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Im Fall nur verschlechterter Arbeitsbedingungen kann aus der bloßen - wider-spruchslosen - Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses regelmäßig nicht auf das Einverständnis des Arbeitnehmers mit der Vertragsänderung geschlossen werden.
1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 26.01.2011 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln 2 Ca 8801/10 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit geänderter Arbeitsbedingungen.
3Die Klägerin ist seit 1991 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen als Zeitungszustellerin tätig. Zuletzt galten folgende Arbeitsbedingungen:
4- Stücklohn Stadtanzeiger/Kölnische Rundschau: 2,14
5- Stücklohn Express: 1,83
6- Jahresurlaub von 30 Werktagen
7- Weihnachtsgeld in Höhe von 1,90
8pro Stück nach Oktoberstückzahl
9-Treueprämie nach 10 Jahren Betriebszugehörigkeit
10jährlich mit dem Novemberlohn in Höhe von 50,00 .
11Am 24.03.2009 erhielt die Klägerin ein Schreiben, in dem es auszugsweise heißt:
12"In langen, harten, aber fairen Verhandlungen haben wir uns vor diesem Hintergrund mit ihrer Interessenvertretung auf Anpassungen der Vergütung von allen derzeit bei der RZZ beschäftigten Zustellern verständigt, die zunächst für zwei Jahre gelten sollen.
13Für Sie gelten daher vom 1. April 2009 an folgende Veränderungen:
14Stücklohn STA/KR 2,07 pro Abo/Monat
15Stücklohn EXPRESS 1,77 pro Abo/Monat
16Treueprämie Entfällt
17Freiwilliges Weihnachtsgeld 1,00 pro Abo/Monat
18Urlaubstage 28 Tage/Jahr
19Alle sonstigen Vergütungsbestandteile, wie z. B. die Nachtarbeitszulage, die Vergütung für Fremdobjekte, das Urlaubsgeld, die Lieferstellenzulage oder das Kilometergeld, bleiben unverändert. Bitte nehmen Sie dieses Schreiben zu Ihren Vertragsunterlagen."
20Mit ihrer am 03.11.2010 erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt,
21Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 26.01.2011 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte die Arbeitsbedingungen nicht einseitig habe abändern dürfen und auch durch die widerspruchslose Weiterarbeit der Klägerin keine Vertragsänderung herbeigeführt worden sei.
26Mit ihrer Berufung macht die Beklagte geltend, die Vertragsänderung sei wie in der Vergangenheit auch durch konkludentes Verhalten zustande gekommen. Die widerspruchslose Weiterarbeit der Klägerin zu den geänderten Bedingungen könne nur als Zustimmung gewertet werden. Insbesondere sei keiner einzigen der seit April 2009 übersandten Abrechnungen widersprochen worden. Schon hieraus habe sie, die Beklagte, entnehmen müssen, dass die Klägerin mit der Vertragsänderung einverstanden sei, bzw. auf die Geltendmachung von Ansprüchen verzichte.
27Die Beklagte beantragt,
28das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 26.01.2011 2 Ca 8801/10 abzuändern und die Klage abzuweisen.
29Die Klägerin beantragt,
30die Berufung zurückzuweisen.
31Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung aus Rechtsgründen.
32Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes haben die Parteien auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
33E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
34I. Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, weil sie statthaft, (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO). Insbesondere ist die notwendige Beschwer von mehr als 600 Euro gemäß § 64 Abs. 2b ArbGG erreicht. Der vom Arbeitsgericht festgesetzte Rechtsmittelstreitwert ist für das Berufungsgericht nicht verbindlich, weil er offensichtlich unrichtig ist. Wie in den Parallelfällen kann mit Rücksicht auf § 9 ZPO von einem Streitwert in Höhe von rund 1.500 Euro ausgegangen werden.
35II. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.
36Das Arbeitsgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte die Arbeitsbedingungen nicht einseitig zu Lasten der Klägerin ändern durfte und auch keine konkludente Vereinbarung über die Vertragsänderung zustande gekommen ist. Die Einwände der Berufung vermögen an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Im Einzelnen gilt folgendes:
371. Selbst wenn man in dem Schreiben der Beklagten vom 24.03.2009 trotz seines lediglich mitteilenden Charakters ein Änderungsangebot an die betroffenen Arbeitnehmer sehen würde, so hätte die Klägerin dieses nur verschlechternde Angebot nicht angenommen. In dem bloßen Schweigen und der widerspruchslosen Weiterarbeit der Klägerin lag keine Annahmeerklärung.
