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Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 23.07.2002 - 2 Ca 6601/02 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Die Parteien streiten um Art und Höhe der an den Kläger wegen Nachtarbeit zu zahlenden Ausgleichsleistungen.
2Der Kläger ist bei der Beklagten als Zeitungszusteller beschäftigt. Er ist Vorsitzender des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrates und auf Grund dieses Amtes von der Arbeit freigestellt.
3Die Bezahlung der Zeitungszusteller ist in einer Betriebsvereinbarung vom 22.05.1995 geregelt. Danach erhalten die Zusteller Stücklohn für die ausgetragenen Zeitungen, Nacht- und Feiertagszuschläge, Beilagen- sowie Inkassovergütung und Wegelohn bzw. Fahrtlohn je Lauf- bzw. Fahrtkilometer im Bezirk; wegen der Einzelheiten wird auf die bei den Akten befindliche Kopie der Betriebsvereinbarung (Blatt 34 – 38 d. A.) Bezug genommen.
4Im Jahr 2000 betrug der Stücklohn pro ausgetragener Z ‑Zeitung 2,00 DM und der Nachtzuschlag belief sich auf 0,50 DM pro ausgetragenem Zeitungsexemplar. In diesem Jahr bezog der Kläger 27.094,02 DM an Vergütung und einen Nachtzuschlag von 3.371,68 DM.
5Der Kläger ist der Ansicht, dieser Nachtzuschlag sei zu niedrig bemessen. Er habe in Anlehnung an die tarifvertraglichen Regelungen für die Druckindustrie Anspruch auf eine 52‑prozentige Nachtzulage, was den Betrag von 14.088,89 DM für das Jahr 2000 ausmache. Abzüglich der bereits gezahlten Zuschläge macht der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit einen restlichen Zuschlag in Höhe von 9.333,24 DM (4.772,01 €) geltend.
6Der Kläger hat beantragt,
7die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 4.772,01 (= DM 9.333,24) brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
8Die Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Die Beklagte hat vorgetragen: Der dem Kläger gewährte Nachtzuschlag sei angemessen im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG. Im Übrigen sei es ihr, als Arbeitgeberin, freigestellt, ob sie den Anspruch auf Nachtzuschlag finanziell abgelte oder bezahlte Freistellung gewähre oder eine Kombination von beiden Abgeltungsformen wähle. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang, dass der Kläger im gesamten Jahr 2000 ohnehin von der Arbeit freigestellt gewesen sei.
11Durch Urteil vom 23.07.2003 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, im Wesentlichen mit der Begründung: Der Kläger habe keinen Anspruch auf ausschließliche finanzielle Abgeltung der erhöhten Nachtzuschläge. Der Beklagten stehe ein Wahlrecht zu, ob sie den Anspruch in Geld, durch bezahlte Freizeit oder eine Kombination von beiden erfülle. Dieses Wahlrecht sei nicht erloschen, es bestehe auch gegenüber dem Kläger weiterhin fort. Dem habe der Kläger bei Antragstellung keine Rechnung getragen, er habe nicht einmal hilfsweise die Gewährung freier Tage eingefordert.
12Wegen des weiteren Inhaltes des erstinstanzlichen Urteils wird auf Blatt 82 – 87 d. A. Bezug genommen.
13Gegen dieses ihm am 25.08.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25.09.2003 Berufung eingelegt und diese am 27.10.2003, einem Montag, begründet.
14Der Kläger macht geltend: Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichtes stehe der Beklagten kein Wahlrecht mehr zu. Sie habe nie Freizeit als Ausgleich für Nachtarbeit gewährt. Jedenfalls sei das Wahlrecht mittlerweile auf ihn, den Kläger, übergegangen.
15Im Übrigen verbleibt der Kläger unter Vortrag im Einzelnen dabei, dass der gewährte Ausgleich nicht angemessen sei.
16Der Kläger beantragt,
17unter Abänderung des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom 23.07.2003, 2 Ca 6601/02, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.772,01 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
18hilfsweise
19dem Kläger 331,38 Stunden Freizeitausgleich gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG für die im Jahre 2000 geleisteten Nachtarbeitsstunden zu gewähren.
20Die Beklagte beantragt,
21die Berufung kostenpflichtig abzuweisen.
22Die Beklagte tritt dem angefochtenen Urteil bei und trägt vor: Nach der sich aus der Betriebsvereinbarung ergebenden Vergütungsstruktur errechne sich aus der Summe aller Vergütungsbestandteile für 2000 ein Stundenlohn von 31,67 DM. Mit einem solchen Lohn seien die Erschwernisse der Nachtarbeit abgegolten, nur so lasse sich ein solcher Stundenlohn rechtfertigen. Hinzu komme, dass sich der Nachtzuschlag auf 25 % des Stücklohnes belaufe. Damit liege eine angemessene Ausgleichsleistung im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG vor. Auf die tariflichen Bestimmungen könne der Kläger sich nicht berufen. Ein Tarifvertrag finde keine Anwendung auf das Arbeitsverhältnis.
23Wegen des erst- und zweitinstanzlichen Vortrages der Parteien im Einzelnen und im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften verwiesen.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Dem Kläger steht die von ihm geltend gemachte höhere Ausgleichsleistung, sei es in Geld, sei es in Freizeit, nicht zu. Die an ihn im Jahre 2000 geleisteten Zusatzzahlungen sind angemessen im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG.
251. Der Kläger ist Nachtarbeiter im Sinne von § 2 ArbZG, da er in der Zeit von 23:00 Uhr bis 6:00 Uhr mehr als zwei Stunden arbeitet. Der Kläger hat oder hätte ohne die Freistellung bis spätestens 6:30 Uhr werktäglich eine Zustellzeit von mindestens drei Stunden und fünf Minuten zu absolvieren gehabt. Insoweit wird auf das Schreiben der Beklagten vom 19.12.1997 Bezug genommen. Nach Darstellung des Klägers in der Klageschrift waren es 3,5 Stunden pro Tag (von 2:30 Uhr bis 6:00 Uhr).
