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1. Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 09.03.2017 – 11 Ca 8029/16 abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über die Höhe des Urlaubsentgelts.
3Die Klägerin ist seit dem 05.11.2007 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern als Luftsicherheitsassistentin am Flughafen K /B beschäftigt. Ihre regelmäßige monatliche Arbeitszeit beträgt 160 Stunden pro Monat. Die Parteien sind tarifgebunden.
4Die Klägerin erhält einen tariflichen Lohn nach dem Lohntarifvertrag für Sicherheitsdienstleistungen in Nordrhein-Westfalen vom 05.02.2015 (im Folgenden LTV), Lohngruppe 17 b) (Tätigkeiten nach § 5 LuftSiG an Verkehrsflughäfen nach der Probezeit) von ab Januar 2016 von 16,00 Euro brutto. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den LTV verwiesen.
5Der Manteltarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen vom 04.09.2013 (im Folgenden MTV) enthält u.a. folgende Regelungen:
6§ 14 Arbeitszeitkonten
7(1) Im Rahmen der Regelung des § 13 (durchschnittliche Arbeitszeit) und § 15 wird ein Planungs-/Arbeitszeitkonto eingerichtet. Die Ausgestaltung dieses und eventueller anderer Arbeitszeitkonten ist im Rahmen einer Betriebsvereinbarung zu regeln.
8(…)
9§ 15 Entgeltzahlung / Monatsentgelt
10(1) Es wird ein monatliches Regelentgelt gezahlt. Das monatliche Regelentgelt einer/eines Vollzeitbeschäftigten errechnet sich aus der der jeweiligen Tätigkeit zugrunde liegenden entgelttariflichen Stundengrundvergütung multipliziert mit der monatlichen Arbeitszeit nach § 13 dieses Manteltarifvertrages. (…)
11Zum Regelentgelt werden zusätzlich die im Abrechnungszeitraum erarbeiteten Zeitzuschläge sowie sonstige Zulagen (Funktions-, Führungs- und Fachzulagen) zur Auszahlung gebracht.
12(…)
13§ 16 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
14(1) Soweit nichts anderes im Tarifvertrag geregelt ist, gilt das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) in seiner jeweils aktuellen Fassung.
15(2) Während der Krankheit wird unter den Voraussetzungen des § 3 des EFZG das monatliche Regelentgelt fortgezahlt.
16(3) Krankheitstage, die gemäß EFZG Berücksichtigung finden, werden bei der Stundenwertstellung wie folgt berechnet:
17individuelle Gesamtstunden der letzten zwölf Monate geteilt durch die individuellen geleisteten Arbeitstage der letzten zwölf Monate = Stundenwertstellung.
18(…)
19§ 18 Urlaubsentgelt
20(1) Im Urlaub wird das monatliche Regelentgelt gemäß § 15 dieses Manteltarifvertrages für die Dauer des Erholungsurlaubs fortgezahlt.
21(2) Für das über das monatliche Regelentgelt hinausgehende monatliche Bruttoarbeitseinkommen (inkl. Zeitzuschläge, Mehrarbeitsstunden, Entgeltumwandlung usw., jedoch ohne Einmalzahlungen) wird folgende Regelung getroffen:
22Je Urlaubstag wird der Teiler entsprechend der tatsächlich geleisteten Arbeitstage der letzten zwölf abgerechneten Monate berücksichtigt, maximal jedoch 252 Arbeitstage.
23(3) Für die Stundenwertstellung gilt § 16 Ziffer 3 dieses Manteltarifvertrages entsprechend.
