Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Zur Diskriminierung eines verhältnismäßig jungen Piloten durch eine tarifliche Regelung, die die Anzahl von jährlichen Sonderurlaubstagen vom Alter der Piloten abhängig macht.
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 30.11.2020 – 4 Ca 8237/19 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um Sonderurlaubsansprüche und dabei insbesondere um die Frage, ob der Kläger durch den einschlägigen Tarifvertrag, der die Anzahl der Sonderurlaubstage vom Alter der Beschäftigten abhängig macht, diskriminiert wird und ob er deshalb einen Anspruch auf „Angleichung nach oben“ hat.
3Die Wirkung der streitigen tarifvertraglichen Regelung wurde von den Tarifparteien zumindest für das Jahr 2021 ausgesetzt. Im Streit stehen daher nur die nicht verjährten und nicht verfallenen Ansprüche aus den Jahren 2019 und 2020. Nach dem Verständnis des insofern rechtskräftigen Urteils des Arbeitsgerichts verfallen nämlich die Ansprüche auf Sonderurlaub, wenn der Sonderurlaub nicht im jeweils laufenden Jahr beantragt worden ist.
4Der Kläger ist am 1966 geboren und seit dem 04.10.1996 bei der Beklagten als Flugzeugführer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet seit dem 01.01.2018 der für die Berufungsinstanz nur noch relevante Manteltarifvertrag Nr. 5 c für das Cockpitpersonal (MTV Nr. 5c) Anwendung. Dieser Manteltarifvertrag enthält Regelungen zu Sonderurlaubsansprüchen des Cockpitpersonals, deren Umfang jeweils nach dem Lebensalter gestaffelt ist. Für die Zeit ab dem 01.01.2019 gilt für den Sonderurlaub folgende Regelung der Protokollnotiz I des MTV Nr. 5c (Unterstreichungen nur hier):
5„Cockpitmitarbeiter haben nach Vollendung des 40. Lebensjahres Anspruch auf Sonderurlaub. Die Tarifparteien halten eine altersbezogene Differenzierung hinsichtlich der Gewährung von Sonderurlaub nach der unterstehenden Tabelle vor dem Hintergrund der mit zunehmendem Alter einhergehenden oder empfundenen höheren Belastung im Zusammenhang mit der Arbeit als Cockpitmitarbeiter für angemessen und erforderlich, um dem legitimen Ziel, diesen Belastungen durch zusätzlichen Freizeitausgleich ausreichend Rechnung zu tragen, zu begegnen.
6Der Anspruch auf Sonderurlaub für das jeweilige Lebensjahr richtet sich nach der nachfolgenden Tabelle und ist pro rata für das jeweilige Kalenderjahr zu beantragen und zu gewähren, wobei die Lage des Sonderurlaubs im Kalenderjahr unabhängig vom jeweiligen Geburtstag ist. Bei anteiligen Berechnungen des Kalenderjahresanspruchs wird der aus dem beginnenden Lebensjahr stammende erste Bruchteil auf ganze Tage aufgerundet. Der im folgenden Kalenderjahr zu gewährende zweite Bruchteil des gleichen Lebensjahres ergibt sich dementsprechend aus dem um den bereits im vorigen Kalenderjahr gewährten Bruchteil reduzierten Gesamt-Lebensjahresanspruch. Der Anspruch auf Sonderurlaub wird unter Fortzahlung der Vergütung gemäß § 5 Abs. (1) UAbs. 1 a), b), d) bzw. § 5 Abs. (1) UAbs 2 a), d), b) oder e) oder f) oder g) oder h) gewährt; § 5 Abs. (3) gilt entsprechend.
7Der Anspruch auf freie Tage wird zeitanteilig verringert. Die Mitarbeiter haben keinen Anspruch auf Abgeltung oder auf Übertragung des für das Kalenderjahr errechneten Sonderurlaubs über das jeweilige Kalenderjahr hinaus.
8Vollendetes Lebensjahr Sonderurlaubstage
964 35
1063 35
1162 35
1261 35
1360 35
1459 35
1558 28
1657 28
1756 21
1855 21
1954 8
2053 8
2152 8
2251 8
2350 7
2449 6
2548 5
2647 5
2746 4
2845 4
2944 3
3043 3
3142 2
3241 2
3340 1
34Eine leistungs- und bezahlungswirksame Anrechnung von Flugstunden gemäß § 4, 3. Abschnitt Abs. (4) bzw. § 9 Buchstabe C. c) findet erst ab Vollendung des 55. Lebensjahres statt.“
35Dabei bedeutet „leistungs- und bezahlungswirksame Anrechnung“, dass der Sonderurlaub so zu behandeln ist, als sei Arbeitsleistung erbracht worden. Auf diese Weise können (trotz Nichtarbeit während des Sonderurlaubs) Ansprüche auf Mehrarbeitsvergütung entstehen, wie sie der Kläger im vorliegenden Verfahren für das Jahr 2019 in rechnerisch unstreitiger Höhe geltend gemacht hat und die Gegenstand des Tenors zu 1 des mit der Berufung der Beklagten angegriffenen arbeitsgerichtlichen Urteils sind.
