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1. Die Bereichsausnahme des § 23 Abs. 1 AGBG a. F. lässt die arbeitsgerichtliche Inhaltskontrolle von vorformulierten Arbeitsvertragsregelungen unberührt.
2. Erweist sich eine vorformulierte Vertragsbestimmung über die Pauschalabgeltung von anfallender Mehrarbeit als unwirksam, so ist die Lückenfüllung nach § 612 Abs. 2 BGB als Grundnorm des dispositiven Rechts vorzunehmen.
Auf die Berufung des Klägers wird das am 04.07.2001 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg 3 Ca 711/01 unter Zurückweisung der Berufung im übrigen teilweise abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.700,11 DM brutto nebst 9,26 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 01.04.2001 zu zahlen.
2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu 4/5, der Beklagten zu 1/5 auferlegt.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand und Entscheidungsgründe
2I. Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 09.03.2001 zum 30.06.2001 sowie über die Vergütung von Überstunden des Klägers in der Zeit vom 27.11.2000 bis zum 03.03.2001 in Höhe von 10.106,33 DM brutto.
3In dem sog. Filialleitervertrag vom 01.04.1998 (Kopie Blatt 33 ff. d. A.) heißt es unter anderem in § 1 "Einstellung und Aufgabenbereich":
4"Herr A stellt seine Arbeitskraft ausschließlich in den Dienst der F F G & . Die Arbeitszeit richtet sich nach den betrieblichen Erfordernissen".
5§ 2 des Anstellungsvertrages enthält unter der Überschrift "Bezüge und Leistungen" folgende Regelung:
61. Für seine Tätigkeit erhält Herr A ab 01.04.1998 garantierte JahresbruttoBezüge in Höhe von DM 62.400
7-zahlbar in zwölf Gehaltsraten von je DM 5.200
8- am Ende eines jeden Monats.
9Mit dieser Gehaltszahlung sind alle Ansprüche auf Vergütung von anfallender Mehrarbeit abgegolten.
102. Darüber hinaus wird mit Herrn A eine separate Prämienvereinbarung getroffen. Hierzu gelten die Bestimmungen der jeweils gültigen Vereinbarung.
113. In den JahresbruttoBezügen ist die tarifliche Jahressonderzahlung sowie die betriebliche, freiwillige Zahlung von Urlaubs-/Weihnachtsgeld enthalten. ..."
12Das monatliche Grundgehalt des Klägers betrug zuletzt 6.000,00 DM brutto. Prämien wurden ab Januar 2001 nicht mehr gezahlt.
13Von einer weitergehenden Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
14Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 04.07.2001 abgewiesen. Wegen seiner Entscheidungsgründe wird auf Blatt 80 ff. d. A. Bezug genommen.
15II.1. Die Berufung des Klägers ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 518, 519 ZPO).
162. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch nur teilweise Erfolg.
17a) Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.03.2001 fristgerecht zum 30.06.2001 beendet worden. Die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt, weil sie durch Gründe, die in dem Verhalten des Klägers liegen, bedingt ist (§ 1 Abs. 1 und 2 KSchG). Das Berufungsgericht folgt dem Arbeitsgericht insoweit im Ergebnis und auch in der Begründung (§ 543 Abs. 1 ZPO).
