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1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger wird verurteilt, an die Beklagte 1.913,99 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.04.2024 zu zahlen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
4. Streitwert: 16.913,99 €.
Tatbestand
2Die Parteien streiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zwischen ihnen nach Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung durch die Beklagte sowie über den Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung (überzahlter) Vergütung.
3Der verheiratete und zumindest einem Kind unterhaltspflichtige Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.03.2023 als Standortakquisiteur im Außendienst beschäftigt. Mit Schreiben vom 28.08.2023 wurde er abgemahnt, wobei ihm vorgeworfen wurde, auf einer Betriebsfeier alkoholisiert und durch verbal unangemessenes und körperlich aufdringliches Verhalten auffällig geworden zu sein. Am Abend des 02.03.2024 bzw. frühen Morgen des 03.03.2024 fand im Zoo von O erneut eine Betriebsfeier statt, an der der Kläger teilnahm. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger auf dieser Feier gegenüber einer Kollegin zudringlich aufgetreten ist und diese sexuell belästigt hat. Jedenfalls kündigte die Beklagte in der Folge das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 08.03.2024 fristlos, ohne diesen zuvor anzuhören. Dennoch zahlte sie am 27.03.2024 versehentlich für März 2024 das volle Entgelt i. H. v. 2.694,16 € an den Kläger aus, wodurch bei einer Beendigung zum Zeitpunkt der fristlosen Kündigung eine Überzahlung i. H. v. 1.913,99 € netto entstanden wäre. Der Kläger rechnet hiergegen mit Provisionsansprüchen auf, derer er sich rühmt.
4Er behauptet, er habe noch Provisionsansprüche in Höhe von ca. 5.000,00 €, die die Beklagte nunmehr einem anderen Arbeitnehmer zugeordnet habe. Nach Erhalt der Abmahnung, die zwar hinsichtlich des Alkoholgenusses zutreffend sei, hinsichtlich des Vorwurfes unflätigen Verhaltens jedoch nicht, habe er sich über diese bei der Sekretärin des Geschäftsführers der Beklagten beschwert, die ihm jedoch mitgeteilt habe, den dies sei nicht der Rede wert, die Abmahnung werde ohnehin bald aus der Personalakte entfernt werden. Daher habe er gegen die Abmahnung nichts weiter unternommen. Im Hinblick auf diese habe er zunächst auch nicht an der Betriebsfeier in Osnabrück teilnehmen wollen. Die Sekretärin des Geschäftsführers habe ihm jedoch geraten daran teilzunehmen. Um negative Erfahrungen wie bei der letzten Betriebsfeier zu vermeiden, habe er sich den ganzen Abend ununterbrochen bei zwei bis drei weiteren männlichen Kollegen aufgehalten. Um ca. 1:00 Uhr oder 1:30 Uhr habe die Männergruppe dann vor der Tür gestanden, um zu rauchen. Die von ihm vermeintlich belästigte Frau Bo habe sich freiwillig hinzugesellt, ohne dass er gewusst habe, dass sie so heiße. Von dort aus seien alle ins Hotel gefahren.
5Der Kläger beantragt,
61. festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis durch die schriftliche außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 08.03.2024, zugegangen am 08.03.2024, nicht aufgelöst worden ist;
2. festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 08.03.2024, zugegangen am 08.03.2024, zum 15.04.2024 nicht aufgelöst wird;
3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 15.04.2024 hinaus fortbesteht.
Die Beklagte beantragt,
131. die Klage abzuweisen;
2. den Kläger im Wege der Widerklage zu verurteilen, an sie 1.913,99 € nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.04.2024 zu zahlen.
Der Kläger beantragt,
17die Widerklage abzuweisen.
