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1) Zu den Bewilligungsvoraussetzungen für einen Prozesskostenhilfe-Antrag für eine noch einzulegende Berufung gehört es, dass der Antrag eine Begründung enthält, aus der sich ergibt, weshalb die erstinstanzliche Entscheidung der Anfechtung unterliegen soll und woraus sich die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels ableiten lässt.
2) Liegt eine solche Begründung innerhalb der Berufungsfrist nicht vor, so kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden.
Der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers vom 19.08.2015 wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
G r ü n d e :
2I.
3Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für eine Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 26.06.2015.
4Die Parteien streiten in der Hauptsache darüber, ob die Beklagte dem Kläger Vergütung für Mehrarbeit in den Jahren 2011 bis 2014 schuldet. Der Streit der Parteien dreht sich im Wesentlichen darum, ob – was der Kläger aus Nr. 3. des Arbeitsvertrages vom 05.07.1995 folgert (Bl. 9 der erstinstanzlichen Akten) – in dieser eine 37,5 Stunden-Woche galt oder der Kläger aufgrund der nachfolgenden kollektivvertraglichen Entwicklung und aufgrund eines späteren Betriebsübergangs eines Arbeitsverhältnisses zu der jetzigen Beklagten 40 Wochenstunden schuldete, die er tatsächlich auch erbracht hat.
5Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vortrages sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Siegburg vom 26.06.2015 (Bl. 105/106 der erstinstanzlichen Akten) Bezug genommen.
6Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat die Nennung der 37,50-Stunden-Woche in Nr. 3 des Arbeitsvertrages nicht als konstitutiv angesehen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass aufgrund Nr. 5 des Arbeitsvertrages (Bl. 10 der erstinstanzlichen Akten) der mit Datum vom 01.07.2005 abgeschlossene „firmenbezogene Verbandstarifvertrag“ (Bl. 72 ff. der erstinstanzlichen Akten) für den Arbeitsvertrag Geltung erlangt hat und daher aufgrund der Regelung in § 3 Ziffer 1.1.1 a) des firmenbezogenen Verbandstarifvertrages seither eine 40-Stunden-Woche galt. In diese Regelung des Arbeitsvertrages sei die Beklagte aufgrund des zum 31.08.2005 stattgefunden Betriebsteilübergangs eingetreten.
7Im Übrigen seien alle Ansprüche bis einschließlich August 2014 gemäß der über Nr. 5 des Arbeitsvertrages in Verbindung mit § 2 des firmenbezogenen Verbandstarifvertrages in Verbindung mit § 17 Ziffer 2 des Manteltarifvertrages der Chemischen Industrie geltenden dreimonatigen außergerichtlichen Ausschlussfrist verfallen. Wegen der Einzelheiten der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung wird auf Blatt 107/108 der erstinstanzlichen Akten Bezug genommen.
8Dieses erstinstanzliche Urteil wurde dem Kläger am 23.07.2015 zugestellt. Am 20.08.2015 ging per Fax beim Landesarbeitsgericht ein auf den 19.08.2015 datierter Schriftsatz ein, mit dem „im Rahmen des Prozesskostenhilfeprüfungsverfahrens Berufung“ gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt und beantragt wurde, „dem Kläger und Berufungskläger für das durchzuführende Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.“ Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen war dem am 21. August 2015 eingegangenen Original beigefügt. In dem Schriftsatz vom 19.08.2015 wurde ferner gebeten, „die Berufung erst nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe in den Geschäftsgang zu nehmen.“ Weiter hieß es: „Anträge und ergänzende Begründung bleiben einem weiteren Schriftsatz vorbehalten.“ Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 19.08.2015 Bezug genommen.
9Nachdem dieser Schriftsatz dem Vorsitzenden der erkennenden Kammer am 28.08.2015 vorgelegt wurde, hat dieser mit Schreiben vom 28.08.2015 (Bl. 19 der zweitinstanzlichen PKH-Akte) dem Prozessbevollmächtigten des Klägers verschiedene Hinweise gegeben, u. a. auf die Entscheidung der erkennenden Kammer vom 23.03.2010 – 4 Sa 101/10 – hingewiesen.
