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1 Vermittelt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in ein anderes Arbeitsverhältnis, weigert sich der Arbeitnehmer aber ausdrücklich, den ihm in diesem Zusammenhang vorgelegten Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen, besteht das bisherige Arbeitsverhältnis im Zweifel als ruhendes Arbeitsverhältnis neben dem neuen fort.
2 Die Regularien des TV Ratio enthalten keine Vorschrift, aus der abgeleitet werden könnte, das bei erfolgreicher Vermittlung eines Arbeitnehmers in ein „Geschäftsmodell“ im Sinne der Anlage 8 zum TV Ratio das bisher bestehende Arbeitsverhältnis automatisch endete (Anschluss an LAG Schleswig-Holstein 3 Sa 110/10 vom 5.10.2010).
3 Zum berechtigten Interesse des Arbeitnehmers, den Fortbestand eines ruhende Arbeitsverhältnisses gerichtlich geltend zu machen, ohne es zugleich „aktivieren“ zu wollen, und zur Frage der Verwirkung eines solchen Rechts.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 15.11.2011 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen noch ein – derzeit ruhendes – Arbeitsverhältnis besteht.
3Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Bonn dazu bewogen haben, dem Feststellungsantrag des Klägers stattzugeben, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 15.12.2011 Bezug genommen.
4Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 09.01.2012 zugestellt. Die Beklagte hat hiergegen am 18.01.2012 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum10.04.2012 – am 04.04.2012 begründet.
5Die Beklagte ist der Auffassung, dass das Arbeitsgericht die Klage bereits als unzulässig habe abweisen müssen. Dem Kläger fehle das notwendige Rechtsschutzbedürfnis für den von ihm verfolgten Feststellungsantrag.
6Die Beklagte hält den Feststellungsantrag des Klägers entgegen dem Urteil des Arbeitsgerichts Bonn auch für unbegründet. Sie meint weiterhin, das ursprünglich zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis sei „tarifkonstitutiv“ beendet worden, als sie, die Beklagte, den Kläger auf der Grundlage des § 7 Abs. 3 TV Ratio i. V. m. dessen Anlage 8 zum 01.01.2005 zur Firma V vermittelt habe.
7Jedenfalls aber habe der Kläger sein Recht, einen Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien geltend zu machen, verwirkt. In Anbetracht eines Zeitraumes von mehr als sechs Jahren zwischen dem 01.01.2005 und der erstmaligen Geltendmachung des ruhenden Arbeitsverhältnisses durch den Kläger im März 2011 sei das Zeitmoment der Verwirkung zweifelsfrei erfüllt. Auch am Umstandsmoment fehle es aber nicht. So habe der Kläger weder auf ihr Schreiben vom 06.05.2005 reagiert, in welchem sie, die Beklagte, auf die Beendigung der Tätigkeit hingewiesen habe, noch habe er dem späteren Betriebsübergang von V auf die jetzige Arbeitgeberfirma N widersprochen. Abgesehen davon seien an das Umstandsmoment um so geringere Anforderungen zu stellen, je länger der Anspruchsteller mit der Geltendmachung seiner vermeintlichen Rechte zugewartet habe.
8Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,
9das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 15.12.2011 mit dem Aktenzeichen 1 Ca 1795/11 abzuändern und die Klage abzuweisen.
10Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
11die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
12Der Kläger hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn für zutreffend und verteidigt dessen rechtliche Erwägungen.
13Auf den vollständigen Inhalt der Berufungsbegründungs- und Berufungserwiderungsschrift wird ergänzend Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
15I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 15.12.2011 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft. Sie wurde auch nach Maßgabe des § 66 Abs. 1 ArbGG fristgerecht eingelegt und begründet.
16Auf die Zulässigkeit der von der Beklagten in der Berufungsinstanz zunächst angekündigten Hilfswiderklage muss nicht mehr eingegangen werden, nachdem die Beklagte diese im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 19.07.2012 zurückgenommen hat.
