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Entschädigungsanspruch eines schwerbehinderten Stellenbewerbers - Einzelfall
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.11.2020 - 14 Ca 1497/20 – abgeändert und die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch des schwerbehinderten Klägers wegen einer Benachteiligung aufgrund seiner Behinderung anlässlich einer Stellenbewerbung.
3Wegen des gesamten erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 05.11.2020 Bezug genommen. Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 3.000,00 EUR nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe gegen das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG verstoßen. Wegen der unterbliebenen Einladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch lägen hinreichende Indizien vor, die eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Behinderung vermuten ließen. Die so gegebene Vermutung der Kausalität der Behinderung habe die Beklagte nicht widerlegt. Das diesbezügliche Vorbringen der Beklagten sei bis zuletzt nicht hinreichend substantiiert gewesen. Wegen der weiteren Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 84 ff. d. A.) Bezug genommen.
4Gegen dieses ihr am 17.11.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.12.2020 Berufung eingelegt und hat diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 01.03.2021 begründet.
5Die Beklagte trägt vor, sie habe die streitbefangene Stelle jeweils in den beiden Onlineportalen „S " und „K " ausgeschrieben. Vorgesehen gewesen sei hierfür bei S der Zeitraum vom 24.10.2019 bis 23.11.2019 und bei K der Zeitraum vom 28.10.2019 bis 27.11.2019. Die Personalentscheidung habe jedenfalls im alten Jahr noch getroffen werden sollen. Am 07.11.2019 habe sich herausgestellt, dass die Anzeige bei S wider Erwarten noch nicht veröffentlicht gewesen sei. Dies sei sodann unmittelbar veranlasst worden, woraufhin die Laufzeit der Veröffentlichung dort - anders als ursprünglich geplant - vom 07.11.2019 bis 07.12.2019 betragen habe.
6Die Beklagte trägt weiter vor, dass auf die Ausschreibungen in kurzer Zeit viele Bewerbungen erfolgt seien. Daher habe sie sich entschieden, das Bewerbungsverfahren bereits am 21.11.2019 zu schließen. Danach seien keine Bewerbungen mehr berücksichtigt worden. Zu diesem Zeitpunkt hätten bereits 39 Bewerbungen vorgelegen. Noch am 21.11.2019 seien von diesen Bewerbern vier Personen zu Vorstellungsgesprächen eingeladen worden, darunter auch der jetzige Stelleninhaber. Nach dem 21.11.2019 seien weitere 17 Bewerbungen eingegangen, die alle unterschiedslos mit identischem „Halteschreiben", das auch der Kläger erhalten habe, „abgesagt" worden seien. Bei diesem Sachverhalt sei die unterbliebene Einladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch nicht diskriminatorisch.
7Grund für die Schließung des Bewerberpools am 21.11.2019 sei gewesen, dass die kritische Belastungsgrenze für die Kammer erreicht gewesen sei und das Verfahren noch im Jahr 2019 habe abgeschlossen werden sollen.
8Die Beklagte beantragt,
9das Urteil des Arbeitsgerichts Köln - Az 14 Ca 1497/20 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
10Der Kläger beantragt,
11die Berufung zurückzuweisen.
12Der Kläger rügt zunächst, dass die Beklagte mit sämtlichem neuen Sachvortrag zum konkreten Umfang des Bewerbungsverfahrens in der Berufungsinstanz nach § 67 ArbGG präkludiert sei.
13Im Weiteren bestreitet der Kläger mit Nichtwissen, dass geplant gewesen sei, das Bewerbungsverfahren im Jahr 2019 abzuschließen und dass der eingestellte Bewerber noch im Jahr 2019 seine Tätigkeit aufgenommen habe. Gleiches gilt für die beklagtenseits behauptete Schließung des Bewerberpools zum 21.11.2019 und die Anzahl der danach noch eingegangenen Bewerbungen.
14Der Kläger wendet weiter ein, dass die Beklagte nach ihrem eigenen Vortrag, die Stellenausschreibungen nicht zum 21.11.2019 gestoppt habe. Dementsprechend hätte sie damit rechnen müssen, dass weitere Bewerbungen - wie die des Klägers - eingehen könnten. Weiter rügt er, dass die Beklagte in der Absage seiner Bewerbung auf den angeblichen Stichtag hätte hinweisen müssen. Nach allem sei nicht von einer widerlegten Indizienlage auszugehen.
15Hilfsweise macht der Kläger zweitinstanzlich erstmalig Schadenersatz in Höhe der anwaltlichen Prozesskosten von 768,27 EUR geltend. Er meint, dieser sei nicht nach § 12a ArbGG ausgeschlossen, da es recht und billig sei, der Berufungsklägerin die Kosten seines Prozessbevollmächtigten aufzuerlegen.
16Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 10.11.2021 durch Vernehmung der Zeugin H . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 10.11.2021 (Bl. 297 ff. d. A.) verwiesen. Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
17E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
18I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
19II. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 3.000,00 EUR noch einen hilfsweise zweitinstanzlich geltend gemachten Schadenersatzanspruch in Höhe von 768,27 EUR.
201. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 3.000,00 EUR gemäß § 15 Abs. 2 AGG, denn die Beklagte hat nicht gegen ein Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 AGG verstoßen. Das steht zur Überzeugung der erkennenden Kammer nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme fest.
21a) Zutreffend hat das Arbeitsgericht im Einzelnen ausgeführt, dass sowohl der persönliche als auch der sachliche Anwendungsbereich des AGG vorliegend eröffnet sind und der Kläger seinen Entschädigungsanspruch ordnungsgemäß geltend gemacht und eingeklagt hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die ausführliche Begründung des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
22b) Es fehlt jedoch an der für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 1, 2 AGG erforderlichen Verstoß der Beklagten gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 AGG. Ein solcher setzt eine Benachteiligung des Klägers wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes voraus. Die danach erforderliche Kausalität ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Das steht zur Überzeugung der erkennenden Kammer nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme fest.
23Der Kläger rügt eine kausale Benachteiligung aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nach seiner Bewerbung vom 02.12.2019. Ein derartiger Verstoß gegen die Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers aus § 165 Satz 3 SGB IX ist grundsätzlich geeignet im Sinne des § 22 AGG den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein (BAG, Urteil vom 29.04.2021 - 8 AZR 279/20, NZA 2021, 1553). Dementsprechend muss die Beklagte den Gegenbeweis erbringen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Diesen Vollbeweis hat die Beklagte jedenfalls zweitinstanzlich erbracht.
24Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, dass sie trotz weiter laufender Stellenanzeigen den Bewerberpool bereits am 21.11.2019 geschlossen und keine weiteren Bewerbungen mehr berücksichtigt habe und hat dies durch das Zeugnis der Zeugin H unter Beweis gestellt.
25Die vorgenannte Behauptung der Beklagten hat die Zeugin H in der am 10.11.2021 durchgeführten Beweisaufnahme bestätigt. Sie hat ausgesagt, am 21. oder 23.11.2019 hätten sie alle bis dahin eingegangenen Bewerbungen gesichtet. Unter diesen Bewerbungen seien vier gute Bewerber gewesen, die sie ausgesucht hätten. Die nachfolgenden Bewerbungen habe sie absprachegemäß dann nicht mehr an die Geschäftsführung weitergeleitet, sondern einfach nur gesammelt. Der Geschäftsführer, Herr W , habe sich in der Folge auch keine Bewerbungen mehr angesehen, ihm habe die vorhandene Bewerberauswahl genügt. Letztlich sei es so gewesen, dass Herr W an einem Tag Zeit gehabt und sich die Bewerbungen angesehen habe und dann entschieden habe, jetzt sei der richtige Zeitpunkt, um den Bewerberpool zu schließen, da genügend Bewerbungen vorhanden seien.
26Die Bekundungen der Zeugin waren insgesamt schlüssig und widerspruchsfrei. Dort, wo die Zeugin sich nicht mehr 100%ig sicher war, nämlich hinsichtlich des Datums der Bewerberpoolschließung, hat sie dies offen kommuniziert. Den übrigen Verfahrensablauf hat sie mit einfachen Worten überzeugend geschildert. Danach hat es erkennbar eine Entscheidung des Geschäftsführers gegeben, ab einem bestimmten Zeitpunkt während der noch laufenden Ausschreibung generell keine Bewerbungen mehr zu berücksichtigen. Eine Kausalität seiner Schwerbehinderung für die Nichtberücksichtigung der am 02.12.2019, also deutlich nach der Schließung des Bewerberpools, eingegangenen Stellenbewerbung des Klägers ist damit ausgeschlossen.
27Die Aussagen der Zeugin erschienen der erkennenden Kammer in jeder Hinsicht glaubhaft und die Zeugin hat auch hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit keinen Anlass zu Zweifeln gegeben.
282. Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Schadenersatz seiner anwaltlichen Prozesskosten für die erste Instanz. Deren Geltendmachung ist gemäß § 12a Abs. 1 ArbGG ausgeschlossen, denn der dort gesetzlich geregelte Ausschluss der Kostenerstattung erfasst neben dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch aus § 91 ZPO auch materiell-rechtliche Kostenerstattungsansprüche, wie hier vom Kläger geltend gemacht (Schwab/Weth/Vollstädt, ArbGG, 5. Aufl., § 12a Rn. 27 mit umfassenden Nachweisen aus der Rechtsprechung). Der Ausschluss findet seine Grenze lediglich dort, wo eine Prozesspartei dessen Wirkung vorsätzlich und sittenwidrig zur Schädigung des Prozessgegners einsetzt (Schwab/Weth/Vollstädt, a.a.O., § 12a Rn. 27a). Diese Grenze ist vorliegend offensichtlich nicht erreicht. Insoweit fehlen nach dem Vortrag des Klägers jegliche konkreten Anhaltspunkte insbesondere in subjektiver Hinsicht.
29III. Als insgesamt unterliegende Partei hat der Kläger gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Anlass für eine Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht, da die Entscheidung auf den Umständen des Einzelfalls beruht.