10Daraufhin ging am 9. September 2015 per Fax ein Schriftsatz ein, in dem es einleitend heißt: „Zur Begründung des PKH-Antrages überreichen wir nachfolgende Berufungsbegründung“. Auf diesen Schriftsatz wird Bezug genommen (Bl. 20 ff. der zweitinstanzlichen PKH-Akte).
11Mit weiterem Schriftsatz vom 10.09.2015 (Bl. 35 der zweitinstanzlichen PKH-Akte) wird klargestellt, dass „die Berufung … nicht unbedingt eingelegt (wurde), sondern lediglich als Prozesskostenhilfeantrag.“ Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diesen Schriftsatz Bezug genommen.
12Wegen der übrigen Einzelheiten des wechselseitigen Vortrags wird auf die Schriftsätze in der erstinstanzlichen Akte und die Schriftsätze in der zweitinstanzlichen Akte Bezug genommen.
13II.
14A. Der Prozesskostenhilfeantrag hat insgesamt deshalb keine hinreichende Erfolgsaussicht gem. § 114 S. 1 ZPO, weil der Kläger nicht innerhalb der mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 23.07.2015 begonnenen und am Montag, den 24.08.2015, gem. § 66 Abs. 1 ArbGG abgelaufenen Berufungsfrist Berufung eingelegt hat und ein grundsätzlich für den Fall der Mittellosigkeit in Betracht kommender Wiedereinsetzungsantrag keinen Erfolg mehr haben kann.
15I. Zunächst ist festzuhalten, dass – wenngleich der Schriftsatz vom 19.08.2015 insoweit mehrdeutig ist (vgl. die Hinweise in dem gerichtlichen Schreiben vom 28.08.2015, Bl. 16 der zweitinstanzlichen PKH-Akte) – mit dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 10.09.2015 (Bl. 35 der zweitinstanzlichen PKH-Akte) klargestellt wurde, dass der Kläger lediglich einen Prozesskostenhilfeantrag stellen wollte. Diese Auslegung des Schriftsatzes vom 19.08.2015 ist vertretbar und näherliegend als diejenige, dass mit diesem Schriftsatz schon Berufung eingelegt werden sollte. Sie wird von der erkennenden Kammer zugrundegelegt.
16II. Einer Partei, die wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage war, ein Rechtsmittel, das dem Vertretungszwang unterliegt, wirksam zu erheben, ist nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Wiedereinsetzung setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Frist einzuhalten. Davon ist auszugehen, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist alles in seinen Kräften Stehende und Zumutbare getan hat, um das in der Mittellosigkeit bestehende Hindernis zu beheben. Aus diesem Grund muss er bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist (hier der Berufungsfrist) alle Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe schaffen (vgl. z. B. BAG 26.01.2006 – 9 AZA 11/05 – m.w.N.).
17III. Strittig und nach Auffassung der erkennenden Kammer zu bejahen ist dabei die Frage, ob es zu den Bewilligungsvoraussetzungen in der Berufungsinstanz bzw. allgemein in einer Rechtsmittelinstanz gehört, dass der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die noch einzulegende Berufung eine Begründung enthält, aus der sich ergibt, weshalb die erstinstanzliche Entscheidung der Anfechtung unterliegen soll und woraus sich die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels ableiten lässt.