18Ohne Erfolg macht die Berufung insbesondere geltend, die Kündigung verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil der Kläger zuvor nicht wirksam abgemahnt worden sei. Nach der vom Berufungsgericht ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Kläger wegen vergleichbarer Pflichtwidrigkeiten, die zum Ausspruch der Kündigung führten, bereits früher verwarnt wurde. Zu Recht wird dem Kläger in der Abmahnung vom 05.04.2000 vorgehalten, Fleischkäsebrät aus der Lieferung vom Freitag sei am Montag der Folgewoche noch nicht verarbeitet gewesen. Auch wenn das Vorhaben des Klägers, dieses Fleischkäsebrät am Montag vor Ladenöffnung noch abzubraten und in den Verkauf zu bringen, lebensmittelrechtlich noch zulässig gewesen ist, so besteht nach den Ausführungen des Sachverständigen kein Zweifel daran, dass diese Vorgehensweise mit einer auf Qualität und Frische bedachten Unternehmensmaxime nicht zu vereinbaren war. Die Beklagte durfte dieses Verhalten des Klägers zu Recht beanstanden, zumal der Kläger an sich die Möglichkeit gehabt hatte, die Restmenge Fleischkäsebrät am Samstag komplett zu verarbeiten und dann als Endprodukt anzubieten. Andernfalls hätte die Ware, weil sie nicht mehr den geschmacklichen Anforderungen entsprach, vernichtet werden müssen. Nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen war das Verhalten des Klägers unter dem Aspekt, die Qualität und Frische des Produkts zu gewährleisten, nicht mehr vertretbar. Unabhängig davon, ob die Abmahnungen vom 05.04.2000 und vom 13.11.2000 insgesamt einer gerichtlichen Überprüfung Stand gehalten hätten und in den Personalakten des Klägers hätten verbleiben dürfen, war der Kläger damit hinreichend vorgewarnt. Denn die Warnfunktion einer Abmahnung bleibt auch dann erhalten, wenn die Abmahnung etwa aus formalen Gründen unwirksam ist (BAG vom 21.05.1992 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 42).
19Da der Kläger in der Folgezeit wiederum Defizite in der notwendigen Qualitätssicherung der zum Verkauf angebotenen Waren zu verantworten hatte, durfte die Beklagte zum Mittel der ordentlichen Kündigung greifen, um das Arbeitsverhältnis der Parteien zu beenden. Das Arbeitsgericht hat zutreffend auf Grund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt, dass am 01.03.2001 Entenbrustfilets und Hähnchenmägen mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum in der Selbstbedienungs-Geflügeltheke vorgefunden wurden. Den daran anschließenden Ausführungen zur Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung ist nichts hinzuzufügen. Das Fehlverhalten des Klägers lässt sich auch nicht mit dem pauschalen Hinweis auf seine Arbeitsüberlastung und Kontrollen "zur Unzeit" entschuldigen. So ist etwa der Zeuge F nicht früh morgens vor Ladenöffnung, sondern erst abends in der Filiale L erschienen. Die entscheidenden Feststellungen zur Überschreitung des Mindesthaltbarkeitsdatums traf er gegen 19:30 Uhr, nachdem der Kläger die Abteilung schon verlassen hatte. Der Kläger hätte das Anbieten von überalterter Ware nach den früheren Abmahnungen auf jeden Fall verhindern müssen. Die wiederholte Pflichtverletzung als zuständiger Filialleiter rechtfertigt die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
20b) Teilweise begründet ist die Klage aber hinsichtlich der geforderten Mehrarbeitsvergütung. Der Kläger kann gemäß § 612 Abs. 2 BGB die Zahlung von 5.700,11 DM brutto für die von ihm geleistete Mehrarbeit in der Zeit vom 27.11.2000 bis zum 03.03.2001 verlangen.
21Nachdem das Arbeitsgericht den Vortrag des Klägers zur Mehrarbeit zutreffend als unschlüssig behandelt hatte, hat der Kläger sein Vorbringen in der Berufungsinstanz spezifiziert und vor allem durch die Vorlage der Einsatzpläne für die streitbefangene Zeit näher dargetan, wann er an den einzelnen Tagen über die betriebsübliche Arbeitszeit hinaus tätig wurde. Dies entspricht den Anforderungen der Rechtsprechung, wonach der Arbeitnehmer im Einzelnen darlegen muss, an welchen Tagen und zu welchen Tageszeiten er über die übliche Arbeitszeit hinaus gearbeitet hat (vgl. BAG vom 16.01.1985 7 AZR 501/83 Juris; BAG vom 14.10.1997 7 AZR 562/96 Juris). Der Arbeitnehmer muss ferner vortragen, ob die Mehrarbeit zur Erledigung der ihm obliegenden Arbeitsaufgaben notwendig gewesen ist. Das gilt um so mehr, wenn zwischen der Geltendmachung und der behaupteten Leistung ein längerer Zeitraum liegt. Nur durch eine genaue Darlegung dieser Umstände ist es dem Arbeitgeber auch nach längerer Zeit noch möglich, die Behauptungen des Arbeitnehmers im Einzelnen nachzuprüfen und zu der Nachforderung im Einzelnen Stellung zu nehmen (vgl. BAG a.a.O.). Auch dieser weiteren Anforderung hat der Kläger jedenfalls mit seinem Vorbringen im Schriftsatz vom 06.11.2001 Rechnung getragen. Darin hat er näher geschildert, dass er als Filialleiter jeweils donnerstags, freitags und samstags durchgehend während der Öffnungszeit anwesend sein musste. Die an sich bestehende Möglichkeit, an den übrigen Tagen der Woche einen entsprechenden Freizeitausgleich zu nehmen, war wegen der angespannten Personalsituation nur beschränkt zu realisieren, wie der Kläger nachvollziehbar dargestellt hat.
