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Behauptungen „ins Blaue hinein" sind mangels hinreichender Indiztatsachen nicht geeignet, die Vermutung einer unzulässigen Benachteiligung wegen des Alters zu begründen.
1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 12.01.2012 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln – 14 Ca 1420/11 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um die Zahlung einer Entschädigung wegen Altersdiskriminierung.
3Mit Bewerbungsschreiben vom 16.11.2010 bewarb sich die am 01.11.1960 geborene Klägerin auf eine Stellenausschreibung der Beklagten. Mit Schreiben vom 01.12.2010 sandte die Beklagte die Bewerbungsunterlagen an die Klägerin zurück und teilte ihr mit, dass eine Anstellung im Betrieb der Beklagten nicht möglich sei.
4Mit Schreiben vom 24.01.2010 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten den Entschädigungsanspruch wegen Altersdiskriminierung geltend und verfolgte diesen Anspruch mit am 21.02.2011 beim Arbeitsgericht Köln eingegangener Klage weiter.
5Die Klägerin hat behauptet, die Ablehnung der Klägerin beruhe allein auf dem Umstand, dass sie zum Zeitpunkt der Bewerbung bereits 50 Jahre alt gewesen sei. Auf den Bewerbungsunterlagen, nämlich auf dem Bewerbungsfoto der Klägerin befinde sich ein deutlicher Durchdruck eines umkreisten A und der Zahl 50. Dies stamme von einem entsprechenden handschriftlichen Vermerk der Beklagten auf dem Anschreiben, welches vor den Lebenslauf geheftet worden sei. Bei einer benachteiligungsfreien Auswahl habe sie, die Klägerin, eingestellt werden müssen.
6Die Klägerin hat beantragt,
7die Beklagte zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unter einem Betrag in Höhe von 10.500,00 € brutto, zu zahlen.
8Die Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Sie hat behauptet, die Klägerin sei objektiv nicht für die ausgeschriebene Stelle geeignet gewesen, da es ihr an Erfahrung im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung fehle. Personalfachkaufmann sei inzwischen ein eigener Ausbildungsberuf, dessen Qualifikation die Klägerin nicht erfülle. Zudem sei die Stelle überhaupt nicht besetzt worden.
11Das Arbeitsgericht hat das Bewerbungsfoto der Klägerin im Kammertermin in Augenschein genommen und jedenfalls den Abdruck eines umkreisten „A“ wahrnehmen können. Es hat die Klage sodann durch Urteil vom 12.01.2012 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG nicht vorlägen, weil es schon an einer Verletzung des sich aus § 7 Abs. 1 iVm § 1 AGG ergebenden Benachteiligungsverbots fehle. Die Klägerin habe keine Indizien schlüssig dargelegt, die vermuten ließen, dass die Beklagte gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen habe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Urteils erster Instanz (Bl. 104-112 d.A.) Bezug genommen.
12Gegen das ihr am 25.01.2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14.02.2012 Berufung eingelegt und diese am 20.03.2012 begründet.
13Die Klägerin ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe ihren Lebensgefährten als Zeugen vernehmen müssen. Die Übergehung des Beweisantrags stelle einen Verstoß gegen die Voraussetzungen der fehlerfreien richterlichen Überzeugungsbildung dar. Die Ablehnung der Vernehmung des Zeugen E stelle sich als eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar. Darüber hinaus habe das Arbeitsgericht seine Pflichten aus § 139 ZPO verletzt, weil es der Klägerin einen Hinweis hätte erteilen müssen, dass sie bezüglich des Zeitpunkts der Öffnung der Post durch ihren Lebensgefährten und der Feststellung des Abdrucks auf dem Bewerbungsfoto vorzutragen habe. Die Klägerin rügt eine mangelnde Protokollierung dieses Hinweises unter Verstoß gegen § 139 Abs. 4 S.1 ZPO. Das Urteil beruhe auch auf diesen Verfahrensfehlern, da bei einem entsprechenden Hinweis ergänzend folgendes vorgetragen worden wäre: Unmittelbar nach Rücksendung der Bewerbungsunterlagen habe sie im Beisein des Zeugen E die Unterlagen geöffnet und bei entsprechendem Lichteinfall habe man sofort die Abdrücke eines eingekreisten „A“ und einer umkreisten „50“ bemerkt. Der Zeuge E habe das Foto auch vor der Versendung an die Beklagte überprüft und keine Auffälligkeiten auf den Lichtbildern erkennen können. Es könne ausgeschlossen werden, dass vor oder nach der Versendung der Bewerbungsmappe Abdrücke auf das Foto gelangt seien. Schließlich stelle die Außerachtlassung der Zahl 50 auf dem Bewerbungsfoto einen Verstoß gegen § 286 ZPO dar.
