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Unwahrer Prozessvortrag als Auflösungsgrund
I. Auf die Berufungen beider Parteien wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.09.2019 - 14 Ca 365/18 - teilweise abgeändert und klarstellend insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 28.12.2017 aufgelöst worden ist.
2. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird zum 31.03.2018 aufgelöst und die Beklagte verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 24.310,00 € brutto zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 33.000,00 € brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 7.838,10 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
- aus einem Betrag in Höhe von 11.000,00 € brutto abzüglich 2.612,70 € netto seit dem 01.02.2018,
- aus weiteren 11.000,00 € brutto abzüglich 2.612,70 € netto seit dem 01.03.2018,
- aus weiteren 11.000,00 € brutto abzüglich 2.612,70 € netto seit dem 01.04.2018
zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 19.800,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2018 zu zahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.950,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2019 zu zahlen.
6. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
II. Im Übrigen werden die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger zu 70 % und die Beklagte zu 30 % und die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger zu 80 % und die Beklagte zu 20 % zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten im Wesentlichen um die Auflösung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses durch eine arbeitgeberseitige außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung und zweitinstanzlich außerdem über einen gerichtlichen Auflösungsantrag sowie über Vergütungsansprüche.
3Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen der Touristikbranche. Sie betreibt unter der Marke "H " insbesondere ein Hotelbuchungsportal für Geschäfts- und Privatreisende. Im Betrieb der Beklagten sind regelmäßig mehr als zehn Vollzeitarbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt. Es besteht ein Betriebsrat; ein Sprecherausschuss existiert nicht.
4Der im Jahr 1962 geborene, verheiratete und drei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war von Januar 2004 bis Oktober 2013 bei anderen Unternehmen als Leiter Personal bzw. Manager Human Resources tätig. Bei der Beklagten ist er seit dem 01.10.2017 beschäftigt. Grundlage der Tätigkeit ist der schriftliche Arbeitsvertrag vom 27.06.2016. Danach wurde der Kläger als Director Human Resources EMEA eingestellt. Zuletzt tätig war er als HR Business Partner ES (Enterprise Solutions). Nach § 1 des Arbeitsvertrages ist er leitender Angestellter i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG. Die Betriebszugehörigkeit rechnet gemäß § 3 des Arbeitsvertrages seit dem 01.11.2013. Das vertraglich vereinbarte Bruttomonatsgehalt des Klägers beträgt 11.000 €. Hinzu kommt nach § 6 des Arbeitsvertrages ein variabler Bonus. Auf den schriftlichen Arbeitsvertrag (Bl. 11 ff. d. A.) wird Bezug genommen.
5Im Übrigen wird wegen des gesamten erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens der Parteien sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils vom 05.09.2019 Bezug genommen.
6Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht der Klage überwiegend stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 28.12.2017 aufgelöst worden ist. Es hat die Beklagte weiter verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen und ihn über den 31.03.2018 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen auf der Grundlage des Anstellungsvertrages als Director Human Resources EMEA bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen. Schließlich hat es die Beklagte zur Vergütungszahlung in Höhe von 220.000 € brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 47.282,40 € netto sowie zur Zahlung eines Bonus in Höhe von 19.800 € brutto verurteilt. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Zur Begründung der klagestattgebenden Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die außerordentliche und fristlose Kündigung sei nicht von einem wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB getragen und daher rechtsunwirksam. Zwar sei eine eigenmächtige Urlaubnahme an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darzustellen, im vorliegenden Fall führe die vorzunehmende Gesamtwürdigung der Interessen der Streitparteien aber zu einem überwiegenden Bestandsschutzinteresse des Klägers. Dabei wirkte sich nach Auffassung des Arbeitsgerichts entscheidend zugunsten des Klägers aus, dass er einen Urlaubsantrag gestellt hatte, der nicht beschieden worden war. Zum gleichen Ergebnis kommt das Arbeitsgericht bezüglich der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung. Die vom Kläger geltend gemachten Vergütungsansprüche hat das Arbeitsgericht unter Annahmeverzugsgesichtspunkten ebenso für begründet erachtet wie den Bonusanspruch für das Kalenderjahr 2017. Hinsichtlich letzterem fehle es an substantiiertem Vortrag der Beklagten dazu, dass die vereinbarten Ziele nicht erfüllt worden seien sowie an der entsprechenden Darlegung der für die Überprüfung ihrer Angaben erforderlichen Tatsachen. Wegen der weiteren Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe es erstinstanzlichen Urteils (Bl. 525 ff. d. A.) Bezug genommen.
7Gegen dieses ihr am 26.09.2019 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.10.2019 Berufung eingelegt und hat diese am 22.11.2019 begründet.
8Die Beklagte wendet zunächst bezüglich der ausgeurteilten Weiterbeschäftigungsverpflichtung ein, dass der Kläger zuletzt als "HR Business Partner ES" beschäftigt worden sei und eine Stelle als "Director Human Resources EMEA" nicht existiere. Ferner sei die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung lückenhaft, da wesentliche, zulasten des Klägers zu berücksichtigende Aspekte hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung nicht berücksichtigt worden seien und bezüglich der ordentlichen Kündigung eine Interessenabwägung insgesamt fehle.
