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1. Parallelentscheidung zu 6 Sa 575/20
2. Ein „Freistellunganspruch“ ist kein „finanzieller Anspruch“.
3. Ansprüche auf Freistellung von der Arbeitspflicht nach dem Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 01.11.1996, wie zum Beispiel die Zeitzuschläge für Spätöffnungszeiten nach § 7 Abs. 2 des Manteltarifvertrages, sind keine „finanziellen Ansprüche“ im Sinne der tariflichen Verfallklausel in § 24 Abs. 1 c des Manteltarifvertrages. Das ergibt sich schon aus dem tariflichen Wortlaut, erst recht aber aus Systematik, Sinn und Zweck der Regelung.
4. Soweit das Bundesarbeitsgericht in verschiedenen Entscheidungen (5 AZR 521/09; 5 AZR 766/09; 5 AZR 819/09; 6 AZR 560/10) erkannt hat, dass ein Zeitguthaben im Arbeitszeitkonto „nur in anderer Form den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers“ ausdrücke, geschah dies in anderen nicht übertragbaren Kontexten und macht gerade deutlich, dass das eine „eine andere Form“ hat, als das andere. Die besagte Erkenntnis des Bundesarbeitsgerichts steht daher der hier erfolgten Auslegung des § 24 Abs. 1 c des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Nord-rhein-Westfalen vom 01.11.1996 nicht entgegen.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 08.07.2020 – 2 Ca 8207/19 – abgeändert und wie folgt, auch unter Berücksichtigung der Klageerweiterung, neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte die Zuschläge für Spätöffnungs-, Samstags- und Nachtarbeit nach dem Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in NRW in der am 31.05.2003 gültigen Fassung vom 20.09.1996 zu berechnen hat.
2. die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin 45,3 Arbeitsstunden gutzuschreiben und den Saldo des Arbeitszeitkontos der Klägerin unter Berücksichtigung dieser Gutschrift zu korrigieren [für 2016];
3. die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin weitere 49,3 Arbeitsstunden gutzuschreiben und den Saldo des Arbeitszeitkontos der Klägerin unter Berücksichtigung dieser Gutschrift zu korrigieren [für 2017];
4. die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin weitere 37 Arbeitsstunden gutzuschreiben und den Saldo des Arbeitszeitkontos der Klägerin unter Berücksichtigung dieser Gutschrift zu korrigieren; [für 2018]
5. die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin weitere 44,6 Arbeitsstunden gutzuschreiben und den Saldo des Arbeitszeit-kontos der Klägerin unter Berücksichtigung dieser Gutschrift zu korrigieren [für 2019]
7. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Kosten der ersten Instanz hat die Beklagte zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat zu 3/10 die Klägerin und zu 7/10 die Beklagte zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um die Zahlung von Spätöffnungszuschlägen in Gestalt von Freistellungsansprüchen aus dem Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 01.11.1996 (MTV 1996) und dabei insbesondere um die Frage, ob diese Ansprüche nach der tariflichen Regelung zur Ausschlussfrist verfallen sind.
3Der ursprünglich geführte grundlegende Streit im Zusammenhang mit dem Ausscheiden der Beklagten aus der Tarifbindung im Jahre 2003 kurz bevor ein neuer Manteltarifvertrag mit Rückwirkung abgeschlossen worden war, ist nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens. Das Arbeitsgericht hat die weitere Anwendbarkeit des MTV 1996 festgestellt und die Beklagte hat hiergegen kein Rechtsmittel eingelegt hat.
4Für die hier streitigen Zeitzuschläge sind die §§ 2 ff und ggfls. die Verfallklausel des § 24, insbesondere aber § 7 Abs. 2 des MTV 1996 relevant. Diese lauten auszugsweise wörtlich:
5§ 2 Arbeitszeit
6[…]
7(6) Dringende Vor- und Abschlussarbeiten, Aufräumungsarbeiten und Kassenschluss sind als Ausnahmen über die vereinbarte oder festgelegte Arbeitszeit hinaus zu leisten. Die hierfür erforderliche Zeit darf 10 Minuten täglich nicht überschreiten. Sie ist ohne Mehrarbeitszuschlag auszugleichen.
8[…]
9§4 Spätöffnung- und Samstagsarbeit
10(1) Bei der Einteilung der Arbeitszeit sind die sozialen Belange der Beschäftigten zu berücksichtigen. Beim Vorliegen dringender persönlicher Gründe sollen Beschäftigte im Verkauf auf ihren Wunsch hin an den Tagen Montag bis Freitag von einem Einsatz nach 18.30 Uhr ganz oder teilweise ausgenommen werden, wenn dieser Einsatz für sie unzumutbar wäre. Dies ist regelmäßig der Fall,
11wenn die nach ärztlichem Attest erforderliche Betreuung und Pflege naher Angehöriger/Lebenspartner nicht gewährleistet wäre,
wenn glaubhaft gemacht wird, dass die Betreuung und die Beaufsichtigung ihrer Kinder vor
Vollendung des 12. Lebensjahres nicht gewährleistet wäre,
für Auszubildende am Berufsschultag,
wenn bei der Teilnahme an außerbetrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen für die Dauer und den Umfang keine zeitlichen Alternativen bestehen.
Beschäftigte, die nach 18.30 Uhr arbeiten und bei einem Geschäftsschluss um 20.00 Uhr in zumutbarem Zeitraum ihren Wohnsitz mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichen können, sollen, wenn sie diese ausschließlich benutzen können, in erforderlichem Umfang vor 20.00 Uhr von dem Arbeitseinsatz ausgenommen werden.
18(2) Beschäftigte, die spätöffnungsbedingt nach 18.30 Uhr arbeiten, sollen an diesen Tagen nicht länger als 8,5 Stunden beschäftigt werden, es sei denn, betriebsübliche Arbeitszeiten sind ebenfalls länger. Darüber hinaus sollen die Beschäftigten auf ihren Wunsch an nicht mehr als drei Tagen in der Woche nach 18.30 Uhr und an nicht mehr als drei Samstagen im Monat beschäftigt werden.
19Hiervon kann abgewichen werden, wenn im Rahmen einer systematischen Arbeitszeiteinteilung
20mehrere Schichten auch im wöchentlichen Wechsel festgelegt werden
eine Vier-Tage-Arbeitswoche vereinbart wird
alle vier Wochen ein langes Wochenende (Samstag bis Dienstag, Freitag bis Montag) erreicht wird.
Andere, davon abweichende Arbeitszeitregelungen können zwischen den Betriebspartnern vereinbart werden, sofern sie eine systematische und im Voraus planbare Arbeitszeitregelung enthalten (rollierendes Freizeitsystem, feste Wochenfreizeittage, usw.).
25In Betrieben ohne Betriebsrat ist eine entsprechende Regelung durch Einzelarbeitsvertrag mit den betroffenen Beschäftigten zu treffen.
26§ 5 Mehrarbeit
27(1) Mehrarbeit für Vollbeschäftigte ist jede über die vereinbarte oder festgelegte tägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeit, sofern sie nicht gemäß § 2 Abs. 5 ausgeglichen wird. Mehrarbeit für Teilzeitbeschäftigte ist jede Arbeitszeit, die über die in § 2 Abs. 1 geregelte Arbeitszeit hinaus geleistet wird.
28(2) Eine über die tarifliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit bis zu 40 Stunden je Woche ist als zuschlagfreie Mehrarbeit zu vergüten.