181. Der 12. Senat des Bundesgerichtshofs (11.11.1992 – XII ZB 118/92 – NJW 1993, 73 f.; 06.12.2000 – XII ZB 193/00 – NJW-RR 2001, 1146; darauf Bezug nehmend BGH 7. Senat 29.01.2009 – VII ZR 187/08; vgl. demgegenüber BGH 6. Senat 06.05.2008 – VI ZB 16/07) und ihm folgend z. B. Zöller/Geimer(§ 119 ZPO Rn. 54) und Schneider (MDR 1999, 1036) vertreten die Auffassung, ein Prozesskostenhilfeantrag müsse im Berufungsverfahren aus verfassungsrechtlichen Gründen von der mittellosen Partei nicht sachlich begründet werden. Dem 12. Senat des BGH sind zunächst die Oberlandesgerichte Frankfurt und Dresden gefolgt (OLG Dresden 13.08.1999 – 8 U 1604/99; OLG Frankfurt 31.08.2001 – 1 UF 173/01). Das Oberlandesgericht Dresden hat in der Entscheidung vom 30.03.2003 (10 UF 447/03) inzwischen ausdrücklich die frühere Auffassung aufgegeben und sich der Gegenauffassung angeschlossen. Ebenso folgt das Oberlandesgericht Frankfurt in der Entscheidung vom 24.08.2009 (13 U 137/09) der Gegenauffassung.
192. Als Gegenauffassung vertritt der Bundesfinanzhof (22.08.1994 – III S 3/94; 08.08.1990 – X S 18/90; vgl. auch 21.01.1999 – IV S 3/98; 22.05.2003 – I S 2/03 (PKH)), dass selbst bei einem Laien, jedenfalls aber bei einer anwaltlich vertretenen Partei der Antrag in der Berufungsinstanz zumindest in Grundzügen aufzeigen muss, weshalb die erstinstanzliche Entscheidung der Anfechtung unterliegen soll. Das muss innerhalb der Rechtsmittelfrist geschehen (BFH 22.05.2003 – I S 2/03 (PKH)).
20Dieser Meinung folgt heute auch die überwiegende Auffassung der Oberlandesgerichte (vgl. außer den zitierten Entscheidungen des OLG Dresden und des OLG Frankfurt: OLG Saarbrücken 22.09.1992- 6 UF 104/92; OLG Schleswig 10.01.1995 – 5 U 49/98; 01.09.1998 – 5 U 49/98; 21.01.2004 – 7 U 30/03; OLG Celle 22.01.2003 – 3 U 278/02). In der Literatur wird diese Auffassung vertreten z. B. von Motzer (MüKo ZPO § 117 Rn. 15), Kalthoener/Bittner/Wrobel-Sachs (Rn. 124) und Fischer (MDR 2004, 1160 ff.). Eine ausführliche Begründung dieser Auffassung findet sich in der Entscheidung des Landgerichts Fulda vom 03.04.2009 (1 S 29/09).
21Aus der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung sind – soweit ersichtlich – nur der Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 15.06.2006(2 SHa 10/06) und der Beschluss der erkennenden Kammer vom 23.03.2010 (4 Sa 101/10) veröffentlicht, die ebenfalls dieser Auffassung folgen.
22Entsprechend dieser herrschenden Auffassung ist es in der hiesigen anwaltlichen Praxis üblich, dass dem PKH-Gesuch ein Entwurf der Berufungsbegründung beigefügt wird.
233. Der letzteren Auffassung ist zu folgen.
24a) Entscheidend sprechen für sie Wortlaut und Systematik des Gesetzes:
25Nach § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist in dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen. § 117 ZPO sieht keine Beschränkung auf den ersten Rechtszug und keine Ausnahme für das Berufungsverfahren vor.
26Die ZPO enthält aber eine Spezialvorschrift für das Rechtsmittelverfahren in § 119. Danach erfolgt die Bewilligung für jeden Rechtszug gesondert. In einem höheren Rechtszug ist nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat. Hier wird nur für den Berufungsgegner eine Ausnahme von § 117 ZPO vorgesehen, nicht aber für den Rechtsmittelführer.
27Im Übrigen geht § 119 ZPO von dem Grundgedanken des Gesetzgebers aus, dass die erstinstanzliche Entscheidung die Vermutung dafür begründet, dass die Verteidigung gegen ein Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat. In der Umkehrung bedeutet das, dass vermutet wird, dass das Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Entscheidung keine hinreichende Erfolgsaussicht hat. Gerade deshalb ist es erforderlich, dass der Rechtsmittelführer in einer auf die erstinstanzliche Entscheidung bezogenen Darstellung die Erfolgsaussicht darlegt (vgl. LG Fulda a. a. O.; OLG Frankfurt 24.08.2009 a. a. O.).