17II. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 15.12.2011 in Sachen 1 Ca 1795/11 ist unbegründet. Das Arbeitsgericht Bonn hat den Rechtsstreit zutreffend entschieden und seine Entscheidung überzeugend und tragfähig begründet. Anknüpfend an die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils gilt aus der Sicht der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht zusammenfassend und ergänzend das Folgende:
181. Das Begehren des Klägers festzustellen, dass zwischen den Parteien– weiterhin – ein Arbeitsverhältnis bestehe, ist zulässig. Dem Kläger kann ein Rechtsschutzbedürfnis für dieses Feststellungsbegehren nicht abgesprochen werden.
19a. Die Beklagte hat den Kläger zum 01.01.2005 auf der Grundlage des TV Ratio in ein Arbeitsverhältnis zur Firma V vermittelt, einem damaligen sog. „Geschäftsmodell“ der Beklagten im Sinne von Anlage 8 zu TV Ratio. Im Zuge dieser Vermittlung sollte der Kläger nach dem Wunsch der Beklagten auch einen Auflösungsvertrag abschließen, mit welchem das zwischen den Parteien bestehende Ursprungsarbeitsverhältnis beendet worden wäre. Der Kläger hat sich jedoch seinerzeit ausdrücklich geweigert, den ihm von der Beklagten angedienten Auflösungsvertrag zu unterzeichnen. Dies hat die Beklagte ihrerseits nicht zum Anlass genommen, ihr Vermittlungsangebot zurückzuziehen, obwohl der TV Ratio z. B. auch Regularien für den Fall vorsieht, dass ein zu vermittelnder Arbeitnehmer zumutbare Angebote ausschlägt. Der Kläger wiederum hat den ihm vermittelten Arbeitsplatz bei der Firma V – wenn auch nach eigener Darstellung unter gewissen Vorbehalten – angetreten und in der Folgezeit aktiv ausgefüllt.
20b. Aufgrund dieses Geschehensablaufs ist zwischen den Parteien des vorliegenden Verfahrens hinsichtlich des ursprünglich zwischen ihnen selbst bestehenden Rechtsverhältnisses eine unklare Situation entstanden. Dementsprechend hat der Kläger ein berechtigtes Interesse daran, den Fortbestand dieses Rechtsverhältnisses gerichtlich klären zu lassen. Die Frage nämlich, ob der Kläger heute noch unter bestimmten Bedingungen auf ein derzeit zwar ruhendes, aber fortexistierendes Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zurückgreifen kann, ist geeignet, ihn in seinen Dispositionen über sein zukünftiges Berufsleben zu beeinflussen. Dies gilt um so mehr, als der Kläger durch Vorlage entsprechender Medienberichte dokumentiert hat, dass der Fortbestand seines derzeit zur Firma N bestehenden „Zweitarbeitsverhältnisses“ aufgrund großangelegter Umstrukturierungspläne dieser Firma gefährdet sein könnte.
21c. Dem berechtigten Interesse des Klägers daran, den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses zur Beklagten feststellen zu lassen, kann auch nicht der Gedanke des Vorrangs der Leistungsklage entgegengehalten werden. Es ist nicht ersichtlich, auf welche Leistung der Kläger derzeit klagen sollte. Der Kläger geht selbst davon aus, dass ein zwischen den Parteien bestehendes Arbeitsverhältnis derzeit ruht. Sein Interesse ist, soweit ersichtlich, derzeit auch (noch) nicht darauf gerichtet, das ruhende Arbeitsverhältnis zu aktivieren und eine aktive Beschäftigung bei der Beklagten für sich einzufordern. Die Beklagte selbst vertritt die Auffassung, dass ein etwaiges zwischen den Parteien bestehendes ruhendes Arbeitsverhältnis nur unter ganz bestimmten Bedingungen aktiviert werden können. Dies ergibt sich aus den Ausführungen der Beklagten zu ihrem vorübergehend angekündigten Hilfswiderklageantrag.