9Die Beklagte wiederholt sodann ihren erstinstanzlichen Sachvortrag bezüglich der Begründung der Kündigungen sowie des aus ihrer Sicht nicht bestehenden Bonusanspruchs für das Kalenderjahr 2017. Sie ist der Auffassung, der Kläger habe letzteren Vortrag nicht hinreichend bestritten, so dass dieser als unstreitig anzusehen sei. So sei die außerordentliche Kündigung wirksam, da die Selbstbeurlaubung des Klägers und die damit einhergehende bewusste Arbeitsverweigerung einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darstellten. Dies werde letztlich im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung bestätigt. Erst recht wirksam sei dementsprechend die hilfsweise ordentliche Kündigung. Insbesondere sei eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen.
10Die Beklagte ist weiter der Auffassung, der vom Kläger geltend gemachte Annahmeverzugsanspruch scheitere bereits grundsätzlich an der Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung. Im Übrigen sei jedenfalls ab März 2020 die im gesamten Betrieb der Beklagten in K angeordnete Kurzarbeit zu berücksichtigen. Auf der Grundlage der mit dem Betriebsrat am 17.03. und 26.04.2020 abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen zur Einführung von Kurzarbeit (Bl. 932 ff. d. A.) wurde die Arbeitszeit in der Abteilung des Klägers "HR Business Partnering" ab dem 19.03.2020 zunächst um 50% und ab dem 01.04.2020 um 55% reduziert. Dementsprechend sei von einem reduzierten Vergütungsanspruch des Klägers in Höhe von 5.500 € bzw. 4.950 € auszugehen.
11Darüber hinaus führt die Beklagte aus, der Kläger habe in erster Instanz bewusst falsche Tatsachen zu einer angeblichen Absprache mit Herrn Dr. R und zu einer angeblichen Handhabung von Urlaubsanträgen des Zeugen S vorgetragen. Damit lägen Gründe vor, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen der Beklagten und dem Kläger nicht erwarten ließen, so dass das Arbeitsverhältnis durch das Gericht gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen sei. Der Kläger habe nämlich in erster Instanz mehrfach bewusst unwahr vorgetragen. Das gelte für seinen Vortrag, Herr Dr. R habe ihm gegenüber und gegenüber weiteren Mitarbeitern erklärt, dass einzelne Tage Urlaub genommen werden könnten, ohne dass diese von Herrn Dr. R separat bewilligt worden seien. Ausreichend sei ein entsprechender Eintrag in der Software t sowie im Outlook-Kalender. Unwahr sei ferner die Behauptung des Klägers, Herr Dr. R habe nur die Ablehnung von Urlaubsanträgen über t durchgeführt. Wahr sei vielmehr, dass Herr Dr. R grundsätzlich auch die Bewilligung von Urlaubsanträgen entsprechend durchgeführt habe. Ebenfalls bewusst unwahr sei der Vortrag des Klägers, es sei unzutreffend, dass Herr Dr. R bei einer aus technischen Gründen bestehenden Unmöglichkeit der Bearbeitung eines Urlaubsantrags diesen per Mail beschieden oder mit dem jeweiligen Arbeitnehmer mündlich kommuniziert habe. Das Gegenteil sei zutreffend. Das Gleiche gelte für die Behauptung des Klägers, es sei häufig vorgekommen, dass Herr R auf Urlaubsanträge nicht reagiert habe, der jeweilige Arbeitnehmer den Urlaub gleichwohl angetreten haben und dies als selbstverständlich hingenommen worden sei. Schließlich sei die Behauptung des Klägers unwahr, Herr Dr. R habe ihm in einem Vieraugengespräch im Juli 2017 vorgeschlagen, dass ein Urlaubstag für einzelne Tage genehmigt sei, wenn er ihn nicht ausdrücklich abgelehnt habe. Eine solche Erklärung des Herrn R habe es schlicht nicht gegeben. Hierzu legt die Beklagte in Kopie eine entsprechende eidesstattliche Versicherung des Zeugen Dr. R vom 15.12.2019 vor.
12Die Beklagte führt weiter aus, das Gleiche gelte für den Vortrag des Klägers in Bezug auf die Handhabung von Urlaubsanträgen des Herrn S und meint, bei einer gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei eine Abfindung allenfalls in einer Höhe von maximal 14.575 € brutto angemessen.
13Die Beklagte beantragt,
141. das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.09.2019 - 14 Ca 365/18 - abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen;
152. hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit den Antrag zu 1), das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 14.575,00 € brutto nicht überschreiten sollte, zum 31.03.2018 aufzulösen;
163. die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.09.2019 - 14 Ca 365/18 - zurückzuweisen.