24(…)
25Die Beklagte richtete erstmals in Durchführung der Betriebsvereinbarung vom 16.12.2017 ein Arbeitszeitkonto mit Wirkung ab dem 01.01.2017 ein. Im hier streitigen Zeitraum April 2016 bis Juli 2016 rechnete die Beklagte monatlich stundengenau nach Tariflohn, zuzüglich Mehrarbeitsvergütung, Zulagen und Zuschüssen ab. Die für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 16 Abs.3 MTV zu berechnende Stundenwertstellung erfolgte dabei in der Weise, dass sowohl bei den im Zähler einzusetzenden „individuelle(n) Gesamtstunden“ als auch bei den im Nenner/Teiler einzusetzenden „individuellen geleisteten Arbeitstage(n)“ sämtliche individuell abgerechneten Stunden, bzw. Arbeitstage, einschließlich der Mehrarbeitszeiten sowie Urlaubs- und Entgeltfortzahlungsstunden berücksichtigt wurden. Dabei legte die Beklagte den Tariflohn ohne Zulagen zugrunde. Die Berechnung des Urlaubsentgelts erfolgte, gleichfalls nach der Stundenwertstellung gemäß § 16 Abs.3 iVm § 18 Abs.3 MTV, mit der Begründung, dass wegen der stundengenauen Abrechnung kein „monatliches Regelentgelt“ nach § 18 Abs.1 MTV gezahlt werde Das in den Lohnabrechnungen als „Zusatzentgelt Urlaub“ bezeichnete Urlaubsentgelt nach § 18 Abs.2 MTV berechnete die Beklagte in Höhe der in den letzten zwölf Monaten gezahlten Zuschläge, ohne (nochmalige) Berücksichtigung der Mehrarbeit. Auf die von den Parteien vorgelegten Lohnabrechnungen wird verwiesen.
26Die Klägerin hat mit Schreiben vom 28.07.2016 eine fehlerhafte Berechnung des Zusatzentgelts für Urlaub für April in Höhe von 1,24 Euro, für Mai in Höhe von 35,23 Euro und Juni in Höhe von 117,51 Euro geltend gemacht. Hierauf hat die Beklagte mit Schreiben vom 28.07.2016 reagiert und erklärt, den Sachverhalt zu prüfen und dann zu gegebener Zeit mit ihr Kontakt aufzunehmen. Mit Schreiben vom 24.08.2016 hat die Klägerin zudem Entgeltdifferenzen für die Monate Juli 2016 in Höhe von 107,83 Euro geltend gemacht.
27Mit ihrer Klage hat die Klägerin Zusatzentgelt Urlaub nach § 18 Abs.2 MTV aus den Monaten April 2016 bis Juli 2016 geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, dass dabei für die Berechnung die tatsächlich gezahlte Vergütung der letzten zwölf Monate der Grundvergütung, die sich aus 160 Stunden à 16,00 Euro ergebe, gegenübergestellt werden müsse. Der Differenzbetrag sei durch die tatsächlich geleisteten Arbeitstage zu teilen. Wegen der Einzelheiten der Klageforderung wird auf die klägerischen Schriftsätze Bezug genommen.
28Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
29die Beklagte zu verurteilen, an sie 261,81 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten oberhalb des Basiszinssatzes aus 1,24 Euro seit dem 01.05.2016, aus weiteren 35,23, Euro seit dem 01.06.2016, aus weiteren 117,51 Euro seit dem 01.07.2016, aus weiteren 107,83 Euro seit dem 01.08.2016 zu zahlen.
30Die Beklagte hat beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Sie hat sich die Berechnung der Urlaubsentgeltansprüche durch die Klägerin gerügt.
33Das Arbeitsgericht hat der Klage aufgrund einer eigenen Berechnung in Höhe von insg. 66,45 Euro brutto nebst Zinsen stattgegeben und die weitergehende Klage abgewiesen. Auf das Urteil (Bl. 50 – 60 d. A.) wird verwiesen. Dagegen wenden sich beide Parteien mit ihrer Berufung. Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihre erstinstanzlichen Ansprüche weiter. Das Arbeitsgericht habe - wie die Beklagte - das Zusatzentgelt Urlaub nach § 18 Abs.2 MTV im hier streitigen Zeitraum falsch berechnet, insbesondere seien die tatsächlich geleisteten Mehrarbeitsstunden nicht berücksichtigt worden. Die doppelte Erfassung der Mehrarbeit sei tariflich gewollt. Eine andere Auslegung verstoße gegen den Wortlaut der Tarifnorm. Darüber hinaus habe die Beklagte den Begriff „tatsächlich geleistet Arbeitstage“ in § 18 Abs.2 MTV der falsch ausgelegt, da sie insoweit auch Urlaubs- und Krankheitstage berücksichtigt habe.
34Wegen der Berechnung der Klageforderung im Einzelnen wird auf den Berufungsbegründungsschriftsatz verwiesen.
35Die Klägerin beantragt sinngemäß,
36das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 261,81 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten oberhalb des Basiszinssatzes aus 1,24 Euro seit dem 01.05.2016, aus weiteren 35,23, Euro seit dem 01.06.2016, aus weiteren 117,51 Euro seit dem 01.07.2016, aus weiteren 107,83 Euro seit dem 01.08.2016 zu zahlen.