22d. Das derzeit (noch) nicht bestehende Interesse des Klägers, ein ruhendes Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu aktivieren, kann aber je nach der betrieblichen Entwicklung in seinem derzeitigen „Zweitarbeitsverhältnis“ zukünftig jederzeit eintreten. In Anbetracht der Tatsache, dass die Beklagte den Bestand eines ruhenden Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien generell leugnet, kann der Kläger nicht darauf verwiesen werden, mit der gerichtlichen Geltendmachung solange abzuwarten, bis er etwa in seinem „Zweitarbeitsverhältnis“ eine betriebsbedingte Kündigung erhalten hat.
232. Die Auffassung des Klägers und des Arbeitsgerichts Bonn, dass zwischen den Parteien ein – derzeit ruhendes – Arbeitsverhältnis fortbesteht, ist richtig.
24a. Das zwischen dem Kläger und der Beklagten begründete Ursprungsarbeitsverhältnis ist im Zuge der Vermittlung des Klägers auf den Arbeitsplatz bei der Firma V nicht aufgelöst worden. Insbesondere ist die Auflösung des Ursprungsarbeitsverhältnisses nicht „tarifkonstitutiv“ zustande gekommen. Die Regularien des TV Ratio enthalten keine Vorschrift, aus der abgeleitet werden könnte, dass bei erfolgreicher Vermittlung eines Arbeitnehmers in ein „Geschäftsmodell“ im Sinne der Anlage 8 zum TV Ratio das bisher zur Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis automatisch endete.
25b. Da es an einer solchen tariflichen Vorschrift fehlt und eine solche Rechtsfolge erst recht nicht aus einer „Tarifsystematik“ abgeleitet werden kann, muss auf die erheblichen Bedenken nicht eingegangen werden, die gegen die Zulässigkeit einer derartigen Tarifnorm bestünden.
26c. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat in seiner Entscheidung vom 05.10.2010 in Sachen 3 Sa 110/10 in einem vergleichbaren Parallelverfahren zu dieser Thematik Folgendes ausgeführt:
27„Das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Beklagten, auf das zweifelsfrei der TV Ratio Anwendung findet, ist auch nicht „tarifkonstitutiv“ beendet worden.
28Der TV Ratio, nach dessen Bestimmungen die Vermittlung des Klägers erfolgt ist, setzt die Beendigung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses nicht zwingend voraus.
29aa) Es kann hier dahingestellt bleiben, ob in Anwendung des § 1 TVG Tarifnormen das Arbeitsverhältnis unter die auflösende Bedingung stellen können, dass bei Eingehen eines Arbeitsverhältnisses zu einem neuen Arbeitgeber unter Vermittlung durch den bisherigen Arbeitgeber das bisherige Arbeitsverhältnis als aufgelöst gilt. Der Klägerseite ist durchaus dahingehend zu folgen, dass eine derartige tarifliche Beendigungsnorm einen massiven Eingriff in die Vertragsautonomie und die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes darstellen würde. Ferner würde auch formell insoweit das gesetzlich normierte Schriftformerfordernis des § 623 BGB und dessen Warn-, Klarstellungs- und Beweisfunktion (vgl. hierzu BAG vom 17.12.2009 – 6 AZR 242/09 – zitiert nach juris, Rz. 25 m. w. N.) nicht zum Zuge kommen. Einer weitergehenden Auseinandersetzung bedarf es insoweit jedoch vorliegend nicht; denn der TV Ratio enthält keine derartige konstitutive Beendigungsregel.
30bb) In Anwendung der allgemeinen Auslegungsregeln ist auszugehen vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung sind ferner Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille ist zu berücksichtigen, soweit er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden hat.