262. Dem Kläger stand daher, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, ein Zuschlag für Nachtarbeit zu, und zwar auch soweit er freigestellt ist (§ 37 Abs. 2 BetrVG). Streitig ist nur, wie hoch dieser Ausgleich zu sein hat.
27a) Das Gesetz enthält insoweit keine Vorgaben. Es ist deshalb in erster Linie Sache der Arbeitsvertragsparteien, Art und Höhe des Zuschlages zu regeln. Dies ist hier in § 2 Ziffer 1 c und § 3 Ziffer 1 der Betriebsvereinbarung vom 22.05.1995 geschehen. Entsprechend dieser Regelung hat die Beklagte abgerechnet. Es ist allerdings die Frage, ob die auf dieser Grundlage geleisteten Zahlungen angemessen im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG waren.
28b) Dazu ist abzustellen auf den mit der Ausgleichszahlung verfolgten Zweck, nämlich die mit der Nachtarbeit verbundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen auszugleichen, im gewissen Umfange auch den Arbeitnehmer für die erschwerte Teilnahme am sozialen Leben zu entschädigen und schließlich durch die finanzielle Belastung des Arbeitgebers Nachtarbeit möglichst einzudämmen (BAG, Urteil vom 05.09.2002 – 9 AZR 202/01 – AP Nr. 4 zu § 6 ArbZG). Letzterer Gesichtspunkt kann allerdings keine entscheidende Rolle spielen, wenn – wie hier – die Arbeit nur in der Nachtzeit erbracht werden kann.
293. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beklagte im Jahre 2000 einen angemessenen Ausgleich gewährt. Der Kläger kann seinen gegenteiligen Standpunkt nicht auf § 28 MTV Druckindustrie in Verbindung mit § 8 Ziffer 1 der Durchführungsbestimmungen stützen, wonach der Zuschlag für Nachtarbeit 52 % eines Stundenlohnes beträgt. Dieser Tarifvertrag findet nämlich unstreitig auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung, aus ihm können also allenfalls Anhaltspunkte für die Gewährung einer Leistung als angemessen entnommen werden (BAG, Urteil vom 05.09.2002 – 9 AZR 202/01 – a.a.O.).
304. Setzt man die von der Beklagten im Jahre 2000 geleisteten Zuschläge im Verhältnis zur ansonsten gezahlten Vergütung, ergibt sich eine Ausgleichsleistung in Höhe von 12,4 %.
31a) In der Literatur wird für übliche und notwendige Nachtarbeit ein relativ geringer Zuschlag von etwa 10 % für ausreichend gehalten (Neumann-Biebl, ArbZG, 13. Auflage, Rdnr. 25 zu § 6). Das BAG hat in der bereits mehrfach zitierten Entscheidung vom 05.09.2002 einen Zuschlag in Höhe von 10 bis 15 % nicht als angemessen angesehen, weil er nicht geeignet sei, den mit dem Geldausgleich bezweckten Druck auf den Arbeitgeber auszuüben. Es hat – bei Wechselschicht – eine Ausgleichszahlung von 30 % des Stundenlohnes als angemessen angesehen.
32b) Das Landesarbeitsgericht hält die vom Bundesarbeitsgericht geäußerten Bedenken nicht für durchschlagend. Bei ständiger Nachtarbeit, wie sie hier vorliegt, trägt der von diesem Gericht in den Vordergrund gerückte Gesichtspunkt der Druckausübung auf den Arbeitgeber (wohl um Nachtarbeit möglichst zu verhindern) nicht. Die hier in Rede stehende Zeitungszustellung kann nur während der Nachtzeit erledigt werden. Auch die Tarifvertragsparteien vereinbaren regelmäßig bei ständiger Nachtarbeit geringere Zuschläge (vgl. BAG, Beschluss vom 26.08.1997 – 1 ABR 16/97 – AP Nr. 74 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit).
33c) Schließlich kommt ein wesentlicher Gesichtspunkt hinzu: Sofern regelmäßig und notwendigerweise Nachtarbeit geleistet werden muss, ist die Erschwerung größtenteils schon mit dem Lohn abgegolten, der wegen der Nachtarbeit höher angesetzt ist (vg. Neumann‑Biebl, a.a.O.). So liegt der Fall auch hier. Der Kläger hatte im Jahre 2000 einen durchschnittlichen Stundenlohn von auf jeden Fall über 28,00 DM, der also wesentlich höher lag als der für Arbeiten mit vergleichbarer Qualifikation normalerweise gezahlte Stundenlohn. Dies lässt sich nicht, wie der Kläger meint, damit erklären, dass es sich um Akkord handelte; denn der oben genannte Stundenlohn ergibt sich bei Zugrundelegung der bei durchschnittlicher Arbeitsgeschwindigkeit benötigten Zeit. Als Grund für die Zahlung des überdurchschnittlich hohen Stundenlohnes bleiben daher nur die gerade mit dieser Art von Arbeit verbundenen Erschwernisse. Dazu zählt auch der Umstand, dass sie nur in Nachtarbeit geleistet werden kann.
34Die Berufung ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
35Die Revision wurde gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1 und 2 ArbGG zugelassen, weil möglicherweise eine Abweichung zu BAG, Urteil vom 05.09.2002 – 9 AZR 202/01 – vorliegt und zur Klärung der Kriterien, nach denen sich die Angemessenheit der Ausgleichszahlung insbesondere bei üblicher und notwendiger Nachtarbeit richtet.