17Der Kläger beantragt,
181. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen;
192. den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag der Beklagten zurückzuweisen;
203. das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.09.2019 - 14 Ca 365/18 - dahingehend teilweise abzuändern, dass die Beklagte über den zugesprochenen Teil hinaus verurteilt wird, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 19.800 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2019 zu zahlen;
214. hilfsweise zum erstinstanzlichen Klageantrag zu 4) die Beklagte für den Fall des Obsiegens des Klägers mit den Klageanträgen zu 1) und 2) zu verurteilen, den Kläger über den 31.03.2018 hinaus zu den unveränderten Arbeitsbedingungen auf der Grundlage des Anstellungsvertrages als HR-Business Partner bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen;
225. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger rückständigen Annahmeverzugslohn für die Monate September 2019 bis einschließlich August 2020 in Höhe von insgesamt 132.000 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
23- aus einem Betrag in Höhe von 11.000 € brutto seit dem 01.10.2019,
24- aus weiteren 11.000 € brutto seit dem 01.11.2019,
25- aus weiteren 11.000 € brutto seit dem 01.12.2019,
26- aus weiteren 11.000 € brutto seit dem 01.01.2020,
27- aus weiteren 11.000 € brutto seit dem 01.02.2020,
28- aus weiteren 11.000 € brutto seit dem 01.03.2020,
29- aus weiteren 11.000 € brutto seit dem 01.04.2020,
30- aus weiteren 11.000 € brutto seit dem 01.05.2020,
31- aus weiteren 11.000 € brutto seit dem 01.06.2020,
32- aus weiteren 11.000 € brutto seit dem 01.07.2020,
33- aus weiteren 11.000 € brutto seit dem 01.08.2020,
34- aus den restlichen 11.000 € brutto seit dem 01.09.2020
35zu zahlen.
366. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 19.800 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2020 zu zahlen.
37Der Kläger hält zunächst mit dem Arbeitsgericht die streitgegenständliche Kündigung sowohl als außerordentliche wie auch als hilfsweise ordentliche Kündigung für rechtsunwirksam. Er meint, auch die vom Arbeitsgericht ausgeurteilte Weiterbeschäftigungsverpflichtung der Beklagten sei zutreffend. Maßgeblich sei insoweit allein der schriftliche Arbeitsvertrag der Parteien.
38Bezüglich seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen stellt der Kläger im Hinblick auf seine Verantwortlichkeit für die Urlaubsbeantragung und -genehmigung klar, dass er sehr wohl den eigentlichen Prozess über die Software t klar zu kommunizieren gehabt und bei eventuellen Rückfragen zur Verfügung gestanden habe. Als HR-Verantwortlicher von über 250 Personen sei es aber nicht seine Aufgabe gewesen, die Einhaltung dieses Prozesses bei jedem einzelnen dieser Mitarbeiter zu überwachen und zu kontrollieren. Vielmehr habe sich sein Aufgabenbereich darauf beschränkt, die Fachvorgesetzten darüber zu informieren, dass nach den Vorgaben der Geschäftsleitung noch ausstehende Urlaubstage ihrer Mitarbeiter möglichst zum Ende des laufenden Kalenderjahres zu nehmen seien.
39Im Übrigen tritt der Kläger der erstinstanzlichen Entscheidung insofern bei, als das Arbeitsgericht nach seiner Auffassung hinsichtlich beider Kündigungen eine eingehende, ausführliche und in sich schlüssige und vollständige Interessenabwägung vorgenommen habe. Eine Vielzahl von Umständen sprächen zugunsten des Klägers. Besonders abstrus sei in diesem Zusammenhang die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe versucht, durch die ihm vorgeworfene und bestrittene Selbstbeurlaubung zum Zweck des eigenen finanziellen Vorteils Druck auf die Beklagte auszuüben.
40Der Kläger meint, das Arbeitsgericht habe auch zu Recht und mit zutreffender Begründung den Bonusanspruch für 2017 zugesprochen. Der diesbezügliche Vortrag der Beklagten sei schlagwortartig und unsubstantiiert. Auch den Anspruch auf Annahmeverzugsentgelt hält der Kläger weiterhin uneingeschränkt für begründet. Die beklagtenseits eingewandte Kurzarbeit sei für ihn bereits grundsätzlich unbeachtlich, da er als gekündigter Mitarbeiter gemäß § 2 der einschlägigen Betriebsvereinbarung von den Regelungen der Kurzarbeit ausgenommen sei. Außerdem seien die Darlegungen der Beklagten zur Anzahl der von der Kurzarbeit betroffenen Mitarbeiter unschlüssig und die Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit stelle wegen ihrer Unbestimmtheit bereits grundsätzlich keine hinreichende Rechtsgrundlage zur Einführung von Kurzarbeit dar. Im Übrigen sei der Kläger letztlich weder von der maßgeblichen Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit erfasst noch erfülle er die Voraussetzungen des Kurarbeitergelds und sei auch nicht gegenüber der Bundesagentur angezeigt worden.