29(3) Mehrarbeit ist nach Möglichkeit zu vermeiden. Sie ist nur im Rahmen der Bestimmungen der Arbeitszeitordnung und des Betriebsverfassungsgesetzes zulässig. Bei der Festlegung der Mehrarbeit sollen die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer angemessen berücksichtigt werden. Der Arbeitgeber hat bei Anordnung von Mehrarbeit auf berechtigte Belange des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen, insbesondere im Hinblick auf unbeaufsichtigte Kinder.
30(4) Mehrarbeitsstunden sind mit 1/163 des Monatsentgelts und einem Zuschlag, gemäß § 7 zu bezahlen. Auf Wunsch des Arbeitnehmers kann eine Abgeltung von Mehrarbeitsstunden durch Freizeit mit den entsprechenden Zeitzuschlägen erfolgen. Über den Zeitpunkt der Abgeltung ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer herbeizuführen.
31§ 6 Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, Spätöffnungsarbeit
32(1) Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit ist nach Möglichkeit zu vermeiden. Sie ist nur im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen zulässig.
33Von der Betriebsleitung angeordnete Nachtarbeitsstunden (von 19.30 bis 6 Uhr) sowie Arbeitsstunden an Sonn- und Feiertagen (von 0 bis 24 Uhr) sind gemäß §§ 5 und 7 abzugelten.
34Dies gilt nicht für den normalen Wach- und/oder Wartungsdienst während der Nachtstunden und an Sonn- und Feiertagen.
35(2) Spätöffnungsarbeit ist Arbeit in Verkaufsstellen, die wegen veränderter Ladenschlusszeiten aus Anlass der Neufassung des Ladenschlussgesetzes vom 30.07.1996 von Montag bis Freitag in der Zeit von 18.30 bis 20.00 Uhr und an Samstagen in der Zeit von 14.00 bis 16.00 Uhr geleistet wird.
36(3) Soweit das Fahr-, Heiz-, Schließ-, Wach- und Wartungspersonal regelmäßig an Sonn- und Feiertagen beschäftigt wird, ist in Verbindung mit mindestens jedem zweiten Sonntag eine zusammenhängende Freizeit von 36 Stunden zu gewähren.
37(4) Wechselschichtarbeit, bei der sich die Schichten turnusmäßig ablösen und in der regelmäßig Nachtschichten anfallen, wird für alle Schichten mit einem Zuschlag von 10 % des Tarifentgelts bezahlt.
38(5) Für das Tankstellen- und Garagengewerbe gelten abweichend von Absätzen 2 und 3 die Bestimmungen des § 8.
39§ 7 Zuschläge
40(1) Mehr-, Nacht-, Sonntags-, Feiertags- und Spätöffnungsarbeit sind mit Ausnahmen im Tankstellen- und Garagengewerbe (§ 8) mit folgenden Zuschlägen abzugelten:
41a) Mehrarbeit 25 %
42b) Mehrarbeit ab der 5. Mehrarbeitsstunde in der Woche 40 %
43c) Nachtarbeit (ausgenommen Wechselschichtarbeit
44gemäß § 6 Abs. 4, Arbeit während der Spätöffnung
45sowie spätöffnungsbedingte Arbeit
46gemäß § 2 Abs. 6 nach 19.30 Uhr) 55 %
47d) Sonntagsarbeit 120%
48e) Feiertagsarbeit, sofern der Feiertag auf einen
49Wochentag fällt 200 %
50(2) Für Arbeit während der Spätöffnung wird ein Zuschlag von 20% gewährt. Für Arbeiten gemäß § 2 Abs. 6 nach 20.00 Uhr (montags bis freitags) sowie nach 16.00 Uhr (samstags) wird ein Zuschlag von 40% gewährt. Dies gilt nicht für zuschlagsfreie Samstage.
51Spätöffnungszuschlagsfreie Samstage sind ein Samstag pro Kalendermonat* sowie die vier langen Samstage vor Weihnachten gemäß Ladenschlussgesetz in der Fassung vom 30.07.1996.
52Dieser Zuschlag ist grundsätzlich in Freizeit zu gewähren. Die Freizeit ist zusammenzufassen und in Arbeitszeitsysteme einzugliedern. Freizeitguthaben dürfen nicht dazu führen, dass Beschäftigte den Schutz der Sozialversicherung verlieren. Auf Wunsch von Beschäftigten kann der Zuschlag im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber abgegolten werden.
53(3) Treffen mehrere Zuschläge zusammen, ist jeweils nur der höchste Zuschlag zu zahlen.
54* Der zuschlagsfreie Samstag soll im Voraus festgelegt werden.
55§ 24 Verfallklausel
56(1) Die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen wie folgt:
57a) 3 Monate nach Fälligkeit:
58Ansprüche auf Abgeltung der Überstunden;
59b) spätestens 3 Monate nach Ende des Urlaubsjahres bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses: Ansprüche auf Urlaub, Urlaubsabgeltung und Sonderzahlungen;
60c) 6 Monate nach Fälligkeit:
61alle übrigen aus Tarifvertrag und Arbeitsverhältnis entstandenen finanziellen Ansprüche.
62(2) Die Ansprüche verfallen nicht, sofern sie innerhalb der vorgenannten Fristen schriftlich geltend gemacht worden sind.
63(3) Vorstehende Fristen gelten als Ausschlussfristen.
64(4) Unter die Verfallklausel fallen nicht solche Ansprüche eines Arbeitgebers oder eines Arbeitnehmers gegen einen Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, die auf eine strafbare Handlung oder eine unerlaubte Handlung gestützt werden. Für diese Ansprüche gelten die gesetzlichen Vorschriften.
65Mit der Klage wurden zunächst nur die Spätöffnungszuschläge für das Jahr 2016 geltend gemacht. Gegenstand der in der Berufungsinstanz anhängig gemachten Klageerweiterungen sind die Spätöffnungszuschläge für die Jahre 2017, 2018 und 2019. Zur Darlegung der geleisteten Arbeitszeit in den Zeiträumen, die gemäß § 7 Abs. 2 MTV 1996 zuschlagpflichtig sind, wurde eine Liste zur Akte gereicht. Diese Liste zeigt für jeden Kalendertag der Jahre 2016 bis 2019 die nach § 7 Abs. 2 MTV 1996 zuschlagpflichtigen Zeiten, differenziert nach 20 % und 40 %, rechnet die prozentualen Zuschläge in Arbeitszeit-Minuten um und erreicht als Summe sodann die nun in der Berufungsinstanz geltend gemachten Freistellungsforderungen. Die sich aus der Liste ergebenden Arbeitszeiten sind rechnerisch unstreitig. Unstreitig ist damit auch, dass nicht an jedem Samstag Arbeitsleistung erbracht wurde und für den Fall der Arbeitsleistung an Samstagen die Arbeitszeit zu unterschiedlichen Uhrzeiten endete. In der drittletzten und vorletzten Spalte sind die Zeiten aufgeführt, die nach Auffassung der klagenden Beschäftigten mit einem 40%igen Zuschlag zu berücksichtigen sein sollen. Ob dieser Zuschlag in Höhe von 40 % anzunehmen ist und es der Höhe nach nicht vielmehr bei 20 % bleiben muss, wird zu klären sein.
66Auf die Liste mit den Arbeitszeiten und Zuschlägen in der Anlage zur Berufungsbegründung wird im Übrigen Bezug genommen.
67Mit der seit dem 16.12.2019 anhängigen Klage begehrt die Klägerin Zeitgutschriften auf ihrem Arbeitszeitkonto nach den Regelungen des MTV 1996.
68Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass ihr nach den Regelungen des MTV 1996 die geltend gemachten Zeitzuschläge zustünden und diese nicht aufgrund der tariflichen Ausschlussfrist verfallen seien. Die vom MTV 1996 fakultativ vorgesehene Zuschlagsfreiheit für einzelne Samstage könne die Beklagte - abgesehen von den ausdrücklich geregelten Weihnachtssamstagen - nicht geltend machen, denn nach der Protokollnotiz zu § 7 MTV 1996 hätten die zuschlagsfreien Samstage im Voraus festgelegt werden müssen, jedenfalls wären sie aber nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mittbestimmungspflichtig gewesen.
69Die von der Arbeitgeberin geltend gemachte Regelung in § 5 des Arbeitsvertrages befasse einen anderen Sachverhalt als der hier anwendbare § 7 MTV 1996. Im Übrigen wäre die arbeitsvertragliche Regelung, würde sie so verstanden, wie die Arbeitgeberin es tut, ein antizipierter Verzicht auf tarifliche Rechte und daher unwirksam.
70Die Klägerin hat beantragt,
711. die Beklagte zu verurteilen, ihrem Arbeitszeitkonto für den Kalenderzeitraum 01.01.2016 bis einschließlich 31.12.2016 62,35 Stunden gutzuschreiben und den Saldo ihres Arbeitszeitkontos unter Berücksichtigung dieser Gutschrift zu korrigieren;
722. festzustellen, dass die Beklagte die Zuschläge für Spätöffnungs-, Samstags- und Nachtarbeit nach dem Manteltarifvertrag für den Einzelhandel NRW in der am 31.05.2003 gültigen Fassung vom 20.09.1996 zu berechnen hat.
73Die Beklagte hat beantragt,
74die Klage abzuweisen.
75Die Beklagte hat vorgetragen, nach ihrer Auffassung sei der statisch weitergeltende, zum 01.04.2003 in Kraft gesetzte Manteltarifvertrag 2003 der anzuwendende Tarifvertrag und nicht der von diesem MTV 2003 abgelöste MTV 1996. Aus diesem später abgeschlossenen MTV 2003 ergäben sich andere Zuschläge, als diejenigen, die hier geltend gemacht worden seien. Darauf komme es im Ergebnis aber nicht an, denn die geltend gemachten Zuschläge bestünden schon dem Grunde nach nicht.
76Die vorgelegte Liste sei um zuschlagfreie Samstage zu korrigieren. Sie habe der Einfachheit halber jeweils den ersten lang gearbeiteten Samstag im Monat als nicht zuschlagspflichtig berücksichtigt. Aus § 5 Abs. 3 und 4 des Arbeitsvertrages ergebe sich im Übrigen die Vereinbarung, dass die Spätöffnungszuschläge durch die übertarifliche Bezahlung als abgegolten gelten sollen. Jedenfalls seien alle in Frage kommenden Ansprüche nach der tariflichen Ausschlussfrist in § 24 MTV 1996 längst verfallen.
77Mit Urteil vom 08.07.2020 hat das Arbeitsgericht der Klage mit dem Antrag zu 2 stattgegeben und festgestellt, dass die Beklagte die Zuschläge für Spätöffnungs-, Samstags- und Nacharbeit nach dem MTV für den Einzelhandel in NRW in der am 31.05.2003 gültigen Fassung vom 20.09.1996 zu berechnen hat. Mangels einer Berufung der Beklagten ist diese Feststellung rechtskräftig geworden. Den Leistungsantrag zu 1 hat das Arbeitsgericht aber mit der Begründung abgewiesen, die Ansprüche auf Zeitzuschläge seien nach § 24 Abs. 1 c MTV verfallen. Der mit der Klage geltend gemachte Freistellungsanspruch sei im Sinne der Tarifnorm ein „finanzieller Anspruch“. Das ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (5 AZR 521/09; 6 AZR 560/10; 5 AZR 766/09) und aus der Tatsache, dass das Zeitguthaben im Arbeitszeitkonto „nur in anderer Form den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers“ ausdrücke.
78Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 05.08.2020 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.10.2020 am 21.10.2020 begründet.
79Die Klägerin trägt vor, die Berufung richte sich gegen das Urteil, soweit die Klage durch das Arbeitsgericht abgewiesen worden sei. Der Leistungsantrag sei mit Blick auf die gutzuschreibenden Stunden rechnerisch leicht korrigiert worden. Insbesondere sei nun berücksichtigt worden, dass die Vor-Weihnachtssamstage nach dem Wortlaut des MTV 1996 tatsächlich zuschlagfrei seien. Mit der Klageerweiterung, die nach ihrer Auffassung zumindest sachdienlich sei, mache sie aus dem gleichen Rechtsgrund und den gleichen rechtlichen Erwägungen unter Bezugnahme auf die gleiche Arbeitszeiterfassung die Spätöffnungszuschläge für die Folgejahre, nämlich für die Jahre 2017 bis einschließlich 2019 geltend.
80Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts seien die geltend gemachten Ansprüche nach ihrer Auffassung nicht verfallen. Das ergebe sich aus Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck der tariflichen Regelungen.
81Die Klägerin beantragt nunmehr,
821. das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 08.07.2020 – 2 Ca 8207/19 – soweit es die Klage abgewiesen hat, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin 61,15 Arbeitsstunden gutzuschreiben und den Saldo des Arbeitszeitkontos der Klägerin unter Berücksichtigung dieser Gutschrift zu korrigieren [2016];
832. [nicht besetzt]
843. die Beklagte zu verurteilen, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin weitere 66,84 Arbeitsstunden gutzuschreiben und den Saldo des Arbeitszeitkontos der klagenden Partei unter Berücksichtigung dieser Gutschrift zu korrigieren; [2017]
854. die Beklagte zu verurteilen, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin weitere 55,45 Arbeitsstunden gutzuschreiben und den Saldo des Arbeitszeitkontos der klagenden Partei unter Berücksichtigung dieser Gutschrift zu korrigieren; [2018]
865. die Beklagte zu verurteilen, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin weitere 60,50 Arbeitsstunden gutzuschreiben und den Saldo des Arbeitszeitkontos der klagenden Partei unter Berücksichtigung dieser Gutschrift zu korrigieren. [2019]
87Die Beklagte beantragt,
88die Berufung zurückzuweisen.
89Zur Berufungserwiderung wiederholt und vertieft die Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen und vertritt weiterhin die Auffassung, dass – wenn schon nicht der MTV 1996 durch den MTV 2003 abgelöst worden sei – jedenfalls auch den Regeln des MTV 1996 folgend ein Freistellungsanspruch schon dem Grunde nach nicht entstanden und dass ein etwa bestehender Anspruch zumindest verfallen sei.
90Das Wort „finanziell“ in § 24 MTV 1996 bedeute nach ihrer Auffassung „auf Geld gerichtet oder geldwert“. Schon nach allgemeinen Verständnis seien finanzielle Ansprüche auch vermögensrechtliche Ansprüche. Die Freizeitgewährung sei gleichbedeutend mit einem Vergütungsanspruch für vorgeleistete Arbeit. Das Wort „finanziell“ grenze die nichtfinanziellen Ansprüche aus wie z.B. Arbeitspapiere, Zeugnisse und Wettbewerbsverbote.
91Es bleibe darüber hinaus bei den bereits in erster Instanz erhobenen Einwänden: Die Klägerin habe keine Tätigkeit „in der Verkaufsstelle“ im Sinne des § 6 Ab. 2 MTV 1996 erbracht; jegliche Tätigkeit nach 18:30 sei nicht angeordnet worden und deshalb auch weder vergütungs- noch zuschlagpflichtig; pro Monat sei gemäß § 7 Abs. 2 Satz 4 MTV 1996 ein Samstag abzuziehen, aus Praktikabilitätserwägungen habe sie dafür im Nachhinein jeden ersten gearbeiteten Samstag im Monat bestimmt; durch die übertarifliche Vergütung seien nach § 5 des Arbeitsvertrages die streitgegenständlichen Zuschläge abgegolten.
92Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
93E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
94I. Die Berufung ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
95Die Klageerweiterungen sind zulässig, weil sie nach dem Maßstab des § 533 ZPO sachdienlich waren.
96II. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache weitgehend Erfolg. Nur soweit Zuschläge in Höhe von 40 % geltend gemacht worden waren, mussten diese auf 20 % reduziert werden. Kleinere Rechenfehler waren zu berichtigen.
971. Soweit das Arbeitsgericht die Anwendbarkeit des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in NRW in der am 31.05.2003 gültigen Fassung vom 20.09.1996 antragsgemäß festgestellt hat, hat die erstinstanzlich insoweit unterlegene Beklagte kein Rechtsmittel eingelegt. Die Feststellung ist somit rechtskräftig. Nur aus Gründen der Übersichtlichkeit findet sie sich unter I 1. des Berufungstenors wieder. Die Feststellung erweist sich auch als Voraussetzung der geltend gemachten Freistellungsansprüche, die im Berufungsverfahren noch oder (im Wege der Klageerweiterung) erstmalig anhängig sind oder wurden, als richtig. Auf das Arbeitsverhältnis findet weiterhin der MTV 1996 Anwendung. Er wirkt nach und ist nicht durch eine andere Regelung abgelöst worden. Auf die den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten bekannte und vom Arbeitsgericht auszugsweise wörtlich zitierte Entscheidung der erkennenden Kammer vom 10.10.2019 - 6 Sa 151/19 - wird Bezug genommen.
982. Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus § 611, 611 a BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag und § 7 Abs. 2 MTV 1996 einen Anspruch darauf, dass ihrem Arbeitszeitkonto als Zeitgutschrift für die im Jahre 2016 geleistete Spätöffnungsarbeit 45,3 Arbeitsstunden gutzuschreiben wird und dass der Saldo des Arbeitszeitkontos unter Berücksichtigung dieser Gutschrift korrigiert wird.
99Der Anspruch ist entstanden und er ist nicht verfallen.
100a. Der Anspruch auf eine Zeitgutschrift ist im Umfang von 45,3 Arbeitsstunden entstanden. Nach § 7 Abs. 2 MTV 1996 wird für Arbeit während der Spätöffnung ein Zuschlag von 20% gewährt. Für Arbeiten gemäß § 2 Abs. 6 nach 20.00 Uhr (montags bis freitags) sowie nach 16.00 Uhr (samstags) wird ein Zuschlag von 40% gewährt. Dies gilt nicht für zuschlagsfreie Samstage. Dabei sind Spätöffnungszuschlagsfreie Samstage ein Samstag pro Kalendermonat sowie die vier langen Samstage vor Weihnachten gemäß Ladenschlussgesetz in der Fassung vom 30.07.1996. In der Protokollnotiz hierzu haben die Tarifparteien vereinbart, dass der zuschlagsfreie Samstag im Voraus festgelegt werden soll.
101Die von der Beklagten vorgebrachten Einwände gegen die Entstehung des Zuschlagsanspruchs stehen der Klageforderung nicht entgegen. Allerdings kommen nur Zuschläge in Höhe von 20 % in Betracht, nicht aber in Höhe von 40 %.
102(1.) Die von der Beklagten vorgebrachten Einwände gegen die Entstehung des Zuschlagsanspruchs stehen der Klageforderung nicht entgegen.
103Die von der Beklagten geltend gemachte Tatsache, die Klägerin sei Mitarbeiterin der Marketingabteilung und nicht im Verkauf tätig, die Tarifvorschrift sei also gar nicht auf die Klägerin anwendbar, hindert den geltend gemachten Anspruch nicht. Die Tarifnorm unterscheidet nicht danach, welcher Abteilung die Beschäftigten organisatorisch zugeteilt worden sind, sondern hebt ausschließlich auf eine Tätigkeit „in der Verkaufsstelle“ ab. Nach der Darlegung der Klägerin, der die Beklagte nicht substantiiert entgegen getreten ist, übt die Klägerin ihre Tätigkeit in den Verkaufsräumen aus. Das reicht nach dem Wortlaut der Tarifvorschrift für ihre Anwendbarkeit aus.
104Spätöffnungs-Arbeitszeiten an zuschlagsfreien Samstagen (abgesehen von den richtigerweise bereits gestrichenen Weihnachtssamstagen) können von der Beklagten als Abzugsposten nur berücksichtigt werden, wenn die zuschlagsfreien Samstage im Voraus festgelegt worden sind. Dabei ist die Rechtsnatur der Protokollnotiz, die die Festlegung im Voraus ausdrücklich vorschreibt, nicht relevant. Auch ohne Protokollnotiz wäre nämlich eine Festlegung des zuschlagfreien Samstages im Voraus notwendig. Das ergibt sich schon aus der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer solchen Festlegung, die aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG folgt. Keinesfalls ergibt sich aus § 7 Abs. 2 MTV 1996, dass es der erste Samstag im Monat sein muss, an dem gearbeitet wurde, oder gar, dass die Beklagte den fraglichen Samstag im Nachhinein bestimmen könnte.
105Auch der Einwand der Beklagten, nach dem Wortlaut des Arbeitsvertrages komme die Zahlung von Zuschlägen wegen der übertariflichen Entgeltvereinbarung nicht in Betracht, führt nicht weiter. Eine solche arbeitsvertragliche Regelung, mit der auf Tarifansprüche verzichtet werden soll, ist gemäß § 4 Abs. 3 TVG unwirksam. Darüber hinaus ist die Vereinbarung intransparent und verstößt daher gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
106(2.) Allerdings kommen nur Zuschläge in Höhe von 20 % in Betracht, nicht aber in Höhe von 40 %. Der Zuschlag in Höhe von 40 % nach § 7 Abs. 2 Satz 2 MTV 1996 gilt nach dem unmissverständlichen Wortlaut der Tarifvorschrift nur für die Zeiten nach § 2 Abs. 6 MTV 1996. Dies sind die Zeiten für Vor- und Abschlussarbeiten, die in der Regel nicht mehr als 10 Minuten ausmachen dürfen. Da sich aus der Klagebegründung nicht ergibt, welcher Anteil der geltend gemachten Spätöffnungszeiten auf diese Vor- und Abschlussarbeiten entfällt und ob dies überhaupt der Fall ist, musste es bei einem Zuschlag in Höhe von 20 % bleiben. Die vorletzte Spalte der mit der Berufungsbegründung eingereichten Tabelle muss also (nach vollständigem Abzug der Vorweihnachts-Samstage) mit 0,5 multipliziert werden (20 % statt 40 %).
107So errechnet sich hier ein Anspruch im Umfang von nur 45,3 Stunden.
108b. Die nunmehr noch geltend gemachten Ansprüche auf Zeitzuschläge sind nicht verfallen, weil es sich bei ihnen nicht um finanzielle Ansprüche im Sinne des § 24 Abs. 1 c MTV handelt. Nur auf solche bezieht sich die einschlägige Regelung in der Verfallklausel des MTV 1996. Schon nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt also ein Verfall nicht in Betracht. Die erkennende Kammer sah daher in ihrer Entscheidung vom 10.10.2019 – 6 Sa 151/19 – keinen Anlass für eine weitere Vertiefung. Der Wortlaut wird bestätigt durch die Systematik des Tarifvertrages und durch den Zweck der Tarifvorschrift. Er wird nicht in Frage gestellt durch die vom Arbeitsgericht zitierten Urteile des Bundesarbeitsgerichts.