36Im März 2019 erhielt der Kläger, der zu diesem Zeitpunkt 52 Jahre alt war, 8 Tage Sonderurlaub; eine leistungs- und bezahlungswirksame Anrechnung von Flugstunden erfolgte nicht. Die Beklagte rechnete auf dieser Grundlage für den Monat März 2019 insgesamt 66,38 tatsächlich geleistete Flugstunden des Klägers ab. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 15.10.2019 machte der Kläger gegenüber der Beklagten erstmals geltend, dass die Sonderurlaubsstaffelung nach seiner Auffassung altersdiskriminierend sei und die Beklage ihn mit Blick auf die Sonderurlaubsansprüche so zu behandeln habe, als sei er mindestens 59 Jahre alt. Die Beklagte war nicht bereit, diesem Antrag nachzukommen.
37Mit der seit dem 17.12.2019 anhängigen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und zwar für die Vergangenheit ab dem Jahre 2016 und für die Zukunft bis zum Jahre 2025. Wegen der rechtskräftigen Abweisung der Klage im Übrigen ist für die Berufungsinstanz nur noch sein Antrag auf Vergütung von Mehrflugstunden im Jahre 2019 sowie seine Anträge auf Gewährung von Sonderurlaub und dessen leistungs- und bezahlungswirksamer Berücksichtigung für die Jahre 2019 und 2020 Gegenstand des Rechtsstreits.
38Der Kläger hat zur Begründung seiner Klage geltend gemacht, die altersabhängige Staffelung der Sonderurlaubstage sei nach seiner Auffassung gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam, da sie jüngere Arbeitnehmer unmittelbar benachteilige, ohne dass eine Rechtfertigung im Sinne des § 8 AGG oder des § 10 AGG gegeben sei. Es fehle bereits an einem legitimen Ziel i.S.d. § 10 AGG. Weder stehe die Anzahl der Urlaubstage in einem Verhältnis zur Flugsicherheit noch zu einem mit dem Alter steigenden Erholungsbedürfnis. Nach der Feststellung der Altersdiskriminierung komme hier nur eine „Anpassung nach oben“ in Betracht. Ihm stünden also für die Jahre 2019 und 2020 jährlich 35 Sonderurlaubstage zu (unter Berücksichtigung der für das Jahr 2019 bereits gewährten Tage). Selbst wenn ein legitimes Ziel unterstellt werde, sei es jedenfalls nicht gerechtfertigt, die leistungs- und bezahlungswirksame Anrechnung von Flugstunden gemäß § 4 3. Abschnitt Abs. 4 bzw. § 9 Buchstabe C. c) von der Vollendung des 55. Lebensjahres abhängig zu machen.
39Der Kläger hat beantragt,
401. festzustellen, dass ihm für das Jahr 2016 42 Sonderurlaubstage zustehen und diese leistungs- und bezahlwirksam in Höhe von insgesamt 23.870,13 EUR brutto abzurechnen sind;
412. festzustellen, dass ihm für das Jahr 2017 42 Sonderurlaubstage zustehen und diese leistungs- und bezahlwirksam in Höhe von insgesamt 24.149,47 EUR brutto abzurechnen sind;
423. festzustellen, dass ihm für das Jahr 2018 42 Sonderurlaubstage zustehen und diese leistungs- und bezahlwirksam in Höhe von insgesamt 24.927,72 EUR brutto abzurechnen sind;
434. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.206,47 EUR brutto als Mehrflugstundenvergütung für März 2019 zu zahlen;
445. festzustellen, dass ihm für das Jahr 2019 weitere 27 Sonderurlaubstage zustehen und diese leistungs- und bezahlwirksam in Höhe von insgesamt 15.147,22 EUR brutto abzurechnen sind;
456. festzustellen, dass ihm in den Jahren 2020 bis einschließlich 2025 jährlich insgesamt 35 Sonderurlaubstage zustehen und diese Sonderurlaubstage leistungs- und bezahlwirksam abzurechnen sind.