18Die Beklagte behauptet, der Kläger habe ihrer Mitarbeiterin D Bo, als diese an diesem vorbeiging, nach 24 Uhr einen Klaps auf den Po gegeben, der ihr wehgetan habe. Sie habe ihn daraufhin gefragt, was das solle, und ihn aufgefordert, so etwas zu unterlassen, worauf hin der Kläger gesagt habe, sie solle dies als Kompliment nehmen. Kurze Zeit später habe er ihr an einem Tisch neben der Tanzfläche einen Schnaps angeboten. Sie habe daraufhin erwidert, dass ihr so etwas nicht schmecke. Der Kläger habe sie daraufhin gefragt, ob sie keine harten Sachen möge. Daraufhin habe sie erwidert, Schnaps schmecke ihr nicht. Der Kläger habe dann gesagt: „Also stehst du drauf, wenn man es hart macht.“ Sie habe daraufhin gesagt, Bier möge sie nicht so. Die Situation sei ihr sehr unangenehm gewesen. Als sie zu einer Arbeitskollegin habe gehen wollen, habe der Kläger sie plötzlich an sich gezogen und an sich gedrückt, was sie als sexuelle Belästigung aufgefasst habe. Der Kläger habe noch seine Hand an den Hals der im abgewandten Mitarbeiterin gelegt und gesagt: „Gib zu, du stehst doch auf sowas.“ Daraufhin habe die Zeugin seine Hand weggestoßen und gehen wollen. Er aber habe sie nochmals am Arm zurückgezogen und an sich gedrückt. Daraufhin habe sich die Mitarbeiterin losgerissen und weiteren Kontakt auf der Feier mit dem Kläger gemieden. Dennoch sei es noch einmal zu einem Kontakt gekommen, bei dem der Kläger ihr gesagt habe: „Ich hoffe, du wirst Zuhause geschlagen.“
19Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
20Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin Bo sowie der Zeugen K-J und P. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 24.07.2024 Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe
22Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten fortbesteht. Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Die Widerklage ist begründet.
23A. Der als Antrag zu 3. gestellte Feststellungsantrag ist unzulässig. Stellt der Arbeitnehmer diesen sogenannten Schleppnetzantrag neben einem Kündigungsschutzantrag, ist ausgehend vom sogenannten erweiterten punktuellen Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage Gegenstand des allgemeinen Feststellungsantrags der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den in der daneben angegriffenen Kündigung avisierten Beendigungstermin hinaus bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Die Klage soll, soweit sie neben der Klage gemäß § 4 Satz 1 KSchG erhoben wird, klären, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund von Beendigungstatbeständen aufgelöst worden ist, die vom Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage nicht erfasst sind. Es wird der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, und zwar unter Einbeziehung eventueller Kündigungen geprüft; es sind deshalb alle nach dem Vortrag der Parteien in Betracht kommenden Beendigungsgründe zu erörtern. Die Rechtskraft eines positiven Feststellungsurteils erfasst alle diese Beendigungsgründe und schließt eine auf ihnen beruhende Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus (BAG, Urteil vom 16.12.2021 – 6 AZR 154/21 –, Rn. 16, juris). Der Antrag ist nur dann im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO zulässig, wenn mit ihm weitere Beendigungstatbestände in den Prozess eingeführt werden sollen, die zeitlich nach Erhebung der Klage entstanden sind und auf die sich der jeweilige Klagegegner zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruft (vgl. grundlegend BAG, Urteil vom 21.01.1988, 2 AZR 581/86, NZA 1988 S. 651; BAG, Urteil vom 27.01.1994, 2 AZR 484/93, NZA 1994, S. 812 jeweils m. w. N.). Gleichwohl wird bereits mit der Erhebung einer – wenn auch zunächst noch unzulässigen – allgemeinen Feststellungsklage für eine vor Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz erklärte und mit dem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG außerhalb der Dreiwochenfrist angegriffene Nachkündigung angenommen, dass diese Frist durch einen allgemeinen Feststellungsantrag gewahrt wird, weil der Arbeitgeber bereits durch diesen hinreichend gewarnt sei (BAG, Urteil vom 16.12.2021 – 6 AZR 154/21 –, Rn. 24, juris). Bislang jedoch hat weder der Kläger derartige weitere mögliche Beendigungstatbestände in den Prozess eingeführt noch hat sich die Beklagte auf solche berufen, sodass der Antrag unzulässig ist und die Klage insoweit abzuweisen war.
24B. Die im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Die Widerklage ist begründet.
25I. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die fristlose Kündigung der Beklagten mit Ablauf des 08.03.2024 aufgelöst worden.
261. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 258/11 - m. w. N.). Ein wichtiger Grund zur Kündigung kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein. Da die ordentliche Kündigung die übliche und grundsätzlich ausreichende Reaktion auf die Verletzung einer Nebenpflicht ist, kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn das Gewicht dieser Pflichtverletzung durch erschwerende Umstände verstärkt wird (BAG, Urteil vom 12.05.2010 – 2 AZR 845/08 – juris, Rn. 19). Die erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers kann einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Der konkrete Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und seinen spezifischen Anforderungen. Einer besonderen Vereinbarung bedarf es insoweit nicht (BAG, Urteil vom 12.05.2010 – 2 AZR 845/08 – juris, Rn. 20). Eine sexuelle Belästigung i. S. v. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet (BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 323/10 –, Rn. 16, juris). Sie stellt einen erheblichen Verstoß gegen die dem Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitnehmerin obliegende Pflicht zur Rücksichtnahme auf deren Interessen gem. § 241 Abs. 2 BGB dar und ist „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung zu bilden (BAG, Urteil v. 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 –, BAGE 159, 267-277, Rn. 14). Eine sexuelle Belästigung i. S. v. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird (BAG, Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 –, BAGE 159, 267-277, Rn. 16). Auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen können den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen (BAG, Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 –, BAGE 159, 267-277, Rn. 17). Schutzgut der § 7 Abs. 3, § 3 Abs. 4 AGG ist die sexuelle Selbstbestimmung als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird als das Recht verstanden, selbst darüber zu entscheiden, unter den gegebenen Umständen von einem anderen in ein sexualbezogenes Geschehen involviert zu werden. Das schließt es ein, selbst über einen Eingriff in die Intimsphäre durch körperlichen Kontakt zu bestimmen. Die absichtliche Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale eines anderen ist demnach bereits deshalb sexuell bestimmt i. S. d. § 3 Abs. 4 AGG, weil es sich um einen auf die körperliche Intimsphäre gerichteten Übergriff handelt. Bei anderen Handlungen, die nicht unmittelbar das Geschlechtliche im Menschen zum Gegenstand haben, wie bspw. Umarmungen, kann sich eine Sexualbezogenheit aufgrund einer mit ihnen verfolgten sexuellen Absicht ergeben (BAG, Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 –, BAGE 159, 267-277, Rn. 18). Relevant ist entweder das Ergebnis oder die Absicht. Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle. Ebenso kommt es auf vorsätzliches Verhalten nicht an (BAG, Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 –, BAGE 159, 267-277, Rn. 20). Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, u. a. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 323/10 –, Rn. 16, juris).
272. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze liegen Gründe für eine außerordentliche Kündigung des Klägers vor. Dieser hat zur Überzeugung des Gerichts die Klägerin dadurch sexuell belästigt, dass er ihr auf den Po geschlagen hat. Hinzu kommt, dass er zu einem späteren Zeitpunkt sie mehrfach zu sich zurückgezogen hat, als sie sich von ihm entfernen wollte, und später auf Russisch erklärt hat, er hoffe sie werde zu Hause geschlagen. Durch den Schlag auf den Po hat der Kläger ein Körperteil der Zeugin berührt, das sexuelle Reize ausstrahlen kann. Ein Schlag auf den Po einer Frau lässt sich, wenn keine andere Motivation erkennbar ist, nur durch eine sexuelle Bestimmung, erklären. Die Vernehmung der Zeugin D Bo hat den entsprechenden Beklagtenvortrag und die Reaktion der Zeugin hierauf zur Überzeugung der Kammer bestätigt. Hinzu kommt, dass die Zeugin auf weitere Nachfrage bestätigt hat, der Kläger habe gesagt, sie solle dies als Kompliment nehmen. Auch hierdurch hat der Kläger den sexuellen Bezug seiner Handlung zum Ausdruck gebracht und zudem gezeigt, dass das Resultat aus der Reaktion der Zeugin keineswegs Einsicht ist, sondern ein Ausdruck der Stärke und einer Machtposition, die es ihm erlaubt, in die körperliche Integrität der Frau einzugreifen, wenn er es für angebracht hält. Gleiches gilt für das wiederholte Zurückhalten der Zeugin, als diese sich vom Kläger entfernen wollte. Hierbei hat der Kläger nicht davor zurückgeschreckt, die Zeugin am Hals, und damit an einer besonders empfindlichen Stelle des Körpers anzufassen. Auch dies stellt ein übergriffiges und nötigendes Verhalten dar, das keineswegs akzeptiert werden kann und im Zusammenhang mit dem zuvor Geschehenen gesehen werden muss. Auch hier hat der Kläger seinen Wunsch bzw. sein Interesse, die Zeugin in seiner Nähe zu halten, über den freien Willen der Zeugin gestellt und seine Machtposition als Mann, der gemeinhin als das stärkere Geschlecht angesehen wird, über den Willen und die Freiheit der Zeugin gestellt und damit seine Machtposition zum Ausdruck gebracht. Hinzu kommt, dass er von Alter und Statur her der Zeugin weit überlegen ist. Im Hinblick auf das bereits zuvor Geschehene, ist auch dies nach den Gesamtumständen als ein sexuell bestimmtes Verhalten und damit als sexuelle Belästigung anzusehen. In die gleiche Richtung geht die von der Zeugin bestätigten Ausspruch des Klägers am Ende des Abends, er hoffe, sie werde zu Hause geschlagen. Auch hierin kommt, die offenbar bestehende Ansicht, dass der Mann der Stärke sei und die Frau sich zu fügen habe oder zu disziplinieren sei, zum Ausdruck und damit wiederum die geschlechtlich bestimmte Machtposition sowie ein Verständnis des Rollenverhaltens. Zudem handelt es sich auch um eine Beleidigung, da mit dem Ausspruch zum Ausdruck gebracht wird, die Zeugin habe eine entsprechende Behandlung verdient.