109(1.) Umgangssprachlich, rechtlich und tatsächlich sind Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt (das zweifellos und unstreitig einen „finanziellen“ Charakter hat) nicht das gleiche. Zwar wird regelmäßig das eine für das andere geleistet, es sind aber unterschiedliche Dinge. Auf Arbeitsentgelt kann man einen finanziellen Anspruch haben; auf Arbeitsleistung oder auf Freistellung von derselben ist ein finanzieller Anspruch nicht denkbar. Eigentlich handelt es sich dabei um eine Selbstverständlichkeit. Der Fall zeigt aber, dass diese Selbstverständlichkeit offensichtlich noch einmal in Erinnerung gerufen werden muss.
110aa. Umgangssprachlich ist ein „finanzieller Anspruch“ eine Angelegenheit, die sich irgendwie auf dem Girokonto als „Geld“ niederschlagen kann oder als Antwort auf die Frage „wie geht es dir finanziell?“ Umgangssprachlich betrifft dem gegenüber eine Arbeitszeitgutschrift die „Arbeit“ oder – weil es eine Gutschrift ist – die „Nichtarbeit“, also die Freizeit in einem bestimmten zeitlichen Maß. Als Arbeit wird umgangssprachlich (nicht nach den diversen philosophischen, soziologischen oder ökonomischen Definitionen) der Einsatz von Körper und Geist zur Erreichung eines wirtschaftlichen Ziels verstanden. Vielleicht kommt als Ziel im umgangssprachlichen Sinne noch die persönliche Entfaltung durch kreative Gestaltung hinzu und als Facette des körperlichen Einsatzes die „Last“; schließlich galt die Arbeit über Jahrhunderte hinweg als Strafe für die Erbsünde und wurde als solche empfunden. So verstanden kann sich die Arbeitszeit oder die Freistellung von derselben gerade nicht auf dem Girokonto wiederfinden, es sei denn, es würde der Umweg beschritten, auf dem einer bestimmten Arbeitszeit oder einer bestimmten Freizeit ein bestimmter Wert auf einem fiktiven Girokonto zugeschrieben würde. Dass der Wert von einer Stunde Arbeitszeit (unabhängig davon, um welche Arbeit und um welchen Menschen es gehen soll) der gleiche wäre, wie der Wert einer Stunde Freizeit, ist eine These, die schwer zu begründen wäre, jedenfalls aber auf Nachfrage individuell sehr unterschiedlich leidenschaftlich in Frage gestellt werden würde. Auf die Frage „wie geht es dir finanziell“ erscheint die Antwort „gut, ich habe ein dickes Arbeitszeitkonto“ eher gekünstelt.
111bb. Auch rechtlich sind Arbeit und Geld bekannter Weise unterschiedliche Dinge. Das zeigt sich zum Beispiel in der Regelung des § 611 a BGB. In dessen Absatz 1 wird das eine geregelt in dessen Ansatz 2 das andere. Das eine ist eine Gattungsschuld, das andere ist eine Fixschuld. Arbeit und Geld stehen im Gegenseitigkeitsverhältnis, unterscheiden sich also notwendigerweise voneinander. Dabei ist der Maßstab des wechselseitigen Wertes, in dem Sinne also der „Wechselkurs“, nicht starr, wie sich schon aus dem Wortlaut des von der Beklagten selbst zitierten § 5 Abs. 3 und 4 MTV 1996 ergibt. Finanzielle Ansprüche können im Falle ihrer Titulierung nach § 802 a ff ZPO vollstreckt werden; die Vollstreckung eines Anspruchs auf Arbeit ist dem gegenüber nach § 888 Abs. 3 ZPO ausgeschlossen. Die Vollstreckung eines Anspruchs auf „Nichtarbeitenmüssen“ trifft auf rechtstatsächliche Grenzen. Auf weitere Ausführungen zur rechtlichen Unterscheidbarkeit von Arbeit und Geld soll wegen ihrer Evidenz an dieser Stelle verzichtet werden.
112cc. Schließlich hat auch tatsächlich und wirtschaftlich betrachtet eine Freistellung in Gestalt einer Arbeitszeitgutschrift keine Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Beschäftigten: Wenn Arbeitsvertragsparteien eine Arbeitszeit von monatlich 163 Stunden vereinbart haben und ein monatliches Nettoentgelt in Höhe von 3.000,00 und arbeitet die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer in einem Monat 163 Stunden, so werden ihr oder ihm am Ende des Monats von der vertragstreuen Arbeitgeberin 3.000,00 EUR auf das Girokonto überwiesen. Erhält die gleiche Person für den gleichen Monat eine Zeitgutschrift von 13 Stunden, arbeitet sie also nur 150 Stunden im fraglichen Monat und liest sie während der ansonsten zu arbeitenden 13 Stunden zu Hause ein Buch, so werden ihr am Ende des Monats ebenfalls 3.000,00 EUR auf das Girokonto überwiesen. Finanziell ändert sich also augenscheinlich für die Person nichts. Sie hat nur tatsächlich statt zu arbeiten ein Buch gelesen. Das mag für sie einen hohen immateriellen Wert darstellen. Sie kann sich für die Freistellung aber „nichts kaufen“.
113Der Wortlaut der Vorschrift ist nach alledem eindeutig. An seinen Grenzen endet die Auslegung.
114(2.) Die Systematik der tariflichen Regelung macht ebenfalls deutlich, dass mit dem Begriff „alle übrigen … entstandenen finanziellen Ansprüche“ der Freistellungsanspruch aus der Zeitgutschrift nicht gemeint sein kann. Wie bereits erwähnt kommt es auf diese systematische Betrachtung wegen der Eindeutigkeit des Wortlauts der Vorschrift gar nicht an. Sie bestätigt aber das dargestellte Verständnis des Wortlauts.
115Der hier auszulegende Tarifvertrag unterscheidet schon beim Entstehen der Ansprüche zwischen solchen, die zu „bezahlen“ sind (z.B. § 6 Abs. 4), solchen die „abzugelten“ sind (z.B. § 15 Abs. 9) und solchen, die grundsätzlich „in Freizeit zu gewähren“ sind (z.B. § 7 Abs. 2). Unter bestimmten Voraussetzungen sieht der MTV 1996 die Umwandlung von Freistellungsansprüchen in finanzielle Geldansprüche vor oder umgekehrt die Umwandlung von finanziellen Geldansprüchen in Freistellungsansprüche. So ist in § 7 Abs. 1 MTV von „Mehr-, Nacht-, Sonntags-, und Feiertags-Zuschlägen und deren „Abgeltung“ die Rede. Im zweiten Absatz, also in § 7 Abs. 2 MTV 1996, heißt es zu den Spätöffnungszuschlägen – und nur um die geht es im vorliegenden Rechtsstreit – „Dieser Zuschlag ist grundsätzlich in Freizeit zu gewähren“ und „Auf Wunsch von Beschäftigten kann der Zuschlag im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber abgegolten werden.“ Je nach Tatbestand wird hier in den beiden Absätzen des § 7 also für die Rechtsfolge unterschieden: einmal geht es um Abgeltung in Geld und ein anderes Mal um Gewährung „in Freizeit“. Erst wenn hier im zweiten Fall eine ausdrückliche Vereinbarung zwischen den Parteien vorliegt, kommt eine Abgeltung in Geld, also eine Umwandlung des Freistellungsanspruchs in einen Entgeltanspruch in Betracht. Das Verhältnis von Freistellung in Freizeit einerseits und Abgeltung in Geld andererseits ist für die Mehrarbeit in § 5 Abs. 4 MTV verglichen mit der Regelung zu den Spätöffnungszuschlägen genau umgekehrt geregelt:
116(4) Mehrarbeitsstunden sind mit 1/163 des Monatsentgelts und einem Zuschlag, gemäß § 7 zu bezahlen. Auf Wunsch des Arbeitnehmers kann eine Abgeltung von Mehrarbeitsstunden durch Freizeit mit den entsprechenden Zeitzuschlägen erfolgen. Über den Zeitpunkt der Abgeltung ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer herbeizuführen.
