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1. Die Einigungsstelle ist offensichtlich unzuständig, wenn von einem Mitbestimmungsrecht bereits durch den Abschluss einer Betriebsvereinbarung Gebrauch gemacht wurde und diese weder gekündigt noch für unwirksam erklärt ist oder erachtet wird. Das gilt insbesondere dann, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der die Verhandlungen fordernde Betriebsrat für die zu verhandelnden Fragen zuständig ist.
2. Der Gesamtbetriebsrat ist für die Regelung zuständig, wenn die Angelegenheit das Gesamtunternehmen betrifft und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden kann. Zwar geht es um die Konkretisierung allgemeiner Vorschriften zum Gesundheitsschutz, die Arbeitnehmer auf betrieblicher Ebene betreffen. Es handelt sich allerdings um unternehmensweit einheitliche Übernachtungsmöglichkeiten, die von Arbeitnehmern aller Betriebe genutzt werden. Alle auswärts übernachtenden Arbeitnehmer des gesamten Unternehmens der Arbeitgeberin sind von dem Wohnheim betroffen. Dies verlangt auch eine unternehmensweit einheitliche Festlegung der Hygienestandards für dieses Wohnheim.
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 30. September 2015 - 9 BV 269/15 - abgeändert.
Der Antrag wird abgewiesen.
Gründe
2I.
3Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle für die Organisation des Gesundheitsschutzes bei dienstlichen Übernachtungen von Zugbegleitern und anderen Mitarbeitern, die anlässlich ihrer Tätigkeit übernachten müssen.
4Die Arbeitgeberin betreibt ein bundesweit tätiges Verkehrsunternehmen mit mehreren Betrieben. Der antragstellende Betriebsrat ist im Betrieb in K gebildet. Dort sind etwa 800 Arbeitnehmer als Zugbegleiter oder Mitarbeiter im Gastronomiebereich so zur Arbeit eingeteilt, dass auswärtige dienstliche Übernachtungen notwendig sind. Die Arbeitgeberin stellt ua. Übernachtungsmöglichkeiten in Wohnheimen in H , F und M zur Verfügung, die von einer konzernangehörigen Service GmbH betrieben werden. Aus den anderen Betrieben des Unternehmens werden ebenfalls Arbeitnehmer so eingesetzt, dass dienstplanmäßige Übernachtungen notwendig sind.
5In der Vergangenheit kam es zu Beschwerden von Arbeitnehmern über die Hygienezustände der betriebenen Wohnheime. Im September 2014, Februar 2015 sowie Juni und September 2015 beschwerten Arbeitnehmer sich über die hygienischen Zustände in dem Wohnheim in H . Es wurden Bettwanzen festgestellt.
6Die Arbeitgeberin schloss am 6. August 2015 mit dem Gesamtbetriebsrat eine Vereinbarung zum Thema „Wohnheim H D -Gästehaus“ (GBV) ab. Die GBV hat folgenden Inhalt:
7„…
81. Ziel dieser Vereinbarung ist es, wiederholt beanstandete Qualitäts- und Hygienemängel des Wohnheims H grundlegend und nachhaltig abzustellen und den Mitarbeitern eine Unterbringung in geeigneten Räumlichkeiten zu gewährleisten, die den bestehenden gesetzlichen Regelungen und den im Unternehmen zu beachtenden weiteren Vorgaben genügen.
92. Zu diesem Zweck wird eine paritätisch besetzte Kommission mit je drei von beiden Seiten benannten Mitgliedern und einem externen unabhängigen Sachverständigen gebildet. Beide Seiten benennen ihre Vertreter in der Kommission bis zum 13. August 2015. Bis dahin werden sie sich auf die Person des externen Sachverständigen einigen. Die Kommission trifft ihre Entscheidungen mehrheitlich.
103 Die Arbeitgebern sichert zu, dass bis zum Beginn der 5. Planungsperiode am 13. August 2015 jedes zugeteilte Zimmer des Wohnheims H einer Grundreinigung gemäß den hierzu im Hotelgewerbe bestehenden Qualitätsanforderungen unterzogen worden ist.
114. Nach Abschluss der Grundreinigung findet am 17. und 18. August 2015 eine Begehung der Räumlichkeiten statt, zu der jeder Betriebsrat eines Betriebs, aus dem Mitarbeiter in dem Wohnheim untergebracht werden, einen Vertreter entsenden kann. Die Begehung beginnt am 17. August um 13.00 Uhr und wird fortgesetzt am 18. August 2015 um 10.00 Uhr. Treffpunkt ist an beiden Tagen jeweils 15 Minuten vor Beginn am Service Point. Die paritätisch besetzte Kommission wird im Rahmen dieser Begehung die Räumlichkeiten inspizieren und die nach der Grundreinigung noch bestehenden Mängel im Einzelnen protokollieren (Mängelliste) und hiernach einen Maßnahmekatalog einschließlich zeitlicher Vorgaben zur Abhilfe festlegen. Die Fristvorgaben wird sie vor einer Festlegung mit dem Betreiber D Services abstimmen.