38Eine Vertragspartei, die in ein bestehendes Vertragsverhältnis einschränkende Bedingungen einführen will, kann nach der Verkehrssitte nicht schon das bloße Schweigen des Empfängers auf das Angebot der Vertragsänderung als Annahme desselben werten. Wer auf ein Angebot nicht reagiert, stimmt diesem, wie aus § 147 BGB folgt, nicht zu. Vor allem bei Angeboten, die auf eine Vertragsänderung zu Lasten des Erklärungsempfängers zielen, kann nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass derjenige, der nicht reagiert, mit dem ihm zugemuteten Nachteil einverstanden ist (vgl. BAG vom 18.09.2001 9 AZR 307/00 -, juris). Nur unter besonderen Umständen kann Schweigen des Erklärungsempfängers als Zustimmung zu verstehen sein, wenn nämlich der Erklärende nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte annehmen durfte, der andere Vertragsteil werde der angebotenen Vertragsänderung widersprechen, wenn er nicht mit ihr einverstanden sein sollte (BAG vom 16.02.2010 3 AZR 118/08 -, juris, m.w.N.).
39Die Beklagte konnte nicht davon ausgehen, die Klägerin erkläre sich allein durch die widerspruchslose Weiterarbeit nach Erhalt des Schreibens vom 24.03.2009 mit einem darin liegenden Änderungsangebot einverstanden. Sie hat besondere Umstände, die darauf schließen ließen, dem Schweigen der Klägerin komme ein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert zu, nicht vorgetragen. Darin liegt ein entscheidungserheblicher Unterschied zu dem Fall, den das Bundesarbeitsgericht (nicht der Bundesgerichtshof, wie die Beklagte irrtümlich meint) mit Urteil vom 01.08.2001 (- 4 AZR 129/00 -, juris) entschieden hat, auf das sich die Beklagte vor allem beruft. Die dort angetragene Vertragsänderung in Gestalt einer konstitutiven Vereinbarung von Tarifrecht brachte dem Kläger auch eine Verbesserung seiner Arbeitsbedingungen, nicht zuletzt deswegen, weil es sich um eine sog. kleine dynamische Verweisung auf die einschlägigen Tarifverträge handelte. Wenn das Bundesarbeitsgericht damals annahm, "nach den Gesamtumständen des Falles" habe der Kläger das Änderungsangebot durch die widerspruchslose Fortsetzung des Arbeitsverhältnis akzeptiert, so kann das auf den vorliegenden Fall einer nur verschlechternden Vertragsänderung nicht übertragen werden. Hier durfte die Beklagte aus der bloßen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses eben nicht auf das Einverständnis der Arbeitnehmer mit der Vertragsänderung schließen.
402. Die Ansprüche der Klägerin sind entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht verwirkt.
41Bei der Verwirkung handelt es sich um einen Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung, die dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit dient. Sie hat nicht den Zweck, Schuldner, denen gegenüber Gläubiger ihre Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Deshalb kann allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen. Es müssen vielmehr zu dem Zeitmoment besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, zuletzt etwa Bundesarbeitsgericht vom 14.02.2007 10 AZR 35/06 -, juris, m.w.N.). Der Berechtigte muss unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erwecken konnten, dass er sein Recht nicht mehr gelten machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Durch die Verwirkung wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Die Verwirkung dient damit dem Vertrauensschutz (vgl. BAG, a. a. O.).
42Die Beklagte durfte im Streitfall nicht darauf vertrauen, die Klägerin werde gerichtlich gegen sie nicht mehr vorgehen, weil die erste gerichtliche Entscheidung im einem Parallelfall bereits am 16.12.2009 ergangen sei und die Klägerin spätestens danach hätte aktiv werden müssen. Gerade weil Kollegen der Klägerin gleichgelagerte Ansprüche gerichtlich geltend machten, musste die Beklagte damit rechnen, dass andere Arbeitnehmer dies zum Anlass nehmen würden, ihrerseits Ansprüche zu erheben. Die Klägerin brauchte auch keinen Vorbehalt zu machen, den Ausgang der Parallelverfahren abwarten zu wollen. Denn ein Gläubiger ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Schuldner darauf aufmerksam zu machen, dass er sich vorbehält, ihn zukünftig bei Eintritt bestimmter Bedingungen gerichtlich zu belangen (vgl. BAG, 14.02.2007 10 AZR 35/06, juris).
43III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
44IV. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere hatte die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht.
45RECHTSMITTELBELEHRUNG
46Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben.
47Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.
48Dr. Kalb Müller, Rolf Hartmann