46Die Beklagte hat beantragt,
47die Klage abzuweisen,
48Zur Begründung ihres Abweisungsantrages hat die Beklagte die Auffassung vertreten, die tarifvertraglichen Regelungen zum Sonderurlaub seien nicht altersdiskriminierend, weil die Differenzierung sachlich gerechtfertigt sei. Dabei sei besonders zu berücksichtigen, dass die Differenzierung nicht nur über das Alter erfolge sondern auch über die Art der Tätigkeit; der Anspruch auf Sonderurlaub bestehe nämlich nicht für alle Beschäftigten, sondern nur für die Beschäftigten im Cockpit. Diese tätigkeitsbezogene Konkretisierung unterscheide den vorliegenden Fall von den bereits vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Sachverhalten. Nur für diese eine Personengruppe seien die Tarifparteien davon ausgegangen (wie es in der Protokollnotiz ausdrücklich heiße), dass eine altersbezogene Differenzierung hinsichtlich der Gewährung von Sonderurlaub vor dem Hintergrund der mit zunehmendem Alter einhergehenden oder empfundenen höheren Belastungen im Zusammenhang mit der Arbeit des Cockpitpersonals angemessen und erforderlich sei, um ein legitimes Ziel zu erreichen, nämlich die Belastung durch zusätzlichen Freizeitausgleich ausreichend Rechnung zu tragen. Nach ihrer Auffassung folge aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch, dass die Tarifparteien ihr Differenzierungsziel nicht ausdrücklich nennen müssten, sich dieses vielmehr aus dem Kontext ergeben könne. Ihre Auffassung werde gestützt durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 13.09.2011 (C-447/09). Denn nach den dortigen Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes sei es bei Verkehrspiloten wesentlich, dass sie über besondere körperliche Fähigkeiten verfügten, da körperliche Schwächen beträchtliche Konsequenzen hätten. Diese Fähigkeiten nähmen unbestreitbar mit zunehmendem Alter ab. Vor diesem Hintergrund sei die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters sowohl nach § 8 Abs. 1 AGG als auch nach § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt.
49Werde eine Altersdiskriminierung unterstellt, so käme jedenfalls als Rechtsfolge keine „Anpassung nach oben“ in Betracht. Denn wenn die Beklagte verpflichtet sei, jedem ihrer ca. 5000 Cockpitmitarbeiter, statt 34 Urlaubstagen 77 Tage im Jahr zu bewilligen, wäre ihr eine Bereederung der Flugzeuge nicht mehr möglich.
50Das Arbeitsgericht Köln hat mit dem Urteil vom 30.11.2020 die Klage teilweise abgewiesen, nämlich hinsichtlich der Anträge, die die Zeit vor dem Jahre 2019 betreffen, und hinsichtlich des Feststellungsantrages für die Jahre 2020 bis 2025, soweit dessen Gegenstand die Ansprüche für die Zeit ab dem Jahre 2021 waren. Dies geschah mit der Begründung, dass die Ansprüche aus der Vergangenheit – soweit sie bestünden – aufgrund der tarifvertraglichen Verfallklausel verfallen seien und dass es dem in die Zukunft gerichteten Feststellungsantrag an einem Feststellungsinteresse fehle. Da der Kläger kein Rechtsmittel eingelegt hat, ist dieser klageabweisende Teil des Urteils nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens.
51Stattgegeben hat das Arbeitsgericht den Anträgen des Klägers betreffend die Jahre 2019 und 2020, mit denen der Kläger die Gewährung von Sonderurlaub von 35 Tagen jährlich sowie deren leistungs- und bezahlwirksame Berücksichtigung begehrt hatte. Dem folgend hat es auch der Klage auf Zahlung der Mehrarbeitsvergütung für das Jahr 2019 entsprochen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Sonderurlaubsregelung in Nr. 14 der Protokollnotiz verstoße mit seiner unmittelbaren Benachteiligung jüngerer Beschäftigter gegen das Diskriminierungsverbot in §§ 1, 3 AGG. Die Benachteiligung wegen des Alters sei sachlich nicht nach den Regelungen in den §§ 8, 10 AGG gerechtfertigt und die benachteiligende Regelung sei daher gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Soweit die Beklagte trotz Geltendmachung durch den Kläger die Gewährung der Sonderurlaubstage verweigert habe, entstehe ein Schadensersatzanspruch in gleichem Umfang. Es müsse folglich eine „Anpassung nach oben“ stattfinden.
52Gegen dieses ihr am 14.01.2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25.01.2021 Berufung eingelegt und hat diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 14.04.2021 begründet.
53Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung vor, entgegen der Auffassung des Klägers und des Arbeitsgerichts sei die Ungleichbehandlung bei der Bemessung des Sonderurlaubs nach §§ 8, 10 AGG sachlich gerechtfertigt. Dem vom EuGH benannten Umstand, dass nämlich das Vorhandensein besonderer körperlicher Fähigkeiten als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für Pilotinnen und Piloten anzusehen sei, hätten die Tarifparteien mit der streitgegenständlichen Urlaubsregelung Rechnung getragen. Die Tarifparteien hätten eine Regelung geschaffen, mit der das Vorhandensein der besonderen körperlichen Fähigkeiten auch im fortschreitenden Alter sichergestellt werden soll, indem ein nach Alter gestaffelter Freizeitausgleichanspruch zur Erholung gewährt werde. Die streitige tarifliche Regelung knüpfe an die Art der auszuübenden Tätigkeit an, indem nur für Cockpitmitarbeiter eine solche Regelung existiere und für keine andere Beschäftigtengruppe. Die Entscheidung des 9. Senats (BAG v. 11.12.2018 – 9 AZR 161/18), auf die das Arbeitsgericht Bezug nehme, stelle im dortigen Sachverhalt auf die Tatsache ab, dass die dortige Urlaubsregelung gerade nicht an die Art der auszuübenden Tätigkeit oder die Bedingungen ihrer Ausübung anknüpfe. Das genau aber sei hier der Fall: Nur die Cockpitbeschäftigten hätten einen tariflichen Anspruch auf Sonderurlaub. Das Arbeitsgericht lasse darüber hinaus eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vermissen. Dass schon ab dem 40. Lebensjahr Flugzeugpiloten ein erhöhtes Erholungsbedürfnis hätten, ergebe sich bereits aus der einschlägigen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Jedenfalls sei die hier streitige Regelung nach § 5 AGG gerechtfertigt, denn es handele sich um eine positive Maßnahme mit der nur Nachteile ausgeglichen werden sollten, die aufgrund eines in § 1 AGG genannten Merkmals entstanden seien, hier die körperlichen Nachteile aufgrund des fortschreitenden Alters.
54Die Beklagte beantragt,
55das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 30.11.2020 – 4 Ca 8237/19 – abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
56Der Kläger beantragt,
57die Berufung zurückzuweisen.
58Er verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag. Nach seiner Auffassung sei die Berufung schon unzulässig, weil sie sich auf den bereits erstinstanzlich erbrachten Vortrag beschränke.
59Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
60E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
61Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
62I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO). Insbesondere ist die Berufung durch die Beklagte entgegen der Auffassung des Klägers hinreichend begründet worden; denn die Beklagte hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts in zwei konkreten Punkten angegriffen, nämlich zum einen zur Frage der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung und zum anderen zur Frage, ob die „Angleichung nach oben“ die richtige Rechtsfolge sein könne. Ihre vom Urteil des Arbeitsgerichts abweichende Auffassung hat sie auch begründet, ohne sich auf pauschale Leerformeln zu beschränken.
63II. Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg, denn das Arbeitsgericht hat der Klage mit Blick auf die für die Jahre 2019 und 2020 vom Kläger geltend gemachten Ansprüche mit zutreffender Begründung und richtigem Ergebnis stattgegeben.
641. Den rechnerisch unstreitigen Anspruch auf Sonderurlaub für die Jahre 2019 (weitere 27 Sonderurlaubstage) und 2020 (insgesamt 35 Sonderurlaubstage), den der Kläger mit den Anträgen zu 4 und zu 6 geltend gemacht hatte, hat das Arbeitsgericht zutreffend als Schadensersatzanspruch auf Ersatz-Sonderurlaub hergeleitet aus den §§ 275 Abs. 1 und Abs. 4; 280 Abs. 1 und Abs. 3; 283 Satz 1; 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3; 287 Satz 2; 249 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag. Die durch die streitgegenständliche Altersstaffelung eingetretene unmittelbare Benachteiligung des Klägers entsprechend der §§ 1, 3 Abs. 1 AGG führt gemäß § 7 Abs. 2 AGG zur Unwirksamkeit der Differenzierung und dem folgend (und entsprechend der genannten Normenkette) zu einer Anpassung des tariflichen Anspruchs „nach oben“, also zu dem für den Arbeitnehmer günstigsten Ergebnis. Dies alles ist rechtlich und tatsächlich zwischen den Parteien weitgehend unstreitig. Insbesondere streiten die Parteien nicht über die evidente Tatsache, dass es durch die hier zu betrachtende Altersstaffelung zu einer unmittelbaren, unterschiedlichen Behandlung zum Nachteil des Klägers gekommen ist. Gestritten wird in der Berufungsinstanz nur noch über die Frage, ob die durch die Altersstaffelung eingetretene unmittelbare unterschiedliche Behandlung des Klägers nach den Regelungen in §§ 8, 10 oder 5 AGG gerechtfertigt sein könnte und ob im Falle der fehlenden Rechtfertigung eine andere Rechtsfolge in Betracht kommen könnte als die vom Arbeitsgericht vorgenommene Angleichung „nach oben“. Beide Fragen sind zu verneinen. Das gilt auch für die nachfolgende Frage, ob die Leistungs- und Bezahlwirksamkeit der Sonderurlaubstage wirksam vom Erreichen des 55. Lebensjahres abhängig gemacht werden kann.