41Zum zweitinstanzlichen Auflösungsantrag der Beklagten rügt der Kläger den Vorwurf der Beklagten als unhaltbar und unzutreffend, bestreitet diesen und weist ihn entschieden zurück. Er führt aus, er habe in erster Instanz in Bezug auf die mit Herrn Dr. R getroffene Absprache stets wahrheitsgemäß vorgetragen. Dieser Vortrag bleibe vollumfänglich aufrechterhalten. Das Gleiche gelte auch im Hinblick auf den Vortrag bezüglich der Handhabung von Urlaubsanträgen des Zeugen S . Die gegenteiligen Angaben der Beklagten seien unzutreffend und stellten bewusst falschen Sachvortrag dar. Schließlich meint der Kläger, dass selbst für den Fall, dass das Gericht den unzutreffenden Behauptungen der Beklagten Glauben schenken würde, ein unzutreffender Tatsachenvortrag des Klägers im Prozess nicht so gewichtig wöge, als dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit ausgeschlossen sei. Denn der Kläger habe sich im Übrigen stets loyal und völlig einwandfrei gegenüber der Beklagten verhalten und werde zukünftig den Urlaubsgewährungsprozess der Beklagten penibel beachten und einhalten und nur im Falle einer ausdrücklichen Genehmigung seines Urlaubsantrags der Arbeit fern bleiben. Letztlich entbehre der seitens der Beklagten als "Notanker" im Berufungsverfahren gestellte Auflösungsantrag jeglicher Grundlage. Es gebe schlichtweg keinen bewusst wahrheitswidrigen Prozessvortrag des Klägers.
42Bezüglich des klageweise geltend gemachten Bonusanspruchs für das Jahr 2018 stellt der Kläger nunmehr klar, dass dieser auch auf den Gesichtspunkt des Schadenersatzes gestützt werde. Das Gleiche gelte bezüglich des Bonusanspruchs für das Geschäftsjahr 2019.
43Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 06.05.2020 (Bl. 962 d. A.) durch Vernehmung des Zeugen Dr. R . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21.09.2020 (Bl. 1026 ff. d. A.) verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
44E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
45I. Die Berufungen beider Parteien sind zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden sind (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
46II. Beide Rechtsmittel haben in der Sache teilweise Erfolg. Im Übrigen ist auch der zweitinstanzlich erstmalig hilfsweise gestellte Auflösungsantrag der Beklagten begründet. Im Einzelnen gilt Folgendes:
471. Die außerordentliche und fristlose Kündigung der Beklagten vom 28.12.2017 ist rechtsunwirksam. Es fehlt an dem gemäß § 626 Abs. 1 BGB erforderlichen wichtigen Grund.
48Nach dieser Vorschrift kann ein Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist die kündigende Arbeitgeberin für das Vorliegen der kündigungsbegründenden Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig (für alle KR/Fischermeier, 12. Aufl., § 626 BGB Rn. 395 ff.; APS/Vossen, 5. Aufl., § 626 BGB Rn. 173 ff. jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen).
49Hiervon ausgehend hat die Beklagte keinen hinreichend gewichtigen Kündigungsgrund im Einzelnen darlegen können. Insbesondere führt die vorzunehmende Gesamtabwägung nicht zu einem überwiegenden Auflösungsinteresse der Beklagten. Dies hat das Arbeitsgericht im angefochtenen Urteil im Einzelnen ausgeführt. Dem schließt sich die erkennende Kammer vollinhaltlich an und macht sich die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Vermeidung von Wiederholungen zu Eigen.
502. Das Gleiche gilt hinsichtlich der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung. Auch diese ist rechtsunwirksam, da sie gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt ist. Die Beklagte hat keine hinreichenden verhaltensbedingten Gründe i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG dargelegt. Auch insoweit folgt die erkennende Berufungskammer der erstinstanzlichen Begründung und der dort in Bezug genommenen, vorgenannten Gesamtabwägung und macht sich diese zu Eigen.
513. Demgegenüber ist der zweitinstanzlich gestellte Auflösungsantrag der Beklagten begründet.
52a) Gemäß § 9 KSchG ist das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die vorliegende Entscheidung zum 31.03.2018 aufgelöst.
53aa) Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Arbeitsgericht auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn eine vom Arbeitgeber erklärte Kündigung nicht gemäß § 1 KSchG sozial gerechtfertigt ist und Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.
54Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber im vorgenannten Sinn kommen Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, eine Wertung seiner Persönlichkeit, Leistung oder Eignung für die ihm übertragenen Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit sei gefährdet (BAG, Urteil vom 19.11.2015 - 2 AZR 217/15, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 02.12.2019 - 3 Sa 234/19, juris).
55Auch das Verhalten des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 08.10.2019 - 2 Sa 123/19, juris). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Parteien zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen dürfen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann. Anerkannt ist insbesondere, dass ein Verfahrensbeteiligter starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können.