3. Diese, der Kündigung zugrundeliegenden Sachverhalte stehen nach Durchführung der Beweisaufnahme zur Überzeugung der erkennenden Kammer fest.
30a) Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Es muss zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen, dass eine behauptete Tatsache wahr ist. Für die von § 286 ZPO geforderte Überzeugung des Tatrichters bedarf es aber keiner absoluten oder unumstößlichen Sicherheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises, sondern nur eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BAG, Urteil vom 11.06.2020 – 2 AZR 442/19 –, NZA 2020, 1326, Rn. 62).
31b) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs konnte die Beklagte den Beweis führen, dass der Kläger die Zeugin Bo durch die unter 2. Angegebenen Handlungen sexuell belästigt hat. Die Zeugin hat im Wesentlichen, insbesondere im Kerngeschehen weitgehend widerspruchsfrei und konsistent ausgesagt und bei ihrer Aussage keine Belastungstendenz gezeigt. Zwar weist die Aussage im Hinblick auf die Frage, wann sich der Kläger und die Zeugin kennengelernt haben, gewisse Ungereimtheiten auf, weil Zeugin zunächst angegeben hat, den Kläger bis zur Betriebsfeier nicht gekannt zu haben, während sie an einer späteren Stelle der Aussage angegeben hat, sich auf einer vorherigen Betriebsfeier schon mit dem Kläger unterhalten zu haben. Da sich der Kläger und die Zeugin jedoch auf einer Betriebsfeier kennengelernt haben, ist die zunächst getätigte Aussage nicht falsch und mag durch ein falsches Verständnis der Frage hervorgerufen worden sein. Im Übrigen ist diese Ungenauigkeit ebenso wenig von Bedeutung für die Beantwortung der Beweisfrage, wie die Frage, wann der Kläger den Namen der Zeugin erfahren hat, was sich aus der Aussage der Zeugin ebenfalls nicht abschließend erschließen lässt. Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit im Übrigen bleiben hiervon unberührt. Es ist auch kein Grund zu erkennen, warum die Zeugin den Kläger ohne Grund belasten sollte, zumal sich Kläger und Zeugin kaum kannten. Der Kläger möchte den Namen der Zeugin selbst am Schluss der Veranstaltung noch nicht gekannt haben, obwohl er sich mit der Zeugin offenbar schon so intensiv ausgetauscht hatte, dass diese von seinen Russischkenntnissen wusste. Auch hat die Zeugin belastende Angaben, die das kurz nach dem betreffenden Abend gefertigte Protokoll noch enthielt, von sich aus nicht wiederholt oder erst auf Vorhalt bestätigt. Ihre Aussage beschränkt sich damit auf das in ihren Augen wesentliche Kerngeschehen, sodass das Vergessen von weiteren Details angesichts der seit dem Ereignis vergangenen Zeit menschlich und hierdurch erklärbar ist. Dabei steht der Glaubhaftigkeit nicht entgegen, dass die Zeugin und der Kläger trotz vorheriger Vorfälle immer wieder miteinander in Kontakt getreten sind. Ihrer Aussage lässt sich nämlich entnehmen, dass sie kein Interesse hatte, die Situation an dem Abend eskalieren zu lassen, sondern sie vielmehr herunterspielen oder überspielen wollte. Auch dies ist eine nachvollziehbare Reaktion, zumal das Verhalten von Opfern sexueller Belästigungen davon bestimmt sein kann, sich ihrerseits nicht so zu verhalten, dass ihre Reaktion in den Augen anderer auf Überempfindlichkeit schließen lässt oder zu weit geht, insbesondere wenn es