Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
1. Der Arbeitgeber, der in einem ersten Kündigungsschutzprozess allein aus formellen Gründen ohne materielle Prüfung der Kündigungsgründe gescheitert ist, ist nicht daran gehindert, eine zweite Kündigung auf dieselben Gründe zu stützen.
2. Kündigungsgründe, die nach § 626 Abs. 2 BGB verwirkt sind, können eine aus ande-ren Gründen erfolgende fristlose Kündigung jedenfalls dann unterstützen, wenn alte und neue Gründe in einem eigenen sachlichen Zusammenhang stehen.
3.Solange in einem Fall von umfangreichen und über lange Zeit fortgesetzten Verun-treuungen angezeigte und vertretbare Untersuchungen angestellt, insbesondere Unter-lagen oder Abrechnungen überprüft werden müssen, um das Ausmaß des ange-
richteten Schadens zu ermitteln, ist der Beginn der Frist aus § 626 Abs. 2 BGB ge-hemmt.
4. Veruntreuungen durch eine Kindergartenleiterin stellen jedenfalls dann keinen von der Rechtsprechung geforderten Extremfall dar, der wegen Unzumutbarkeit der Be-schäftigung die Rechtsfolgen des § 615 S. 1 BGB ausschließt, wenn die Zeit des An-nahmeverzugs vom Arbeitgeber dadurch verursacht wurde, dass er die Unwirksamkeit der von ihm ausge-sprochenen fristlosen Kündigung (hier: wegen unterlassener Betei-ligung der Hauptfürsorge- stelle) verschuldet hat.
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 21.03.2001 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg
- 3 Ca 24/01 - unter Zurückweisung der Berufung im Üb-rigen - teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.432,04 DM - sechstausendvierhundertzweiunddreißig 4/100 Deutsche Mark - brutto abzüglich 500,80 DM
- fünfhundert 80/100 Deutsche Mark - netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zent-ralbank seit dem 15.11.2000 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.602,10 DM - fünftausendsechshundertzwei 10/100 Deutsche Mark - brutto abzüglich 500,80 DM - fünfhundert 80/100 Deutsche Mark - netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 15.12.2000 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits in I. Instanz trägt zu 79,5 % die Klägerin, im Übrigen die Beklagte; die Kos-ten des Rechtsstreits in II. Instanz trägt zu 73,2 % die Klägerin, im Übrigen die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
TATBESTAND
2Die Parteien - nämlich die beklagte kreisangehörige politische Gemeinde und die seit 1974 bei ihr angestellte, am 21. 09. 1952 geborene, schwerbehinderte Klägerin, die seit 1980 den Gemeinde-Kindergarten in E. leitete und aus tariflichen Gründen ordentlich nicht mehr kündbar ist - streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung vom 27. 12. 2000.
3Nach Durchführung einer Kassenprüfung im Kindergarten am 20. 09. 2000 unterschrieb die Klägerin am 21. 09. 2000 die Erklärung, sie habe den von ihr zu verwaltenden Geldern Teilbeträge, über deren Höhe sie z. Z. keine Angaben machen könne, für private Zwecke entnommen (Bl. 79). Der Bürgermeister veranlasste daraufhin eine Sonderprüfung durch das Gemeindeprüfungsamt des Kreises. Dieses legte unter dem 17. 10. 2000 seinen 33-seitigen Bericht vor, wonach für die letzten Jahre eine zweckentfremdete Verwendung von Kindergartenmitteln durch die Klägerin in Höhe von insgesamt 16.599,13 DM angenommen werden könne. Daraufhin sprach die Beklagte unter dem 25. 10. 2000 eine erste fristlose Kündigung aus, allerdings ohne die Hauptfürsorgestelle ordnungsgemäß beteiligt zu haben. Mit Rücksicht darauf wurde die Kündigung durch Anerkenntnisurteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 12. 01. 2001 (3 Ca 3008/00) für unwirksam erklärt. Einige Wochen nach Ausspruch der ersten Kündigung - nämlich am 22. 11. 2000 - hatte es mit der Klägerin ein Gespräch gegeben, an dem neben ihrem anwaltlichen Vertreter, dem Zeugen C., der Bürgermeister der Beklagten L., der Leiter des Schulamts M. sowie der Leiter des Personalamts N. teilnahmen. Neben dem vom Gemeindeprüfungsamt in seinem Bericht vom 17. 10. 2000 behandelten Sachverhaltskomplex (Defizite bei den verwalteten Geldbeständen auf Girokonto, Sparbuch und in der Essensgeldkasse) wurde ein weiterer Tatbestand angesprochen nämlich der Umstand, dass der von der Klägerin geleitete Kindergarten auffallend hohe Ausgaben für Reinigungsmittel zu verzeichnen hatte; Reinigungsmittel werden nicht aus dem Kindergartenbudget und damit aus den der Klägerin überlassenen Mitteln, sondern unmittelbar von der Beklagten als Teil allgemeiner Verwaltungskosten bezahlt . Nach Darstellung der Klägerin sollen ihr bei dieser Gelegenheit die Vertreter der Beklagten bereits vorgeworfen haben, unter der insoweit falschen Bezeichnung "Reinigungsmittel" z.T. auch Lebensmittel gekauft, zu der Falschdeklaration auch die ihr untergebene Zeugin T. veranlasst und die Lebensmittel privat verbraucht zu haben. Sie habe die Falschdeklarationen nicht best ritten, wohl aber, von den so erworbenen Lebensmitteln etwas für sich verwandt zu haben. Gut zwei Wochen nach diesem Gespräch - nämlich am 07. 