125. Stellt die Kommission solche Mangel fest, die eine Unterbringung von Mitarbeitern unzumutbar machen, darf das betreffende Zimmer erst nach ordnungsgemäßer Beseitigung der Mängel wieder belegt werden.
136. Die Arbeitgeberin ist für die Durchführung der durch die Kommission festgelegten Maßnahmen verantwortlich. Die Kommission entscheidet über die Maßnahmen der Wirksamkeitskontrolle (wer bis wann).
147. Die Arbeitgeberin verpflichtet sich ferner sicherzustellen, dass vor jeder Belegung eines Zimmers eine Reinigung des Zimmers ordnungsgemäß nach den Vorgaben des aus der Anlage ersichtlichen Putz- und Kontrollplans durchgeführt wird. Des Weiteren hat sie sicherzustellen, dass die weiteren durch Mitarbeiter genutzten Bereiche des Wohnheims gemäß den ebenfalls aus der Anlage ersichtlichen Vorgaben regelmäßig (Aufenthaltsraum täglich) gereinigt werden. Die lückenlose Dokumentation der Zimmer durch den Hausmeister hat sie regelmäßig, spätestens einmal im Monat, zu kontrollieren.
158. Der Check-ln Prozess erfolgt weiterhin nach dem bestehenden Regelprozess. Auf dem Aushang mit der Telefonnummer des Ansprechpartners der D Services wird vermerkt, dass sich der Mitarbeiter auch persönlich an einen Ansprechpartner am Service-Center Bordservice in H wenden kann. Der Arbeitgeber hat sicherzustellen, dass dort zu jeder Ankunftszeit ein solcher Ansprechpartner zur Verfügung steht, der sich der Sache unverzüglich annimmt.
169. Die Arbeitgeberin wird die Mitarbeiter durch nachdrückliche Hinweise (Aushänge im Wohnheim) auf das im gesamten Wohnheim bestehende Rauchverbot und die möglichen Sanktionen eines Verstoßes aufmerksam machen sowie Verstöße nachhalten.
1710. Die im Wohnheim aufgestellten Insektendetektoren werden entfernt.
1811. Die Arbeitgeberin wird den Gesamtbetriebsrat rechtzeitig informieren, wenn sie eine Verlängerung der bis zum 31. Dezember 2017 bestehenden Leistungsvereinbarung beabsichtigt und dies mit ihm beraten.“
19Der Betriebsrat hat geltend gemacht, ihm stehe wegen der hygienischen Zustände ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu. Bei der Hygiene der Unterkünfte habe er mitzubestimmen.
20Der Betriebsrat hat beantragt,
211. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Organisation des Gesundheitsschutzes bei dienstlichen Übernachtungen von Zugbegleitern und anderen Mitarbeitern, die anlässlich ihrer Tätigkeit dienstlich übernachten müssen“ Herrn Richter am Arbeitsgericht Bonn Dr. D F zu bestellen;
222. die Anzahl der Beisitzer für jede Seite auf drei festzusetzen.
23Die Arbeitgeberin hat beantragt,
24die Anträge abzuweisen.
25Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, dass eine Einigungsstelle offensichtlich unzuständig für die erstrebte Verfahrensregelung sei. Aus § 4 ArbStättV stehe dem Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht zu. Erst recht bestehe nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG keine Möglichkeit des Betriebsrats, die Zuweisung von Mitarbeitern in die Räumlichkeiten des Wohnheims H zu unterbinden. Es bestehe kein Regelungsspielraum für eine Einigungsstelle mit dem örtlichen Betriebsrat.
26Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Die GBV betreffe nicht denselben Gegenstand wie die beantragte Einigungsstelle.
27Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze wie auch auf den arbeitsgerichtlichen Beschluss Bezug genommen.
28Der Beschluss des ersten Rechtszuges ist der Arbeitgeberin - nach ihrer eigenen Erklärung - am 13. Oktober 2015 zugestellt worden. Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind am 27. Oktober 2015 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen.
29Die Arbeitgeberin beantragt,
30den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 30. September 2015 - 9 BV 269/15 - abzuändern und den Antrag abzuweisen.
31Der Betriebsrat beantragt,
32die Beschwerde zurückzuweisen.
33Der Betriebsrat trägt vor, er und nicht der Gesamtbetriebsrat sei zur beantragten Regelung zuständig.
34Für den weiteren Vortrag wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
35II.
36Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
37A. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet, § 100 Abs. 2, § 87 Abs. 2, 89 Abs. 1, 2 ArbGG iVm. § 519, § 520 Abs. 1, Abs. 3 ZPO.