37Die Beklagte beantragt,
38die Zurückweisung der Berufung sowie das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
39Sie ist weiter der Auffassung, die von ihr vorgenommene Berechnung sei tarifgerecht.
40Wegen der Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
41E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
42I. Die Berufungen sind zulässig, in der Sache hat nur die Berufung der Beklagten Erfolg. Das Berufungsgericht folgt weder der Berechnungsweise des Arbeitsgerichts noch der der Klägerin. Der Klägerin stehen die von ihr für die Monate April 2016 bis Juli 2016 geltend gemachten Zahlungsansprüche nicht zu. Die Klägerin hat nicht schlüssig dargelegt, dass sie für diesen Zeitraum über die von der Beklagten ausgezahlte Vergütung hinaus einen weiteren Lohn in Höhe des zuletzt geltend gemachten Betrags 261,81 Euro brutto beanspruchen kann. Das Berufungsgericht verkennt dabei nicht die Schwierigkeiten – für beide Parteien - eine tarifkonforme Berechnung vorzunehmen. Dies hat seine Ursache nicht zuletzt darin, dass die Beklagte im hier streitigen Zeitraum in ihrem Betrieb kein Arbeitszeitkonto eingerichtet hat.
431. Das Berufungsgericht folgt nicht der Auslegung der einschlägigen tariflichen Vorschriften, die der Berechnung der Klägerin zugrunde liegt. Die Klägerin geht bei ihrer Berechnung der Klageforderung von folgender der Auslegung des § 18 Abs.2 MTV aus:
44Für das „zusätzliche Urlaubsentgelt“ nach § 18 Abs.2 MTV sind, ungeachtet, ob sie entsprechend der Berechnung der Beklagten bereits im Stundenwert erfasst wurden, die tatsächlich geleisteten Mehrarbeitsstunden zu berücksichtigen. Die dadurch sich ergebende doppelte Erfassung der Mehrarbeit ist tariflich gewollt. Darüber hinaus fallen unter die „tatsächlich geleisteten Arbeitstage“ nach § 18 Abs.2 MTV keine Urlaubs- und Krankheitstage.
452. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. etwa BAG 07.07.2004 – 4 AZR 433/03 – m. w. N.).
463. Nach diesen Grundsätzen ist der Auslegung des § 18 Abs.2 MTV, die der Berechnung der Klägerin zugrunde liegt, nicht zu folgen. Für das „zusätzliche Urlaubsentgelt“ nach § 18 Abs.2 MTV sind die tatsächlich geleisteten Mehrarbeitsstunden, entgegen der Auffassung der Klägerin, jedenfalls wenn diese - wie hier - bereits im Stundenwert nach § 18 Abs.3 MTV erfasst wurden, nicht nochmals zu berücksichtigen. Unter die „tatsächlich geleisteten Arbeitstage“ nach § 18 Abs.2 MTV fallen auch Urlaubs- und Krankheitstage.
47a. Grundsätzlich gilt für die Urlaubsentgeltberechnung nach § 18 Abs.1 und Abs.3 MTV folgendes: In § 18 Abs.1 heißt es ausdrücklich: „Im Urlaub wird das monatliche Regelentgelt gemäß § 15 dieses Manteltarifvertrages für die Dauer des Erholungsurlaubs fortgezahlt.“ Die Stundenwertstellung nach § 18 Abs.3 MTV verweist ausdrücklich auf § 16 Abs.3 MTV. Der für die Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und das Urlaubsentgelt maßgebliche Stundenwert nach § 16 Abs. 3 und § 16 Abs.3 iVm § 18 Abs.3 MTV ist nicht in der Weise zu berechnen, dass nur im Zähler, nicht jedoch im Nenner/Teiler die Urlaubs- und Krankheitsstunden zu berücksichtigen sind.
48aa. Gemäß § 16 Abs. 3 MTV wird die Stundenwertstellung wie folgt berechnet:
49Individuelle Gesamtstunden der letzten zwölf Monate geteilt durch die individuellen geleisteten Arbeitstage der letzten zwölf Monate = Stundenwertstellung.