65a. Die durch die Altersstaffelung erfolgte unmittelbare Benachteiligung des Klägers ist nicht nach §§ 8, 10 oder 5 AGG gerechtfertigt.
66(1.) Eine Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung des Klägers nach der Regelung in § 8 AGG kommt nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters oder wegen eines anderen Merkmals nach § 1 AGG zulässig, wenn das Alter, oder das andere Merkmal, wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.
67Zurecht weist die Beklagte zwar auf die Tatsache hin, dass es vorliegend um einen anderen Sachverhalt geht als in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11.12.2018 - 9 AZR 161/18 -. Dort konnte § 8 als Rechtfertigungsgrund mit der kurzen Begründung ausgeschlossen werden, die dort zu beurteilende tarifliche Urlaubsregelung differenziere nicht nach Tätigkeiten, sie könne deshalb nicht die „auszuübende Tätigkeit“ als Rechtfertigungsgrund heranziehen. Tatsächlich geht es demgegenüber bei der hier zu beurteilenden Tarifnorm um eine Regelung, die eine konkrete Tätigkeit betrifft, nämlich die Tätigkeit im Cockpit.
68Die Regelung in § 8 Abs. 1 AGG eignet sich aber aus einem anderen Gesichtspunkt nicht als Grundlage für eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung des jüngeren Klägers im Vergleich zu seinen älteren Kolleginnen und Kollegen. Vereinfacht ausgedrückt kann die Anforderung „Jung“ nach § 8 AGG eine Ungleichbehandlung zu Lasten der Alten rechtfertigen und die Anforderung „Alt“ eine Ungleichbehandlung zu Lasten der Jungen. Die Anforderung „Jung“ eignet sich aber nicht als Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung zu Lasten der Jungen. Die Struktur des Art. 4 Abs.1 der Richtlinie 2000/78 und dementsprechend die Struktur des § 8 Abs. 1 AGG zeigt sich besonders deutlich bei der Lektüre der von der Beklagten selbst herangezogenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 13.09.2011 (C-447/09 dort Rn. 65 ff). Es geht bei § 8 Abs. 1 AGG und der entsprechenden Regelung in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 um eine „Anforderung“ an eine Tätigkeit. Erfüllt eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer diese Anforderung nicht, dann kann eine unterschiedliche und für die oder den Betroffene/n ungünstige Behandlung gerechtfertigt sein (Beispiel: für die Rolle des Harry Potter mit der Anforderung „Gesicht und Habitus eines Adoleszenten“ kann die Nichtberücksichtigung eines Fünfzigjährigen Schauspielers gerechtfertigt sein und für die Rolle des Dumbledore mit der Anforderung „Gesicht und Habitus eines weisen Greises“ die Nichtberücksichtigung eines Zwanzigjährigen). Die Regelung in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 nahm in der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes deshalb einen hohen Raum ein, weil „die Tätigkeit“, nämlich die Tätigkeit im Cockpit, „besondere körperliche Fähigkeiten“ erforderte, umgangssprachlich also „Fitness“ und deshalb „Jungsein“, weil die Fitness bei den jungen Beschäftigten regelmäßig zu finden ist, die Fitness bei den älteren Beschäftigten regelmäßig abnimmt und es also um Fähigkeiten ging, die regelmäßig „altersabhängig“ sind. Es war dort zu klären, ob diese Anforderung möglichst fit, also möglichst jung zu sein bei Pilotinnen und Piloten, die das 60. Lebensjahr vollendet hatten, in einem Maße nicht mehr vorliegt, dass eine ungünstige Ungleichbehandlung der Alten gegenüber den Jungen, nämlich die zwingende Altersgrenze, gerechtfertigt sein könnte. Der EuGH ist in der besagten Entscheidung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Anforderung (möglichst fit, also möglichst jung) im Rahmen des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 Berücksichtigung finden könne, die Altersgrenze 60 aber zur Erreichung des Ziels nicht verhältnismäßig sei. Auf das durch § 1 AGG verpönte Merkmal „Alter“ fokussiert, ermöglicht die Regelung in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 und dementsprechend die Regelung aus § 8 Abs. 1 AGG die nachteilige Ungleichbehandlung einer jungen Person durch eine Anforderung, die ein hohes Alter voraussetzt; und die besagten Regelungen ermöglichen gleichermaßen die nachteilige Ungleichbehandlung einer alten Person durch eine Anforderung, die Jugend voraussetzt. Vorliegend macht die Beklagte aber etwas ganz anderes geltend: Hier soll die vom EuGH festgestellte Anforderung an die Tätigkeit im Cockpit möglichst fit und deshalb möglichst jung zu sein eine Regelung rechtfertigen, die nicht etwa die Alten sondern die Jungen nachteilig ungleich behandelt, indem sie den Jungen weniger Sonderurlaubstage zugesteht. Als Rechtfertigungsrund für die vorliegend streitige Ungleichbehandlung passt § 8 Abs. 1 AGG also nicht, insbesondere dann nicht, wenn man die vom EuGH in der besagten Entscheidung erkannte Anforderung an die Pilotentätigkeit zugrunde legt. Soweit die Beklagte also rügt, das Arbeitsgericht habe entscheidungserheblich versäumt, sich mit der EuGH-Rechtsprechung auseinanderzusetzen, tut sie dies vergeblich.
