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Auch solche Zeiträume führen zu einer Minderung des Jahressonderzahlungsanspruchs nach § 20 Abs. 1 TV-L, in denen der Beschäftigte zwar ein Entgelt bzw. einen Entgeltfortzahlungsanspruch aus dem TV-L gegen einen anderen Arbeitgeber, nicht aber gegen den Anspruchsgegner herleiten kann. Dies ergibt sich aus der Auslegung des § 20 Abs. 4 S. 1 TV-L.
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 22.07.2010 4 Ca 2701/10 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um die Höhe der tariflichen Sonderzahlung für das Jahr 2009 gemäß § 20 TV-L.
3Der am 1983 geborene, ledige und kinderlose Kläger ist seit dem 01.10.2009 bei der Beklagten als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Teilzeitarbeitsverhältnis mit 50 % der regelmäßigen Arbeitszeit beschäftigt. Seine Vergütung richtet sich nach der Entgeltgruppe 13 Stufe 2 TV-L.
4Zuvor war der Kläger als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Freistaat T an der Universität J im Zeitraum vom 01. bis 30.09.2009 beschäftigt.
5Die Beklagte zahlte dem Kläger im November 2009 eine Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 in Höhe von 210,24 brutto unter Berücksichtigung der Beschäftigungszeit des Klägers in den Monaten Oktober bis Dezember 2009.
6Mit Schreiben vom 11.02.2010 machte der Kläger gegenüber der Beklagten die Zahlung der vollständigen Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 in Höhe von insgesamt 840,95 und damit restlichen 630,71 geltend. Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 22.02.2010 ab.
7Mit seiner Klage vom 30.03.2010, welche am 31.03.2010 beim Arbeitsgericht in Köln eingegangen ist, verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.
8Er hat die Rechtsansicht vertreten, die Kürzung der Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 sei hinsichtlich der Berücksichtigung des Zeitraums von Januar bis einschließlich September 2009 unberechtigt. Auch die Beschäftigung beim Freistaat T sei zu berücksichtigten. Der Wortlaut des § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L stelle für die Verminderung der Jahressonderzahlung um jeweils 1/12 lediglich darauf ab, ob in den betreffenden Kalendermonaten kein Entgelt oder Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 21 TV-L entstanden sei. Einen Entgeltanspruch nach TV-L habe der Kläger auch während seiner Beschäftigung beim Freistaat T erlangt. Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses beim selben Arbeitgeber sei nicht Voraussetzung für die Gewährung der gesamten Jahressonderzahlung. Für eine solche am Wortlaut des § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L orientierte Auslegung spreche auch die Systematik der Vorschrift, da in § 20 Abs. 1 TV-L nur Anspruchsvoraussetzung für die Jahressonderzahlung sei, dass das Arbeitsverhältnis am 01.12. des betreffenden Kalenderjahres beim Arbeitgeber, der dem TV-L unterfalle, bestehe. Zudem sehe der TV-L, anders als frühere Zuwendungstarifverträge, eine Kürzung nicht vor, wenn der Arbeitnehmer nicht bei demselben Arbeitgeber beschäftigt sei. Ziel des TV-L sei ausweislich seines § 40, die Flexibilität im Wissenschaftsbereich zu gewährleisten.
9Der Kläger hat beantragt:
10Die Beklagte wird verurteilt, 630,71 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 12.03.2010 an den Kläger zu zahlen.
11Die Beklagte hat beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Sie hat die Auffassung vertreten, aus § 20 Abs. 4 TV-L ergebe sich der Grundsatz der Zwölftelung, der gegenüber dem Kläger zur Kürzung der Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 um 9/12 führe. Diese Vorschrift beinhalte zwar keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass das Entgelt vom selben Arbeitgeber bezogen werden müsse. Aber nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen sei davon auszugehen, dass der Anspruch von einer Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber abhänge, da Betriebstreue belohnt werden solle. Auf § 40 TV-L sei nicht abzustellen, da dies eine Sonderregelung für den Wissenschaftsbereich darstelle und diese abschließende Regelung beinhalte.
14Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 22.07.2010 4 Ca 2701/10 die Klage für begründet gehalten. Der Kläger könne einen vollständigen Sonderzahlungsanspruch für das Jahr 2009 herleiten, da die Voraussetzungen für eine Verminderung nach § 20 Abs. 4 TV-L nicht gegeben seien. Der Kläger habe Anspruch auf Entgelt nach dem TV-L für das gesamte Jahr 2009 besessen, da er einen solchen auch während seiner Beschäftigungszeit beim Freistaat T habe realisieren können. § 20 Abs. 4 TV-L treffe keine Unterscheidung dahingehend, ob das Entgelt vom früheren oder jetzigen Arbeitgeber geflossen sei. Dies unterscheide diese Vorschrift von anderen Regelungen wie in § 34 Abs. 3 Satz 1 TV-L hinsichtlich der Beschäftigungszeit bei Jubiläumsgeldern und Krankengeldzuschüssen nach §§ 22, Abs. 3, 23 Abs. 2 TV-L und früheren Zuwendungstarifverträgen.