für die eigentliche Belästigung keine Zeugen gibt. Die Aussage der Zeugin war glaubhaft und gibt nachvollziehbar das Geschehen wieder, das in seinem Verlauf schlüssig aufeinander aufbaut. Die Schilderung des Schlages auf den Po war glaubhaft. Die Zeugin hat insbesondere das Verhalten des Klägers auf ihre Reaktion, sein Lächeln und seine Bemerkung, sie solle es Kompliment nehmen, glaubhaft wiedergegeben. Zwar enthielt ihre eigenständige Schilderung der Ereignisse diese Angaben noch nicht. Aber bei näherer Befassung mit dem Sachverhalt konnte sie sich eigenständig hieran erinnern. Zugleich zeigt dies, dass bei der Wertung der Aussage Erinnerungsprobleme zu berücksichtigen sind, zumal einer zusammenhängenden Darstellung durch Zeugen die Gefahr von Lücken in Bezug auf Einzelheiten immanent ist. Gezeigt hat die Beweisaufnahme aber, dass es den von der Zeugin geschilderten Kontakt, bei dem sie und der Kläger Getränke in der Hand hatten, gegeben hat. Als die Zeugin nämlich zu erklären versuchte, was sie für ein Getränk in der Hand hielt, half der Kläger ihr mit der Angabe, es sei ein Likör bzw. likörhaltiges Getränk gewesen. Zwar weicht die Schilderung des Zurückziehens bei der Aussage der Zeugin vor der Kammer insoweit von dem von ihrer kurz nach dem Geschehen gefertigten Darstellung ab, als sie dort geschildert hatte, der Kläger habe ihr die Hand nach dem Zurückziehen an den Hals gelegt, während sie nunmehr angegeben hat, beim ersten Mal am Hals zurückgezogen worden zu sein. Auch hat die Zeugin unterschiedliche Angaben dazu gemacht, wann der Kläger welche Bemerkung in diesem Zusammenhang zu ihr gemacht hat. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass es sich um ein dynamisches, schnell ablaufendes Geschehen handelt, bei dem im Nachhinein Unsicherheiten bei der Erinnerung und Wiedergabe von Einzelheiten entstehen können und menschlich sind, insbesondere, wenn sich zuvor gefertigten Notizen vor der Aussagesituation nicht durchgelesen wurden, was hier offenbar der Fall ist und die fehlende Belastungstendenz bestätigt. Die Kammer ist unter Berücksichtigung dieser Umstände jedenfalls davon überzeugt, dass der Kläger die Zeugin wiederholt zurückgezogen und auch an den Hals gefasst hat. Selbst wenn es das Zurückziehen nicht gegeben hätte, würde schon in dem Schlag auf den Po für eine sexuelle Belästigung ausreichen. Die von der Zeugin des Weiteren geschilderte Bemerkung des Klägers am Schluss der Veranstaltung baut auf das Vorgesehen auf und ist durch die abwehrende Haltung der Zeugin zuvor, sei es nun beim Schlag auf den Po oder die darauffolgende Situation zu erklären. Die diesbezügliche Angabe der Zeugin, der Kläger habe den Ausspruch auf Russisch getätigt, während das nach der Tat gefertigte Protokoll ihn auf Deutsch wiedergibt, spricht insbesondere für den Wahrheitsgehalt. Zwar konnte die Zeugin den genauen Wortlaut auf Russisch nicht mehr wiedergeben. Bei einer vorsätzlichen Falschaussage hätte sie sich jedoch nicht in diese Verlegenheit bringen müssen, das Detail des Ausspruchs auf Russisch, wiederzugeben. Jedenfalls können sowohl der Kläger als auch die Zeugin bis zu einem gewissen Maß die russische Sprache verstehen und sprechen. Auch konnte die Zeugin das entscheidende Wort „schlagen“ zutreffend in der russischen Sprache wiedergeben.