31cc) Der TV Ratio regelt nicht, dass ein Arbeitsverhältnis mit erfolgreicher Vermittlung in ein Geschäftsmodell oder sonstiger externer Vermittlung durch Arbeitsantritt beim neuen Arbeitgeber automatisch endet. § 7, insbesondere § 7 Abs. 3 TV Ratio i. V. m. seiner Anlage 8 enthält zwar detaillierte Regelungen, wie bei interner und externer Vermittlung des betroffenen Arbeitgebers in Geschäftsmodelle vorzugehen ist. Es ist u. a. festgelegt, auf welchen Formblättern und mit welchen Inhalten ein Angebot eines Dauerarbeitsplatzes zu unterbreiten ist (Protokollnotizen zu § 7 Abs. 1 – 3) und was wann im Falle der Ablehnung zumutbarer Angebote geschieht (§ 7 Ziff. 8 TV Ratio). Eine automatische, nicht schriftlich wechselseitig dokumentierte Auflösung findet sich dort nicht. Zwar ist neben dem Verlust der Ansprüche aus dem Tarifvertrag von der Möglichkeit einer Kündigung die Rede (§ 7 Ziff. 8 TV Ratio). Auch enthält
32z. B. § 10 detaillierte Regelungen bei bestimmten Fallkonstellationen zum Zustandekommen einvernehmlicher Auflösungsverträge. Diese müssen aber nach dem Tarifwortlaut schriftlich erfolgen, unterliegen sogar einer Widerrufsfrist von sieben Kalendertagen. Gerade hieraus wird aber deutlich, dass die Tarifvertragsparteien § 623 BGB Rechnung tragen wollten und Rechnung getragen haben und selbst von der Notwendigkeit des Abschlusses von schriftlichen Auflösungsverträgen ausgegangen sind.
33Aus § 11 TV Ratio ergibt sich nichts Anderes. Er schreibt fest, unter welchen Voraussetzungen eine betriebsbedingte Beendigungskündigung bei Ablehnung eines zumutbaren Arbeitsplatzangebotes ausgesprochen werden kann und wann diese nicht vom generellen Ausschluss des Ausspruchs von betriebsbedingten Beendigungskündigungen ausgenommen ist. Auch hier haben die Tarifvertragsparteien das Erfordernis klarer beendender Willenserklärungen festgeschrieben, keinen Beendigungsautomatismus eingebaut. Angesichts dessen kann unter Beachtung der allgemeinen Auslegungsregeln nicht in den TV Ratio hineininterpretiert werden, dass die Tarifvertragsparteien ohne ausdrückliche Normierung, vielmehr konkludent eine tarifkonstitutive Beendigung von Arbeitsverhältnissen in Form einer Auflösungsnorm bei Abschluss eines Arbeitsvertrages mit einem neuen Arbeitgeber geregelt haben und regeln wollten.“
34Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Berufungsgericht an.
35d. Gerade der Umstand, dass die Beklagte dem Kläger seinerzeit auch einen Auflösungsvertrag zur Unterschrift unterbreitet hat, zeigt, dass diese in Wirklichkeit selbst nicht davon ausgegangen ist, dass die Auflösung des bisherigen Arbeitsverhältnisses quasi „automatisch“ durch den TV Ratio erfolgt.
36e. Erst recht gibt es keinen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass nicht zwei selbständige Arbeitsverhältnisse, auch wenn sie jeweils auf eine Vollzeittätigkeit ausgerichtet sind, nebeneinander bestehen können.
37f. Ebensowenig existiert ein Rechtsgrundsatz, dass aus der Aufnahme eines anderweitigen Arbeitsverhältnisses grundsätzlich auf den Willen des Arbeitnehmers geschlossen werden müsste, das vorangegangene Arbeitsverhältnis als beendet anzusehen. Das Gegenteil zeigt z. B. die Regelung in § 12 KSchG.
383. Der Kläger hat sein Recht, den Fortbestand des ruhenden Arbeitsverhältnisses der Parteien geltend zu machen, entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht verwirkt. Die Geltendmachung stellt keine unzulässige Rechtsausübung dar.
39a. Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass das Arbeitsgericht Bonn in seinen Entscheidungsgründen die Voraussetzungen der Verwirkung zutreffend referiert hat.
40b. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten hat das Arbeitsgericht Bonn die Grundsätze der Verwirkung aber auch zutreffend auf den vorliegenden Fall angewandt.
41aa. Zwar mag im Ausgangspunkt der Beklagten zugestanden werden, dass das sog. Zeitmoment der Verwirkung als erfüllt anzusehen ist, da der Kläger erst mehr als sechs Jahre nach dem 01.01.2005 sein Begehren gegenüber der Beklagten angemeldet hat.