50bb. Die Auslegung dieser Tarifnorm ergibt, dass Krankheits- und Urlaubszeiten bei der Ermittlung der „individuellen Gesamtstunden“ unberücksichtigt bleiben. Das Berufungsgericht schließt sich der Auslegung des Arbeitsgerichts an, das im Anschluss an eine Entscheidung der 2. Kammer des Arbeitsgerichts Köln (Urteil vom 23.03.2016 – 2 Ca 7655/15) unter Beachtung der oben genannten Auslegungsgrundsätze festgestellt hat:
51Der Wortlaut der tariflichen Vorschrift des § 16 Abs. 3 MTV ist hinsichtlich der Frage, ob Krankheits- und Urlaubszeiten bei der Ermittlung der „individuellen Gesamtstunden“ einzubeziehen sind, offen. „Individuelle Gesamtstunden“ kann aufgrund des Zusatzes „individuelle“ als „individuell geleistete“ Gesamtstunden verstanden werden. Nach dem reinen Wortlaut können damit aber auch die individuellen Gesamtstunden verstanden werden, wie sie sich aus den Lohnabrechnungen ergeben, also unabhängig davon, ob es sich um tatsächlich geleistete Stunden oder um Stunden handelt, die aufgrund Krankheit, Urlaub oder anderer Umstände ohne Arbeitsleistung vergütet wurden.
52Das systematische Argument, das sich aus der Zusammenschau mit der weiteren Definition der Berechnungsmethode ergibt, spricht eher für die Auffassung des Klägers, dass bei den „individuellen Gesamtstunden“ nicht nur auf die „geleisteten“ Stunden abzustellen ist, da – anders als bei den „individuellen geleisteten Arbeitstagen“ – das Wort „geleistete“ zwischen die Worte „individuelle Gesamtstunden“ gerade nicht eingefügt ist.
53Bei der Auslegung von Tarifverträgen ist jedoch der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Sinn und Zweck der tariflichen Regelung zur Entgeltfortzahlung ist, dem Arbeitnehmer im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit seinen Anspruch auf Arbeitsentgelt zu erhalten; sie dient damit der Sicherung des Lebensunterhalts. Da die Arbeitszeiten der am Flughafen eingesetzten Arbeitnehmer typischerweise nicht gleichmäßig verteilt sind, ist Sinn und Zweck der Berechnungsmethode in § 16 Abs. 3 MTV, die durchschnittliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers, die auf einen Arbeitstag entfällt, in einem 12-Monatszeitraum zu ermitteln. Der Arbeitnehmer soll im Falle der Erkrankung die Stunden vergütet erhalten, die er durchschnittlich an einem Arbeitstag erbringt. Sinn und Zweck der tariflichen Vorschrift ist es hingegen nicht, dem Arbeitnehmer für Zeiten der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit mehr Stunden zu vergüten, als er durchschnittlich an Tagen erbringt, an denen er seine Arbeit tatsächlich leistet. Dies wäre aber das Ergebnis, wenn man der Berechnungsmethode des Klägers folgen würde: Denn wenn im Zähler bei den „individuelle Gesamtstunden“ Krankheits- und Urlaubsstunden der letzten 12 Monate einbezogen werden, im Teiler bei den „individuellen geleisteten Arbeitstagen“ hingegen nicht, spiegelt die daraus ermittelte „Stundenwertstellung“ nicht die durchschnittlich an Arbeitstagen geleisteten Arbeitsstunden wieder. Je mehr Krankheits- und Urlaubszeiten innerhalb des 12- Monatszeitraums eingeflossen sind, umso größer wird im Ergebnis die Stundenwertstellung, d.h. desto höher wären die vom Arbeitgeber zu vergütenden Stunden pro Tag der Entgeltfortzahlung. Dies entspricht nicht dem Sinn und Zweck der Tarifvorschrift.
54Die Fehlerhaftigkeit der klägerischen Rechtsauffassung springt bei folgendem Beispiel geradezu ins Auge:
55Die Luftsicherheitskraft L, mit der eine monatliche Regelarbeitszeit von 173 Stunden vereinbart ist, war im Jahr 2015 fast durchgehend aufgrund verschiedener Erkrankungen arbeitsunfähig erkrankt. Zeiten sechswöchiger Arbeitsunfähigkeit mit Entgeltfortzahlung wechselten sich ständig mit ein bis zwei Tagen geleisteter Arbeit ab. Insgesamt arbeitete L im Jahr 2015 an 10 Tagen jeweils 8 Stunden, die restlichen Tage war er mit Entgeltfortzahlung arbeitsunfähig erkrankt. Die Arbeitgeberin vergütete für das Jahr 2015 insgesamt 2.076 Stunden. Am 02.01.2016 war L ebenfalls erkrankt.