28b) Der BGH begründet seine gegenteilige Auffassung im Wesentlichen damit, dass die bedürftige Partei nicht benachteiligt werden dürfe. Dieses geschehe, wenn der Erfolg ihres Prozesskostenhilfegesuchs von einer Stellungnahme zur Erfolgsaussicht des Rechtsmittels abhängig gemacht werde. Der BGH meint, dass es zur Fertigung einer entsprechenden Stellungnahme regelmäßig juristischer Sachkunde bedürfe. Dies könne indes, ohne dass dem Anwalt ein Kostenvorschuss durch die bedürftige Partei gezahlt würde, dem Rechtsanwalt vor der Beiordnung durch das Gericht nicht abverlangt werden.
29Gegen diese Begründung stehen insbesondere folgende Argumente:
30aa) Lässt der Antrag auf Prozesskostenhilfe nicht erkennen, in welchen Punkten das erstinstanzliche Urteil angegriffen werden soll, müsste das Berufungsgericht von Amts wegen prüfen und darlegen, in welchem Umfang das erstinstanzliche Urteil der Berufung anheimfallen könnte bzw. in welchen Punkten das erstinstanzliche Urteil als unrichtig betrachtet würde (vgl. OLG Dresden 30.07.2003 a.a.O.; OLG Schleswig 01.09.1998 a.a.O.).
31Darin läge aber eine Bevorzugung der mittellosen Partei. Sie könnte sich nach der von Amts wegen durchgeführten Prüfung der Erfolgsaussichten durch das Berufungsgericht problemlos das Ergebnis dieser Prüfung zu eigen machen, während für die bemittelte Partei eine entsprechende Möglichkeit einer „Vorabprüfung“ durch das Gericht nicht besteht (OLG Dresden a. a. O.).
32bb) Noch wesentlicher aber spricht gegen die Auffassung des BGH, dass diese inkonsequent ist. Auch der BGH sieht nämlich die gesetzliche Vorschrift des § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht als verfassungswidrig an. Von einer mittellosen Partei wird daher verlangt, dass sie das Streitverhältnis so darstellt, dass das Gericht der ersten Instanz die Erfolgsaussicht beurteilen kann. Diese Aufgabe ist in der Regel aufwendiger als eine nur in Grundzügen gehaltene Darlegung, warum ein bereits ergangenes erstinstanzliches Urteil unrichtig sein soll (so auch Philippi a.a.O., der gleichwohl dem BGH folgt). Kann eine Partei vor der ersten Instanz eine solche Darlegung des Streitverhältnisses fertigen bzw. wird ihr zugemutet, auch dafür bereits vor der Bewilligung von Prozesskostenhilfe fachkundige Hilfe in Anspruch zu nehmen, so ist nicht erkennbar, warum dieses Erstere aus Verfassungsgründen zulässig ist, das Zweite aber aus Verfassungsgründen nicht.
33Es gibt mithin aus verfassungsrechtlicher Sicht keinen überzeugenden Grund dafür, gegen den Wortlaut und die Systematik des Gesetzes in zweiter Instanz eine Darlegung des Streitverhältnisses in Bezug auf die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels nicht zu verlangen.
344. Im vorliegenden Fall fehlt dem innerhalb der Berufungsfrist eingegangenen Antrag eine Darlegung zu der Erfolgsaussicht.
35Die zur Begründung des PKH-Antrages überreichte „Berufungsbegründung“ ging erst am 9. September 2015, d. h. nach Ablauf der Berufungsfrist, ein.
36IV. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Nichtdarstellung des Streitverhältnisses unverschuldet im Sinne des § 233 ZPO war. Denn hinsichtlich einer möglichen fehlerhaften Beurteilung der Rechtslage gilt Folgendes (vgl. Zöller/Greger, § 233 Rn. 23 Stichwort „Rechtsirrtum“ mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BGH): Ist die Rechtslage zweifelhaft, muss ein Rechtsanwalt vorsorglich so handeln, wie es bei einer für seine Partei ungünstigen Entscheidung des Zweifels zur Wahrung ihrer Belange notwendig ist. Er darf sich, wenn abweichende Rechtsprechung veröffentlicht ist, nicht auf eine bestimmte, seiner Rechtsauffassung entsprechende Entscheidung oder Literaturmeinung verlassen.
37Wie oben dargestellt, ist die hier relevante Rechtsfrage, ob und inwieweit das Streitverhältnis innerhalb der Berufungsfrist dargestellt werden muss, höchst strittig. Der Streit zieht sich bis in die obersten Gerichte. Soweit ersichtlich sind die Landesarbeitsgerichte bislang der vom BFH und von mehreren Oberlandesgerichten vertretenen Auffassung gefolgt (siehe die oben zitierte Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts und den Beschluss der erkennenden Kammer vom 23.03.2010 – 4 Sa 101/10 – juris, NRWE). Auch in den einschlägigen ZPO-Kommentaren ist die Rechtsfrage als höchst strittig dargestellt (vgl. die zitierte Stelle bei Zöller/Geimer).
38B. Dahinstehen kann damit, dass nach derzeitigem Stand der Akten unabhängig von den oben dargestellten Gründen die Berufung insofern keine Erfolgsaussicht hätte, als es um die Ansprüche aus der Zeit vor den Monaten September bis Dezember 2014 geht. Auf diese letzten Monate entfällt unter Zugrundelegung der Berechnungsparameter in der Klageschrift ein Betrag von ca. 694,00 €.
39Die übrigen Ansprüche sind verfallen. Das hat das Arbeitsgericht zu Recht entschieden. Dagegen hat der Kläger keine nachvollziehbaren Argumente vorgebracht.
40Wie immer man seinen Arbeitsvertrag auslegt, er verweist in Nr. 5 auf „die im Sitz der H geltenden Tarifverträge“, wozu insbesondere dem Kläger aufgrund seiner Tätigkeit als Chemiewerker und der Tätigkeit der H T klar erkennbar und unstreitig der Manteltarifvertrag der Chemie gehört. Dieser enthält in § 17 Nr. 2 die Regelung:
41„Die Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis müssen innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung ausgeschlossen. Das gilt nicht, wenn die Berufung auf die Ausschlussfrist wegen des Vorliegens besonderer Umstände eine unzulässige Rechtsausübung ist.“
42Der Streit der Parteien, ob von der vertraglichen Bezugnahmeklausel auch der spätere „firmenbezogene Verbandstarifvertrag für die H T erfasst war, ist insoweit irrelevant, weil dieser – was den § 17 des MTV betrifft –keine abweichende Regelung enthält (vgl. Bl. 44/45 d. A.).
43Der Kläger hat erstinstanzlich gegen das Eingreifen der Ausschlussfrist im Übrigen lediglich eingewandt, die Berufung auf die Ausschlussfrist sei eine „unzulässige Rechtsausübung“, da die Beklagte ja betone, dass für sie der Tarifvertrag keine Gültigkeit habe, weshalb sie demgemäß nicht berechtigt sei, sich nunmehr zur Abwehr der Ansprüche des Klägers auf den Tarifvertrag zu berufen (Bl. 87 der erstinstanzlichen Akten).
44Dieses Argument ist offensichtlich unbegründet. Die Beklagte vertritt lediglich die Auffassung, dass der firmenbezogene Verbandstarifvertrag hinsichtlich der Arbeitszeit mit Geltung für das vorliegende Arbeitsverhältnis die Regelung im MTV abgelöst habe. Der Verbandstarifvertrag enthält indes gerade keine abweichende Regelung hinsichtlich der Ausschlussfrist.
45Desweiteren argumentiert der Kläger (Bl. 87 d. erstinstanzlichen Akten), die Ausschlussfrist erfasse nicht Schadensersatzansprüche, „die dem Kläger unter dem Gesichtspunkt der vertragswidrigen Abrechnungsweise der Beklagten zustehen“.