42bb. Allerdings ist dieser Zeitraum in Anbetracht des hier in Rede stehenden Streitgegenstandes – Bestand eines ruhenden Arbeitsverhältnisses, das aktuell keinerlei gegenseitige Rechte und Pflichten generiert – keineswegs als so exorbitant lang anzusehen, wie die Beklagte glauben machen will. Die von ihr aus der Rechtsprechung herangezogenen Vergleichszeiträume betreffen nahezu ausschließlich die Frage, wann der Widerspruch gegen einen Betriebsübergang nach § 613 a) BGB als verwirkt anzusehen ist, wenn die gesetzliche Widerspruchsfrist in Ermangelung einer ordnungsgemäßen Information des Arbeitgebers nicht zu laufen beginnen konnte. In Anbetracht der gesetzlich normierten Widerspruchsfrist von einem Monat können die Verhältnisse, die hier gelten, keineswegs auf den vorliegenden Fall übertragen werden.
43cc. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Bonn aber angekommen, dass es am sog. Umstandsmoment der Verwirkung fehlt. Seit dem 01.01.2005 ist, soweit für das Gericht erkennbar, nichts geschehen, was aus objektiver Sicht geeignet gewesen wäre, bei der Beklagten das Vertrauen darauf hervorzurufen, dass der Kläger sich endgültig nicht mehr auf ein zwischen den Parteien bestehendes Arbeitsverhältnis berufen würde.
44aaa. Der Kläger hat sich im Rahmen der Vermittlungsbemühungen zum Jahreswechsel 2004/2005 ausdrücklich geweigert, einen Aufhebungsvertrag zu dem Arbeitsverhältnis zu schließen, welches ihn mit der Beklagten verbunden hat. Er hat damit unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er ungeachtet der auf Initiative der Beklagten unternommenen Vermittlungsbemühungen nicht gewillt war, das Arbeitsverhältnis zur Beklagten freiwillig aufzugeben. Dies bedeutet, dass die Beklagte jederzeit damit rechnen musste, dass der Kläger bestrebt sein würde, das mit der Beklagten nicht formgültig beendete Arbeitsverhältnis wieder aktiv aufzunehmen, etwa wenn in dem neu vermittelten „Zweitarbeitsverhältnis“ betriebsbedingte Schwierigkeiten auftauchen würden.
45bbb. Der Kläger hat der Beklagten in der Folgezeit keinen Anlass gegeben, diese Einschätzung aufzugeben und darauf zu vertrauen, dass auch er die arbeitsvertragliche Verbindung der Parteien zueinander als endgültig beendet betrachten würde.
46ccc. Unerheblich erscheint in diesem Zusammenhang der Umstand, dass der Kläger auf das von der Beklagten in der Berufungsbegründungsschrift zitierte Schreiben vom 06.05.2005 nicht reagiert hat.
47(1) Der Stellenwert dieses Schreibens erschöpft sich darin, dem Kläger zu bestätigen, seinen aus der Anlage 8 des TV Ratio resultierenden „Verpflichtungen [!] nachgekommen“ zu sein, „ein Arbeitsverhältnis bei der V GmbH & Co. KG (V ) aufzunehmen“, und dem Kläger „für ihre bisherige [!] Tätigkeit für die D , die mit Annahme des Vertragsangebots im Geschäftsmodell zum 01.01.2005 ihr Ende gefunden hat“, zu danken.
