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Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 08.10.2021 – 7 Ca 3167/20 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um die Kündigung des Arbeitsverhältnisses und die Pflicht zur Beschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses.
3Der Kläger war bei der beklagten Stadt seit dem 15.11.2019 als Wächter auf der Grundlage des Anstellungsvertrages vom 12.11.2019 (Bl. 5 f. d.A.) beschäftigt. Der Kläger ist behindert mit einem Grad von 40 und durch Bescheid der zuständigen Arbeitsagentur einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
4Die Beklagte hörte mit Schreiben vom 23.04.2020 die Gleichstellungsbeauftragte, den Gesamtpersonalrat (GPR) sowie die Gesamtschwerbehindertenvertretung (GSBV) zu einer beabsichtigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers in der Probezeit an, weil der Kläger im persönlichen Leistungsbereich die Erwartungen nicht erfüllt habe (Bl. 49 ff. d. A.) Die an die GSBV gerichtete Anhörung ging am Donnerstag, den 30.04.2020, gegen 16:05 Uhr per Telefax (Papierfax) im Büro des Gremiums ein.
5Bei der Beklagten besteht eine Dienstvereinbarung zur gleitenden Arbeitszeit (DV GLAZ). In dieser ist ua. in § 4 Abs. 4 DV GLAZ geregelt, dass die Kernarbeitszeit für die Wochentage Montag bis Donnerstag zwischen 9:00 Uhr und 12:00 Uhr und von 14:00 Uhr bis 15:00 Uhr liegt, freitags beginnt die Kernarbeitszeit um 9:00 Uhr und endet gegen 12:00 Uhr. In der Kernarbeitszeit besteht Anwesenheitspflicht. Dienststunden für Beschäftigte nach TVöD sind gemäß § 7 DV GLAZ donnerstags bis 16:25 Uhr und für Beamte bis 16:45 Uhr vorgesehen. Wegen der Einzelheiten der DV GLAZ wird auf Bl. 239 ff. d.A. Bezug genommen.
6Mit Schreiben vom 08.05.2020, dem Kläger am 12.05.2020 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2020.
7Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 08.10.2021 (Bl. 148 ff. d. A.) die Kündigungsschutzklage nach Beweisaufnahme zum Eingang des Anhörungsschreibens bei der GSBV abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Amtsleiter sei aufgrund seiner Stellung als Leiter des Personals und des Verwaltungsmanagements sowie der internen Unterschriftenregelung der Beklagten zur Unterzeichnung der Kündigung befugt gewesen. Der Kläger genieße aufgrund seiner Beschäftigungsdauer weder den allgemeinen Kündigungsschutz des Kündigungsschutzgesetzes noch den besonderen Kündigungsschutz des SGB IX. Eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung sei nicht feststellbar, die Kündigung verstoße auch nicht gegen die guten Sitten iSd. § 138 BGB. Die Anhörungen der Gleichstellungsbeauftragten, des zuständigen GPR und der GSBV seien ordnungsgemäß erfolgt. Insbesondere sei die Wochenfrist zur Anhörung der GSBV durch die nach Beweisaufnahme festgestellte Übermittlung des Anhörungsschreibens am 30.04.2020 eingehalten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichtes wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
8Gegen das ihm am 03.12.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.12.2021 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.
9Der Kläger meint, der gewöhnliche Zugang der schriftlichen Anhörung bei der Schwerbehindertenvertretung richte sich nach den Kernarbeitszeiten, nach 15:00 Uhr könne ein Zugang bei der Schwerbehindertenvertretung am selben Tag nicht mehr bewirkt werden. Folglich sei das Anhörungsschreiben erst am 04.05.2020 der GSBV zugegangen, die Wochenfrist zur Stellungnahme sei nicht gewahrt. Außerhalb der Kernarbeitszeit bestehe keine Anwesenheitspflicht. Zudem sei zweifelhaft, ob auf den Eingang des Telefax abzustellen sei, da die Schwerbehindertenvertretung über einen eigenen elektronischen Zugang verfüge.
10Der Kläger beantragt sinngemäß,
111. das Urteil des Arbeitsgerichts Köln, verkündet am 08.10.2021, Aktenzeichen 7 Ca 3167/20, abzuändern;
122. das Urteil wie folgt neu zu fassen:
13a. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 08.05.2020, dem Kläger zugegangen am 12.05.2020, nicht zum 31.05.2020 aufgelöst worden ist;
14b. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 31.05.2020 hinaus fortbesteht;
153. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu Ziffer 2. zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Wächter in K bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag zu Ziffer 2. weiter zu beschäftigen.
16Die Beklagte beantragt,
17die gegnerische Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
18Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Nach den gewöhnlichen Umständen sei nach Maßgabe der Dienststundenregelung der DV GLAZ ein Zugang des Anhörungsschreibens am 30.04.2020 bei der GSBV bis 16:25 Uhr sicher gestellt gewesen. Dies entspreche den normalen Büro- und Geschäftszeiten der Beklagten.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 16.12.2021, 23.02.2021 und 08.03.2022, die Sitzungsniederschrift vom 30.03.2022 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
21I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2c) ArbGG statthaft und wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.
