Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit Landesarbeitsgericht Köln – 11 Sa 689/18 – durch gerichtlichen Vergleich vom 08.05.2019 erledigt ist.
Die weiteren durch die Anfechtung des Vergleichs entstandenen Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten darum, ob ein gerichtlicher Vergleich vor dem Berufungsgericht den Rechtsstreit beendet hat.
3Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 14.09.2018 – 18 Ca 1286/18 – die Beklagte verurteilt, an die Klägerin als Erbin einen Pflichtteil in Höhe von 228.905,13 € abzüglich am 05.06.2012 gezahlter 100.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.03.2012 zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage, die nach den Hauptanträgen auf Zahlung eines weitergehenden Pflichtteils von 155.433,01 € sowie eines Betrages von 388.377,31 € brutto wegen enttäuschter Vergütungserwartung, jeweils nebst Verzugszinsen, gerichtet war, abgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Urteils des Arbeitsgerichts vom 14.09.2018 wird auf Bl. 555 ff. d. A. verwiesen.
4Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt hat. Am 08.05.2019 haben die Parteien vor dem Landesarbeitsgericht Köln – 11 Sa 689/18 - auf Vorschlag des Gerichts einen Prozessvergleich zur Erledigung des Rechtsstreits geschlossen. Hiernach erzielten die Parteien Einigkeit über die Höhe des Ausgleichsbetrags hinsichtlich des Pflichtteils, den sie mit 291.217,51 € bezifferten. Zur Erfüllung der Ausgleichsplicht sollte die Beklagte einen ausstehenden Restbetrag in Höhe von 62.312,38 € zahlen. Damit seien zugleich sämtliche Klageforderungen erledigt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Prozessvergleichs vom 08.05.2019 wird auf Bl. 675 d. A. Bezug genommen.
5Nachdem die Klägerin aus dem Urteil des Arbeitsgerichts vom 14.09.2018 – 18 Ca 1286/18 – die Zwangsvollstreckung betrieben hatte, hat das Arbeitsgericht Köln mit Urteil vom 13.11.2019 – 18 Ca 5672/19 – die Zwangsvollstreckung auf Antrag der Beklagten für unzulässig zu erklärt. Zur Begründung hat im Wesentlichen ausgeführt, die Zwangsvollstreckung sei unzulässig, weil die im Urteil vom 14.09.2018 titulierten Ansprüche durch Vereinbarung der Parteien im Vergleich vom 08.05.2019 nachträglich entfallen seien. Dies ergebe die nach den §§ 133, 157 BGB vorzunehmende Auslegung des Prozessvergleichs vor dem Landesarbeitsgericht. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und der Antragstellung der Parteien wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichtes wird auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils Bezug genommen (ArbG Köln – 18 Ca 5672/19 – Bl. 112 ff. d.A.).
6Die Klägerin hat gegen das ihr am 12.12.2019 zugestellte Urteil am 08.01.2020 Berufung eingelegt und diese am 30.01.2020 mit Schriftsatz vom 28.01.2020 begründet. Mit der Berufungsbegründung hat sie, für den Fall dass das Berufungsgericht den Prozessvergleich dahin gehend auslege, dass die Klägerin mit Abschluss des Vergleichs auf titulierte Ansprüche verzichtet habe, vorsorglich die Anfechtung des Vergleichs wegen Inhaltsirrtum erklärt. Sie habe keinen Zinsverzicht erklärt und habe eine solche Erklärung nicht abgeben wollen, sie fühle sich überrumpelt. Die Berufungsbegründung wurde der Beklagten am 07.02.2020 zugestellt.
7Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 17.06.2020 – 5 Sa 12/20 – die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Der Vergleich vom 14.09.2018 sei so auszulegen, dass die Beklagte nur noch den ausdrücklich ausgewiesenen Restbetrag von 62.312,38 € zu zahlen habe. Die langjährigen Auseinandersetzungen hätten mit dieser Zahlung unter Ausschluss der Zwangsvollstreckung des Titels erster Instanz befriedet werden sollen. Dies zeige auch eine Gesamtschau der Regelungen des Vergleichs. Die Gesamtforderung sei ohne Zinsbetrag deklaratorisch festgehalten worden, die Erledigungsklausel beziehe sich auf sämtliche Klageforderungen. Die Zinsforderung sei Teil der Hauptforderung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Urteils des Landesarbeitsgerichts Köln vom 17.06.2020 – 5 Sa 12/20 – wird auf Bl. 169 ff. der (beigezogenen) Verfahrensakte verwiesen.
8Die Klägerin hat unter Bezugnahme auf ihre Anfechtung vom 28.01.2020 die Fortsetzung des Verfahrens Landesarbeitsgericht Köln – 11 Sa 689/18 – beantragt.
9Sie behauptet, sie hätte einem Vergleich, wie er nach Auslegung des Landesarbeitsgerichts Köln zustande gekommen sein soll, nicht zugestimmt, da voraussichtlich ohne ihre Zustimmung ein Urteil mit demselben Inhalt ergangen wäre ohne dass die rechtskräftig titulierte Anspruch angetastet worden wäre. Sie habe weder die Absicht gehabt noch habe ein Anlass bestanden, auf den Zinsanspruch zu verzichten.
10Die Klägerin beantragt unter Fortsetzung des Verfahrens
111. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 378.100,35 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.05.2014 zu zahlen;
122. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin den Pflichtteil in Höhe von 156.717,63 € abzüglich am 05.06.2012 gezahlter 100.000,00€ zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.03.2012 zu zahlen;
133. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Klageantrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin den Pflichtteil in Höhe von 298.505,26 € € abzüglich am 05.06.2012 gezahlter 100.000,00 € zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.03.2012.
14Die Beklagte beantragt,
15die Fortsetzung des Verfahrens abzulehnen und festzustellen, dass das vorbezeichnete Verfahren mit Prozessvergleich vom 08.05.2019 wirksam beendet worden ist.
16Es könne dahin stehen, ob die Klägerin einem Irrtum bei Abschluss des Vergleichs vom 08.05.2019 unterlegen gewesen sei, jedenfalls habe die Klägerin den Vergleich nicht rechtzeitig angefochten.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien, die Sitzungsniederschrift vom 07.07.2021 sowie den übrigen Akteninhalt und den Inhalt der beigezogenen Verfahrensakte Arbeitsgericht Köln – 18 Ca 5672/19 - = Landesarbeitsgericht Köln – 5 Sa 12/20 – Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
19Der Rechtsstreit Landesarbeitsgericht Köln – 11 Sa 689/18 – ist nicht fortzusetzen, sondern durch den gerichtlichen Vergleich vom 08.05.2019 erledigt.
20I. Der Prozessvergleich hat eine Doppelnatur. Er enthält einerseits eine Prozesshandlung, deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Verfahrensrechts bestimmt, zugleich beruht er auch auf einem privatrechtlichen Vertrag, für den § 779 BGB und alle übrigen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten. Diese Einheit von Prozesshandlung und materiellem Rechtsgeschäft sowie prozesswirtschaftliche Gründe sind maßgebend für die prozessrechtlichen Folgen materiellrechtlicher Mängel des Prozessvergleichs, soweit diese auf Umständen beruhen, die bereits im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses bestanden haben und z. B. ein Anfechtungsrecht gemäß den §§ 119, 123 BGB begründen und nach dessen Geltendmachung der Vergleich rückwirkend nichtig wird (§ 142 BGB): Der Prozessvergleich ist dann auch als Prozesshandlung unwirksam, seine prozessbeendende Wirkung ist nie eingetreten, die Rechtshängigkeit des Prozesses hat fortbestanden, das bisherige Verfahren ist fortzusetzen und ein Streit über die Wirksamkeit des Vergleichs in diesem Verfahren auszutragen. Wird der Vergleich als wirksam angesehen, so ergeht ein Endurteil dahin, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt ist (BAG, Urt. v. 23.11.2006 – 6 AZR 394/06 – m. w. N.; vgl. auch: BAG, Urt. v. 2.09.2015 – 2 AZR 716/14 – m. w. N.).
21II. Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde, § 119 Abs. 1 BGB. Die Anfechtung muss in diesem Fall nach § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat.
22III. Die Klägerin hat den gerichtlichen Vergleich vom 08.05.2019 weder rechtzeitig angefochten noch stand ihr ein Anfechtungsrecht im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB zur Seite.
231. Die Anfechtung mit Schriftsatz vom 28.01.2020 ist nicht unverzüglich gemäß § 121 Abs. 1 Satz BGB erfolgt
24a) Zur Kenntnis im Sinne dieser Vorschrift ist nicht die volle Überzeugung vom Bestehen des Anfechtungsrechts erforderlich. Erkennt der Anfechtungsberechtigte, dass sich Wille und Erklärung möglicherweise nicht gedeckt haben, ist zur Fristwahrung eine Eventualanfechtung geboten (vgl. u.a.: BayVGH, Urt. v. 21.03.2019 – 13 A 18.1676 -; OLG Köln, Urt. v. 18.02.1999 – 1 U 96/98 -; LAG Hamm, Urt. v. 22.08.1996 – 4 Sa 322/96 -; OLG Hamm, Urt. v. 02.08.1990 – 27 U 63/89 -; Jauernig/Mansel, 18. Aufl. 2021, BGB § 121 Rn. 2 jew. m. w. N.). Nach der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB bedeutet „unverzüglich“ „ohne schuldhaftes Zögern“. Schuldhaft ist ein Zögern, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist. Da „unverzüglich“ weder „sofort“ bedeutet noch damit eine starre Zeitvorgabe verbunden ist, kommt es auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an. Nach einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ist ohne das Vorliegen besonderer Umstände grundsätzlich keine Unverzüglichkeit mehr gegeben (BAG, Urt. v. 27.02.2020 – 2 AZR 390/19 – m. w. N.).
