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Der Arbeitgeber kann den Verdacht, ein Angestellter habe Geldbeträge aus dem Kassenschalterbereich entwendet, nicht im Wege einer Negativauslese damit begründen, Differenzen seien auffallend oft während der Anwesenheit des Angestellten aufgetreten und andere Schalterangestellten hätten glaubhaft bekundet, kein Geld veruntreut zu haben.
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 01.06.2011 2 Ca 329/11 EU teilweise abgeändert:
Die Weiterbeschäftigungsklage wird abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
3Die Klägerin, geboren am 1961, verheiratet, ist bzw. war bei der Beklagten als Angestellte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden beschäftigt. Sie war aufgrund einer schriftlichen Nebenabrede vom 11. Mai 2010 für die Zeit vom 1. Juli 2010 befristet bis zum 30. Juni 2011 als Mitarbeiterin Verkauf an die P GmbH zur Arbeitsleistung überlassen, wobei der Einsatz in deren Filiale in Z erfolgte.
4In einem Gespräch am 10. Januar 2011 wurde der Klägerin der Vorwurf gemacht, sie habe am 8. Dezember 2010 in der Filiale Z zwei Geldbeträge in Höhe von EUR 1.000,00 und EUR 580,00 entwendet. Mit Schreiben vom 13. Januar 2011 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer möglichen Verdachtskündigung wegen des Vorfalls am 8. Dezember 2010 an.
5Den Diebstahlvorwurf wies die Klägerin - wie bereits in dem Gespräch am 10. Januar 2011 - mit anwaltlichem Schreiben vom 24. Januar 2011 zurück.
6Mit Schreiben vom 28. Januar 2011 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Verdachtskündigung an. Als Kündigungsgrund führte sie an, im Laufe des Jahres 2009 hätten sich in der Filiale in Z die Kassenfehlbeträge gehäuft. Ein Sicherheitsspezialist habe festgestellt, dass lediglich die Klägerin bei allen Vorkommnissen in der Filiale anwesend gewesen sei. Zudem seien relevante Fehlbeträge erst festzustellen, seit die Klägerin in der Filiale in Z tätig gewesen sei. Als die Klägerin vom 12. Oktober 2009 bis zum 8. November 2009 zur Vertretung in der Filiale in K eingesetzt worden sei, habe es dort am 30. Oktober 2009 zwei Fehlbeträge in Höhe von EUR 801,18 und EUR 103,00 gegeben. Vor und nach dem Einsatz der Klägerin habe es keine nennenswerten Fehlbeträge in der Filiale in K gegeben. Am 8. Dezember 2010 sei es in der Filiale in Z an zwei Kassenschaltern zu den beiden Fehlbeträgen in Höhe von EUR 1.000,00 und EUR 580,00 gekommen. Die beiden Schalterangestellten Frau S und Herr B , der die Filiale leite, hätten am Vorabend die Kassenbestände kontrolliert und dabei festgestellt, dass sie gestimmt hätten. Bei einer erneuten Kontrolle am 8. Dezember 2010 um 12.00 Uhr seien die Fehlbeträge festgestellt worden, so dass es nur am Vormittag dieses Tages zu dem Verlust gekommen sein könne. An diesem Vormittag sei die Klägerin, obwohl sie krankgeschrieben gewesen sei und keinen Dienst gehabt habe, gegen 9.30 Uhr in der Filiale erschienen und etwa 30 45 Minuten geblieben. Als Stammkraft der Filiale in Z habe sie mit den in ihrem Besitz befindlichen Dienstschlüsseln ungehindert die Filialräume betreten können. Sie habe um 9.33 Uhr zunächst ein Postwertzeichenset für EUR 5,50 bei Frau S gekauft, und zwar hinter dem Schalter. Danach sei sie in den Schaltervorraum gegangen, um am Schalter von Herrn B um 9.34 Uhr EUR 180,00 in bar einzuzahlen. Wegen der PIN-Eingabe habe die Klägerin vom Raum vor dem Schalter aus einzahlen müssen. Frau S und Herr B hätten bei ihrer Befragung durch den Sicherheitsdienst am 27. Dezember 2010 bekundet, dass das fehlende Geld aus den Kassenladen entnommen worden sein müsse, da alle anderen Bargeldbestände verschlossen gewesen seien. Beide hätten eingeräumt, kurzzeitig abwesend gewesen zu sein, um z. B. Pakete aus dem Nachbarraum für Kunden zu holen. Dabei hätten sie nicht die Kassenladen verschlossen. Die Klägerin habe sowohl bei einer Befragung am 10. Januar 2011 als auch in der anwaltlichen Stellungnahme vom 24. Januar 2011 bestritten, am 8. Dezember 2010 Geld entwendet zu haben. Sie habe angegeben, ein Zusteller (Befragung am 10. Januar 2011) bzw. zwei Zusteller (Stellungnahme vom 24. Januar 2011) habe/hätten sich neben den beiden Schalterangestellten im Kassenbereich aufgehalten, was von letzteren ausdrücklich verneint worden sei. Bei einer Gesamtschau aller Umstände komme nur die Klägerin als Täterin in Betracht. Auf jeden Fall sei das Vertrauensverhältnis zerstört, so dass eine weitere Zusammenarbeit weder ihr der Beklagten - noch den bestohlenen Mitarbeitern zuzumuten sei. Die Klägerin sei verheiratet und finanziell abgesichert.