22Entgegen der Auffassung der Beklagten war dieses Vorbringen nicht als verspätet zurückzuweisen. Nach § 67 Abs. 2 ArbGG sind neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel außerhalb der Berufungsbegründung oder -beantwortung unter anderem dann zuzulassen, wenn das verspätete Vorbringen nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde. Eben das war hier der Fall. Die Beklagte hätte ohne weiteres noch vor dem Termin am 20.12.2001 ihrerseits im Einzelnen zu dem spezifizierten Vortrag des Klägers Stellung nehmen können. Sie hat sich demgegenüber im Schriftsatz vom 18.12.2001 auf die Verspätungsrüge beschränkt und pauschal hinzugefügt, die Überstunden seien zu keinem Zeitpunkt von Herrn N angeordnet worden. Dem steht bereits die Aussage des hierzu nur informatorisch befragten Zeugen St entgegen, die Filialleiter hätten auf Anordnung von N an den Tagen Donnerstag bis Samstag von morgens bis abends in der Filiale anwesend sein müssen. Einer weiteren Beweisaufnahme bedurfte es nicht, weil die Beklagte das Vorbringen des Klägers zum Umfang und zur Notwendigkeit der Mehrarbeit nicht qualifiziert bestritten und damit gemäß § 138 Abs. 2 und 3 ZPO zugestanden hat. Hätte sie dies qualifiziert bestritten, so hätte eine etwaige Beweisaufnahme noch im Termin vom 20.12.2001 stattfinden können, so dass die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert worden wäre.
23Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der zusätzliche Vergütungsanspruch des Klägers auch nicht durch die vereinbarte Pauschalabgeltung nach § 2 des Arbeitsvertrages ausgeschlossen. Es mag sein, dass von einem Filialleiter ein "besonderer Einsatz" erwartet wird, der sich auch in der Vergütung einschließlich einer besonderen Prämienregelung niederschlägt. Damit lässt sich jedoch nicht jede Überschreitung der betriebsüblichen Arbeitszeit rechtfertigen und pauschal abdecken.
24Denn vorformulierte Nebenabreden zur Hauptleistungspflicht der Arbeitszeit unterliegen einer arbeitsgerichtlichen Inhaltskontrolle (vgl. Hanau/Preis, Der Arbeitsvertrag, II M 30 Rdnr. 2). Zwar findet das AGBG nach seinem § 23 Abs. 1 bei Verträgen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts keine Anwendung. Diese Bereichsausnahme lässt aber die arbeitsrechtliche Inhaltskontrolle unberührt (BAG vom 24.11.1993 EzA § 611 BGB Mehrarbeit Nr. 1 m. w. N.). Der Arbeitgeber, der vorformulierte Arbeitsvertragstexte verwendet, hat diese Formulierungen wegen seiner stärkeren Verhandlungsmacht einseitig durchsetzen können. Aus dieser einseitigen Vertragsgestaltung resultiert eine Pflicht, bei der Abfassung die Interessen des Vertragspartners angemessen zu berücksichtigen. Einer richterlichen Korrektur bedarf die Vertragsgestaltung dann, wenn sie die Interessen des Arbeitnehmers unverhältnismäßig außer Acht lässt.