14Die Klägerin beantragt,
15die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 12.01.2012 - 14 Ca 1420/11 - zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unter einem Betrag in Höhe von 10.500,00 € brutto liegen sollte, zu zahlen.
16Die Beklagte beantragt,
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die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
19Sie bestreitet den Vortrag der Klägerin zum Öffnen der Post mit Nichtwissen und rügt die Verspätung dieses Vortrags.
20Das Landesarbeitsgericht hat das Bewerbungsfoto der Klägerin in Augenschein genommen und konnte je nach Lichteinfall auf dem Foto die durchgedruckte Zahl „50“ sowie den Großbuchstaben „ A“ jeweils eingekreist wahrnehmen.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 28.06.2012 verwiesen.
22E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
23Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
24I. Die Berufung ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG) sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden ist. (§§ 66 Abs. 1, § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG; §§ 519, 520 ZPO).
25II. In der Sache bleibt die Berufung ohne Erfolg, denn das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Auch wenn die Kammer im Termin am 28.06.2012 bei der Inaugenscheinnahme des Bewerbungsfotos anders als das Arbeitsgericht bei entsprechendem Lichteinfall auch den Durchdruck einer eingekreisten „50“ wahrgenommen hat, so führt dies im Ergebnis zu keiner abweichenden rechtlichen Beurteilung.
26Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung wegen Altersdiskriminierung nach § 15 Abs. 2 AGG. Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot liegt nicht vor. Die Klägerin hat keine Indizien im Sinne des § 22 AGG vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lassen. Der Durchdruck auf dem Passfoto „50“ „A“ stellt für sich alleine kein ausreichendes Indiz dar, welches eine Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lässt.
271. Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist für die Klägerin als Beschäftigte im Sinne des Gesetzes eröffnet. Beschäftigte dürfen nach § 7 Abs. 1 AGG unter anderem nicht wegen ihres Alters vom Arbeitgeber benachteiligt werden, wobei als Beschäftigte nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG auch Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis gelten. Die Klägerin ist Bewerberin und die Beklagte Arbeitgeber im Sinne des § 15 AGG.
282. Die Klägerin hat den Entschädigungsanspruch (§ 15 Abs. 2 AGG) mit Schreiben vom 24.01.2011 innerhalb der Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG frist- und formgerecht gegenüber der Beklagten geltend gemacht, nachdem sie mit Schreiben vom 01.12.2010 von der Beklagten abgelehnt wurde. Die dreimonatige Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG für Entschädigungsansprüche wurde durch den Eingang der Klage am 21.02.2011 gewahrt.
293. Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot, der für einen Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG erforderlich ist, liegt nicht vor.
30a) Zugunsten der Klägerin kann unabhängig vom Vortrag der Beklagten zur Nichtbesetzung der Stelle unterstellt werden, dass eine unmittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG in der Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch und der damit verbundenen Versagung einer Chance liegt.
31b) Die festgestellten Tatsachen lassen indes eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Alters nicht vermuten.