15Gegen das ihr am 24.08.2010 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Köln hat die Beklagte am 22.09.2010 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 24.11.2010 am 24.11.2010 begründet.
16Sie vertritt die Ansicht, nach dem Sinn und Zweck des § 20 TV-L, eine Anerkennung für geleistete Dienste zu bieten und eine Motivation für die zukünftige Leistung herbeizuführen, müsse zur Vermeidung von Gerechtigkeitslücken die grundsätzliche Regel gelten, dass frühere Arbeitsverhältnisse nur dann zu berücksichtigen seien, wenn dies tariflich ausdrücklich vorgesehen wäre. Dies sei in der Vorschrift des § 20 TV-L anders als in anderen Regelungsbereichen nicht geschehen. Zudem hätten die Tarifparteien mit dem TV-L eine schlankere praktikablere Lösung als früher finden wollen.
17Die Beklagte beantragt,
18das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
19Der Kläger beantragt,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Er verbleibt bei seiner Ansicht, der Wortlaut des § 20 TV-L sei eindeutig. Es ergebe sich aus diesem kein Anhaltspunkt dafür, dass ein Entgeltanspruch gegen denselben Arbeitgeber vorliegen müsse, um die Kürzung um jeweils 1/12 für die betreffenden Kalendermonate zu vermeiden. Bezüglich des Sinn und Zwecks des § 20 TV-L sei auch die Betriebstreue allgemein im öffentlichen Dienst ausreichend zur Rechtfertigung der oben gefundenen Lösung. Eine Vereinfachung der Tarifregelung sei gerade dadurch zu erzielen, dass keine Zwölftelung vorgenommen werden müsse.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst den zu den Akten gereichten Anlagen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend verwiesen.
23E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
24I. Die Berufung ist zulässig, weil sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 64, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO).
25II. Die Berufung der Beklagten ist auch begründet, da der Kläger keinen Anspruch auf weitere Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 gemäß § 20 TV-L gegen die Beklagte geltend machen kann und somit die Klage abzuweisen war.
26Aus § 20 Abs. 4 TV-L lässt sich zugunsten des Klägers nicht der ungekürzte volle Jahressonderzahlungsanspruch für das Jahr 2009 herleiten. Die Beklagte hat zu Recht den Jahressonderzahlungsanspruch auch für diesen Zeitraum anteilig um die Monate der Beschäftigung des Klägers beim Freistaat T von Januar bis einschließlich September 2009 gekürzt. Die Beklagte kann sich hierbei auf § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L stützen, wonach sich der Jahressonderzahlungsanspruch nach § 20 Abs. 1 TV-L um 1/12 für jeden Kalendermonat vermindert, in dem der Beschäftigte keinen Anspruch auf Entgelt oder Fortzahlung des Entgelts nach § 21 TV-L besitzt. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers führen auch solche Zeiträume zu einer Minderung, in denen der Beschäftigte zwar ein Entgelt bzw. einen Entgeltfortzahlungsanspruch aus dem TV-L gegen einen anderen Arbeitgeber, nicht aber gegen die Beklagte herleiten kann.
27Dies ergibt sich aus der Auslegung des § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L.
28Die Auslegung eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebende Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Vertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfrei Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG, Urteil vom 28.10.2008 3 AZR 189/07 zitiert nach juris).
291. Bereits aus dem Tarifwortlaut ergeben sich für die Kammer Anhaltspunkte dafür, dass nur solche Kalendermonate nicht anspruchsmindernd für die Jahressonderzahlung sein sollen, in denen der Beschäftigte einen Anspruch auf Entgelt oder Entgeltfortzahlung nach dem TV-L gegen denselben Arbeitgeber besitzt. Zwar lässt sich feststellen, dass im Gegensatz zu früheren Zuwendungstarifverträgen, in denen die Kürzung der Zuwendung dann vorgenommen wurde, wenn der Angestellte nicht während des gesamten Jahres von demselben Arbeitgeber Bezüge erhalten hat, eine solche ausdrückliche Beschränkung in § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L fehlt (vgl. Bepler-Schwill, § 20 TV-L, Randnummer 30). Diese am Buchstaben haftende Auslegung des Wortlautes verkennt jedoch die Zusammenhänge der § 20 Abs. 1 und 4 TV-L. Es ist nach allgemeinen Auslegungsregeln davon auszugehen, dass die Tarifparteien einen Rechtsbegriff im Rahmen von Tarifvorschriften und insbesondere innerhalb ein- und derselben Tarifvorschrift bzw. sogar ein- und desselben Satzes einer solchen einheitlich verwenden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit dem Anspruch in § 20 Abs. 1 TV-L und damit demselben Begriff in § 20 Abs. 4 Satz 1 Eingangssatz gemeint ist der zwischen den aktuellen Arbeitsvertragsparteien bestehende Jahressonderzahlungsanspruch also hier der Anspruch zwischen den Streitparteien. Den Begriff des Anspruchs haben die Tarifvertragsparteien sodann im zweiten Halbsatz des § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L wiederum verwandt, ohne diesen einer anderen Rechtsbeziehung außerhalb des Verhältnisses der Streitparteien zuzuordnen. Daraus ist zu schließen, dass auch dieser Anspruch auf das Verhältnis der aktuellen Arbeitsvertragsparteien bezogen sein sollte, auf deren Rechtsverhältnisse sich der normative Teil des Tarifvertrages erstrecken soll.
