist damit der Betriebsbegriff (BAG v. 13.02.2020 – 6 AZR 146/19 – Rn. 31). Dieser unionsrechtliche Begriff des Betriebs ist dahingehend auszulegen, dass er nach Maßgabe der Umstände die Einheit bezeichnet, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgabe angehören. Es muss sich um eine unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität handeln, die zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt. Nicht erforderlich für eine Qualifizierung als „Betrieb“ im Sinne der MERL ist, dass die Einheit eine rechtliche, wirtschaftliche, finanzielle, verwaltungsmäßige oder technologischen Autonomie besitzt. Die Einheit muss auch keine Leitung haben, die selbstständig Massenentlassungen vornehmen kann. Vielmehr reicht es aus, wenn eine Leitung besteht, die die ordnungsgemäße Durchführung der Arbeit und die Kontrolle des Gesamtbetriebs der Einrichtungen der Einheit sowie die Lösung technischer Probleme im Sinne einer Aufgabenkoordinierung sicherstellt (BAG v. 14.05.2020 – 6 AZR 235/19 – juris Rn. 116).
59b) Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das Bundesarbeitsgericht im Rahmen der Kündigungsschutzklage des Klägers betreffend die Kündigung vom 28.11.2017 entschieden, dass die Station des Schuldnerin am Flughafen K den für den Kläger maßgeblichen Betrieb in Sinne der MERL und damit i.S.v. § 17 KSchG darstellt (BAG v. 13.02.2020 – 6 AZR 270/19 – ). Denn die Station K sei nicht nur vorübergehend eingerichtet, sei zur Erledigung einer oder mehrerer Aufgaben – nämlich zur Ermöglichung des Flugbetriebs der Schuldnerin an diesem Flughafen – bestimmt und verfüge über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern im Sinne der Begriffsbestimmung des Gerichtshofs; die im Rahmen des Masseentlassungsschutzes erforderliche Verbindung zum jeweiligen Stationierungsort sei beim fliegerischen Personal gegeben. Die Station K verfüge auch über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung ihrer Aufgaben, einschließlich einer örtlichen Leitung, für das Cockpitpersonal in Person der Area Managers Cockpit.
60c) An der für den Kläger hinsichtlich des Massenentlassungsschutzes maßgeblichen betrieblichen Einheit, nämlich der Station K , hat sich für die hier streitgegenständliche Kündigung keine Änderung ergeben.
61aa) Soweit der Kläger der Ansicht ist, es komme in dem Fall, dass ein Betrieb durch Stilllegung bereits untergegangen sei und hiernach vorsorglich neuerliche Kündigungen ausgesprochen würden nicht mehr auf die vormaligen betrieblichen Strukturen an, sondern es sei von einem einheitlichen Betrieb am Ort des Betriebs- bzw. Unternehmenssitzes auszugehen, folgt dem die Kammer nicht. Vielmehr waren ihrer Auffassung nach – den Ausführungen der 12. und 13. Kammer des LAG Düsseldorf (LAG Düsseldorf v. 13.10.2021 – 12 Sa 706/21 – juris, Rn. 69 ff.; LAG Düsseldorf v. 02.12.2021 – 13 Sa 285/21 – juris, Rn. 125 ff.) sowie des LAG Berlin-Brandenburg (LAG Berlin-Brandenburg v. 09.12.2021 – 5 Sa 981/21 – juris, Rn. 58, jeweils zur Frage der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit) folgend – auch nach erfolgter Stilllegung des Flugbetriebs und der damit einhergehenden Auflösung der betrieblichen Strukturen weiterhin die einzelnen Stationen die für den Massenentlassungsschutz maßgeblichen Betriebe i.S.d. MERL.
62bb) Organisatorische Einheiten, die den Betriebsbegriff i.S.d. MERL erfüllt hätten, bestanden zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Kündigung bei dem Beklagten nicht mehr. Denn weder an den ehemaligen Stationen noch in B waren noch Einheiten von gewisser Stabilität vorhanden, die mit einer Gesamtheit von Arbeitnehmern Aufgaben erledigte, zu deren Erfüllung ihr technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Verfügung stand. Weder hat der Beklagte nach der Stilllegung des Flugbetriebs einen dementsprechend „Gesamtbetrieb“ in B gebildet und diesem die noch nicht rechtskräftig beendeten Arbeitsverhältnisse zugeordnet, noch hat sich ein solcher Gesamtbetrieb in B „automatisch“ durch den Untergang der einzelnen Stationen ergeben. Ohne das Vorliegen jeglicher Merkmale eines Betriebs i.S.d. MERL entbehrt aber auch die Annahme des Klägers, in B habe sich ein Gesamtbetrieb gebildet, dem alle verbliebenen Arbeitnehmer zuzuordnen seien, einer Grundlage.