69(2.) Auch nach der Regelung in § 10 Abs. 1 Satz 1 AGG, die sich ausdrücklich mit der unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters befasst und die weitgehend dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 entspricht, kommt eine Rechtfertigung der unmittelbaren Ungleichbehandlung zulasten des Klägers nicht in Betracht. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 AGG muss die unterschiedliche Behandlung (aa) objektiv, (bb) angemessen und (cc) durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sein. Dabei müssen die Mittel zur Erreichung des Ziels (dd) angemessen und (ee) erforderlich sein. Vorliegend kann von einem legitimen, objektiven und angemessenen Ziel ausgegangen werden. Das von der Beklagten zur Erreichung des Ziels ergriffene Mittel ist aber, wie schon das Arbeitsgericht erkannt hat, nicht angemessen und es ist auch nicht erforderlich.
70(aa) Was in der Vorschrift mit dem Wort „objektiv“ gemeint ist, ist umstritten (vgl. dazu Brors in Däubler u.a. AGG § 10 Rn. 24 ff). Gemeint ist wohl, dass das Ziel nicht auf bloße Vermutungen zurückzuführen sein darf. Nach diesem Verständnis kann vorliegend von der Erfüllung des Tatbestandsmerkmals ausgegangen werden. Denn die allgemeine Annahme, es gebe mit zunehmendem Alter durch Arbeit eine erhöhte Gesundheitsbelastung bzw. ein erhöhtes Gesundheitsrisiko, aus dem sich dann das Bedürfnis nach einem erhöhten Ausgleich für die Belastung entfalten kann, ist nicht nur Vermutung, sondern Allgemeinwissen und von fast jeder Person jenseits der Altersgrenze 60 spürbar. Ein Sachverständigengutachten braucht es dafür nicht.
71(bb) Die normative Anforderung der „Angemessenheit“ bezieht sich nicht auf die Angemessenheit des Mittels (dazu später unter dd). Hier ist es das Ziel, das angemessen sein muss. Das ist dann der Fall, wenn das Ziel ebenso gewichtig erscheint, wie der Diskriminierungsschutz. Bei einem anzunehmenden weiten Spielraum der Tarifparteien wird man von der so verstandenen Angemessenheit des Ziels „Gesundheitsschutz“ oder, konkreter, des Ziels „Gesundheitsbelastungsausgleich“ ausgehen können.
72(cc) Legitim ist das Ziel im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 AGG, wenn es zur Verfolgung von Gemeinwohlinteressen gemeint ist, wenn es also nicht den Partikularinteressen einzelner Beschäftigter oder Beschäftigtengruppen dient. Nicht legitim in diesem Sinne wäre - hier ein überspitzten Beispiel - das Ziel, mit älteren Damen und Herren die Konzerthäuser zu füllen. Genauso wenig legitim, weil nicht an Gemeinwohlinteressen orientiert, wäre das Ziel, einen Ausgleich für die Nichtinanspruchnahme der Übergangsversorgung zu gewähren bei gleichzeitigem Ausgleich für jüngere Nachwuchspiloten wegen der zu deren Nachteil weiterhin besetzten Kapitänsstellen. Auch Flugsicherheit ist in diesem Sinne kein legitimes Ziel, weil es bei der Anwendung des § 10 AGG bzw. des Art. 6 der Richtlinie nach der Auffassung des EuGH (Urteil vom 13.09.2011 - C-447/09 – Rn. 77) nur um sozialpolitische Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und beruflicher Bildung gehen kann. Dazu gehört die Flugsicherheit nicht. Das Ziel Gesundheitsschutz oder Gesundheitsbelastungsausgleich ist danach aber legitim. Der (Tarif-)Normgeber gibt mit dem objektiven Ziel selbst den Prüfungsmaßstab vor, an dem er sich allerdings auch festhalten muss (Brors in Däubler u.a. AGG § 10 Rn. 30). Das ist hier nach dem ausdrücklich von den Tarifvertragsparteien gewählten Wortlaut in der Präambel der tariflichen Regelung „der mit zunehmendem Alter einhergehenden oder empfundenen höheren Belastung im Zusammenhang mit der Arbeit als Cockpitmitarbeiter … durch zusätzlichen Freizeitausgleich ausreichend Rechnung zu tragen.“ Schlagwortartig zusammengefasst geht es also um den „altersgerechten Gesundheitsbelastungsausgleich“.