7Der Betriebsrat äußerte mit Schreiben vom 2. Februar 2011 Bedenken gegen die beabsichtigte außerordentliche Verdachtskündigung und widersprach der beabsichtigten ordentlichen Verdachtskündigung mit der Begründung, es handle sich nur um eine Vermutung der Beklagten, dass die Klägerin das Geld entwendet habe, für ihn den Betriebsrat gelte der Grundsatz: "Im Zweifel für den Angeklagten".
8Mit Schreiben vom 2. Februar 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2011, mit der Begründung, es bestehe der dringende Verdacht, dass sich die Klägerin in der Filiale Z widerrechtlich Gelder angeeignet habe.
9Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage, die am 9. Februar 2011 beim Arbeitsgericht Bonn eingegangen ist. Zugleich verlangt sie von der Beklagten, sie bereits während der Dauer des Kündigungsrechtsstreits in der Postbankfiliale Z im Schalterdienst weiter zu beschäftigen.
10Sie hat geltend gemacht, das Arbeitsverhältnis sei weder durch die fristlose noch durch die ordentliche Kündigung beendet worden. Sie bestreitet, Gelder entwendet zu haben. Es bestehe auch kein dringender Tatverdacht, da andere Personen die Fehlbeträge verursacht haben könnten.
11Das Arbeitsgericht Bonn hat durch Urteil vom 1. Juni 2011 der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die außerordentliche Kündigung sei bereits unwirksam, weil die Beklagte nicht die 2-Wochen-Erklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB gewahrt habe. Die Beklagte habe nicht zügig ermittelt, sondern Befragungen wiederholt, was nicht nachvollziehbar sei. Zu der ordentlichen Kündigung sei der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden. Jedoch sei die Verdachtskündigung nicht sozial gerechtfertigt, da kein dringender Tatverdacht gegen die Klägerin bestehe. Die Fehlbeträge am 8. Dezember 2010 könnten darauf zurückzuführen sein, dass es versehentlich zu Kassendifferenzen in der Filiale gekommen sei, also ein Diebstahl oder eine Unterschlagung überhaupt nicht vorliege. Aber selbst wenn die Geldbeträge widerrechtlich angeeignet worden seien, kämen als Täter neben der Klägerin auch die beiden Schalterangestellten oder auch Dritte in Frage, die sich wie die Klägerin unerlaubt in den Kassenbereich begeben hätten. Wenn die Klägerin am 8. Dezember 2010 während der Abwesenheit eines Schalterangestellten Geld entwendet hätte, hätte dies der nicht abwesenden Schalterkraft oder auch den Kunden, die vor dem Schalter gestanden hätten, auffallen müssen.
12Das Urteil ist der Beklagten am 9. Juni 2011 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 28. Juni 2011 Berufung einlegen und diese am 9. August 2011 begründen lassen. Sie wendet sich dagegen, dass der Klage gegen die hilfsweise ordentliche Kündigung und der Weiterbeschäftigungsklage stattgegeben worden ist.
13Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbingen zu dem Kündigungsgrund, das sie bereits bei der Betriebsratsanhörung und im erstinstanzlichen Verfahren mitgeteilt hat. Sie hat eine Aufstellung über hohe Kassendifferenzen in den Filialen K und Z im Zeitraum 30. Oktober 2009 bis 25. Oktober 2010 vorgelegt, um nachzuweisen, dass bei allen Vorfällen die Klägerin als eine der beiden Schalterangestellten tätig war. Seitdem die Klägerin in der Filiale in Z eingesetzt worden sei, habe die Zahl der hohen Fehlbeträge erheblich zugenommen. Der Kassenraum in der Filiale Z sei durch Panzerglasscheiben vom öffentlichen Schalterraum getrennt. Vom hinteren Bereich aus, in dem die Brief- und Paketbearbeitung erfolge, könne er nur durch eine einseitig zu öffnende Tür betreten werden. Frau S und Herr B hätten erklärt, dass weder diese Tür offen gestanden hätte noch Zusteller oder Reinigungskräfte sich im Kassenbereich aufgehalten hätten. Ein im abgetrennten Bereich befindliches Fenster zur Straße hin sei nur zum Lüften gekippt gewesen. Die Kassenbestände vom Vortag seien vor Eröffnung der Schalter von den Schalterangestellten geprüft und für richtig befunden worden. Entgegen einer Dienstanweisung habe sich die Klägerin am 8. Dezember 2010 wie bereits an einem Tag im November 2010 - im Kassenraum aufgehalten. Nach den beiden privaten Transaktionen (Briefmarkenkauf und Geldeinzahlung) habe die Klägerin im Laufe des Morgens auch noch ein Paket aufgegeben, um sodann den abgetrennten Kassenraum für etwa 30 45 Minuten zu betreten und Gespräche mit den beiden Schalterangestellten zu führen. Während dieser Zeit hätten die Schalterangestellten Pakete für Kunden aus dem hinteren Paketbereich holen müssen. Gleichzeitig habe die Klägerin die Möglichkeit gehabt, Gelder aus dem Kassenladen des vorübergehend abwesenden Schalterangestellten zu entnehmen, ohne dass dies der andere Schalterangestellte habe bemerken können, und ohne dass dies den Kunden, denen die Klägerin als Schalterangestellte bekannt sei, als ungewöhnlicher Vorgang hätte auffallen müssen. Es habe sich um echte Fehlbeträge gehandelt, da ein Buchungsfehler auszuschließen sei. Videoaufzeichnungen über die Tatbegehung gebe es nicht, da nur bei einem Raubüberfall die Anlage aktiviert werde. Es spreche viel dafür, dass die Klägerin die Geldbeträge an sich genommen habe, nachdem sie zunächst die Situation ausgekundschaftet habe. Es könne zwar nicht mit Gewissheit ausgeschlossen werden, dass die Schalterangestellten Frau S und Herr B die Fehlbeträge verursacht hätten. Aufgrund der Aussagen der beiden Schalterangestellten und der Erkenntnisse des Ermittlungsverfahrens sei sie allerdings zu dem Schluss gekommen, dass eine Tatbegehung durch die Schalterangestellten sehr unwahrscheinlich sei. Diese hätten auch nicht etwa den Verdacht auf die Klägerin gelenkt. Im Übrigen spreche gegen die Klägerin der Umstand, dass sie als eine von mehreren Schalterangestellten immer dann anwesend gewesen sei, wenn es zu größeren Fehlbeträgen gekommen sei. Die Interessenabwägung müsse zu ihren der Beklagten Gunsten gehen.
14Ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung in der Filiale Z bestehe schon deshalb nicht, weil die P GmbH nicht bereit sei, die Klägerin weiter einzusetzen. Die Überlassung zur Arbeitsleistung sei ohnehin nur bis zum 30. Juni 2011 befristet gewesen. Alternative Beschäftigungsmöglichkeiten könne es bei ihr der Beklagten allenfalls in einem zentralen Postverteilzentrum oder im Bereich Postzustellung geben, wobei ein freier Arbeitsplatz vorhanden sein müsse und es sich bei der Postzustellung um eine tariflich höherwertige Arbeit handle, auf die die Klägerin ohnehin keinen Anspruch habe.
15Die Beklagte beantragt,
16unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 1. Juni 2011 2 Ca 329/11 EU die Klage gegen die hilfsweise ordentlich erklärte Kündigung vom 2. Februar 2011 und die Weiterbeschäftigungsklage abzuweisen.