63cc) Die Annahme eines am gesellschaftsrechtlichen Sitz des Unternehmens verorteten Gesamtbetriebs ist auch nicht als „Auffanglösung“ für den Fall geboten, dass eine Stilllegung bereits erfolgt ist und die betrieblichen Strukturen aufgelöst sind. Vielmehr ist es sachgerecht, für die Ermittlung des Betriebsbegriffs – der sowohl für die Berechnung der Schwellenwerte als auch die örtliche Zuständigkeit der Agentur für Arbeit maßgeblich ist – auf die letzten aktiven Betriebsstrukturen abzustellen (so auch LAG Düsseldorf v. 13.10.2021 – 12 Sa 706/21 – juris, Rn. 75, 76.; LAG Düsseldorf v. 02.12.2021 – 13 Sa 285/21 – juris, Rn. 131, 132; LAG Berlin-Brandenburg v. 09.12.2021 – 5 Sa 981/21 – juris, Rn. 58). Das Anzeigeverfahren bei Massenentlassungen soll helfen, die sozioökonomischen Auswirkungen von Massenentlassungen dort zu mildern, wo sie typischerweise auftreten (BAG v. 14.05.2020 – 6 AZR 235/19 – juris Rn. 124; BAG v. 13.02.2020 – 6 AZR 146/19 –, BAGE 169, 362-403, RN. 81). Typischerweise sind die stärksten sozioökonomischen Auswirkungen einer Massenentlassung auch nach einer Auflösung der betrieblichen Strukturen am letzten feststellbaren Betrieb, dem die Arbeitnehmer zugeordnet waren, anzunehmen. Zwar mögen sich von einer Massenentlassung betroffene Arbeitnehmer nach der Stilllegung auch örtlich verändern. Dennoch werden bei einer typisierenden Betrachtungsweise die größten sozioökonomischen Auswirkungen nach wie vor am Ort des letzten aktiven Betriebs i.S.d. MERL auftreten. Für die Annahme größerer sozialökonomischer Auswirkungen der Massenentlassung an einem anderen Ort, insbesondere am gesellschaftsrechtlichen Sitz des Unternehmens, besteht keine Grundlage (vgl. auch LAG Düsseldorf v. 13.10.2021 – 12 Sa 706/21 – juris Rn. 76; LAG Düsseldorf v. 02.12.2021 – 13 Sa 285/21 – juris Rn. 131, 132; LAG Berlin-Brandenburg v. 09.12.2021 – 5 Sa 981/21 – juris Rn. 58).
64dd) Dafür, bei der Ermittlung des Betriebsbegriffs auf die letzte aktive Betriebsstätte abzustellen spricht auch, dass der Kläger bereits durch die vorangegangene – wenn auch unwirksame – Kündigung vom 28.11.2017 arbeitssuchend geworden war. Für einen Wechsel der Betreuungszuständigkeit auf Grund der Aussprache einer zweiten Kündigung von der Agentur für Arbeit K zur Agentur für Arbeit K – ohne dass der Kläger zwischenzeitlich einem Betrieb im Zuständigkeitsbereich der Agentur für Arbeit B zugeordnet worden wäre – ist kein Grund ersichtlich (vgl. LAG Düsseldorf v. 02.12.2021 – 13 Sa 285/21 – juris Rn. 133).
65ee) Gegen das gefundenen Ergebnis spricht entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.09.2016 (2 AZR 276/16 – juris). Nach dieser Entscheidung wird dem Arbeitgeber bei bereits erfolgter Betriebsstilllegung hinsichtlich der Frage der örtlichen Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit die Möglichkeit eröffnet, unabhängig von noch vorhandenen betrieblichen Strukturen überall dort eine Massenentlassungsanzeige einzureichen, wo früher ggf. Betriebsstätten vorhanden waren. Dass im Falle mehrerer bereits stillgelegter Betriebe unabhängig vom Vorliegen der einen Betrieb i.S.d. MERL kennzeichnenden Merkmale ein einheitlicher Betrieb am Unternehmenssitz anzunehmen ist, lässt sich den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts nicht entnehmen.
