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Parallelsache zu 8 Sa 411/07
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 22.03.2007 1 Ca 10482/06 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
2Die Klägerin bezieht von der Beklagten Leistungen nach Maßgabe betrieblicher Altersversorgung.
3Seit 1992 zahlte die Beklagte an alle Betriebsrentner jeweils im November einen Betrag in Höhe von 500,00 DM als "Weihnachtsgeld".
4Nach der Währungsumstellung auf Euro wurde die Zahlung jeweils in Höhe von 250,00 geleistet.
5In einem Schreiben der Beklagten an ihre Betriebsrentner vom 22.01.2002 heißt es:
6"Im Rahmen der Überarbeitung des Sozialleistungstableaus der R Gesellschaften hat der Vorstand entschieden, dass die freiwillige Zahlung, die sie in der Vergangenheit gemeinsam mit ihrer Rentenzahlung im November erhielten, nur noch bis 2004 geleistet wird.
7Den Geschenkgutschein zu Weihnachten erhielten Sie letztmals in 2001."
8In den Novemberabrechnungen der Jahre 2002 bis 2004 ist die Zahlung des Weihnachtsgeldes als "Versorgungsbezug freiwillige Leistung" bezeichnet.
9In den Jahren 2005 und 2006 zahlte die Beklagte kein Weihnachtsgeld mehr.
10Die Klägerin hat beantragt,
11Die Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Das Arbeitsgericht hat die geltend gemachten Ansprüche zuerkannt und hierzu angenommen, dass durch die jahrelange Zahlung des Weihnachtsgeldes an Betriebsrentner eine so genannte betriebliche Übung entstanden sei, die insbesondere nicht nach Maßgabe einer sogenannten gegenläufigen betrieblichen Übung wieder entfallen sei.
16Voraussetzung für eine solche gegenläufige betriebliche Übung sei nämlich, dass sich die Veränderung unmittelbar auswirke und der Arbeitnehmer in Kenntnis dieser Auswirkungen weiterarbeite, obwohl nach der Verkehrssitte unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles ein ausdrücklicher Widerspruch zu erwarten gewesen wäre. Dem Schweigen der Klägerin auf das Schreiben an die Betriebsrentner vom 22.01.2002 sowie dem Untätigbleiben nach Erhalt der Novemberabrechnungen der Jahre 2002 bis 2004 komme ein derartiger Erklärungswert nicht zu.
17Da bereits eine gegenläufige betriebliche Übung nicht vorliege komme es auch nicht darauf an, ob die nachträgliche Implementierung eines "Freiwilligkeitsvorbehalts" auch im Betriebsrentenrecht dem Transparenzerfordernis für Widerrufs- und Freiwilligkeitsvorbehalte genügen müsse. Ergänzend wird auf die Begründung des Urteils erster Instanz Bezug genommen.
18Gegen dieses der Beklagten am 02.04.2007 zugestellte Urteil erster Instanz wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung vom 11.04.2007, die sie am 29.05.2007 begründet hat.
19Die Berufung nimmt in Anspruch, dass das Entstehen einer betrieblichen Übung schon deshalb nicht in Betracht komme, weil die Grundsätze der so genannten betrieblichen Übung auf Betriebsrentner nicht anwendbar seien. Jedenfalls sei eine etwaige bestehende betriebliche Übung aufgrund eines Freiwilligkeitsvorbehalts der Beklagten nicht begründet worden. Ein derartiger Freiwilligkeitsvorbehalt sei der erbrachten Zahlung immanent, da diese an Personen erfolgt sei, welche sich schon im Rentenbezug befanden, so dass die Freiwilligkeit der Zahlung von vornherein hieraus erkennbar sei.
20Der Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes aus betrieblicher Übung bestehe aber jedenfalls deswegen nicht, weil sich die Beklagte den Widerruf der Zahlung vorbehalten und die Weihnachtsgeldzahlung wirksam widerrufen habe. Der Widerrufsvorbehalt ergebe sich wiederum direkt aus der Leistungsgewährung und sei dieser immanent gewesen, so dass kein Vertrauen begründendes Verhalten im Hinblick auf eine vorbehaltlose Zahlung anzunehmen sei.
