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Zur Frage einer Sondervergütung nach § 79 Abs. 2 a NV Bühne für ein Chorsolo im Bühnenschiedsverfahren.
1) Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 30.07.2010 - 14 Ha 16/09 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2) Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über die Aufhebung eines bühnenoberschiedsgerichtlichen Spruchs.
3Die Klägerin ist bei der beklagten Stadt als Opernchorsängerin angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Normalvertrag Bühne (im Folgenden: NV Bühne) Anwendung.
4Die Klägerin begehrt Zahlung einer Sondervergütung in Höhe von 1149,24 (12 Tagesgagen) für die Übernahme der Partie des "Sour Osmina" im Januar und Februar 2008 aus dem Einakter "Sour Angelica" von Giacomo Puccini in 10 Vorstellungen.
5Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
6Das Bezirksbühnenschiedsgericht Frankfurt am Main hat der Klage mit Spruch vom 02.06.2008 stattgegeben. Das Bühnenoberschiedsgericht Frankfurt am Main hat mit Schiedsspruch vom 30.06.2009 den Schiedsspruch des Bezirksschiedsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Auf die Schiedssprüche wird verwiesen. Die gegen den Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts eingereichte Aufhebungsklage hat das Arbeitsgericht Köln mit Urteil vom 20.07.2010 abgewiesen. Auf das Urteil (Bl. 55 66 d. A.) wird verwiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin, rügt nach der Inaugenscheinnahme der Szene durch DVD habe keine Verhandlung über das Ergebnis der Beweisaufnahme stattgefunden und das Ergebnis des Augenscheins sei entgegen § 160 Abs. 5 Nr. 5 ZPO nicht schriftlich festgehalten worden. Die Klägerin hält die erstinstanzliche Rüge aufrecht, dass das Bühnenoberschiedsgericht von einem falschen Sachverhalt ausgegangen sei. Im Übrigen habe die Entscheidung des Arbeitsgerichts auch den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht ausreichend berücksichtigt.
7Die Klägerin beantragt,
8unter Aufhebung des Urteils Arbeitsgerichts Köln 14 Ha 16/09 vom 20. Juli 2010 sowie des Schiedsspruchs des Bühnenoberschiedsgerichts BOSchG 10/08 vom 30. Juni 2009 die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.149,24 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
9Die Beklagte beantragt,
10die Zurückweisung der Berufung.
11Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die Schiedssprüche des Bühnenschiedsgerichts und Oberbühnenschiedsgerichts, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
12E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
13I. Die Berufung ist zulässig, ist der Sache hat sie keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Aufhebungsklage zu Recht abgewiesen. Die Aufhebungsklage ist unbegründet.
141. Das Bühnenoberschiedsgericht hat die klagestattgebende Entscheidung des Bühnenschiedsgerichts zu Recht abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Sondervergütung von 1.149,24 nebst Zinsen. Dieser Anspruch ergibt sich weder aus § 79 Abs. 2 a NV Bühne noch aus dem arbeitsrechtlichem Gleichbehandlungsgrundsatz. Das Berufungsgericht schließt sich den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts an. Die Berufung enthält keine neuen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkte, die eine andere Bewertung rechtfertigen.
152. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Sondervergütung gemäß § 79 Abs. 2 a NV Bühne für die Übernahme des Partie der "Sour Osmina" aus dem Einakter "Sour Angelica" von Giacomo Puccini in 10 Vorstellungen im Januar und Februar 2008. Die vom Bühnenoberschiedsgericht für die Inszenierung am Theater der Beklagten in der Spielzeit 2007/2008 vorgenommene Einordnung des Chorsolos ("non e veru") als nicht sondervergütungspflichtige kurze solistische Gesangsleistung im Sinne von § 71 Abs. 2 e NV Bühne ist rechtsfehlerfrei.
16a. Zu Recht in das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Feststellungen im Aufhebungsverfahren bindend sind und dem Bühnenoberschiedsgericht kein Verfahrensverstoß bei der Feststellung der Tatsachen vorzuwerfen ist.
17aa. Das Bühnenoberschiedsgericht von folgendem Sachverhalt ausgegangen:
18In der zu bewertenden Szene verlässt der Opernchor, nämlich die Zöglinge der Anstalt, die Bühne, in dem die Chormitglieder in einer fortlaufenden Reihe von rechts kommend direkt an der Rampe nach links gehen und dabei die wartenden Aufseherinnen passieren müssen. Den letzten 4 Zöglingen werden von den Aufseherinnen Vorhaltungen gemacht, wobei 3 Zöglinge die Vorhaltung offensichtlich akzeptieren und weiter gehen. Der Klägerin werden als letzte in der Reihe ebenfalls Vorhaltungen gemacht. Die Klägerin geht ebenfalls weiter, steigt Treppen hinauf zu einer etwas höher gelegenen Tür, dreht sich schon an der Tür stehend um, singt "non e veru" und verlässt die Bühne (Seite 9 des Schiedsspruchs des Bühnenoberschiedsgerichts).