25In besonders krasser Weise wird das Äquivalenzverhältnis beeinträchtigt, wenn eine vorformulierte Kombination der Verpflichtung zur Leistung von Überstunden mit einer Pauschalierungsabrede besteht. Diese Vertragsgestaltung gibt dem Arbeitgeber das Recht zum einseitigen, erheblichen Einbruch in das Gegenleistungsgefüge. So könnte der Arbeitgeber in einem Arbeitsverhältnis mit einer betriebsüblichen Arbeitszeit von 38 Wochenstunden eine Leistung von durchschnittlich bis zu 48 Wochenstunden (§ 3 AZG) verlangen und damit das Gegenleistungsverhältnis zu mehr als 25 % verschieben. Dies führt zu einer unangemessenen, für den Arbeitnehmer nicht mehr hinnehmbaren Benachteiligung (zutreffend Hanau/Preis, II M 30 Rdnr. 12).
26Eine solche Benachteiligung ist auch im Streitfall festzustellen: Einerseits bestimmt § 1 des Arbeitsvertrages kurz und bündig, die Arbeitszeit richte sich nach den betrieblichen Erfordernissen. Andererseits sollten bereits mit der übertariflichen Grundvergütung alle Ansprüche auf Vergütung von anfallender Mehrarbeit abgegolten sein. Bei 60 Wochenstunden oder 258 Monatsstunden, wie sie der Kläger wiederholt geleistet hat, ergibt sich bei einer Monatsvergütung von 6.000,00 DM brutto ein Stundensatz von 23,26 DM brutto. Demgegenüber würde sich auf der Grundlage des höchsten Tarifgehalts von 4.500,00 DM brutto und der tariflichen Arbeitszeit von 168 Stunden/Monat ein Stundenentgelt von 26,79 DM ergeben. Schon dieser Vergleich lässt erkennen, dass die vorliegende Vertragsgestaltung wegen ihrer Intransparenz und Unausgewogenheit der Inhaltskontrolle nicht Stand hält, auch wenn die Grenze zur Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) noch nicht überschritten ist. Die Pauschalabgeltung stellt keinen gerechten Ausgleich für die Mehrleistung des Klägers dar, der in dem Zeitraum von rund drei Monaten selbst unter Einschluss einer Urlaubswoche insgesamt 835 Stunden arbeitete. Die übertarifliche Vergütung des Klägers ist durch die faktische Inanspruchnahme derart aufgesogen worden, dass er trotz nomineller ATStellung unter das Tarifstundenniveau gesunken ist.
27Erweist sich die vorformulierte Vertragsbestimmung danach als unwirksam, so ist die Lückenfüllung nach § 612 Abs. 2 BGB als Grundnorm des dispositiven Rechts vorzunehmen (vgl. Harnau/Preis, II M 30 Rdnr. 23). Zu vergüten ist das "Übliche", hier der Stundensatz für die regelmäßige Arbeitszeit. Insoweit ist auch für den Kläger von der tariflichen und betriebsüblichen Arbeitszeit von 39 Stunden pro Woche auszugehen. Daraus ergibt sich der von ihm berechnete Stundensatz von 34,97 DM. Wenn man weiter davon ausgeht, dass mit der übertariflichen Vergütung eine Wochenarbeitszeit bis zu 48 Stunden (§ 3 AZG) pauschal abgegolten werden konnte, so verbleiben für die streitbefangenen drei Monate 163 Mehrarbeitsstunden, die noch mit insgesamt 5.700,11 DM brutto zu vergüten sind.
28Dieser Vergütungsanspruch ist schließlich auch nicht durch die einseitige Freistellung des Klägers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist entfallen. Zur Zeit der Freistellung war der Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung bereits entstanden und fällig geworden. Er konnte daher nicht durch die einseitig angeordnete Arbeitsbefreiung erfüllt werden (vgl. BAG vom 18.09.2001 9 AZR 367/00 -9 AZR 367/00 Pressemitteilung Nr. 59/01). Dazu hätte es der Vereinbarung einer Ersetzungsbefugnis bedurft, die hier nicht vorliegt.
29Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 284 Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB.
30III. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 12 Abs. 7 ArbGG, 3, 92 Abs. 1 ZPO.
31IV. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere hatte die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalles beruht.
32Rechtsmittelbelehrung
33Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.
34(Dr. Kalb) (Dr. Wegener) (Ruhnau)