302. Dieses Ergebnis wird gestützt durch den Blick auf die Systematik des TV-L und den tariflichen Gesamtzusammenhang. Hierbei ist festzustellen, dass die Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit bei anderen Arbeitgebern im Tarifvertrag ausdrücklich seine Erwähnung findet. Dabei ist auf die anzurechnende Beschäftigungszeit gemäß § 34 Abs. 3 Satz 3 TV-L und die hieran anknüpfenden Vorschriften für den Krankengeldzuschuss (§ 22 Abs. 3 TV-L), für das Jubiläumsgeld (§ 23 Abs. 2 TV-L) sowie für die Berechnung der Kündigungsfrist nach § 34 Abs. 1 TV-L hinzuweisen.
313. Historische Gesichtspunkte stehen in dieser Auslegung nicht entscheidend entgegen, anders als in § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L im früheren Sonderzuwendungstarifvertrag § 2 Abs. 2 Satz 1 ausdrücklich geregelt, dass eine anteilige Kürzung der Jahressonderzuwendung dann vorzunehmen sei, wenn der Angestellte nicht während des ganzen Kalenderjahres Bezüge von demselben Arbeitgeber erhalten hat. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass im früheren Tarifvertrag über eine Sonderzuwendung für Angestellte Anspruchsvoraussetzung nach § 1 Abs. 1 anders als in § 20 Abs. 1 TV-L nicht nur das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Anspruchsgegner zum 01.12. des betreffenden Kalenderjahres war, sondern kumulative Anspruchsvoraussetzung nach § 1 Abs. 1 Ziffer 2 des Tarifvertrages über eine Sonderzuwendung für Angestellte der ununterbrochene Bestand des Arbeitsverhältnisses seit 01.10 des betreffenden Jahres im öffentlichen Dienst oder alternativ insgesamt sechs Monate im laufenden Kalenderjahr bei demselben Arbeitgeber war. § 2 Abs. 2 des Tarifvertrages über eine Sonderzuwendung für Angestellte führte daher eine anderweitige Kürzungsvoraussetzung ausdrücklich vor dem Hintergrund anderweitiger Anspruchsvoraussetzungen herbei.
324. Auch Sinn und Zweck der tariflichen Kürzungsvorschrift in § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L stehen im Einklang mit dieser Auslegung.
33a. Eine Einheit des öffentlichen Dienstes kann nicht entscheidend dagegen eingewandt werden. Dies gilt insbesondere mit Rücksicht auf die Haushaltshoheit der einzelnen Länder, die eine Berücksichtigung einer Betriebszugehörigkeit des Klägers beim Freistaat T für einen Anspruch bei der Beklagten nicht rechtfertigen können.
34b. Der Kläger verweist zu Unrecht auf § 40 TV-L und die damit verbundene Zielsetzung des TV-L, die Flexibilität der Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbereich zu gewährleisten. Der § 40 TV-L stellt einen gesonderten, abgeschlossenen Regelungskomplex für Beschäftigte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen dar. Er beinhaltet einzelne Regelungen zu den allgemeinen Arbeitsbedingungen, der regelmäßigen Arbeitszeit, der Sonderformen der Arbeit, Stufen der Entgelttabelle, zum Erholungsurlaub und befristeten Arbeitsverträgen. Hinweise auf die Kürzung von Jahressonderzahlungen enthalten diese Sonderregelungen nicht.
35III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger gemäß § 91 ZPO als unterlegene Partei.
36IV. Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.
37Rechtsmittelbelehrung
38Gegen dieses Urteil kann von
39R E V I S I O N
40eingelegt werden.
41Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
42Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim
43Bundesarbeitsgericht
44Hugo-Preuß-Platz 1
4599084 Erfurt
46Fax: 0361 2636 2000
47eingelegt werden.
48Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
49Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
50In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
52Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
53* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
54Dr. Staschik Risse Schütteler