38B. Der Gesamtbetriebsrat war zu beteiligen. Da es bei der Einsetzung auch um die Frage geht, ob und inwieweit die von ihm abgeschlossene GBV einer Mitbestimmung des Betriebsrats entgegensteht, ist er durch die Frage der Einsetzung der Einigungsstelle zu diesem Themenkomplex möglicherweise in seinen Rechten betroffen, § 83 Abs. 1 ArbGG. Es geht damit auch nicht nur um die reine Zuständigkeitsfrage nach § 50 Abs. 1 BetrVG, bei der eine Beteiligung ggf. unterbleiben kann (vgl. hierzu GK-ArbGG/Schleusener Stand November 2015 § 100 Rn. 15 mwN).
39C. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag zu Unrecht stattgegeben. Die Anträge sind unbegründet. Die Einigungsstelle ist offensichtlich unzuständig, § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG.
40I. Das Beschwerdegericht schließt sich für das Vorliegen von Mitbestimmungsrechten in Bezug auf die Hygiene der von der Arbeitgeberin betriebenen Übernachtungsmöglichkeiten den Ausführungen des Arbeitsgerichts an. Lediglich ergänzend wird auf § 6 Abs. 5 ArbStättV verwiesen (vgl. hierzu auch BR-Drucks. 262/10 S. 28). Davon werden allerdings nicht die Übernachtungsmöglichkeiten in Hotels erfasst. Insoweit stellt die Arbeitgeberin das Vorliegen von Mitbestimmungsrechten im Grundsatz auch gar nicht in Frage.
41II. Die offensichtliche Unzuständigkeit folgt aber aus dem Umstand, dass in Bezug auf den zu regelnden Gegenstand bereits die GBV abgeschlossen worden ist.
421. Die Einigungsstelle ist offensichtlich unzuständig, wenn von einem Mitbestimmungsrecht bereits durch den Abschluss einer Betriebsvereinbarung Gebrauch gemacht wurde und diese weder gekündigt noch für unwirksam erklärt ist oder erachtet wird (LAG Hamm 26. Mai 2008 - 10 TaBV 51/08 -; LAG Köln 6. September 2005 - 4 TaBV 41/05 -; GMP/Schlewing 8. Aufl. § 98 Rn. 9; ErfK/Koch 16. Aufl. § 100 ArbGG Rn. 3). Das gilt insbesondere dann, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der die Verhandlungen fordernde Betriebsrat für die zu verhandelnden Fragen zuständig ist.
432. Zwar ist es richtig, dass es sich bei einer Betriebsvereinbarung um eine Norm handelt und für Normen der Grundsatz gilt, dass die jüngere Norm die ältere ablöst (LAG Schleswig-Holstein 19. Dezember 2006 - 6 TaBV 14/06 -). Allerdings wird die zwingende Mitbestimmung für die Einsetzung einer Einigungsstelle erst dann ausgelöst, wenn die normative Regelung keine normative Wirkung mehr entfaltet (ErfK/Koch 16. Aufl. § 100 ArbGG Rn. 3). Das tut sie hier allerdings noch. Der Betriebsrat hat zudem die Unwirksamkeit der GBV nicht geltend gemacht.
443. Die GBV regelt das vom Betriebsrat geltend gemachte Mitbestimmungsrecht abschließend. Anlass des Mitbestimmungsrechts sind nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung die hygienischen Umstände im Wohnheim H . Genau dieses Thema erfasst die GBV durch unterschiedliche Regelungen und Maßnahmen. Die vom Betriebsrat vorgenommene Erweiterung geht ohne konkreten Anlass über den zu regelnden Gegenstand hinaus.
454. Der Gesamtbetriebsrat ist für die Regelung in der GBV zuständig, da die Angelegenheit das Gesamtunternehmen betrifft und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden kann. Zwar geht es vorliegend um die Konkretisierung allgemeiner Vorschriften zum Gesundheitsschutz, die Arbeitnehmer auf betrieblicher Ebene betreffen. Es handelt sich allerdings um unternehmensweit einheitliche Übernachtungsmöglichkeiten, die von Arbeitnehmern aller Betriebe genutzt werden. Alle auswärts übernachtenden Arbeitnehmer des gesamten Unternehmens der Arbeitgeberin sind von dem Wohnheim in H betroffen. Dies verlangt auch eine unternehmensweit einheitliche Festlegung der Hygienestandards für dieses Wohnheim (vgl. BAG 16. Juni 1998 - 1 ABR 68/97 -).
465. Dass in der Vergangenheit auch in anderen Wohnheimen Probleme mit der Hygiene bestanden, führt zu keiner anderen Wertung. Zunächst gibt es heute nur zwei weitere Wohnheime - nämlich in M und F , in denen derzeit keine hygienischen Schwierigkeiten bestehen. Unabhängig davon bliebe es aber bei der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats, da alle Arbeitnehmer des Unternehmens auch in M und F übernachten.
47D. Der Beschluss ist unanfechtbar, § 100 Abs. 2 Satz 3 ArbGG.
48BELEHRUNG
49Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.