17Die Klägerin beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt vor, es sei nicht auszuschließen, dass die Fehlbeträge auf Buchungsfehlern beruhten, z. B. wenn eine Barabhebung mit einem zu niedrigen Betrag verbucht worden sei. Sie verweist darauf, dass auch die davor liegenden Fehlbeträge gemäß der Aufstellung der Beklagten weit überwiegend nicht an ihrer Kasse aufgetreten sind. In der Filiale in Z könne man von einem Vorraum durch einen Durchbruch in den eigentlichen Kassenraum gelangen. In dem Vorraum hielten sich regelmäßig Paketzusteller auf. Am 8. Dezember 2010 habe sie sich in diesem Vorraum aufgehalten, nicht aber im eigentlichen Kassenraum. Dort habe sie mit dem Filialleiter, Herrn B , eine Tasse Kaffee getrunken, wobei sich an dem Gespräch zeitweise auch Frau S beteiligt habe, die im Bereich des Durchbruchs gestanden habe. Sie bestreitet, dass die beiden Schalterangestellten zeitweise den eigentlichen Kassenbereich für 2 bis 3 Minuten verlassen haben. Sie behauptet, von einem Kassenschalter aus könnten die Vorgänge an dem anderen Kassenschalter beobachtet werden. Sofern Geld gestohlen worden sei, kämen als Täter die beiden Schalterangestellten, zwei Zusteller, die Putzfrau und sie die Klägerin in Betracht. Sie wolle allerdings nicht ihre beiden Kollegen beschuldigen.
20Sofern die Entleiherin es ablehne, die Klägerin weiter einzusetzen, verlange sie nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung, sie weiterhin in der Filiale in Z zu beschäftigen. Ansonsten liege eine unzulässige Maßregelung vor.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.
22E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
23I. Die Berufung ist zulässig.
24Sie ist nach § 64 Abs. 2 c ArbGG statthaft und innerhalb der Fristen nach § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet worden.
25II. Die Berufung hat in der Sache nur teilweise Erfolg.
26Zu Recht hat das Arbeitsgericht erkannt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 2. Februar 2011 nicht beendet worden ist. Allerdings hat die Klägerin keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung im Schalterdienst der P GmbH in Z .
271. Die ordentliche Kündigung vom 2. Februar 2011 ist nicht aus dringenden Gründen sozial gerechtfertigt, da kein dringender Verdacht besteht, dass die Klägerin am 8. Dezember 2010 zwei Geldbeträge aus den Kassen an den Schaltern in der Filiale Z entwendet hat.
28Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Die Klägerin ist weit länger als 6 Monate bei der Beklagten beschäftigt (§ 1 Abs. 1 KSchG). Die Beklagte beschäftigt in der Regel mehr als 10 Arbeitnehmer (§ 23 Abs. 1 KSchG). Da die Klägerin auch binnen 3 Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben hat (§ 4 S. 1 KSchG), ist die Wirksamkeit der Kündigung nach den Maßstäben des Kündigungsschutzgesetzes zu überprüfen.
292. Grundsätzlich kann auch der dringende Verdacht einer erheblichen Verletzung von arbeitsvertraglichen Pflichten einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Eine Verdachtskündigung kommt aber nur in Betracht, wenn gewichtige, auf objektive Tatsachen gestützte Verdachtsmomente vorliegen und diese geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen bei einem verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören. Der Arbeitgeber muss alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben. Ein dringender Verdacht liegt nur vor, wenn bei kritischer Prüfung eine auf Beweistatsachen gestützte große Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche Pflichtverletzung gerade dieses Arbeitnehmers besteht. Der entsprechende Verdacht muss es dem Arbeitgeber unzumutbar machen, mit dem Arbeitnehmer weiter zusammenzuarbeiten (vgl. BAG, Urteil vom 12. Mai 2010 2 AZR 587/08 - ).
30Der Umfang der Anhörung des Arbeitnehmers richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen zu bezeichnen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen. Allein um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt. Die Einzelheiten des Tatverdachts brauchen nur dann nicht im Anhörungsschreiben benannt zu werden, wenn sie dem Arbeitnehmer bereits bekannt waren (vgl. BAG, Urteil vom 13. März 2008 2 AZR 961/06 - ). Dies gilt nicht für Umstände, die bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen, aber dem Arbeitgeber erst später bekannt geworden sind (vgl. BAG, Urteil vom 12. Mai 2010 2 AZR 587/08 - ).