21Dieser Widerruf sei mit Schreiben der Beklagten vom 22.01.2001 erklärt und entspreche billigem Ermessen, da es sich bei der Einstellung der jährlichen Zahlung von 250,00 an Betriebsrentner um die Einstellung einer Zahlung im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen gehandelt habe.
22Jedenfalls sei aber anzunehmen, dass ein etwaiger Anspruch aus betrieblicher Übung durch eine gegenläufige betriebliche Übung nach Maßgabe des Schreibens vom 22.01.2002 in Verbindung mit den Erklärungen der Freiwilligkeitsvorbehalte der Auszahlungsmonate November 2002, 2003 und 2004 den Anspruch der Klägerin wieder habe entfallen lassen.
23Die Beklagte beantragt,
24das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 22.03.2007 1 Ca 10482/06 abzuändern und die Klage abzuweisen.
25Die Klägerin beantragt,
26die Berufung zurückzuweisen.
27Die Klägerin verteidigt unter Vertiefung ihres Sachvortrags erster Instanz das Urteil des Arbeitsgerichts.
28Wegen des sonstigen Sach- und Streitstands wird auf den vorgetragenen Inhalt der Akten verwiesen und auf die Schriftsätze beider Parteien in beiden Instanzen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
29E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
30I. Die Beklagte hat gegen das Urteil erster Instanz binnen eines Monats fristwahrend Berufung eingelegt und die Berufung sodann binnen eines weiteren Monats fristwahrend begründet.
31Die Berufung setzt sich im einzelnen mit dem Urteil erster Instanz auseinander und erweist sich damit als ein ordnungsgemäß eingelegtes Rechtsmittel.
32II. Die Berufung führt nicht zu einer Abänderung des Urteils erster Instanz.
33Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass nach wie vor ein Anspruch auf Zahlung eines Weihnachtsgeldes in Höhe von 250,00 besteht, so dass die geltend gemachten Zahlungsansprüche für die Kalenderjahre 2005 und 2006 nebst Verzinsung zutreffend zuerkannt worden sind.
341. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der geltend gemachte Anspruch sich aus einer bestehenden betrieblichen Übung ableitet.
35Entgegen der Auffassung der Berufung stand dem Entstehen einer betrieblichen Übung nicht entgegen, dass die Beklagte ein Weihnachtsgeld an ihre Betriebsrentner zahlte.
36Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung ist die betriebliche Übung als Rechtsquelle vom Gesetzgeber ausdrücklich anerkannt (§ 1 d) Abs. 1 Satz 4 BetrAVG, § 1 Abs. 1 Satz 4 BetrAVG a.F.). Danach steht der Verpflichtung aus einer ausdrücklichen Versorgungszusage eine auf betrieblicher Übung beruhende Versorgungsverpflichtung gleich. Die betriebliche Übung kann darin bestehen, dass im Versorgungsfall an die ausgeschiedenen Arbeitnehmer Leistungen erbracht werden. Die verpflichtende Wirkung einer betrieblichen Übung tritt zugunsten derjenigen aktiven Arbeitnehmer ein, die unter ihrer Geltung im Betrieb gearbeitet haben. Solche Arbeitnehmer können darauf vertrauen, dass die Übung nach ihrem Ausscheiden bei Eintritt des Versorgungsfalles fortgeführt wird (BAG, Urteil vom 16.07.1996 3 AZR 352/95 EzA BetrAVG § 1 Betriebliche Übung Nr. 1; BAG, Urteil vom 30.10.1984 3 AZR 286/82 BAGE 47,130).
37Im übrigen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine betriebliche Übung auch noch nach Eintritt des Versorgungsfalles zustande kommen kann (BAG, Urteil vom 20.06.2000 3 AZR 842/98 -).
38Aus betrieblicher Übung können sich auch Ansprüche auf bestimmte Berechnungsweisen der Betriebsrente (BAG, Urteil vom 23.04.2002 3 AZR 224/01 EzA BetrAVG § 1 Betriebliche Übung Nr. 2), auf Anpassung der Betriebsrente über § 16 BetrAVG hinaus (BAG, Urteil vom 20.06.2000 3 AZR 842/98 -) oder auf ein 13. Ruhegehalt (BAG, 13.10.1984 3 AZR 236/82 BAGE 47, 130) ergeben. Dies gilt grundsätzlich auch für Leistungen, die in einer Leistungsordnung nicht vorgesehen sind. Auch auf die Fortgewährung einer zunächst nicht vorgesehenen, aber im Laufe der Zeit üblich gewordenen Leistung darf vertraut werden (BAG, Urteil vom 29.04.2003 3 AZR 247/02 EzA § 1 BetrAVG Betriebliche Übung Nr. 4; Urteil vom 30.08.1984 3 AZR 236/82 a. a. O.); dies gilt nur dann nicht, wenn die Leistungen in fehlerhafter Anwendung der Leistungsordnung erbracht wurden (BAG, Urteil vom 23.04.2002 3 AZR 224/01 a. a. O.).
39Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass für die geltend gemachten Ansprüche deren Entstehung durch betriebliche Übung anzunehmen ist, so dass sie Gegenstand der Ansprüche der Betriebsrentner gegenüber der Beklagten geworden sind.
402. Die erbrachten Leistungen der Beklagten gegenüber ihren Betriebsrentnern standen weder unter einem "immanenten Freiwilligkeitsvorbehalt noch unter einem immanenten Widerrufsvorbehalt.
41Anhaltspunkte tatsächlicher Art, aus denen Derartiges ersichtlich wäre, tragen weder Klageerwiderung noch Berufungsbegründung vor, leiten es vielmehr nur und ausschließlich daraus ab, dass es sich um Leistungen an Betriebsrentner handele. Wenn aber diesen gegenüber wie dargestellt Ansprüche aus betrieblicher Übung über die Verpflichtungen einer bestehenden Leistungsordnung hinaus entstehen können scheidet zwangsläufig aus, dass diesen Ansprüchen "unerkennbar" ein Freiwilligkeits- oder Widerrufsvorbehalt "immanent" sei.
42Für die Begründung eines Anspruchs auf betriebliche Übung kommt es nämlich nicht auf den Verpflichtungswillen des Arbeitgebers sondern darauf an, wie die Arbeitnehmer sein Verhalten nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§ 133, 157 BGB) verstehen mussten und durften.
43Zahlt beispielsweise ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber in Anlehnung an tarifliche Bestimmungen ein Weihnachtsgeld, ohne darauf hinzuweisen, dass es sich um eine freiwillige widerrufliche Leistung handelt, die einen Rechtsanspruch für die Zukunft nicht begründet, so führt das Unterlassen dieses Hinweises dazu, dass der Arbeitnehmer trotz Kenntnis der fehlenden Verpflichtung des Arbeitgebers darauf vertrauen kann, die Leistung werde auch in Zukunft gewährt werden (BAG, Urteil vom 04.05.1999 10 AZR 290/98 NZA 1999, 1162 1164).
44Die Beklagte hat unstreitig allen Betriebsrentnern gegenüber seit 1992 jeweils im Monat November ein Weihnachtsgeld in gleichbleibender Höhe gezahlt und dies auch nach Währungsumstellung in gleichbleibender Höhe beibehalten.
45Eine Verpflichtung zur Erbringung einer derartigen Leistung ergibt sich nach Aktenlage gerade nicht aus einer der Betriebsrentenzahlung zugrundeliegenden Leistungsordnung.
46Damit konnten und durften die Betriebsrentner diese Zahlung so verstehen, dass die Leistung auch in Zukunft weiter gewährt werde.
473. Die nach Maßgabe einer betrieblichen Übung entstandenen Rechtsansprüche, die - wie dargestellt - weder unter einem immanenten Freiwilligkeitsvorbehalt noch einem immanenten Widerrufsrecht der Beklagten standen, sind nicht durch eine gegenläufige betriebliche Übung wieder entfallen.