56Nach klägerischer Berechnung würde die Stundenwertstellung für den Krankheitstag 02.01.2016 insgesamt 207,60 Stunden betragen (2.076 individuelle Stunden in den letzten 12 Monaten / 10 geleistete Arbeitstage), Entgeltfortzahlung für einen einzigen Tag würde mithin allein bezogen auf den Grundlohn 3.186,66 Euro brutto betragen. Nach zutreffender Berechnung würde die Stundenwertstellung insgesamt 8 Stunden betragen (80 Stunden geleistete Arbeit / 10 geleistete Arbeitstage).
57Die Tarifauslegung ergibt damit nach Auffassung der Kammer trotz des nicht eindeutigen Wortlauts unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Tarifnorm zweifelsfrei, dass bei den „individuellen Gesamtstunden“ i.S.d. § 16 Abs. 3 MTV vergütete Stunden für Tage, an denen keine Arbeitsleistung erbracht worden ist (insbesondere Krankheits- und Urlaubstage), nicht einfließen.
58cc. Entsprechendes gilt auch für die von der Klägerin geltend gemachten Differenzen beim Urlaubsentgelt. § 18 Abs. 3 MTV verweist hinsichtlich der für das Urlaubsentgelt vorzunehmenden Stundenwertstellung auf § 16 Abs. 3 MTV. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.
59b. Nach § 18 Abs.2 MTV ist das „über das monatliche Regelentgelt hinausgehende monatliche Bruttoarbeitseinkommen (inkl. Zeitzuschläge, Mehrarbeitsstunden, Entgeltumwandlung usw., jedoch ohne Einmalzahlungen)“ zu berücksichtigen. Die Tarifnorm geht demnach ihrem Wortlaut nach von einem monatlichen Regelentgelt gemäß § 15 Abs. 1MTV aus. Dafür ist als Zeitfaktor die monatliche Arbeitszeit nach § 13 MTV maßgeblich. Danach beträgt die „regelmäßige Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte (…) ausschließlich der Ruhepausen durchschnittlich 160 Stunden monatlich.“ Mehrarbeitsstunden werden demnach beim monatlichen Regelentgelt nicht erfasst. Die Mehrarbeitsstunden werden nach § 18 Abs.2 MTV neben Zeitschlägen, Entgeltumwandlung ect. als „über das monatliche Regelentgelt hinausgehende(s) monatliche(s) Bruttoarbeitseinkommen“ berücksichtigt. Eine doppelte Berechnung der Mehrarbeit ist der Tarifnorm nicht zu entnehmen.
60aa. Die Beklagte rechnete, da im hier streitigen Zeitraum von ihr kein Arbeitszeitkonto eingerichtet wurde, kein monatliches Regelentgelt ab, sondern monatlich stundengenau nach Tariflohn, zuzüglich Mehrarbeitsvergütung, Zulagen und Zuschüssen. Das Urlaubsentgelt berechnete sie deshalb im streitigen Zeitraum in Höhe der Stundenwertstellung gemäߠ § 16 Abs.3 iVm § 18 Abs.3 MTV. Dabei wurden sämtliche individuell abgerechneten Stunden, bzw. Arbeitstage, einschließlich der Mehrarbeitszeiten sowie Urlaubs- und Entgeltfortzahlungsstunden berücksichtigt. Das in den Lohnabrechnungen als „Zusatzentgelt Urlaub“ bezeichnete Urlaubsentgelt nach § 18 Abs.2 MTV berechnete die Beklagte in Höhe der in den letzten zwölf Monaten gezahlten Zuschläge, ohne (nochmalige) Berücksichtigung der Mehrarbeit.
61bb. Diese der Berechnung der Beklagten zugrundeliegende Auslegung des § 18 Abs.2 MTV entspricht dem von den Tarifparteien erkennbar verfolgte Zweck der Regelung, nämlich sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer in Zeiten, in denen sie urlaubsbedingt keine Arbeitsleistung erbringen, genauso vergütet werden wie in Zeiten, in denen sie arbeiten.