25b) Im vorliegenden Fall konnte die Klägerin aufgrund des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 13.11.2019 – 18 Ca 5672/19 – erkennen, dass der Prozessvergleich vom 08.05.2019 möglicherweise anders als von der Klägerin gewollt auszulegen war. Die Entscheidungsgründe des Urteils haben die Klägerin hinreichend darauf hingewiesen, dass bereits aufgrund des Wortlauts des Vergleichs davon auszugehen sei, dass mit der Vereinbarung des ausstehenden, zu zahlenden Restbetrages sämtliche Klageforderungen, einschließlich der erstinstanzlich titulierten Nebenforderungen ausgeglichen werden sollten. Dies werde durch Aufbau und Gliederung des Vergleichs bestätigt. Die Eventualanfechtung mit Schriftsatz vom 28.01.2020 ist nicht unverzüglich erfolgt, wobei im Ergebnis unerheblich ist, ob man auf ihren Eingang bei Gericht am 30.01.2020 oder ihren Zugang bei der Beklagten am 07.02.2020 abstellt, denn sie erfolgte erst ca. anderthalb Monate nach Zustellung des arbeitsgerichtlichen Urteils, mithin weit außerhalb der Zeitspanne von einer Woche. Besondere Umstände des Einzelfalls, die etwa im Hinblick auf Überprüfungsnotwendigkeiten eine „Verlängerung“ der Wochenfrist gebieten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
262. Zudem hat die Klägerin einen Anfechtungsgrund im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB nicht hinreichend dargetan.
27Soweit sie die Anfechtung auf eine Fehlvorstellung hinsichtlich der Rechtswirkungen des Vergleichs stützt, weil sie rechtsirrtümlich davon ausgegangen sei, der Vergleich erfasse nicht die erstinstanzlich mit Urteil vom 14.09.2018 – 18 Ca 1286/18 – titulierten Forderungen, handelt es sich nicht um einen rechtlich nicht relevanten Motivirrtum.
28a) Ein Inhaltsirrtum im Sinne von § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB kann zwar auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein solcher Rechtsirrtum berechtigt jedoch nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (vgl. z.B.: BGH Urt. v. 29.06.2016 - IV ZR 387/15 –m. w. N.). Ebenso ist ein einseitiger, interner und im Stadium der Willensbildung unterlaufender Kalkulationsirrtum kein gesetzlicher Anfechtungsgrund. Er berechtigt grundsätzlich nicht zur Anfechtung, weil derjenige, der von einer für richtig gehaltenen, in Wirklichkeit aber unzutreffenden Berechnungsgrundlage ausgeht, auch das Risiko dafür trägt, dass seine Kalkulation zutrifft (vgl. z.B.: BGH, Urt. v 07.07.1998 – X ZR 17/97 – m. w. N.).
29b) Der Prozessvergleich vom 08.05.2019 hat die mit ihm beabsichtigten Rechtswirkungen hervorgerufen. Er hat umfassend und abschließend die arbeitsrechtliche und erbrechtliche Auseinandersetzung der Parteien einer Regelung zugeführt. Er beinhaltet die Regelung der Gesamthöhe des Ausgleichsbetrages hinsichtlich des Pflichtteils, den auf dieser Grundlage noch zu zahlenden Restbetrag und friedensstiftend die damit verbundene Erledigung sämtlicher Klageforderungen. Zwar hat er auch die mittelbare Rechtswirkung, dass die erstinstanzlich titulierten Forderungen nicht eigenständig neben den Bestimmungen des Vergleichs weiter bestehen, sondern in der Gesamtregelung aufgehen. Dies hält sich jedoch im Rahmen der angestrebten Rechtswirkung der abschließenden und umfassenden Bereinigung der arbeitsrechtlichen und erbrechtlichen Auseinandersetzung. Unterstellt, die Klägerin habe dies nicht erkannt, verbleibt ein einseitiger (verdeckter) Irrtum über eine (vermeintliche) Zusatzforderung, die wiederum dem Bereich des Motivirrtums zuzuordnen ist. Ergänzend ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass der Vortrag der Klägerin, ohne ihre Zustimmung zum Vergleich wäre ein Urteil mit demselben Inhalt ergangen ohne dass der rechtskräftig titulierte Anspruch angetastet worden wäre, rein spekulativ ist, denn zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses stand auch eine Beweisaufnahme durch Vernehmung des von der Klägerin benannten Zeugen Gottesacker zu Art, Umfang und Vergütungshöhe hinsichtlich der ausgeübten Tätigkeit zur Diskussion, deren Ausgang nicht zu prognostizieren war.
30II. Die Kosten der erfolglosen Fortsetzung des Berufungsverfahrens waren der Klägerin gemäß § 97 Abs. 1 ZPO aufzuerlegen.
31III. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.