19bb. Der Klägerin wurde nach der Inaugenscheinnahme ausweislich des Sitzungsprotokolls Gelegenheit zur Stellungnahme zu den in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen gegeben. Auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts wird verwiesen. Soweit die Beklagte mit der Berufung rügt, das Ergebnis der Inaugenscheinnahme der DVD aus der Produktion "Sour Angelica" sei im Protokoll nicht schriftlich wiedergegeben worden, greift diese Rüge nicht durch. Nach § 160 Abs. 5 Nr. 5 ZPO, der nach § 39 Bühnenschiedsgerichtsordnung auch für das schiedsgerichtliche Verfahren gilt, gibt vor, dass das Ergebnis des Augenscheins im Protokoll festzuhalten ist (§ 160 Abs. 3 Nr. 5 PO). Diesem Erfordernis ist jedoch durch Bezugnahme auf die, jederzeit wieder abzuspielende DVD aus der Produktion "Sour Angelica" ausreichend genüge getan.
20b. Das Bühnenoberschiedsgericht hat den Rechtsbegriff der "kurzen solistischen Gesangsleistung" in § 71 Abs. 2 e NV Bühne nicht verkannt und bei seiner Auslegung den ihm zukommenden weiten Beurteilungsspielraum nicht überschritten.
21aa. Die mit der Aufhebungsklage angegriffene Abgrenzung des Bühnenoberschiedsgerichts einer "kurzen solistischen Gesangsleistungen" nach § 71 Abs. 2 e NV Bühne von einer "kleinere Partien" im Sinne des § 71 Abs. 3 a NV Bühne verlangt die rechtliche und tatsächliche Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe. Diesbezüglich beschränkt sich die Überprüfung der Rechtsanwendung der Bühnenschiedsgerichte im Aufhebungsverfahren grundsätzlich darauf, ob die Bühnenschiedsgerichte den Rechtsbegriff selbst verkannt haben, ob die Unterordnung des Sachverhalts (Subsumtion) unter den Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungsgesetze verletzt und ob die Beurteilung wegen Außerachtlassung wesentlicher Umstände oder wegen Widersprüchlichkeit offensichtlich fehlerhaft ist. Innerhalb dieser Grenzen haben die Bühnenschiedsgerichte einen Beurteilungsspielraum, der als solcher den staatlichen Gerichten im Rahmen der Überprüfung des Schiedsspruches im Aufhebungsverfahren nach § 110 ArbGG verschlossen ist. Ist dieser Beurteilungsspielraum nicht überschritten, liegt ein Rechtsfehler, der zur Aufhebung des Schiedsspruchs im Verfahren nach § 110 ArbGG führen könnte, nicht vor (BAG 16.12.2010 6 AZR 487/09 m.w.N.).
22bb. Haben, wie im vorliegenden Fall, tarifliche unbestimmte Rechtsbegriffe Kunstbezug, werden also bei der Auslegung und Anwendung dieser Begriffe künstlerische Belange berührt, ist bei der Überprüfung von Schiedssprüchen im Aufhebungsverfahren die Einräumung eines weiten Beurteilungsspielraumes für die Bühnenschiedsgerichtsbarkeit nicht nur durch den revisionsähnlichen Charakter dieses Verfahrens, sondern auch und insbesondere durch den Bezug zur Kunstfreiheit des Artikel 5 Abs. 3 Satz GG geboten. Die Kunstfreiheit beinhaltet einen eigen gesetzlichen Freiraum, der staatlichen Einfluss so weit wie möglich ausschließt, (vgl. Hufen die Freiheit der Kunst in staatlichen Institutionen 1982 S. 180 ff.). Die Bühnenschiedsgerichtsbarkeit, die über ihre tarifliche Verankerung in § 53 NV Bühne auch an der Gewährleistung des Artikel 9 Abs. 3 GG Teil hat, soll den Grund rechtlichen eigengesetzlichen Freiraum der am Kunstprozess Beteiligten dadurch gegenüber übermäßiger staatlicher Einflussnahme im Form von Gerichtsentscheidungen absichern, dass die Ordnung der Rechtsbeziehung zu förderst unter Beteiligung der Kunstschaffenden erfolgt. Dem durch Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip garantierten Justizgewährungsanspruchs ist dadurch genügt, dass § 110 ArbGG den Weg zu einer Rechtskontrolle und endgültigen Streitentscheidung durch die staatlichen Gerichte eröffnet (BAG 16.12.2010 6 AZR 487/09 m.w.N.).