117Hier entsteht also dem Grunde nach ein konkret definierter finanzieller Zahlungsanspruch, der aufgrund einer Vereinbarung ausnahmsweise in einen Freistellungsanspruch in Freizeit umgewandelt werden kann.
118Im Falle der Spätöffnungszeit-Arbeit gewährt der Tarifvertrag also im oben genannten Beispiel 13 Stunden Buch-Lesen und nur nach entsprechender Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien stattdessen eine finanzielle Abgeltung in Höhe von 13 Stundenlöhnen; im Falle der Mehrarbeit gewährt der Tarifvertrag genau umgekehrt 13 Stundenlöhne und nur ausnahmsweise bei entsprechender Vereinbarung 13 Stunden Buch-Lesen. Dieser Unterschied in der regulatorischen Gestaltung ist nicht zufällig. Sie hat auch eine arbeitsschutzrechtliche Facette, die im Zusammenhang mit Sinn und Zweck der Vorschrift zu erörtern sein wird.
119Die besagte Unterscheidung bei den einzelnen Ansprüchen in Bezahlen, Abgelten und Freistellen trägt die Verfallklausel des § 24 MTV Rechnung in der es heißt:
120§ 24 Verfallklausel
121(1) Die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen wie folgt:
122a) 3 Monate nach Fälligkeit:
123Ansprüche auf Abgeltung der Überstunden;
124b) spätestens 3 Monate nach Ende des Urlaubsjahres bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses: Ansprüche auf Urlaub, Urlaubsabgeltung und Sonderzahlungen;
125c) 6 Monate nach Fälligkeit:
126alle übrigen aus Tarifvertrag und Arbeitsverhältnis entstandenen finanziellen Ansprüche.
127Es geht also nicht um eine Verfallklausel, nach der schlicht „alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen …“ (so die Formulierung in BAG v. 28.07.2010 – 5 AZR 521/09) sondern es geht um eine ausdifferenzierte, nach Art und Qualität der fraglichen Ansprüche abgestufte Regelung:
128Drei Monate nach Fälligkeit verfällt hiernach der Abgeltungsanspruch bei Überstunden, also ein Anspruch in Geld. Sollten sich die Parteien bei Mehrarbeit nach § 5 Abs. 4 MTV abweichend auf eine „Abgeltung durch Freizeit“ verständigt haben und haben sie dem Normappell entsprechend über den Zeitpunkt der Abgeltung eine Vereinbarung getroffen, dann kommt die Verfallklausel nicht zur Anwendung, denn wenn der vereinbarte Zeitpunkt vorbei ist, ist die vereinbarte Freistellung objektiv unmöglich geworden – wo nichts ist, kann auch nichts verfallen.
129Drei Monate nach Ende des Urlaubsjahres bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen nach § 24 Abs. 1 b MTV Ansprüche auf Urlaub, Urlaubsabgeltung und Sonderzahlungen. Der Anspruch auf Urlaub ist grundsätzlich ein Freistellungsanspruch. Ein europarechtskonformes Verständnis des Urlaubsanspruchs muss hier nicht weiter vertieft werden, da es sich um einen Tariftext aus dem Jahre 1994 handelt und im vorliegenden Rechtsstreit nicht über Urlaub und seine Abgeltung gestritten wird. Relevant ist für den vorliegenden Fall nur, dass hier nach dem damaligen Tarifverständnis finanzielle Ansprüche (Urlaubsabgeltung und Sonderzahlung) und nicht finanzielle Ansprüche (Urlaubsfreistellung) zwar differenziert wurden, aber der gleichen Verfallfrist zugeordnet worden sind. An Freistellungsansprüchen wird hier nur der Urlaub genannt, nicht ein möglicher Freistellungsanspruch aus Mehrarbeit, nicht ein Freistellungsanspruch für Eheschließung, Niederkunft, Silberhochzeit etc. (§ 16 MTV 1996) und nicht ein Freistellungsanspruch aus geleisteten Spätöffnungs-Arbeitszeiten.
130Schließlich verfallen sechs Monate nach Fälligkeit nach derjenigen Tarifnorm, welche zuvor noch zwischen Freistellungsansprüchen und Zahlungsansprüchen unterschieden hatte, alle übrigen aus Tarifvertrag und Arbeitsverhältnis entstandenen finanziellen Ansprüche. Das Wort „finanziellen“ ist keine zufällige Ausschmückung des Tariftextes. Ihm kommt vielmehr – auch aus dem systematischen Gesichtspunkt – eine regulatorische Bedeutung zu. Wegen dieses Wortes sind unstreitig nicht von der Verfallsvorschrift erfasst (von der Beklagten ausdrücklich benannt): Ansprüche auf Erteilung eines Zeugnisses, einer Lohnabrechnung oder einer elektronischen Steuerbescheinigung, sowie Ansprüche im Zusammenhang mit Wettbewerbsverboten und dies, obwohl diesen Ansprüchen durchaus ein wirtschaftlicher Wert innewohnen kann, wie er sich schon aus den unterschiedlich hohen Streitwerten nach dem Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit ergibt. Trotz des denkbaren wirtschaftlichen Wertes (z.B.) eines Zeugnisses, der sich nach statistischer Analyse, Annahme eines Schadensersatzanspruches und Durchführung einer Schadensschätzung nach § 287 ZPO, also auf dem Umweg einer Bewertung, ergeben könnte, gilt der Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses, also der Anspruch auf den Realakt „Erstellung eines Dokuments mit einem bestimmten Inhalt“ auch nach richtiger Auffassung der Beklagten nicht als finanzieller Anspruch. Das ist wie bereits festgestellt in rechtlicher Hinsicht zwischen den Parteien nicht streitig und ohne weiteres einleuchtend. Wieso aber der Realakt „Arbeit“ oder der Nichtrealakt „Nichtarbeit“ demgegenüber ein finanzieller Anspruch sein soll, obwohl beides auch erst einer Bewertung bedarf, um sich irgendwie betragsmäßig niederschlagen zu können, bleibt ungeklärt. Weder aus den Erwägungen des Arbeitsgerichts noch aus denjenigen der Beklagten ergibt sich hierfür ein Anhaltspunkt. Wären Freistellungsansprüche ohne weiteres als finanzielle Ansprüche zu verstehen - wie gezeigt lässt das schon der Wortlaut nicht zu - dann bedürfte es weder der ausdrücklichen Regelung zu den Urlaubsfreistellungsansprüchen noch der ausdrückliche Spezifizierung der übrigen zu verfallenden Ansprüche als „finanziell“.
131Obwohl schon der Wortlaut der Verfallklausel aus § 24 Abs. 1 c MTV 1996 eine Anwendung auf Freistellungsansprüche verbietet, wird diese Nichtanwendbarkeit auch durch die Systematik des Tarifvertrages und die systematische Stellung der Klausel bestätigt.