32aa) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 AGG dann vor, wenn ein Beschäftigter wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, also auch wegen des Alters eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in vergleichbarer Situation. Es ist ein Kausalzusammenhang erforderlich dergestalt, dass die weniger günstige Behandlung wegen des Alters erfolgen muss. Dieser liegt bereits dann vor, wenn die Benachteiligung an das Alter anknüpft oder durch das Alter motiviert ist. Ausreichend ist, dass das Alter Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat (vgl. BAG v. 22.01.2009 – 8 AZR 906/07, DB 2009, 2045). Hinsichtlich der Kausalität zwischen Nachteil und dem verpönten Merkmal ist in § 22 AGG eine Beweislastregelung getroffen, die sich auch auf die Darlegungslast auswirkt. Der Beschäftigte genügt danach seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lassen. Dies ist der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt ist. Durch die Verwendung der Wörter „Indizien“ und „vermuten“ bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass es hinsichtlich der Kausalität zwischen einem der in § 1 AGG genannten Gründe und einer ungünstigen Behandlung genügt, Hilfstatsachen vorzutragen, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität zulassen, die aber die Annahme rechtfertigen, dass die Kausalität gegeben ist (BAG v. 20.05.2010 – 8 AZR 278/08, NZA 2010, 1006; BAG v. 19.08.2010 – 8 AZR 530/09, NZA 2010, 1412). Hierbei ist kein strenger Maßstab anzulegen. Es ist nicht erforderlich, dass die Tatsachen einen zwingenden Indizienschluss für eine Verknüpfung der Benachteiligung mit einem Benachteiligungsmerkmal zulassen. Vielmehr reicht es aus, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung hierfür eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht (BAG v. 17.12.2009 – 8 AZR 670/08, NZA 2010, 383; BAG v. 22.07.2010 – 8 AZR 1012/08, NZA 2011, 93) Liegt eine Vermutung für die Benachteiligung vor, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG v. 19.08.2010 – 8 AZR 530/09, NZA 2010, 1412).
33bb) Der einzige von der Klägerin für eine Benachteiligung vorgetragene Anhaltspunkt ist der Durchdruck der Zahl „50“ sowie des Buchstabens „A“ auf dem Passfoto der Klägerin. Den dargestellten Anforderungen genügt dies nicht. Soweit die Klägerin rügt, hinsichtlich der Herkunft des Abdrucks hätte die Aussage des Zeugen E berücksichtigt werden müssen, kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass der Abdruck bei der Beklagten auf das Passfoto gelangt ist. Der Durchdruck der Zahlen-Buchstaben Kombination „50“ „A“ stellt aber auch dann kein ausreichendes Indiz im Sinne des § 22 AGG dar, welches eine Benachteiligung wegen des Alters aus objektiver Sicht plausibel oder nach allgemeiner Lebenserfahrung überwiegend wahrscheinlich erscheinen lässt. Die Zahlen-Buchstaben-Kombination kann, worauf die Beklagte zu Recht hingewiesen hat, durch Schreibarbeiten, die mit der streitgegenständlichen Bewerbung in keinerlei Zusammenhang stehen, auf das Passfoto gelangt sein. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass der Durchdruck der Zahlen-Buchstaben-Kombination aus einem Vermerk, nämlich „50“ „A“, auf dem Anschreiben resultiert, besteht zur Überzeugung des Gerichts auch bei Anlegung eines nicht strengen Maßstabes nach allgemeiner Lebenserfahrung keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass daraus auf eine Benachteiligung wegen des Alters geschlossen werden kann. Die Zahlen-Buchstaben-Kombination lässt so zahlreiche Deutungen zu, dass aus ihr schon nicht geschlossen werden kann, dass die Beklagte das Alter der Klägerin besonders vermerkt oder gar hervorgehoben hätte. Letztlich handelt es sich bei den Mutmaßungen der Klägerin um Behauptungen „ins Blaue hinein“, die mangels weiterer Indiztatsachen nicht geeignet sind, die Vermutung einer verbotenen Benachteiligung zu begründen. Ob eine andere Betrachtung angezeigt gewesen wäre, wenn die Klägerin zusätzlich etwa hätte darlegen und beweisen können, dass eine deutlich jüngere, schlechter qualifizierte Bewerberin eingestellt worden sei, mag dahinstehen. Jedenfalls kann eine Zahlen-Buchstabenkombination auf einer Bewerbung, die keinen eigenen Erklärungswert besitzt und einer Vielzahl von Deutungen zugänglich ist, für sich allein nicht zur Vermutung einer Benachteiligung führen.
34III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
35IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht.
36Rechtsmittelbelehrung
37Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.
38Dr. Kalb Runckel Spielberg