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Landesarbeitsgericht Köln, 10 SaGa 8/22

Datum:
01.07.2022
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 SaGa 8/22
ECLI:
ECLI:DE:LAGK:2022:0701.10SAGA8.22.00
 
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bonn, 3 Ga 14/22
Schlagworte:
Streik; Untersagung; Daseinsvorsorge; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Normen:
Art. 9 GG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:

1. Die Tarifforderungen der beklagten Gewerkschaft gemäß Schreiben vom 01.05.2022 sind hinreichend bestimmt. Nicht abschließende oder beispielhafte Angaben im Aufforderungsschreiben stehen der Bestimmtheit der Tarifforderungen vorliegend nicht entgegen. Die Arbeitgeberseite kann sich hinreichend darauf einstellen, wie sie auf die formulierten Tarifziele reagiert, um einen Arbeitskampf zu vermeiden. Die Funktion des Arbeitskampfs besteht nur darin, die eigentlichen Tarifverhandlungen anzuschieben; die konkrete Ausgestaltung ist Sache der Tarifverhandlungen. In diesem Sinne haben die Parteien auch seit Monaten Tarifgespräche geführt, wenn auch noch ergebnislos.

2. Der Streik ist nicht rechtswidrig mangels tariflicher Regelbarkeit aufgrund ausschließender Regelungen des Gesetzes über die Pflegeberufe sowie des Gesetzes über den Beruf der Anästhesietechnischen Assistentin und des Anästhesietechnischen Assistenten und über den Beruf der Operationstechnischen Assistentin und des Operationstechnischen Assistenten. Diese gesetzlichen Regelungen stehen nach Wortlaut sowie ihrem Sinn und Zweck insbesondere einer zur Stärkung der Ausbildungsqualität beabsichtigten günstigeren Regelung der Tarifvertragsparteien nicht entgegen. Es handelt sich hierbei um eine angestrebte Verbesserung von Arbeits- bzw. Ausbildungsbedingungen, die – anders als Ausbildungsinhalte – dem Schutzbereich des Art 9 Abs. 3 GG unterfällt.

3. Der Streik für einen „Tarifvertrag Entlastung“ verstößt nicht gegen die tarifvertragliche Friedenspflicht. Weder der TV-L noch die einschlägigen Ausbildungstarifverträge TVA-L Gesundheitsberufe und dem TVA-L Pflege regeln (abschließend) das Streikziel einer präventiven, vorbeugenden Verhinderung des Entstehens spezifischer Belastungssituationen.

4. Schließlich ist der Streik zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht unverhältnismäßig. Das Streikrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG unterliegt Einschränkungen, soweit verfassungsrechtlich geschützte Güter Dritter – hier Patientenrechte nach Art. 2 Abs. 2 GG – betroffen sind. Es bedarf eines Ausgleichs der beiderseitig verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen im Wege der praktischen Konkordanz. Dieser Grundsatz fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal durchgesetzt werde. Alle Interessen müssen einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren. Im Bereich der Daseinsvorsorge eines Klinikbetriebs bedeutet dies, dass vorrangig eine angemessene, ausreichende und geeignete Notversorgung sicher zu stellen ist. Eine Notversorgung, die diesen Anforderungen entspricht, haben die Parteien in konstruktiver Art und Weise im Verhandlungstermin am 29. Juni 2022 vereinbart, indem sie unter anderem die Notversorgung qualitativ und quantitativ durch die Erhöhung des Mindestbetriebs von 16 Operationssälen auf 25 Operationssäle nebst entsprechendem Fachpersonal verbesserten.

 
Tenor:

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 14.06.2022 – 3 Ga 14/22 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

 
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