132(3.) Auch der Zweck der Freistellungsregelung in § 7 Abs. 2 MTV spricht dafür, den Freistellungsanspruch nicht als finanziellen Anspruch im Sinne der Verfallklausel zu betrachten. Auf diese teleologische Auslegungsmethode kommt es nach dem eindeutigen Wortlaut und dessen Bestätigung durch die Systematik des Tarifvertrages wie bereits erwähnt eigentlich nicht mehr an. Sie bestätigt aber ebenfalls das Ergebnis.
133Arbeitszeitrecht ist Gesundheitsschutzrecht. Das ergibt sich aus § 1 ArbZG und der europäischen RL 2003/88/EG. Der Gesundheitsschutz kann gewährleistet werden mit einer Verteuerung spezifischer Arbeitszeit durch einen finanziellen Entgeltzuschlag, wie zum Beispiel bei der Nachtarbeit nach § 6 Abs. 5 ArbZG in der Hoffnung, dass der Arbeitsgeber wegen der gesetzlich angeordneten Verteuerung der Arbeitsleistung die Anordnung unterlässt oder jedenfalls begrenzt. Das Ziel bleibt aber die Verhinderung der spezifischen (Spät-, Nacht-, Feiertags-, Mehr-)Arbeitszeit. Ordnet also eine Tarifnorm an, dass grundsätzlich Freistellung zu gewähren ist (und eben nicht Verteuerung durch finanzielle Abgeltung), so verlangt die Tarifnorm direkt die Verwirklichung des Ziels (Freistellung von der Belastung durch Arbeit) und nicht nur ein Mittel auf dem Weg dorthin (Verteuerung durch Entgelt-Zuschlag). Diesem Ziel des Gesundheitsschutzes trägt auch die hier streitgegenständliche Ausschlussfrist des § 24 MTV 1996 Rechnung, indem sie den Gesundheitsschutz (die Freistellung) ihrem Wortlaut nach vor einem möglichen Verfall schützt.
134(4.) Die vom Arbeitsgericht zitierten Entscheidungen des 4. und des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichts sind für den vorliegenden Fall oder für die konkrete, sich hier stellende Frage, ob nämlich mit den „finanziellen Ansprüchen“ nach § 24 Abs. 1 c MTV 1996 auch Freistellungsansprüche gemeint sein könnten, nicht hilfreich. Keines der besagten Urteile betrifft den hier auszulegenden Tarifvertrag. Keines der besagten Urteile betrifft eine vergleichbare Ausschlussklausel. In keinem der besagten Urteile wird zu Lasten der anspruchsstellenden Beschäftigten ein Freistellungsanspruch mit einem Entgeltanspruch oder einem finanziellen Anspruch gleichgesetzt:
135Im Urteil des BAG vom 21.03.2012 - 6 AZR 560/10 - ging es um eine angestellte Lehrerin in Altersteilzeit mit einer vertraglichen Verpflichtung zur Leistung von Mehrarbeit, die „in den folgenden 3 Monaten durch entsprechende Freizeit auszugleichen“ ist. Die Lehrerin hatte eine Gutschrift von zusätzlichen 2,7 Stunden auf ihrem Arbeitszeitkonto für die Teilnahme an einer Klassenfahrt verlangt. Mit ihrer Klage hatte sie „mangels einer Anspruchsgrundlage“ keinen Erfolg mit der stichwortartig zusammengefassten Begründung, es bestehe kein Anspruch aus einer Landes-Arbeitszeitverordnung für Lehrer, aus dem TV-L oder aus einem „Flexi-Erlass“, weil alle diese Regelungen ausdrücklich entweder auf Lehrkräfte oder auf Klassenfahrten keine Anwendung fänden. Auch aus einer vertraglichen Abrede über die Führung eines Arbeitszeitkontos bestehe kein Anspruch, weil die Führung eines Arbeitszeitkontos vertraglich nicht vereinbart worden sei. Jedenfalls ergebe sich eine solche Vereinbarung nicht aus den Worten „in den folgenden 3 Monaten durch entsprechende Freizeit auszugleichen“. Der vom Arbeitsgericht zitierte Satz in Rn. 21 des BAG-Urteils „Ein Arbeitszeitkonto gibt nämlich den Umfang der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit wieder und drückt damit – in anderer Form – seinen Vergütungsanspruch aus“ steht hier ohne jeden Zusammenhang, jedenfalls nicht mit Blick auf die Qualifikation des Freistellungsanspruchs als finanzieller Anspruch. Er erscheint in der Struktur der Entscheidungsgründe eher als ein Hinweis auf die Tatsache, dass die Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos mehr bedeutet, als lediglich die Vereinbarung, Mehrarbeit „durch entsprechende Freizeit auszugleichen“. Übrigens heißt es dort in der folgenden Randnummer: „Der Freizeitausgleich erfolgt durch die Reduzierung der Sollarbeitszeit“. Dass ein Freistellungsanspruch einen finanziellen Anspruch darstellt, der nach § 24 Abs. 1 c des MTV 1996 6 Monate nach Fälligkeit verfällt, ergibt sich aus dieser Entscheidung jedenfalls nicht.
136Im Urteil des BAG vom 28.07.2010 - 5 AZR 521/09 - stritten die Parteien über die Auszahlung eines Guthabens auf einem Arbeitszeitkonto nach § 3 Nr. 1.43 BRTV-Bau. Es ging also um die Zahlung eines Geldbetrages. Die Ausschlussklausel in § 15 BRTV-Bau lautet auszugsweise: „alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht …“. Als „Bestandteil der Lohnabrechnung“ hatte die dortige Arbeitgeberin auf einem mit der Lohnabrechnung für einen konkreten Monat übergebenen Zusatzblatt einen Arbeitszeitkontostand von 90 Stunden mitgeteilt. Bei einer Umstellung der Abrechnungsmodalitäten (Zusammenführung von Lohnabrechnung und Zusatzblatt) „verschwanden“ diese 90 Stunden im folgenden Monat. Erst knappe 2 Jahre später hat der dortige Kläger die Abgeltung der 90 Stunden zu je 12,50 EUR verlangt. Der 5. Senat gab dem Kläger in seiner Auffassung Recht, dass der Anspruch nicht verfallen sei, weil die Arbeitgeberin mit der Ausweisung der 90 Stunden auf dem Zusatzblatt die Zahl der vorgeleisteten Stunden seinerzeit streitlos gestellt habe. So wie eine einmal schriftlich streitlos gestellte Lohnforderung nicht mehr erneut geltend gemacht werden müsse, verhalte es sich auch mit der auf dem Arbeitszeitkonto dokumentierten vorgeleisteten Arbeitszeit. Der vom Arbeitsgericht zitierte Satz in Rn. 13 und 19 des BAG-Urteils „Ein Arbeitszeitkonto gibt nämlich den Umfang der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit wieder und drückt damit – in anderer Form – seinen Vergütungsanspruch aus“ steht hier als Begründung einer zu Gunsten des klagenden Arbeitnehmers einschränkenden Auslegung der Verfallklausel. Nach dem Wortlaut der tariflichen Ausschlussfrist „Alle beiderseitigen Ansprüche …“ war der Anspruch nämlich verfallen, da er weder schriftlich geltend gemacht noch gerichtlich fristgerecht eingeklagt worden war. Der 5. Senat hat hier an seine ständige Rechtsprechung angeknüpft, dass ein einmal schriftlich bestätigter Anspruch nicht noch einmal geltend gemacht oder gar überstürzt eingeklagt werden muss und er hat diesen Gedanken – wegen der ähnlichen wirtschaftlichen Charakteristik und der gleichen Interessenkonstellation - auf die schriftliche Mitteilung des Arbeitszeitkontostandes übertragen. Dass ein Freistellungsanspruch einen finanziellen Anspruch darstellt, der nach § 24 Abs. 1 c des MTV 1996 6 Monate nach Fälligkeit verfällt, ergibt sich aus dieser Entscheidung gleichfalls nicht.