12. 2000 - fertigte der Zeuge O. einen Aktenvermerk mit der Überschrift "Sonderprüfung Kindergarten E.". Nach dem Inhalt dieses Vermerks soll eine am gleichen Tag durchgeführte Befragung der Zeugin T., Ergänzungskraft im Kindergarten, ergeben haben, dass sie von der Klägerin zur Deklaration von Lebensmitteln auf den Lieferscheinen als "Reinigungsmittel" angewiesen worden sei mit der Zusage, die Trennung dieser Waren später selber vorzunehmen. Da diese Rechnungstrennung offensichtlich nicht erfolgt sei, sei der Gemeinde ein weiterer, nicht mehr konkret zu ermittelnder Schaden entstanden. Am 11. 12. 2000 beantragte die Beklagte die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur beabsichtigten zweiten - nunmehr streitgegenständlichen - Kündigung, die diese unter dem 27. 12. 2000 erteilte (Bl. 83). Am gleichen Tag (27. 12. 2000) sprach die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aus, nachdem der Personalrat bereits unter dem 18. 12. 2000 auf Einwände verzichtet hatte (Bl. 86).
4Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage wie auch dem überwiegenden Teil der Zahlungsklage (Gehälter für November 2000 bis Januar 2001, Jahressonderzuwendung 2000 und Restgehalt für Oktober 2000) stattgegeben und sie im übrigen, darunter die Klage auf Beschäftigung, abgewiesen. Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter und wiederholt, von den Kündigungsgründen zum Komplex "Reinigungsmittel" habe sie erst am 07. 12. 2000 durch die Befragung der Zeugin T. erfahren. Im Gespräch am 22. 11. 2000 sei nur der bekannt gewordene hohe Verbrauch des Kindergartens an Reinigungsmitteln besprochen und vom Zeugen M. gefragt worden, ob in diesem Bereich etwa auch ein Fehlverhalten vorliege, was die Klägerin bestritten habe; auch die Falschdeklaration von Rechnungen habe die Klägerin nicht zugegeben. Nicht zu klären sei auch die Frage gewesen, ob und inwieweit die falsch deklarierten Rechnungen bar bezahlt worden seien, weshalb der Zeuge O. weiter ermittelt habe. Nachdem eine Rückfrage beim S.-Markt ergeben habe, dass keine Barzahlungen vorgenommen worden seien, sei die Zeugin T. am 07. 12. 2000 befragt worden, wodurch sich erstmals herausgestellt habe, dass die falsch deklarierten Rechnungen unmittelbar durch die Gemeinde bezahlt worden seien.
5Die Beklagte schiebt Kündigungsgründe nach: Am 09. 01.2001 sei bei ihr eine Rechnung der Fa. I. vom 14. 06.2000 über die Lieferung von Waren an den Kindergarten eingegangen, die dort nicht vorhanden seien (Bl. 157); es müsse von einer privaten Bestellung ausgegangen werden. Wegen eines in der Rechnung aufgeführten Standventilators habe die Klägerin den privaten Charakter der Bestellung mit Schreiben vom 15. 02. 2001 zugegeben (Bl. 164). Am 25. 01. 2001 sei eine diesbezügliche Mahnung eingegangen. Außerdem seien zwei Rechnungen der Blumenhandlung C. vom 22. 11. 2000 (Bl. 160, 161) eingereicht worden; die erste Rechnung über 334,50 DM betreffe Blumen oder Waren, die im Kindergarten nicht vorhanden seien, die zweite über 66,50 DM betreffe sehr wahrscheinlich Geburtstagsgeschenke für das Personal, die aus einer internen Geburtstagskasse hätten bezahlt werden müssen. Unter dem 20. 02. 2001 (Bl. 170) beantragte die Beklagte bei der Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zum Nachschieben dieser Kündigungsgründe. Mit Schreiben vom gleichen Datum (Bl. 169), dem das Schreiben an die Hauptfürsorgestelle als Anlage beigefügt war, hörte sie hierzu den Personalrat an, der keine schriftliche Stellungnahme abgab.
6Zu den Zahlungsanträgen vertritt die Beklagte die Ansicht, sich wegen der Schwere des Fehlverhaltens nicht in Annahmeverzug befunden zu haben. Für Oktober 2000 schulde sie keine Nachzahlung, insbesondere seien die für September und Oktober nicht gezahlten Kindergeldanteile im Ortszuschlag in Höhe von 2 x 165,61 DM mit der Abrechnung für November 2000 nachgezahlt worden.
7Die Beklagte beantragt,
8die Klage unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung insgesamt abzuweisen.
9Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Berufung und