66d) Für die Station K war hinsichtlich der Kündigung vom 27.08.2020 keine Massenentlassungsanzeige zu erstatten.
67In der Station K waren zum Zeitpunkt der letzten „normalen“ betrieblichen Tätigkeit regelmäßig 153 Arbeitnehmer beschäftigt. Gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG ist der Arbeitgeber zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige verpflichtet, bevor er in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 von Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Dieser Schwellenwert ist für die Station K -B nicht erreicht worden, da dort lediglich 9 Arbeitnehmer*innen entlassen wurden.
683. Die Kündigung ist auch nicht gem. § 134 BGB i.V.m. § 17 Abs. 2 KSchG unwirksam. Auf Grund des Nicht-Erreichens des Schwellenwertes gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG war der Beklagte hinsichtlich der Arbeitnehmer der Station K nicht zur Durchführung eines Konsultationsverfahrens gem. § 17 Abs. 2 KSchG verpflichtet.
694. Die PV Cockpit ist als für den Kläger zuständige Arbeitnehmervertretung vor Ausspruch der Kündigung gem. § 74 Abs. 1 TV PV i.V.m. § 102 Abs. 1 BetrVG ordnungsgemäß angehört worden.
70Die Informationspflicht in § 74 TV PV ist derjenigen nach § 102 Abs. 1 BetrVG nachgebildet. Die für die Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG geltenden Grundsätze sind auch anzuwenden, wenn eine durch Tarifvertrag nach § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gebildete Arbeitnehmervertretung vor Ausspruch der Kündigung anzuhören ist (BAG v. 26.04.2007 – 8 AUR 695/09 – juris).
71a) Nach § 102 Abs.1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Nach Satz 3 der Norm ist eine ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Eine Kündigung ist dabei nicht nur unwirksam, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat überhaupt nicht beteiligt, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, vor allem seiner Unterrichtungspflicht nicht ausführlich genug nachgekommen ist (BAG v. 06.10.2005 – 2 AZR 316/04 – juris).
72Der Inhalt der Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich subjektiv determiniert (BAG 16.07.2015 – 2 AZR 15/15 – juris Rn. 15; v. 23.10.2014 – 2 AZR 736/13 – juris Rn. 14). Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können (BAG v. 16.07.2015 – 2 AZR 15/15 – juris Rn. 14, v. 23.10.2014 – 2 AZR 736/13 – juris Rn. 15). Der Arbeitgeber muss daher dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben (BAG 16.07.2015 – 2 AZR 15/15 – juris Rn. 15; v. 23.10.2014 – 2 AZR 736/13 – juris Rn. 14). Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen - und damit irreführenden - Kündigungssachverhalt schildert, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann (BAG 16. Juli 2015 –- 2 AZR 15/15 – juris Rn. 16; 31. Juli 2014 – 2 AZR 407/13 – juris Rn. 46).
73Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände ist für den Umfang der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dann nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt würde. Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren (BAG v. 16.07.2015 – 2 AZR 15/15 – juris Rn. 19; v. 23.10.2014 – 2 AZR 736/13 – juris Rn. 15). In diesem Sinne ist die Betriebsratsanhörung - ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers - auch objektiv, dh. durch Sinn und Zweck der Anhörung determiniert (BAG v. 05.12.2019 – 2 AZR 240/19 – juris, Rn. 43 - 44).
74b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die PV Cockpit zur beabsichtigten Kündigung des Klägers ordnungsgemäß angehört worden. Nach Vorlage der Anhörung der PV Cockpit vom 07.08.2020 war es Sache des Klägers, dazulegen, in welchen Punkten er die tatsächlichen Erklärungen des Arbeitgebers über die Betriebsratsanhörung für falsch oder für unvollständig hält (vgl. zu § 102 BetrVG: BAG v. 24. April 2008 – 8 AZR 268/07 – juris, Rn. 30). Die vom Kläger geltend gemachten Mängel sind nicht geeignet, eine Unwirksamkeit der Anhörung zu begründen.
75Soweit der Kläger geltend macht, der Beklagte habe die PV Cockpit fehlerhaft darüber unterrichtet, dass für die vormals in K stationierten Mitarbeiter keine Massenentlassungsanzeige erforderlich sei, war diese Information sowohl nach der subjektiven Einschätzung des Beklagten als auch objektiv zutreffend. Wegen der weiteren diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Ausführungen unter I. 2. Bezug genommen.
76III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
77IV. Die Kammer hat die Revision gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.