23cc. Das Bühnenoberschiedsgericht hat für die Abgrenzung zwischen einer kurzen solistischen Gesangsleistung im Sinne von § 71 Abs. 2 e NV Bühne und einer kleineren Partie gemäß § 71 Abs. 3 a NV Bühne zutreffend vor allem auf die Protokollnotiz zu § 71 Abs. 2 e und Abs. 3 a NV Bühne abgestellt. Die Tarifvertragsparteien haben damit die schematisch allein auf die Anzahl zu singenden Worte abstellende Protokollnotiz Nr. 4 zu § 11 NV Chor ersetzt, nach der Zwischenrufe und bis zu 5 Worte umfassende Sätze nicht zu vergüten waren. Vielmehr kommt es nach der Protokollnotiz zu § 71 Abs. 2 e und Abs. 3 a NV Bühne nach den Berliner Tarifvertragsparteien für die Abgrenzung zwischen einer noch von der Vergütung abgedeckten kurzen solistischen Gesangsleistung und einer sondervergütungspflichtigen kleineren Partie auf die szenisch- musikalische Realisierung einerseits und den Umfang der solistischen Sprech- oder Gesangsleistung andererseits an (BAG 10.12.2010 6 AZR 487/09 m.w.N.).
24dd. Als Abgrenzungskriterium ist unter Beachtung der Vorgaben durch die Protokollnotiz zu § 71 Abs. 2 e und Abs. 3 a NV Bühne auf den Wortlaut von § 71 Abs. 3 a NV Bühne abzustellen. Das Annehmen einer anderen Individualität gegenüber dem Chor kann wegen der Änderung des tariflichen Anspruchsvoraussetzungen gegenüber früheren Regelungen in § 11 Abs. 2 b aa NV Chor in Verbindung mit der Protokollnotiz Nr. 2 c NV Chor nicht mehr verlangt werden (BAG 10.12.2010 6 AZR 487/09 m.w.N.). Auch davon ist das Bühnenoberschiedsgericht zutreffend ausgegangen.
25ee. Die Berufung zeigt nicht auf, dass das Bühnenoberschiedsgericht mit der von ihm vorgenommenen Subsumtion seinen Beurteilungsspielraum überschritten hätte. Das Bühnenoberschiedsgericht ist auf Grund des persönlichen Eindrucks durch Vorspielen der Szene zur Auffassung gelangt, dass die Leistung der Klägerin als kurze solistische Gesangsleistung mit szenischer Darstellung im Sinne des § 71 Abs. 2 e NV Bühne anzusehen ist und keine sondervergütungspflichtige "kleinere Rolle oder Partie" im Sinne des § 71 Abs. 3 a NV Bühne vorliegt. Dabei hat das Bühnenoberschiedsgericht auf die oben genannten Abgrenzungskriterien abgestellt, in welchem Maße sich bei einer Gesamtbetrachtung des äußeren Erscheinungsbildes der zu erbringenden darstellerischen und gesprochenen bzw. gesungenen Leistung des Chormitgliedes ergibt, ob hier ein besonderes, vom Gesamtchor sich abhebendes Auftreten übernommen wurde oder nicht. Nach Auffassung des Bühnenoberschiedsgerichts trat die Klägerin mit dieser szenisch musikalischen Leistung nicht aus dem Kollektiv des Opernchores heraus, auch wenn sie sich durch die 3 sologesungenen Worte von den anderen Opernchormitgliedern abhob. Die räumliche Verbundenheit sämtlicher Chormitglieder war durch den Abgang des Chores in einer Reihe nicht aufgehoben oder durch die Vorhaltungen der Aufseherinnen nicht unterbrochen. Auch im Zusammenwirken mit den sologesungenen 3 Worten hat die Klägerin keine andere Individualität verkörpert als die übrigen Chormitglieder. Damit hat das Bühnenoberschiedsgericht - wie auch das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat - im Rahmen des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums die Gesangsleistung der Klägerin rechtsfehlerfrei noch als Teil der Chorleistung angesehen.
262. Schließlich steht der Klägerin die geltend gemachte Sondervergütung auch nicht nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu. Zu Recht hat dazu das Bühnenoberschiedsgericht festgestellt, dass es bereits fraglich erscheint, ob die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, der gebietet, Gleiches gleich zu behandeln, aber erlaubt, Ungleiches ungleich zu behandeln, überhaupt auf die Leistung eines Künstlers in einer anderen Oper, in einer anderen Szene, in einer anderen Inszenierung auf Grund der damit verbundenen individuellen Realisierung Anwendung finden kann. Dabei beruft sich die Klägerin auf die Zahlung von Sondervergütungen an andere Chormitglieder in anderen Aufführungen. Die Klägerin hat auch im Aufhebungsverfahren keine konkreten Tatsachen vorgetragen, die einen Vergleich der szenisch-musikalischen Realisierung der Auftritte zulassen.
27II. Die Klägerin hat die Kosten des erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
28III. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen. Insbesondere hatte die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalles beruht.
29R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
30Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben.
31Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.
32Dr. von Ascheraden Hartwig Wollersheim