73(dd) Allerdings ist das von den Tarifparteien zur Erreichung des so verstandenen Ziels ergriffene Mittel, nämlich das Versprechen von Sonderurlaubstagen nach der tariflichen Altersstaffelung, nicht angemessen. Angemessen kann das Mittel nur dann sein, wenn es geeignet ist, das legitime Ziel zu erreichen. Damit muss zunächst die von der Norm vorgenommene Gruppenbildung geeignet sein. Das ist sie vorliegend nicht. Es sind nämlich keine Tatsachen ersichtlich, und es sind von der Beklagten auch nicht in Andeutungen Indizien vorgetragen worden, aus denen sich aus dem Blickwinkel des Ziels des altersgerechten Gesundheitsbelastungsausgleichs eine Trennung der Gruppen „jünger als 40 Jahre / vollendete 40 Jahre und älter“ nachvollziehbar rechtfertigen ließe. Unaufgeklärt bleibt damit die Frage, welchen ausgleichsbedürftigen gesundheitlichen Belastungen die Pilotinnen und Piloten in ihren 40er Jahren ausgesetzt sein könnten und ob sich in diesem Lebensabschnitt die Pilotinnen und Piloten nicht vielmehr auf dem Gipfel ihrer Professionalität, Routine und Effektivität befinden. Entsprechend schwer verständlich sind mit Blick auf das von den Tarifparteien vorgegebene Gesundheitsziel die erheblichen Sprünge in der Altersstaffel, insbesondere der Sprung von 8 auf 21 Sonderurlaubstage mit der Gruppenbildung „jünger als 55 Jahre / vollendete 55 Jahre und älter“ und für der Sprung von 28 auf 35 Sonderurlaubstagen mit der Gruppenbildung „jünger als 59 Jahre / vollendete 59 Jahre und älter“. Insbesondere dass der Zeitpunkt für den großen Sprung von 8 auf 21 Sonderurlaubstage mit dem möglichen Beginn einer Übergangsversorgung zusammenfallen kann, vertieft nicht das Vertrauen in die Annahme, die Staffelung folge dem Bedürfnis nach einem Gesundheitsbelastungsausgleich. Die von den Tarifparteien vorgenommene Gruppenbildung lautet zunächst ausdrücklich „Cockpitmitarbeiter haben nach Vollendung des 40. Lebensjahres Anspruch auf Sonderurlaub“. Es wird also die Gruppe der Pilotinnen und Piloten bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres der Gruppe der Pilotinnen und Piloten ab Vollendung des 40. Lebensjahres gegenübergestellt. Dass diese Gruppenbildung nach dem oben Gesagten nicht geeignet ist, dass besagte Ziel zu erreichen, ist so evident, dass die erkennende Kammer von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absehen konnte und sich daher bewusst gegen die Einholung eines solchen Gutachtens entschieden hat. Die Beklagte trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die den Rechtfertigungstatbestand bedingen sollen; sie ist es, die gemäß § 138 Abs. 1 ZPO die Voraussetzungen des Rechtfertigungstatbestandes „vollständig“ (so der Wortlaut der Vorschrift) vorzutragen hat. Dazu gehört, dass sie konkretisierende Erklärungen abzugeben hat, wenn der Sachverhalt, den sie gerechtfertigt sehen möchte, derart auffällige Ungereimtheiten aufweist. Erst wenn sie hierzu wenigstens Andeutungen von Indizien vorträgt, ist das Ende der Darlegungsstation im Rahmen der prozessualen Prüfung des Sachverhalts in Sicht und erst dann kommt eine Beweisaufnahme zum Beispiel durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Betracht.
74(ee) Die Prüfung der Erforderlichkeit der Mittel konnte nach alledem dahingestellt bleiben. Bei der in diesem Zusammenhang zu beantwortenden Frage, ob die in Rede stehende Regelung nicht über das zur Erreichung des selbst gesetzten Ziels Erforderliche hinausgeht und die Interessen der Betroffenen nicht übermäßig beeinträchtigt, hätte sich die weitergehende Frage gestellt, ob nicht die gestaffelte Verlängerung von Ruhezeiten ein milderes Mittel hätte darstellen können.
75Nach alledem scheidet eine Rechtfertigung der ungleichen Behandlung nach der Regelung in § 10 Abs. 1 AGG aus.