22II. Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung, der sich das Berufungsgericht in vollem Umfang anschließt und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Mangels bestehendem Arbeitsverhältnis besteht kein Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte. Der allgemeine Feststellungsantrag, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, ist mangels besonderem Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO unzulässig. Der Kläger hat außer der streitigen Kündigung vom 08.05.2020 keine Tatsachen hinsichtlich weiterer Beendigungstatbestände in den Prozess eingeführt oder wenigstens die Möglichkeit weiterer Beendigungstatbestände dargestellt (vgl. hierzu: BAG, Urt. v. 13.03.1997- 2 AZR 512/96 - m. w. N.). Die Berufungsbegründung rechtfertigt keine Abänderung der angefochtenen Entscheidung, denn die Annahme des Arbeitsgerichts, das Anhörungsschreiben vom 23.04.2020 sei der GSBV am 30.04.2020 zugegangen, so dass die Wochenfrist zur Stellungnahme vor Ausspruch der Kündigung gewahrt worden sei, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
231. Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen bzw. eines nach § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellten Behinderten, die der Arbeitgeber ohne (ordnungsgemäße) Beteiligung der zuständigen Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ausspricht, ist unwirksam (§ 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX). Hinsichtlich der Stellungnahmefristen enthält das SGB IX seit Einführung der Unwirksamkeitsfolge des § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX eine planwidrige Regelungslücke. Sie ist durch eine analoge Anwendung von § 102 Abs. 2 BetrVG iVm. den §§ 187 ff. BGB zu schließen (BAG, Urt. v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18 – mwN). Die Anhörung ist eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung (vgl. zu § 102 BetrVG: BAG, Urt. v. 13.12.2012 - 6 AZR 348/11 - mwN). Hinsichtlich der Berechnung der Wochenfrist zur Stellungnahme ist auf den Zugang der Anhörung bei der zuständigen Schwerbehindertenvertretung – hier GSBV - in entsprechender Anwendung des § 130 BGB abzustellen. Eine schriftliche Willenserklärung ist unter Abwesenden gemäß § 130 Abs. 1 BGB zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die Gewalt des Empfängers bzw. eines empfangsberechtigten Dritten gelangt ist und für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, vom Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen. Dabei ist auf die von dem Empfänger getroffenen Empfangsvorkehrungen abzustellen. Die schriftliche Erklärung muss die allgemeinen oder für den Einzelfall bestimmten Empfangseinrichtungen des Adressaten erreichen (BAG, Beschl. v. 23.01.2001 – 1 ABR 19/00 – mwN). In den Machtbereich des Empfängers gelangt eine per Telefax übermittelte Erklärung grundsätzlich mit Abschluss des Druckvorgangs am Empfangsgerät. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Kenntnisnahme ist darauf abzustellen, wann sich der Empfänger nach den Gepflogenheiten der Verkehrsanschauung Kenntnis vom Inhalt der Erklärung verschaffen konnte (BGH, Urt. v. 21.01.2004– XII ZR 214/00 – mwN). Hierbei sind im öffentlichen Dienst die üblichen Dienstzeiten der Behörde zu beachten (vgl. etwa: LSG Bayern, Urt. v. 16.05.2005 – L 12 KA 436/04 -; OLG Dresden, Urt. v. 27.01.2021 – U 6/20 Kart -; LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11.03.1998 – 7 Sa 216/97 -). Wird die Erklärung in ein für die Interessenvertretung bestehendes Postfach hinterlegt, zu dem (z.B. nach Dienstschluss) nicht mehr mit der Leerung dieses Postfachs am selben Tag gerechnet werden kann, geht die Mitteilung der Interessenvertretung erst am Folgetag zu (BAG, Urt. v. 12.12.1996– 2 AZR 803/95 –).
242. Das Arbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme festgestellt, was in der Berufungsbegründung unstreitig gestellt wurde, dass das Anhörungsschreiben am 30.04.2020 gegen 16:05 Uhr per ausgedrucktem Telefax im Geschäftszimmer der GSBV vorlag, mithin imn den Machtbereich der GSBV gelangt ist. Die Übermittlung erfolgte laut erstinstanzlicher Aussage der Zeugin H , der Vorsitzenden der GSBV, in der zum damaligen Zeitpunkt üblichen Art und Weise der Kommunikation mit der GSBV durch Nutzung eines normalen Faxgeräts mit physischem Ausdruck. Es handelte sich daher um eine von der GSBV vorgesehene Empfangseinrichtung. Eine Änderung des Übermittlungsweges erfolgte erst im November 2020 durch Einführung eines elektronischen Postfaches.
25Entgegen der Ansicht des Klägers ist das Telefax unter Berücksichtigung von Feiertag und Wochenende nicht erst am 04.05.2020 der GSBV zugegangen. Die Anwesenheitszeiten nach der DV GLAZ unterscheiden nicht danach, ob Beschäftigte der GSBV angehören. Für die Mitglieder der GSBV gilt dem Grunde nach eine Dienstpflicht, die der Arbeitspflicht der übrigen Beschäftigten entspricht. Nach den normalen Verhältnissen des Geschäftsverkehrs einer Behörde ist die Möglichkeit einer Kenntnisnahme nicht auf die Kernarbeitszeit beschränkt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass üblicherweise im Rahmen der Dienstzeiten, deren Umsetzung in die Arbeitsorganisation die DV GLAZ näher regelt, die Beklagte durch ihre Beschäftigten von einer rechtlich relevanten Erklärung Kenntnis nehmen kann. In diesen Zeiten ist zwar nicht Anwesenheit eines jeden Beschäftigten garantiert, jedoch ist unter gewöhnlichen Umständen davon auszugehen, dass die Behörde im Rahmen der vorgegebenen Dienstzeiten funktionsfähig und in der Lage ist, eingehende Erklärungen zur Kenntnis zu nehmen. Somit bestand am 30.04.2020 jedenfalls bis 16:25 Uhr unter Zugrundelegung der Verkehrsübung aus objektivierter Sicht für die GSBV die Möglichkeit zur Kenntnisnahme des gegen 16:05 Uhr eingegangenen Papierfaxes, so dass ein Zugang des Anhörungsschreibens iSd. § 130 Abs. 1 BGB noch am 30.04.2020 bewirkt wurde.
26III. Die Kostenentscheidung beruht auf den § 97 Abs. 1 ZPO.
27IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.