56Das gilt freilich nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Zudem dürfen die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BAG, Urteil vom 24.05.2018 - 2 AZR 73/18, NZA 2018, 1131; BAG, Urteil vom 24.03.2011 - 2 AZR 674/09, NZA-RR 2012, 243). Dementsprechend ist bewusst wahrheitswidriger und falscher Tatsachenvortrag in Bezug auf die vom Arbeitgeber angeführten Kündigungsgründe geeignet, einen Auflösungsgrund zu bilden. Derartiger Vortrag, den der Arbeitnehmer hält, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess zu verlieren, kann zur gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses führen. Dabei kommt es weder auf die strafrechtliche Relevanz seines Handelns, noch darauf an, ob der wahrheitswidrige Vortrag letztlich für das Gericht entscheidungserheblich ist. Ausreichend ist, dass er es hätte sein können. Selbst der "untaugliche Versuch" eines "Prozessbetrugs" kann das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers irreparabel zerstören (BAG, Urteil vom 24.05.2018 - 2 AZR 73/18, NZA 2018, 1131).
57bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses vor.
58(1) Wie oben ausgeführt ist die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.12.2017 sozialwidrig im Sinne des § 1 KSchG.
59(2) Außerdem liegen Gründe vor, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen der Beklagten und dem Kläger nicht erwarten lassen, denn der Kläger hat erstinstanzlich bewusst wahrheitswidrigen Prozessvortrag gehalten.
60Zu dem beklagtenseitigen Kündigungsvorwurf der Selbstbeurlaubung hat der Kläger zunächst mit Schriftsatz vom 20.06.2018 vorgetragen, der Zeuge Dr. R habe ihm und weiteren Mitarbeitern gegenüber erklärt, sie könnten einzelne Tage Urlaub nehmen, ohne dass er diese separat bewillige, solange dies in der Software t eingetragen und der Mitarbeiter seine Abwesenheit im Outlook-Kalender eingetragen habe. Mit weiterem Schriftsatz vom 02.10.2018 hat der Kläger vorgetragen, der Zeuge Dr. R habe ihm die Verfahrensweise, dass Urlaub für einzelne Tage genehmigt sei, sofern er nicht ausdrücklich abgelehnt habe, im Juli 2017 in einem Vieraugengespräch vorgeschlagen, als der Kläger die schleppende Reaktion auf seinen für Ende August eingereichten Urlaubsantrag angesprochen habe. Schließlich hat der Kläger in der Berufungsinstanz ausgeführt, jeglichem beklagtenseitigen Vortrag, er habe bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt, trete er ganz entschieden entgegen. Sein bisheriger erstinstanzlicher Vortrag bleibe vollumfänglich aufrecht erhalten. Vielmehr stellten die gegenteiligen Sachverhaltsangeben der Beklagten ihrerseits bewusst falschen Tatsachenvortrag dar. Mit Schriftsatz vom 23.12.2019 wiederholt der Kläger letztlich nochmals seine erstinstanzlichen Ausführungen. Hier heißt es wörtlich:
61"Vor dem Hintergrund des immer näher rückenden über die Software t beantragten Sommerurlaubs des Klägers für Ende August 2017 sprach der Kläger den Zeugen Dr. R Ende Juli 2017 im Rahmen eines anstehenden 1:1-Gesprächs auf die seit längerer Zeit noch ausstehende Bearbeitung seines Urlaubsantrags an, da er selbstverständlich Planungssicherheit benötigte.
62Herr Dr. R bewilligte ihm sodann den Sommerurlaub und erwähnte in diesem Zusammenhang, er solle sich darüber keinen Kopf machen, für ihn sei wichtig, dass das Geschäft liefe, er könne sich einzelne Tage immer mal Urlaub nehmen, solange dies über ti beantragt und im offenen Outlook-Kalender für alle Kollegen einsehbar sei. Dann seien einzelne Urlaubstage auch unproblematisch ohne seine Genehmigung in Ordnung."
63Hiervon habe der Kläger erstmals am 21.12.2017 Gebrauch gemacht, indem er am 18.12.2017 unstreitig seinen Urlaubsantrag für diesen Tag bei t beantragt und ihn zugleich in den Outlook-Kalender eingetragen habe. Mit weiterem Schriftsatz vom 28.04.2020 hat der Kläger abschließend nochmals auf seinen bisherigen zweitinstanzlichen Vortrag Bezug genommen.
64Dieser Sachvortrag des Klägers ist in seinem wesentlichen Inhalt unwahr. Das steht zur Überzeugung der erkennenden Kammer nach dem Ergebnis der zweitinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme fest.