137Im Urteil des BAG vom 10.11.2010 - 5 AZR 766/09 - ging es um einen Sachverhalt, der mit dem vorliegenden tatsächlich eine Gemeinsamkeit hat: Im Laufe des beiderseitig tarifgebundenen Arbeitsverhältnisses ist der dortige Arbeitgeber aus der Tarifbindung ausgeschieden. Hier enden jedoch die Gemeinsamkeiten. Im dortigen Sachverhalt sah der bis dahin geltende Tarifvertrag eine Wochenarbeitszeit von 35 Stunden vor. Die naheliegende Frage, ob dieser Tarifvertrag nachwirkte, hat der 5. Senat offengelassen, bzw. die Nachwirkung zu Gunsten des dortigen Klägers unterstellt. Die Parteien hatten nämlich dort eine - vor dem Hintergrund der nachwirkenden 35-Stunden-Regelung fragwürdige - neue arbeitsvertragliche Regelung vereinbart, der zufolge die Wochenarbeitszeit 40 Stunden betrage; weiter solle die über das zulässige Zeitguthaben hinausgehende Mehrarbeit als mit der Bruttomonatsvergütung abgegolten und am Monatsende als verfallen gelten. Mit seiner Klage hatte der Kläger eine die Arbeitszeitkonto-Gutschrift von wöchentlich 5 Stunden für gut zwei Jahre, insgesamt 600 Stunden, gefordert. Beim 5. Senat hatte er damit keinen Erfolg. Es fehle nämlich (mal wieder) „an einer Anspruchsgrundlage“. Nach dem Arbeitsvertrag führe nur die über die vereinbarte Wochenarbeitszeit hinaus geleistete Arbeit zum Aufbau des Zeitguthabens. Vereinbart seien 40 Stunden, nicht 35. Der Kläger habe seine arbeitsvertraglich versprochene Vergütung für 40 Wochenstunden erhalten. Stunden, die nach der arbeitsvertraglichen Vereinbarung auf das Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden müssten, seien also nicht geleistet worden. Ob die so vergüteten 40 Stunden den Stundenlohn des möglicherweise ebenfalls nachwirkenden Lohntarifvertrages verletzen, ließ der 5. Senat mangels entsprechenden Vortrages der Parteien offen. Kern dieses Urteils ist die Erkenntnis, dass Mehrarbeit – ob sie nun als Freistellungsanspruch im Arbeitszeitkonto verbucht oder in Geld abgegolten werden soll – nur dann anzunehmen ist, wenn für das vertraglich versprochene Entgelt mehr gearbeitet wurde, als versprochen worden ist, denn „ein Arbeitszeitkonto gibt […] den Umfang der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit wieder und drückt damit – in anderer Form – seinen Vergütungsanspruch aus“. Mehr, als dass die Arbeitsleistung und das Arbeitsentgelt im Synallagma stehen, dass also das eine geleistet wird, um das andere zu bekommen, scheint der 5. Senat hier nicht zum Ausdruck gebracht zu haben. Dass ein Freistellungsanspruch einen finanziellen Anspruch darstellt, der nach § 24 Abs. 1 c des MTV 1996 6 Monate nach Fälligkeit verfällt, ergibt sich auch aus dieser Entscheidung nicht.
138In einem weiteren - vom Arbeitsgericht nicht zitierten - Urteil des 5. Senats vom 26.01.2011 - 5 AZR 819/09 - kommt der zitierte Satz unter Bezugnahme auf die hier soeben dargestellten Entscheidungen erneut vor, allerdings mit einer überraschenden, weil erstmalig eingefügten Einschränkung (Unterstreichung nur hier): „Ein Arbeitszeitkonto gibt den Umfang der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit wieder und kann abhängig von der näheren Ausgestaltung in anderer Form den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers ausdrücken“.
139Die erkennende Kammer hat in ihre Entscheidung vom 10.10.2019 – 6 Sa 151/19 – unter Hinweis auf den Wortlaut der Vorschrift („finanzielle Ansprüche“), die dort geltend gemachten Freistellungsansprüche als gemäß § 24 Abs. 1 c MTV 1996 nicht verfallen erkannt. Vorstehend wurde darüber hinaus zur Bestätigung des Wortlauts auf Systematik, Sinn und Zweck eingegangen. Die 2. Kammer des Arbeitsgerichts vertritt entgegen der Entscheidung der erkennenden Kammer vom 10.10.2019 die gegenteilige Auffassung mit den hier noch einmal zitierten Worten: „Ein Arbeitszeitkonto gibt nämlich den Umfang der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit wieder und drückt damit – in anderer Form – seinen Vergütungsanspruch aus.“ Dieser schon vom Wortlaut der Tarifnorm abweichenden Erkenntnis fehlt jede Begründung und ist, wie sich gezeigt hat, falsch.
140Nur in dem Umfang, in dem die Berufung beschränkt worden war und soweit die mit 40% Zuschlag geltend gemachten Arbeitszeiten mit nur 20 % Zuschlag zu berücksichtigen waren, war die Klage „im Übrigen“ abzuweisen. Das gleiche hatte mit der Berufung zu geschehen.
1413. Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus § 611 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag und § 7 Abs. 2 MTV 1996 einen Anspruch darauf, dass ihrem Arbeitszeitkonto als Zeitgutschrift für die im Jahre 2017 geleistete Spätöffnungsarbeit 49,3 Stunden gutgeschrieben werden und dass der Saldo des Arbeitszeitkontos unter Berücksichtigung dieser Gutschrift korrigiert wird. Der Anspruch ist entstanden und er ist nicht verfallen. Als Begründung wird auf die Ausführungen zum Tenor zu I 2. verwiesen.
1424. Das Vorgesagte gilt entsprechend für die Spätöffnungszuschläge aus dem Jahre 2018.
1435. Das Vorgesagte gilt entsprechend für die Spätöffnungszuschläge aus dem Jahre 2019.
1446. Soweit mit diesem Berufungsurteil geringere Freistellungsansprüche zugesprochen wurden, als sie beantragt worden waren, war die Klage mit dem Tenor zu I 6 im Übrigen abzuweisen. Wie im Rahmen der Begründung zu den Ansprüchen auf Spätöffnungszuschläge aus dem Jahre 2016 erläutert, folgt die Reduzierung der beantragten Zeitzuschlägen - neben kleineren Rechenkorrekturen - aus der Tatsache, dass es den 40%-Zuschlägen an einer Begründung fehlt und die mit 40 % berücksichtigten Zeit nur mit einem Zuschlag von 20 % zu berechnen waren.
145III. Nach allem war auf die Berufung die klageabweisende erstinstanzliche Entscheidung abzuändern und der Klage in dem vorbesagten Umfang stattzugeben. Soweit mit der Berufung Spätöffnungszuschläge in höherem Maße begehrt worden waren, war die Berufung im Übrigen zurückzuweisen.
146IV. Als unterliegende Partei hat die Beklagte gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen; der Umfang der Klageabweisung ist verhältnismäßig geringfügig und war daher nicht in einer Kostenquote zu berücksichtigen.
147Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht. Es geht hier um die Auslegung eines auf das Gebiet Nordrhein-Westfalens begrenzten Tarifvertrages, der vor 18 Jahren durch einen neuen Tarifvertrag abgelöst worden war und hier nur noch aufgrund des Austritts der Beklagten aus der Tarifbindung in der Nachwirkung zur Anwendung kommt. Eine Divergenz ist nicht ersichtlich, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt sich nicht.