62cc. Für diese Auslegung des § 18 Abs.2 MTV spricht zudem eine Vergleichsbetrachtung von Arbeitnehmern mit und ohne Arbeitszeitkonto. Dazu hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln (Urteil vom 3.4.2017– 2 Sa 862/16) zutreffend ausgeführt:
63Bei der Auslegung des Tarifvertrages ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Tarifvertragsparteien keine Gerechtigkeitsunterschiede zwischen Arbeitnehmern ohne Arbeitszeitkonto, solchen mit Arbeitszeitkonto und vollständiger Freizeitgewährung und solchen mit Arbeitszeitkonto und einmaliger Auszahlung des Stundenguthabens am Jahresende machen wollten. Arbeitnehmer mit Arbeitszeitkonto erhalten eine Zeitgutschrift. Die geleisteten Arbeitszeitstunden finden ansonsten in der Urlaubsvergütung keinen Niederschlag, denn sie sind nicht ausgezahlt worden. Dies ist unabhängig davon, ob aus dem Arbeitszeitkonto Freistellungen gewährt werden oder dieses am Jahresende vollständig ausgezahlt wird. Arbeitnehmer ohne Arbeitszeitkonto, bei denen die Mehrarbeit unmittelbar ausgezahlt wird, erhalten diese bereits durch Berücksichtigung der geleisteten Zahlungen nach § 18 Abs. 2 MTV als durchschnittliche Urlaubsvergütung, dafür mangels Arbeitszeitkonto aber keine Zeitgutschrift. Damit ist sichergestellt, dass alle Arbeitnehmer egal ob ein Arbeitszeitkonto geführt wurde, ob dieses durch Freistellung abgebaut wurde oder ob es ganz oder teilweise ausgezahlt wurde den gleichen Urlaubswert zugewandt, wie Arbeitnehmer für die kein Arbeitszeitkonto geführt wurde.
64c. § 18 Abs.2 MTV hat für die Berechnung folgende Regelung getroffen:
65Je Urlaubstag wird der Teiler entsprechend der tatsächlich geleisteten Arbeitstage der letzten zwölf abgerechneten Monate berücksichtigt, maximal jedoch 252 Arbeitstage.
66Das Berufungsgericht teilt nicht die Auslegung der Klägerin, wonach unter die „tatsächlich geleisteten Arbeitstage“ nach § 18 Abs.2 MTV keine Urlaubs- und Krankheitstage fallen, sondern schließt sich den Ausführungen der2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln in der o.g. Entscheidung an:
67Das Landesarbeitsgericht folgt der arbeitsgerichtlichen Auslegung auch dahingehend, dass für die Berechnung der Urlaubsentgelte nach § 18 Abs. 2 MTV sämtliche Vergütungsbestandteile aus den letzten zwölf Monaten addiert werden, die das Regelentgelt übersteigen und keine Einmalzahlung sind (Zähler), und dass als Teiler die Anzahl aller abgerechneten Arbeitstage berücksichtigt wird. Zum einen ergibt sich dies daraus, dass die Tarifvertragsparteien die Anzahl der maximal zu berücksichtigenden Arbeitstage auf 252 festgelegt haben. Dies sind die Gesamtarbeitstage, die sich einschließlich gewährten Urlaubs in der Fünftagewoche durchschnittlich pro Jahr unter Berücksichtigung von Feiertagen ergeben. Hätten die Tarifvertragsparteien gewährte Urlaubstage von vornherein aus der Berechnung heraushalten wollen, so hätten sie den Teiler geringer angesetzt. Zudem spricht auch § 18 Abs. 4 MTV für diese Auslegung. Denn in dem zurückliegenden Zwölfmonatszeitraum werden lediglich volle abgerechnete Monate mit Entgeltanspruch berücksichtigt. Monate in denen teilweise Krankengeldbezug lag oder Elternzeit/Familienpflegezeit ohne Vergütung in Anspruch genommen wurde, bleiben vollständig unberücksichtigt. Dies spricht dafür, dass die Tarifvertragsparteien den abzurechnenden Arbeitgebern eine Rechnungserleichterung ermöglichen wollten. In Monaten mit unvollständiger Bezahlung sollte nicht hypothetisch festgestellt werden müssen, welche Arbeitstage für die Gesamtberechnung zu Grunde gelegt werden müssen. Dies spricht dafür, in vollständig abgerechneten Monaten nicht zwischen Arbeitstagen, in denen eine Arbeitsleistung erbracht wurde und solchen, für die lediglich Vergütung, sei es Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, sei es Urlaubsentgelt geleistet wurde, zu differenzieren.
68II. Die Klägerin hat die Kosten der erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 ZPO).
69III. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen.