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Keine Änderung des Verteilungsgrundsatzes und daher kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei linearer Kürzung der über dem tariffesten Anspruch liegenden übertariflichen Weihnachtsgratifikation um die Hälfte.
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den am
22.01.2003 verkündeten Beschluss des Arbeitsge-
richts Bonn - 2 BV 93/02 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
G r ü n d e
2I.
3Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der von der Arbeitgeberin vorgenommenen Kürzung der Weihnachtsgratifikation zusteht.
4Antragsteller ist der aus neun Personen bestehende Betriebsrat im B Betrieb der Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin schließt mit ihren Arbeitnehmern schriftliche Arbeitsverträge, denen "Allgemeine Vertragsbedingungen" beigefügt sind. Diese enthielten bis Ende 2001 in Ziffer 12 und 13 folgende Regelungen:
5In den folgenden Jahren erhöht sich die Weihnachtsgratifikation um je 20 % auf 100 % im fünften Jahr.
7Die Weihnachtsgratifikation wird anteilig gekürzt für die Zeiträume, in denen der AG nicht zur Lohn- bzw. Gehaltsfortzahlung verpflichtet war.
8Endet das Arbeitsverhältnis, nachdem der AN vorstehende Gratifikation erhalten hat, aufgrund einer Kündigung des AN oder einer Kündigung des AG aus verhaltensbedingten Gründen, so gilt:
9In einer späteren Fassung der Allgemeinen Vertragsbedingungen, Stand Januar 2002, ist um eine Ziffer nach hinten verschoben folgende Regelung aufgenommen:
11Der am 30.11. des jeweiligen Jahres in einem ungekündigten und nicht aufgehobenen Arbeitsverhältnis stehende AN erhält als Teil des November-Gehalts eine Weihnachtsgratifikation als freiwillige stets widerrufbare Leistung des AG von 20 % des für den Monat November vereinbarten Bruttomonatsgehalts im ersten Jahr der Betriebszugehörigkeit, jedoch nur bei Eintritt vor dem 01.07. des Jahres und nur in Höhe von 1/12 je Beschäftigungsmonat.
13In den folgenden Jahren, gerechnet ab dem ersten Auszahlungsjahr, erhöht sich die Weihnachtsgratifikation um je 20 % auf maximal 100 %.
14Die Weihnachtsgratifikation wird anteilig gekürzt für die Zeiträume, in denen der AG nicht zur Lohn- bzw. Gehaltsfortzahlung verpflichtet war oder in denen das Arbeitsverhältnis ruht.
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Endet das Arbeitsverhältnis, nachdem der Arbeitnehmer die vorstehende Gratifikation erhalten hat, aufgrund einer Kündigung des AN oder einer Kündigung des AG aus verhaltensbedingten Gründen, so gilt:
17Leistungen, die der AG in Abweichung von oder zusätzlich zu den vertraglich zugesagten Leistungen gewährt, sind freiwillige, stets widerrufbare Leistungen, durch die weder eine Bindung für die Zukunft, noch ein Rechtsanspruch begründet wird."
20Nach dem allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrag für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes N vom 23.03.1995 in der Fassung vom 17.03.2002 hat jeder Arbeitnehmer, der am 01.12. des jeweiligen Kalenderjahres in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht, Anspruch auf eine Sonderzahlung von 50 % des tariflichen Monatseinkommens. Nach Ziffer 9.3 dieses Tarifvertrages können auf die Jahressonderzahlung aus gleichem Anlass freiwillig, einzelvertraglich oder übervertraglich gezahlte Leistungen angerechnet werden.
21Die Arbeitgeberin, die an ihre Arbeitnehmer überwiegend übertarifliche Bruttomonatsvergütungen in unterschiedlicher Höhe zahlt, gewährte in den vergangenen Jahren bis einschließlich des Jahres 2001 an ihre Arbeitnehmer jeweils zum Ende November des Jahres ein Weihnachtsgeld, das sich aus der tariflichen Sonderzahlung und einem Aufstockungsbetrag entsprechend der Dauer der Betriebszugehörigkeit bis auf maximal 100 % der vereinbarten Effektivvergütung nach Maßgabe der Allgemeinen Vertragsbedingungen zusammensetzte. Bei der jeweiligen Auszahlung des Weihnachtsgeldes hat die Arbeitgeberin schriftlich darauf hingewiesen, dass es sich bei der übertariflichen Gratifikationszahlung um eine freiwillige Leistung handele, wie es zusätzlich in den Allgemeinen Vertragsbedingungen geregelt sei, und dass auf Grund der Freiwilligkeit keine Rechtsansprüche für die Zukunft begründet würden, sofern der Arbeitsvertrag des betreffenden Arbeitnehmers nichts Gegenteiliges vorsehe.
22Mit Schreiben vom 25.11.2002 teilte die Hauptverwaltung der Arbeitgeberin allen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit, dass sie vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Lage des laufenden Jahres und der Erwartung an die Entwicklung für das Jahr 2003 im Hinblick auf die Erhaltung der Arbeitsplätze Einschnitte bei der Zahlung der Weihnachtsgratifikation vornehmen müsse. Mit Schreiben vom 27.11.2002 teilte die Regionaldirektion Bonn ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit, dass mit der Lohn-/Gehaltsabrechnung für November 2002 trotz der Einschnitte teilweise ein übertarifliches Weihnachtsgeld ausgezahlt werde. Weiterhin enthält dieses Schreiben den jeweils bei der Gratifikationszahlung in den Vorjahren gegebenen Hinweis, dass es sich bei übertariflicher Gratifikationszahlung um eine freiwillige Leistung ohne Rechtsanspruch für die Zukunft handele.
23Die Arbeitgeberin kürzte das Volumen der übertariflichen Gratifikation um die Hälfte und zahlte an ihre Arbeitnehmer für das Jahr 2002 eine Weihnachtsgratifikation aus, die sich aus der tariflichen Jahressonderzahlung gemäß § 9 MTV in Höhe von 50 % des jeweiligen Tarifentgelts und der Hälfte der Differenz zwischen effektivem Bruttogehalt und tariflicher Jahressonderzahlung zusammensetzte.
24Bei dieser Kürzung wurde weder der antragstellende Betriebsrat noch der auf Bundesebene bestehende Gesamtbetriebsrat beteiligt.
25Der Betriebsrat nimmt für sich das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG in Anspruch. Er meint, durch die Kürzung hätten sich die Verteilungsgrundsätze geändert. Nach der Kürzung sei das Verhältnis zwischen dem aus Tarifanspruch und betrieblicher Sonderzahlung zusammengesetzten (Gesamt-) Weihnachtsgeld und dem persönlichen Bruttomonatsgehalt verschieden. Die Arbeitnehmer erhielten nunmehr bei gleicher Betriebszugehörigkeit nicht mehr den gleichen Staffelprozentsatz an Weihnachtsgeld bezogen auf das persönliche Bruttomonatsgehalt. Dadurch sei auch das früher geltende Prinzip "Lohngerechtigkeit durch gleiche Staffelprozente" aufgehoben worden. Unabhängig von veränderten Verteilungsgrundsätzen stehe ihm ein Mitbestimmungsrecht auch deshalb zu, weil die Arbeitnehmer mangels rechtzeitigen Widerrufs der Sonderzuwendung zum Auszahlungszeitpunkt bereits einen ungekürzten Anspruch auf die betriebliche Weihnachtszuwendung erworben hätten. Das Schreiben der Arbeitgeberin vom 25.11.2002, in dem sie Einschnitte beim Weihnachtsgeld angekündigt habe, sei für einen Widerruf zu unbestimmt. Erst nach Durchführung der Kürzungsmaßnahme sei der konkrete Umfang ersichtlich geworden.
26Der Betriebsrat hat die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts bei der Kürzung des Weihnachtsgeldes für den Betrieb B im Jahr 2002 beantragt, die Arbeitgeberin die Zurückweisung des Antrags mit der Begründung, dass sich die Verteilungsgrundsätze durch die Kürzung nicht geändert und die Arbeitnehmer kein Rechtsanspruch auf die übertarifliche Weihnachtszuwendung hätten.
27Das Arbeitsgericht ist der Auffassung der Arbeitgeberin gefolgt und hat den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Betriebsrats, in der die Beteiligten an ihren jeweiligen Rechtsansichten festhalten.
28Der Betriebsrat beantragt,
29den angefochtenen Beschluss abzuändern und festzustellen, dass die Kürzung des Weihnachtsgeldes bei der Arbeitgeberin für den Betrieb Bonn im Jahr 2002 sowie die Regelung der Modalitäten dieser Kürzung der Mitbestimmung des Betriebsrats unterlagen.
30Die Arbeitgeberin beantragt,
31die Beschwerde zurückzuweisen.
32Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den angefochtenen Beschluss, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
33II.
34Die Beschwerde des Betriebsrats ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
35Mitbestimmungsrechtlich führt die von einem Anspruch der Beschäftigten auf ungekürzte Gratifikation ausgehende Argumentation des Betriebsrats auch nicht zu dem von ihm angenommenen Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Das Mitbestimmungsrecht reicht nicht weiter als das Entscheidungsrecht des Arbeitgebers. Nur soweit der Arbeitgeber Gestaltungsfreiheit für Regelungen hat, kann der Betriebsrat bei deren Ausgestaltung mitbestimmen. Ist dem Arbeitgeber nach dem Arbeitsvertrag nicht gestattet, eine Zuwendung zu kürzen, so kann sich insoweit eine mitbestimmungspflichtige Frage der betrieblichen Lohngestaltung nicht stellen (BAG, Urteil vom 07.02.1996 - 1 AZR 657/95 - AP Nr. 85 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung).
41Bezieht der Arbeitnehmer A mit Tariflohn von 1.000,00 EUR bei einem Staffelprozentsatz von 100 eine Gesamtgratifikation von 1.000,00 EUR, setzt sich die Weihnachtsgratifikation aus 500,00 EUR Tarifanspruch und 500,00 EUR außertariflicher Gratifikation zusammen. Bezieht ein anderer Arbeitnehmer B mit gleichem Tariflohn ein doppelt so hohes Effektivgehalt von 2.000,00 EUR, erhält er bei einem Staffelprozentsatz von 100 2.000,00 EUR an Weihnachtsgeld, das sich aus 500,00 EUR Tarifanspruch und 1.500,00 EUR außertariflicher Gratifikation zusammen setzt. Die von der Arbeitgeberin vorgenommene Kürzung des nicht tariffesten Anspruchs um die Hälfte führt beim Arbeitnehmer A mit dem Tariflohn von 1.000 EUR zu einer Kürzung der freiwilligen Leistung auf 250,00 EUR und bei dem übertariflichen Arbeitnehmer B zu einer Kürzung auf 750,00 EUR. Der Arbeitnehmer A erhält nach der Kürzung also 750,00 EUR Gesamtgratifikation = 75 % seines Gehalts, der Arbeitnehmer B erhält nach der Kürzung 1.250,00 EUR Gesamtgratifikation = 62,5 % des persönlichen Gehalts.
43Während der Betriebsrat auf diese Verschiebung der Relationen entscheidend zur Begründung seines Mitbestimmungsrechts abstellt, ist nach Auffassung der Kammer bei der Frage der Verteilung freiwilliger Leistungen, deren Volumen gekürzt wurde, darauf abzustellen, ob sich die Relationen bei der Verteilung der freiwilligen Leistung durch die mitbestimmungsfrei vorgegebene Kürzung des Dotierungsrahmens verändert haben. Das ist nicht der Fall.
44Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die prozentualen Auswirkungen der Kürzung der freiwilligen übertariflichen Sonderzahlung bei allen Arbeitnehmern gleich geblieben sind, unabhängig davon, ob der Begünstigte tariflich oder übertariflich vergütet wird. Dies gilt auch unabhängig davon, in welchem Staffelprozentsatz sich die einzelnen Arbeitnehmer befinden. Die Kürzung der übertariflichen Sonderzahlung ist bei allen Arbeitnehmern, die darauf nach den "Allgemeinen Vertragsbedingungen" Anspruch haben, prozentual gleich, d. h. sie bekommen nur die Hälfte der bisher gezahlten freiwilligen Leistungen.
46AT-Weihnachtsgeld = (Staffelprozent x persönliches Gehalt) - 50 % Tarifgehalt.
50Nach der Kürzung lautet die Formel:
51AT-Weihnachtsgeld = (Staffelprozent x persönliches Gehalt) - 50 % Tarifgehalt 2
52Ein anderer hier nicht zu entscheidender Sachverhalt, der einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand auslösen kann, läge erst bei einer Tariflohnerhöhung mit unterschiedlicher Anrechnung der Erhöhung auf übertarifliche Gehälter vor, weil sich dadurch die Verteilungsgrundsätze hinsichtlich der übertariflichen Leistungen verschieben können. Die Kürzungsentscheidung der Arbeitgeberin und ihre Umsetzung beim Weihnachtsgeld allein ändert die bisherigen Verteilungsgrundsätze nicht.