65Denn der Zeuge Dr. R hat die vom Kläger behauptete Sonderregelung für die Abwicklung eintägiger Kurzurlaube grundlegend verneint. Er hat zunächst ausgesagt, er könne sich an ein konkretes Vieraugengespräch mit dem Kläger zu dieser besonderen Urlaubsthematik nicht erinnern. Sehr wohl ausdrücklich ausgeschlossen hat der Zeuge allerdings die vom Kläger behauptete besondere Zusage zur Abwicklung eintägiger Urlaubsanträge. Hierzu hat er bekundet, dass er eine solche Zusage "definitiv" ausschließe. Auf Vorhalt der vom Kläger vorgetragenen näheren Sachumstände des Gesprächs hat sich der Zeuge sodann an ein Gespräch über einen besonderen Segelurlaub des Klägers im Sommer 2017 erinnern können. Seine Haltung sei damals gewesen, dass der Urlaub bewilligt werden könnte, wenn die seinerzeit anstehenden Arbeiten rechtzeitig erledigt wären. Es sei aber bei dem grundsätzlichen Bewilligungserfordernis durch ihn geblieben und die vom Kläger behauptete Zusage sei nicht erfolgt.
66Die Aussage des Zeugen Dr. R ist glaubhaft und die Kammer hat keine Gründe, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln. Er hat seine Aussage auf die Tatsachen beschränkt, an die er sich nach mittlerweile mehrjährigem Zeitablauf noch erinnern konnte und hat nicht versucht, Erinnerungslücken durch Vermutungen zu füllen. Vielmehr hat er unmissverständlich deutlich gemacht, woran er sich noch erinnern konnte. Dabei erschien der Kammer seine Aussage zu der klägerseits behaupteten Zusage auch insofern uneingeschränkt glaubhaft, als der Zeuge mehrfach bekundet hat, dass eine solche Zusage für ihn bereits grundlegend mit einer sachgerechten Personalführung nicht vereinbar sei. Dabei hat er ausdrücklich auf seine damalige Funktion als Personalleiter Bezug genommen und klargestellt, dass derartige Sonderbehandlungen einzelner Mitarbeiter in seiner Rolle als Personalleiter nicht denkbar gewesen seien. Hätte der Zeuge bei dieser Grundeinstellung beim Kläger gleichwohl eine Ausnahme gemacht, wäre ihm diese sicherlich noch erinnerlich.
67Hinzu kommt, dass der Zeuge völlig unbeeinflusst aussagen konnte. Er ist unstreitig seit mehr als einem Jahr nicht mehr bei der Beklagten beschäftigt und die vom Kläger behauptete Sonderzusage hätte in der aktuellen Lebenssituation des Zeugen keinerlei Auswirkungen. Hätte es die vom Kläger behauptete Zusage gegeben, ist nicht ersichtlich, warum der Zeuge diese nicht hätte bestätigen sollen.
68An der aufgrund der vorstehenden Beweiswürdigung durch die erkennende Kammer gewonnenen Überzeugung vermag auch die Einlassung des Klägers im Rahmen der ihm anschließend eingeräumten Möglichkeit zur persönlichen Stellungnahme nichts zu ändern. Der Kläger wiederholt dabei lediglich seinen bisherigen Sachvortrag und hält an ihm uneingeschränkt fest. Eine gewisse Relativierung ergibt sich allenfalls aus seinem erstmaligen Vortrag, die Zusage durch den Zeugen Dr. R sei nicht zentraler Gegenstand des Gesprächs um die konkrete Urlaubsbewilligung gewesen, sondern lediglich in einem "Nachsatz" erfolgt. Auch hierfür bietet die entgegenstehende Aussage des Zeugen Dr. R keine Anhaltspunkte. Vielmehr bleibt es dabei, dass der Prozessvortrag des Klägers in direktem Widerspruch zu der ausdrücklichen Bekundung des Zeugen Dr. R steht, er habe eine derartige Zusage auf keinen Fall gegeben.
69Dieser unwahre Prozessvortrag des Klägers hat die Vertrauensgrundlage des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses grundlegend zerstört. Dabei ist zum einen Position des Klägers im Unternehmen der Beklagten zu gewichten. Unabhängig von dem streitigen Vortrag über die Befugnisse und Aufgaben des Klägers im Bereich der konkreten Urlaubsabwicklung war der Kläger unstreitig in einer herausgehobenen Führungsposition im Personalbereich tätig. Nach seinem eigenen Vortrag trug er HR-Verantwortung für 250 Arbeitnehmer der Beklagten. In einer derart herausgehobenen Funktion, zudem im Personalbereich, ist gegenseitiges Vertrauen zwingende Voraussetzung für eine dienliche Zusammenarbeit. Nach dem oben dargestellten, bewusst wahrheitswidrigen Prozessvortrag des Klägers ist dieses Vertrauen offensichtlich erheblich gestört. Dabei ist es nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts völlig unerheblich, dass der maßgebliche Prozessvortrag des Klägers für die rechtliche Beurteilung der ursprünglichen Kündigungsschutzklage vermeintlich ohne Relevanz war. Zum anderen ist die Beharrlichkeit des Klägers zu berücksichtigen, mit der er an dem wahrheitswidrigen Prozessvortrag festhält. Darüber hinaus wirft der Kläger der Beklagten seinerseits wahrheitswidrigen Prozessvortrag wegen des aufrecht erhaltenen Auflösungsantrags vor. Deutlicher kann eine Zerrüttung nicht zu Tage treten.