76(3.) Eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung kann auch nach § 5 AGG nicht eintreten. Nach dieser Vorschrift ist ungeachtet der in den §§ 8 bis 10 AGG benannten Gründe eine unterschiedliche Behandlung auch zulässig, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollen. Dann müsste zur Rechtfertigung einer altersabhängigen Sonderurlaubs-Tagesstaffel als „bestehender Nachteil“ eine grundsätzlich stärkere Erholungsbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer angenommen werden (vgl. z.B. Bertelsmann, ZESAR 2005, 242, 245). Eine solche pauschale Argumentation, wonach ältere Arbeitnehmer generell erholungsbedürftiger sind, ist aber fragwürdig. Sie greift das Vorurteil vom „alten und müden“ Arbeitnehmer auf. Soweit es jedoch für konkrete Tätigkeiten stützende empirische Untersuchungen gibt, die einen Zusammenhang von Erholungsbedürftigkeit und Alter herstellen, kann eine Differenzierung gerechtfertigt sein. Voraussetzung ist aber dann, dass die Altersstufen den Belastungsanstieg widerspiegeln und nicht pauschal oder willkürlich gesetzt werden. Zu diesem Punkt gilt das zu § 10 AGG Gesagte entsprechend: Es fehlt jedenfalls an der Angemessenheit und Erforderlichkeit der Gruppenbildung und der mit „Gesundheitsschutz“ nicht erklärbaren Staffelsprünge um den 40., den 55. und den 59. Geburtstag der Pilotinnen und Piloten.
77b. Die Rechtsfolge der diskriminierenden Staffelung ist die Anpassung der Urlaubstage für den Kläger nach „oben“. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des 9. Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG v. 15.11.2016 – 9 AZR 534/15 –; BAG v. 20.3.2012 – 9 AZR 529/10 –). Da die Regelung nach § 7 AGG unwirksam und die Diskriminierung zwingend zu beseitigen ist, bleibt nur die Gewährung der wirksamen Regelung der Höchsturlaubstage. Zur weiteren Begründung wird Bezug genommen auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Köln in der angegriffenen Entscheidung (dort Seite 13). Es sind auch mit Blick auf die Berufungsbegründung keine Tatsachen ersichtlich, die eine Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des 9. Senats rechtfertigen könnten. Das gilt besonders für den Einwand, die Beklagte könne ihre Flugzeuge nicht mehr Bereedern, wenn alle Pilotinnen und Piloten gleichermaßen 35 Arbeitstage an Sonderurlaubsansprüchen hätten, denn diesem Szenario fehlt bereits die praktische Dramatik. Zurzeit ist die Regelung zur Gewährung von Sonderurlaub durch die Tarifparteien ausgesetzt worden. Die Flugzeuge müssen also bis auf weiteres nicht am Boden bleiben. Schadensersatzansprüche, wie sie hier der Kläger geltend gemacht hat, haben nur solche Pilotinnen und Piloten, die (wie der Kläger) die Anpassung nach oben bereits während des Jahres 2000 oder während eines der Jahre zuvor geltend gemacht hatten. Soweit ersichtlich ist die Zahl der Pilotinnen und Piloten, die diese Voraussetzungen erfüllen, gering. Die Tarifparteien und damit auch die Beklagte selbst - es handelt sich um einen Haustarif - hatten hier eine Regelung geschaffen, von der sie wussten, dass sie aus dem Blickwinkel des AGG einem hohen Risiko ausgesetzt war. Nicht anders ist die ausschweifende Präambel zu erklären, die mit wörtlichen Zitaten die Formulierungen aus §§ 8 und 10 AGG aufnimmt. Damit sind auch keine Tatsachen ersichtlich, die aus Gründen des Vertrauensschutzes oder wegen einer besonderen Härte ausnahmsweise eine Abweichung vom Grundsatz der Anpassung nach oben begründen könnten. Es ist in den Händen der Tarifparteien, die von ihnen bereits gesehene, zumindest aber befürchtete Rechtslage bei zukünftigen Regelungen berücksichtigen.
78c. Die Leistungs- und Bezahlwirksamkeit der Sonderurlaubstage kann aus den gleichen Gründen nicht wirksam vom Erreichen des 55. Lebensjahres abhängig gemacht werden und sind deshalb aus den gleichen Gründen nach oben anzupassen, also für alle Sonderurlaubsansprüche in allen Alterslagen zu gewähren. Hier geht es tatsächlich fast nur um Geld. Deshalb ist die Annahme, die Ungleichbehandlung könne aus Gesundheitsgründen gerechtfertigt sein, wenig naheliegend.
792. Aus dem Vorgesagten folgt, dass auch der geltend gemachte Anspruch auf Vergütung der Mehrflugstunden besteht, den der Kläger mit dem Klageantrag zu 4 geltend gemacht hatte und der für den hier eingetretenen Fall, dass die erkennende Kammer die begehrten Urlaubsansprüche zuspricht, rechnerisch unstreitig ist.
80III. Nach allem bleibt es somit bei dem Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung. Als unterliegende Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.