313. Ausgehend von diesen Grundsätzen kann nur der Vorwurf berücksichtigt werden, gegen die Klägerin bestehe der Verdacht, am 8. Dezember 2010 zwei Geldbeträge in der Filiale Z entwendet zu haben. Zu dem weiteren Vorwurf, die Klägerin sei auch verdächtig, bereits zuvor in den Filialen in K
32und Z Geldbeträge entwendet zu haben, wodurch sich der Verdacht gegen sie im Sinne einer Negativauslese erhärte, ist die Klägerin weder am 10. Januar 2011 noch durch Schreiben vom 13. Januar 2011 angehört worden. Die Beklagte hat selbst nicht vorgetragen, dass ihr dieser Vorwurf erst nach Ausspruch der Kündigung bekannt geworden ist. Im Übrigen zeigt der Streit zwischen den Parteien über die vorausgegangenen Vorfälle, wie wichtig eine vollständige Anhörung des verdächtigten Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung ist, um dem Arbeitnehmer Gelegenheit zu geben, entkräftende Umstände vorzutragen und damit ggf. von vornherein den Ausspruch einer Verdachtskündigung abzuwenden.
334. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Bonn festgestellt, dass die Klägerin nicht dringend verdächtigt ist, am 8. Dezember 2010 Geldbeträge aus dem Schalterbereich der Filiale in Z entwendet zu haben. Sollten die beiden Fehlbeträge nicht ganz oder teilweise auf Bearbeitungsfehlern Zählfehler oder Buchungsfehler bei Barabhebungen beruhen, bleibt objektiv die Möglichkeit, dass die beiden Schalterangestellten sich das Geld angeeignet haben, ggf. auch im Zusammenspiel, oder auch, dass einer allein während der Abwesenheit des anderen auf beide Kassenladen zugegriffen hat. Der Umstand, dass sich die Klägerin an dem Tag im nichtöffentlichen Bereich, sei es im Vorraum oder im eigentlichen Kassenraum aufgehalten hat, begründet nicht eine große Wahrscheinlichkeit, dass gerade sie das Geld entwendet hat. Auch die Beklagte behauptet nicht, dass sie sich heimlich in den Kassenraum begeben hatte. Zudem ist nicht auszuschließen, dass Zusteller aus dem Vorraum oder Reinigungskräfte in den Kassenraum gelangt waren, ohne dass dies von den Schalterangestellten bemerkt worden war. Das aus Sicht der Beklagten entscheidende zusätzliche Verdachtsmoment, das sie durch eine Negativauslese gewonnen hat, kann wie bereits ausgeführt nicht verwertet werden. Abgesehen davon hat das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 6. September 2007 2 AZR 722/06 zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Verdachtskündigung nicht mit mathematischen Wahrscheinlichkeitsgraden und Berechnungen begründet werden kann. Die Kassendifferenzen mit erheblichen
34Fehlbeträgen zwischen dem 30. Oktober 2009 und dem 25. Oktober 2010 in den Filialen K und Z sind nur zu einem Teil der von der Klägerin an den
35betreffenden Tagen geführten Kasse zuzuordnen. Andere Schalterangestellte wie die Arbeitnehmer B , Sc und M , haben ebenfalls an mehreren Tagen die Kasse mit erheblichen Fehlbeträgen geführt. Dies ergibt sich aus der Ausstellung der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 2. November 2011.
36Da kein dringender Tatverdacht gegen die Klägerin besteht, ist neben der außerordentlichen Kündigung (über die erstinstanzlich rechtskräftig befunden worden ist), auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 2. Februar 2011 wegen fehlender sozialer Rechtfertigung unwirksam.
375. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Weiterbeschäftigung in der Filiale in Z . Der Einsatz erfolgte auf der Grundlage eines befristeten Arbeitnehmerüberlassungsvertrages, der am 30. Juni 2011 endete. Da die Beklagte von der P GmbH nicht die weitere Entleihung der Klägerin erzwingen kann, kommt ein Einsatz der Klägerin nur noch im eigentlichen Geschäftsbereich der Beklagten in Frage (Verteilzentrum oder ggf. Zustelldienst). Dies ist in der mündlichen Verhandlung am 9. November 2011 erörtert worden.
38Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
39Die Revision war nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, bei der sich keine grundsätzlichen Rechtsfragen stellten, die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht beantwortet sind.
40RECHTSMITTELBELEHRUNG
41Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
42Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.
43Schwartz Schmitz, Jörg Müller, Karl-Heinz