70(3) Für die Auflösung ist gemäß § 9 Abs. 2 KSchG der Zeitpunkt festzusetzen, zu dem das Arbeitsverhältnis bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte. Dies ist der 31.03.2018.
71b) Die Beklagte hat gemäß § 9 Abs. 1 KSchG an den Kläger eine angemessene Abfindung zu zahlen. Als angemessen erachtet die erkennende Kammer unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falls einen Betrag in Höhe von 24.310 € brutto.
72(1) Das Gericht hat von Amts wegen über die Höhe der Abfindung zu befinden ohne an Anträge der Parteien gebunden zu sein. § 10 KSchG gibt lediglich Höchstgrenzen für die Abfindung vor (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.09.2020 - 9 Sa 584/20, juris).
73(2) Die Angemessenheit hat sich im Rahmen dieser Höchstgrenzen am Zweck der Abfindung zu orientieren. Dieser besteht in erster Linie darin, dem Arbeitnehmer einen Ausgleich für die Vermögens- und Nichtvermögensschäden zu gewähren, die sich aus dem an sich nicht gerechtfertigten Verlust des Arbeitsplatzes ergeben (ErfK/Kiel, 20. Aufl., § 10 KSchG Rn. 4). Zu berücksichtigen sind insbesondere die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des Arbeitnehmers, wobei in unionsrechtskonformer Auslegung im Hinblick auf Art. 19 Abs. 1 AEUV in erster Linie nicht das Alter an sich, sondern die vom Alter abhängigen Chancen auf dem Arbeitsmarkt bei der Bemessung der Abfindungshöhe beachtlich sind (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.09.2020 - 9 Sa 584/20, juris). Als geeigneter Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für die Zumessungsüberlegungen kann ein halbes Monatsgehalt je Beschäftigungsjahr dienen, was zudem der Wertung des § 1a Abs. 2 KSchG entspricht (LAG Hamm, Urteil vom 17.08.2020 - 8 Sa 1271/18, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.03.2020 - 2 Sa 147/19, juris).
74Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die erkennende Kammer einen Betrag in Höhe von 24.310 € für angemessen erachtet. Sie ist dabei der vorgenannten Berechnungsformel gefolgt und hat die Betriebszugehörigkeit des Klägers (4,42 Jahre) mit dem Bruttomonatsdienst des Klägers und einem Faktor 0,5 multipliziert. Besondere Umstände, die Veranlassung gäben, von der Ausgangformal abzuweichen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere begründet das Lebensalter des Klägers keine besondere Schutzwürdigkeit und führt nicht zu einer höheren Bemessung der Abfindung, nachdem der Kläger in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 06.05.2020, also ca. ein halbes Jahr nach Zugang des arbeitgeberseitigen zweitinstanzlichen Auflösungsantrags, auf Nachfrage des Gerichts zu Protokoll erklärt hat, dass er keine anderweitige Tätigkeit suche, da er überzeugt davon sei, dass Arbeitsverhältnis bei der Beklagten fortzusetzen.
754. Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 615 Satz 1 BGB Anspruch auf Zahlung von 33.000 € brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 7.838,10 € netto.
76Annahmeverzug i.S.d. § 615 BGB liegt immer dann vor, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annimmt oder annehmen kann, obwohl der Arbeitnehmer leistungsbereit und leistungswillig ist. Hier ordnet das Gesetz an, dass der Arbeitnehmer die Vergütung verlangen kann, ohne zur Nachleistung der dadurch ausgefallenen Arbeit verpflichtet zu sein. Hauptanwendungsfall des Annahmeverzugs ist die Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers nach Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung, die sich im Nachhinein als rechtsunwirksam darstellt (vgl. Küttner/Griese, Personalbuch 2020, 27. Aufl., Annahmeverzug Rn. 2).
77So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat den Kläger unwirksam mit sofortiger Wirkung am 29.12.2017 gekündigt. Der Kläger war in der Folgezeit leistungsbereit und leistungswillig. Bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.03.2018 ist die Beklagte daher zur Zahlung der vertraglichen Vergütung des Klägers in unstreitiger Höhe von monatlich 11.000 € brutto abzüglich des an den Kläger durch die Agentur für Arbeit gezahlten Arbeitslosengeldes verpflichtet.
785. Der Kläger hat gegen die Beklagte ferner Anspruch auf Bonuszahlungen für das Kalenderjahr 2017 sowie anteilig für das erste Quartal des Kalenderjahres 2018 in Höhe von insgesamt 24.750 € brutto.
79Nach § 6 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 27.06.2016 erhält der Kläger nach näherer Maßgabe der getroffenen Regelungen einen variablen Bonus mit einer Zielgröße von maximal 15% des Brutto-Jahresgrundgehalts. Ein etwaiger Bonus wird kalenderjährlich geleistet und hängt in seinem Entstehen und seiner Höhe davon ab, dass bestimmte Ziele erreicht werden. Die Ziele werden kalenderjährlich bis spätestens zum 31.03. des jeweiligen Kalenderjahres einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer Zielvereinbarung festgelegt. Dabei ist für einen Bonusanspruch eine Zielerreichung von mindestens 80% erforderlich. Im Ein- und Austrittsjahr ist ein etwaiger Bonus entsprechend zeitanteilig zu berechnen.