48Zwar hat die Beklagte sich mit ihrem Schreiben vom 22.01.2002 an ihre Betriebsrentner gewandt und mitgeteilt, freiwillige Zahlungen, die in der Vergangenheit mit der Rentenzahlung im November gezahlt wurden nur noch bis 2004 leisten zu wollen. Zudem hat die Beklagte in den Verdienstabrechnungen der Monate November 2002, November 2003 und November 2004 die Zahlung der 250,00 als "Versorgungsbezug freiwillige Leistung" bezeichnet.
49Dennoch ergibt sich aus diesen Hinweisen der Beklagten nicht, dass zu Lasten der Betriebsrentner eine gegenläufige betriebliche Übung entstanden wäre.
50Die Erklärung der Beklagten im Schreiben vom 22.01.2002 in Verbindung mit den Ausweisungen in den Monatsabrechnungen November 2002, November 2003 und November 2004 entspricht nicht den Anforderungen der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an das Entstehen einer gegenläufigen betrieblichen Übung.
51Hat ein Arbeitgeber in der Vergangenheit wie vorliegend vorbehaltlos eine Leistung erbracht und ist dadurch im Wege betrieblicher Übung eine Bindung für die Zukunft entstanden, muss der Arbeitgeber in besonderer Weise klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er sich von dieser betrieblichen Übung lösen und einen Rechtsanspruch für die Zukunft nunmehr ausschließen wolle. Ohne eine entsprechende eindeutige Erklärung, die insbesondere darauf gerichtet sein muss, Ansprüche für die Zukunft auszuschließen, kann er nicht darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer durch Schweigen mit einer Änderung der betrieblichen Übung einverstanden ist (BAG, Urteil vom 04.05.1999 10 AZR 290/98 a. a. O.).
52Die Erklärungen der Beklagten sind nach Maßgabe dieser Grundsätze bereits nicht klar und unmissverständlich.
53Dies ergibt sich sowohl aus dem Schreiben vom 22.01.2002 wie auch aus den Zusätzen der Abrechnungen November 2002, November 2003 und November 2004.
54Sowohl im Schreiben vom 22.01.2002 wie in den Verdienstabrechnungen der Monate November wird die bisher erbrachte Leistung als freiwillige Zahlung bezeichnet.
55Damit bringt die Beklagte zum Ausdruck, dass es um eine Leistung gehe zu deren Erbringung eine Verpflichtung nie bestanden habe.
56Dies aber war gerade nicht der Fall.
57Wie dargestellt besteht ein Rechtsanspruch der Betriebsrentner auf Zahlung eines Weihnachtsgeldes.
58Damit ist der Hinweis auf eine schon in der Vergangenheit "freiwillig erbrachte Leistung" keine klare und unmissverständliche Äußerung des Inhalts durch eine gegenläufige betriebliche Übung einen entstandenen Anspruch beseitigen zu wollen.
59Fehlt es aber an einer solchen klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebrachten Äußerung der Beklagten sich von einer betrieblichen Übung lösen zu wollen, vermag hierdurch eine gegenläufige betriebliche Übung nicht begründet zu werden.
60Damit führt das Schreiben vom 22.01.2002 in Verbindung mit den Monatsabrechnungen November 2002, November 2003 und November 2004 nicht dazu, den Rechtsanspruch der Betriebsrentner durch eine gegenläufige betriebliche Übung wieder entfallen zu lassen.
614. Die Berufung führt somit nicht zu einer Abänderung des Urteils erster Instanz.
62Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung der Klage entsprochen.
63III. Die Beklagte ist mit dem Rechtsmittel der Berufung unterlegen und hat daher die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, § 97 ZPO.
64IV. Die Kammer hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zugelassen.
65RECHTSMITTELBELEHRUNG
66Gegen dieses Urteil kann von
67R E V I S I O N
68eingelegt werden.
69Die Revision muss
70innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
71schriftlich beim
72Bundesarbeitsgericht
73Hugo-Preuß-Platz 1
7499084 Erfurt
75Fax: (0361) 2636 - 2000
76eingelegt werden.
77Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
78Die Revisionsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
79* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
80(Jüngst) (Teichmann) (Schaffert)