46Dazu hat die Beklagte bereits (vgl. Bl. 90 d. erstinstanzlichen Akten) zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger nicht Schadensersatzansprüche, sondern vertragliche Erfüllungsansprüche geltend macht. Das ist zutreffend. In der Berufungsinstanz argumentiert der Kläger auch unter Berücksichtigung seiner „Berufungsbegründung“ vom 09.09.2015 darüber hinaus allenfalls mit dem Satz: „Da die Beklagte nicht tarifgebunden ist, kann sie sich insoweit auch nicht auf die Ausschlussfristen berufen.“ Der Tarifvertrag ist aber über die vertragliche Bezugnahmeklausel einbezogen, sodass es auf die Tarifbindung der Beklagten nicht ankommt.
47C. Im Übrigen ist die Kammer der Auffassung, dass hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO insoweit zu bejahen wäre, als es um den Kern des Streits der Parteien geht, ob mit dem Arbeitsvertrag eine 37-Stunden-Woche vereinbart war.
48I. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass für die Rechtsverfolgung lediglich „hinreichende Aussicht“ auf Erfolg bestehen muss (vgl. auch BVerfG 08.12.2009 – 1 BvR 2733/06). Von einer hinreichenden Erfolgsaussicht für die Rechtsverfolgung ist dann auszugehen, wenn bei einer vorläufigen Prüfung der Parteivortrag zumindest für vertretbar gehalten und in tatsächlicher Hinsicht mindestens von der Möglichkeit der Beweisführung ausgegangen werden kann (BVerfG 29.09.2004 – 1 BvR 1281/04). Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern. Es reicht demgemäß aus, wenn bei einer allein erlaubten vorläufigen Prüfung der Parteivortrag als vertretbar bezeichnet werden kann, wobei die Anforderungen an die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen nicht überspannt werden dürfen. Es genügt, wenn der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat, nicht ist eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich (vgl. auch LAG Düsseldorf 29.11.1999 – 15 Ta 553/99).
49Eine solche, typischerweise der Entscheidung in der Hauptsache vorbehaltene Frage ist eine Frage der Auslegung von Verträgen. Es besteht in dem oben genannten Sinne eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg. Denn die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10.07.2013(10 AZR 898/11), auf die sich die Beklagte im Wesentlichen beruft, hat im Tatsächlichen einen wesentlichen Unterschied zum vorliegenden Fall: Dort enthielt, wie das Bundesarbeitsgericht betonte (vgl. Rn. 21), die Bezugnahmeklausel keinerlei Beschränkung wie beispielsweise „im Übrigen“ oder „soweit nicht in diesem Vertrag anderes vereinbart ist“. Im vorliegenden Fall aber ist die Klausel Nr. 5 des Arbeitsvertrages ausdrücklich dadurch eingeschränkt, dass die kollektiven Regelungen nur „für die sonstigen Arbeitsbedingungen“ gelten.
50D. Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil es sich – wie der Streit zwischen den obersten Gerichten zeigt – bei der Frage, ob § 117Abs. 1 S. 2 ZPO auch in den Fällen eines Prozesskostenhilfeantrages für ein Rechtsmittel gilt, um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt.
51RECHTSMITTELBELEHRUNG
52Gegen diesen Beschluss kann vom Antragsteller
53R E C H T S B E S C H W E R D E
54eingelegt werden.
55Die Rechtsbeschwerde muss
56innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
57nach der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses schriftlich oder in elektronischer Form beim
58Bundesarbeitsgericht
59Hugo-Preuß-Platz 1
6099084 Erfurt
61Fax: 0361-2636 2000
62eingelegt werden.
63Die Rechtsbeschwerdeschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
641. Rechtsanwälte,
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Rechtsbeschwerdeschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
69Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
70Bezüglich der Möglichkeit elektronischer Einlegung der Rechtsbeschwerde wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I Seite 519) verwiesen.
71* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.