80Für das Kalenderjahr 2017 verständigten sich die Parteien unter dem 06.06.2017 auf eine Zielvereinbarung. Diese verlangt zum einen das Erreichen eines bestimmten Umsatzes sowie zum anderen das Erzielen eines bestimmten EBIT-Wertes der H -Gruppe. Beide Ziele sind jeweils mit 50% zu gewichten. Für das Kalenderjahr 2018 haben die Parteien keine Zielvereinbarung mehr getroffen.
81Wegen des Bonusanspruchs für das Kalenderjahr 2017 nimmt die erkennende Kammer vollinhaltlich auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung Bezug und macht sich diese zu Eigen. Dort ist das Arbeitsgericht zu Recht von einer abgestuften Darlegungs- und Beweislastverteilung ausgegangen und hat eine substantiierte Einlassung der Beklagten zu den Umsatz- und EBIT-Zahlen, die Grundlage für die Berechnung des Bonusanspruchs sind, verlangt. Derartigen substantiierten Vortrag hat die Beklagte auch zweitinstanzlich nicht gehalten, sondern lediglich die pauschalen Zahlenangaben aus dem erstinstanzlichen Vortrag wiederholt. Damit bleibt es beim erstinstanzlich zugesprochenen Bonusanspruch des Klägers für das Kalenderjahr 2017 in Höhe von 19.800 € brutto.
82Hinzu kommt der anteilige Bonusanspruch des Klägers für das erste Quartal 2018 in Höhe von 4.950 € brutto. Der Kläger hat insoweit gemäß § 280 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Schadenersatz in vorgenannter Höhe.
83Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist ein Arbeitgeber bei einem arbeitsvertraglich vereinbarten variablen Gehaltsbestandteil, der von der Erreichung zu vereinbarender Ziele abhängig ist, im Fall einer nicht zustande gekommenen Zielvereinbarung nach Ablauf der Zielperiode gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 Satz 1, 252 BGB verpflichtet, dem Arbeitnehmer wegen der entgangenen Vergütung Schadenersatz zu leisten, wenn er das Nichtzustandekommen der Zielvereinbarung zu vertreten hat (BAG, Urteil vom 12.05.2010 - 10 AZR 390/09, NZA 2010, 1009; BAG, Urteil vom 20.03.2013 - 10 AZR 8/12, NZA 2013, 970 jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).
84Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Insbesondere hat die Beklagte das Nichtzustandekommen der Zielvereinbarung zu vertreten, da sie mit dem Ausspruch der unwirksamen außerordentlichen Kündigung vom 28.12.2017 die Ursache dafür gesetzt hat, dass eine weitere Zielvereinbarungsabrede zwischen den Parteien unterblieben ist. Rechtlich unerheblich ist insoweit der Einwand der Beklagten, sie hätte ohnehin mit dem Kläger allenfalls eine Zielvereinbarung verabredet, deren Ziele - ebenso wie bei allen anderen Mitarbeitern der Personalabteilung - im Jahr 2018 nicht erreicht worden wären. Die Beklagte geht insoweit offensichtlich von einer einseitigen Zielvorgabe aus und lässt unberücksichtigt, dass es sich um eine zweiseitige, im beiderseitigen Einvernehmen zu treffende Zielvereinbarung handelt und von daher eine verbindliche Prognose über den hypothetischen Inhalt der Vereinbarung allein aus Arbeitgebersicht nicht getroffen werden kann.
856. Der Zinsanspruch des Klägers folgt im Umfang der begründeten Zahlungsanträge unter Verzugsgesichtspunkten aus §§ 286 Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB.
867. Die weitergehende Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte weder weitergehende Vergütungsansprüche noch einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Diese Ansprüche scheitern sämtlich an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2018. Das gilt auch für den erstinstanzlich zugesprochenen Antrag auf Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses. Dieser ist mit der beklagtenseitigen Berufung Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Ein eventueller Anspruch auf Erteilung eines solchen Zwischenzeugnisses ist spätestens mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.03.2018 entfallen (vgl. HWK/Gäntgen, 9. Aufl., § 109 GewO Rn. 34). Im Rahmen des Berufungsverfahrens hat der Kläger keinen Antrag auf Erteilung eines Endzeugnisses gestellt. Auch der erstinstanzlich diesbezüglich gestellte Hilfsantrag ist mangels Abweisung der Feststellungsanträge bezüglich der Unwirksamkeit der beiden Kündigungen nicht zur Entscheidung angefallen.
87III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG bestehen nicht, da sämtliche erheblichen Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt sind und die Entscheidung im Übrigen auf den Umständen des Einzelfalls beruht.