48(2) Das Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 06.05.2005 enthält offenbar für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte Textbausteine. Dies ergibt sich aus dem Tatbestand des Urteils des Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein vom 05.10.2010, 3 Sa 110/10, in dem dokumentiert wird, dass auch die dortige Klagepartei in Schleswig-Holstein ein gleichlautendes Dankesschreiben erhalten hat. Für den Kläger als Empfänger dieses Schreibens bestand aus objektiver Sicht kein ernsthafter Anlass, hierauf etwa mit einer an die Beklagte gerichteten Mahnung zu reagieren, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien ja aus seiner Sicht ruhend fortbestehe; denn dass die „bisherige Tätigkeit“ für die Beklagte mit der Aufnahme des „Zweitarbeitsverhältnisses“ des Klägers bei der V zunächst – und je nach Entwicklung der Ereignisse möglicherweise auch für immer – sein Ende gefunden hatte, entsprach den offenkundigen Tatsachen, wie auch das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein in der zuvor zitierten Entscheidung (dort Rz. 58) registriert hat, spricht aber keineswegs gegen das Fortbestehen eines ruhenden Arbeitsverhältnisses.
49ddd. Ebenso unerheblich erscheint der Umstand, dass zum 01.01.2008 das „Zweitarbeitsverhältnis“ des Klägers mit der V GmbH im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613 a) BGB auf die N GmbH & Co. KG (N ) übergegangen ist. Warum der Kläger diesen Betriebsübergang hätte zum Anlass nehmen müssen, bei der Beklagten das aus seiner Sicht fortbestehende, ruhende Arbeitsverhältnis der Parteien in Erinnerung zu rufen oder gar, wenn er an dem ruhenden Arbeitsverhältnis festhalten wollte, gegen den Betriebsübergang Widerspruch einzulegen, erschließt sich dem Berufungsgericht nicht. Ein Betriebsübergang nach § 613 a) BGB hat lediglich einen Wechsel des Arbeitgebers zur Folge, ändert aber nichts an der betrieblichen Identität des Arbeitsplatzes und am unveränderten Fortbestehen des zuvor begründeten (Zweit-) Arbeitsverhältnisses des Klägers. Der innere Sachzusammenhang, der zwischen dem ursprünglichen Arbeitsverhältnis der Parteien zueinander und dem vom Kläger aufgenommenen „Zweitarbeitsverhältnis“ aufgrund der Vermittlungsbemühungen der Beklagten auf der Grundlage der Anlage 8 des TV Ratio bestanden hat, wird durch einen Betriebsübergang nach § 613 a) BGB in dem „Zweitarbeitsverhältnis“ nicht in Frage gestellt, da die Annahme eines solchen Betriebsübergangs geradezu voraussetzt, dass die bisherige Betriebsidentität fortbesteht.
50eee. Der Fall, dass das von der Beklagten vermittelte „Zweitarbeitsverhältnis“ im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613 a) BGB auf einen anderen Arbeitgeber übergeht, ist somit nicht mit der Konstellation zu vergleichen, dass das von der Beklagten vermittelte Arbeitsverhältnis etwa vom Kläger aus anderen Gründen beendet worden wäre und dieser aus freien Stücken ein neues Arbeitsverhältnis zu einem dritten Arbeitgeber eingegangen wäre.
51fff. Andere Umstände, die bei der Beklagten das Vertrauen hätten begründen können, dass der Kläger endgültig nicht mehr auf das ruhende Arbeitsverhältnis zurückkommen werde, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein ruhendes Arbeitsverhältnis eben typischerweise anders als ein aktives Arbeitsverhältnis nicht im täglichen Arbeitsalltag „gelebt“ wird, so dass die grundsätzliche Einstellung der Vertragsparteien zu einem solchen ruhenden Arbeitsverhältnis nur an besonderen, atypischen Gelegenheiten festgemacht werden kann.
52c. Dem Feststellungsbegehren des Klägers war daher stattzugeben. Das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 15.12.2011 kann durch die Berufung der Beklagten nicht in Frage gestellt werden.
534. In Anbetracht des Streitgegenstands des vorliegenden Verfahrens besteht kein Anlass für das Berufungsgericht, auf die Frage einzugehen, unter welchen Bedingungen der Kläger ggf. sein fortbestehendes ruhendes Arbeitsverhältnis zur Beklagten wieder aktivieren könnte.
54III. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen. Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist nicht ersichtlich.
55R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
56Gegen diese Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel nicht zugelassen.
57Auf § 72 a) ArbGG wird vorsorglich hingewiesen.
58Dr. Czinczoll Hahn Kolsch