32Hingegen sind die Aussagen der gegenbeweislich vernommenen Zeugen im Hinblick auf das streitige Geschehen unergiebig geblieben. Keiner der Zeugen konnte bekunden, ununterbrochen in der Gegenwart des Klägers gewesen zu sein. Zwar haben beide Zeugen angegeben, sich ein zudringliches Verhalten des Klägers nicht vorstellen zu können, hierauf kommt es jedoch nicht an. Hinzu kommt, dass der Zeuge K-J ersichtlich Entlastungstendenzen gezeigt hat, indem er durch Rückschlüsse aus anderen Tatsachen eine Aussage zu Vorgängen zu treffen versuchte, die er während seiner Abwesenheit, mag sie auch nicht allzu lang gewesen sein, überhaupt nicht mitbekommen haben konnte, sodass er auch die von ihm für seine Rückschlüsse unterstellten Tatsachen nicht aus eigener Wahrnehmung kennen konnte. Hingegen hat der Zeuge P offen eingeräumt, dass er nicht ausschließen könne, ein bestimmtes Verhalten des Klägers an dem Abend nicht mitbekommen zu haben. Zu berücksichtigen ist dabei, dass es für das dem Kläger vorgeworfene Verhalten nur weniger Augenblicke bedurfte. Während die Zeugen übereinstimmend Angaben zur Anwesenheit und zum Verhalten der Zeugin draußen gegen Ende der Veranstaltung gemacht haben, fehlt es zu Angaben zu Kontakten zwischen dem Kläger und der Zeugin während der Veranstaltung. Da es aber solche Kontakte gegeben haben muss, wären Angaben der Zeugen hierzu und deren Verlauf erforderlich gewesen, um das dem Kläger vorgeworfene Verhalten ausschließen zu können. Hat der Kläger mithin eine sexuelle Belästigung gegenüber der Zeugin begangen, liegt mithin ein Grund vor, der an sich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann, stellt das Verhalten des Klägers unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen auch im konkreten Fall einen Grund für eine fristlose Kündigung dar. Hierbei ist das Interesse der Beklagten, ihre Mitarbeiterinnen wirksam vor sexuellen Belästigungen zu schützen, hoch zu bewerten, zumal sie nach § 2 Abs. 1 BeschSchG gesetzlich verpflichtet war, wirksame Maßnahmen zum Schutz ihrer Mitarbeiter – auch vorbeugend – zu treffen. Hinzu kommt, dass der Kläger sich von seinem Verhalten auch durch die zurückweisende Haltung der Zeugin nicht hat abbringen lassen. Zwar mag er an dem Abend alkoholisiert gewesen sein, was ein enthemmtes Verhalten durchaus fördern kann, gerade daraus ergibt sich jedoch auch eine Wiederholungsgefahr.
33Einer vorherigen Abmahnung, und sei es auch als milderes Mittel, bedurfte es nicht. Zwar setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine einschlägige Abmahnung voraus. Allerdings kann eine Abmahnung bei schweren Pflichtverletzungen entbehrlich sein. Bei einer schweren Pflichtverletzung ist nämlich regelmäßig dem Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit seines Handelns ohne Weiteres genauso erkennbar, wie der Umstand, dass eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 23.06.2009 – 2 AZR 283/08 – juris, Rn. 18). So ist es auch hier. Der Kläger konnte nicht damit rechnen, dass sein Verhalten, welches er gegenüber einer offenbar jüngeren und schwächeren Mitarbeiterin anderen Geschlechts an den Tag legte und mit dem er seine Machtposition zum Ausdruck brachte und sich dabei nicht auf Worte beschränkte, sondern auch durch Taten übergriffig wurde, dulden würde. Zudem würde eine bloße Abmahnung nicht die Gewähr bieten, dass der Kläger ein ähnliches Verhalten nicht bei einer anderen Gelegenheit zeigt. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass der Kläger bereits eine Abmahnung wegen enthemmten Verhaltens unter Alkohol erhalten hatte. Zwar ist diese Abmahnung nicht sonderlich konkret, sodass unter formalen Gesichtspunkten Bedenken gegen sie bestehen mögen, als Warnung musste sie dem Kläger dennoch dienen. Allerdings ist eine solche Wirkung ausgeblieben, sodass Zweifel an der Geeignetheit einer erneuten Abmahnung bei der Erfüllung der gesetzlichen Schutzpflichten der Beklagten bestehen, was eine Kündigung umso notwendiger entscheiden lässt. Auch die Betriebszugehörigkeit des Klägers von gerade einmal einem Jahr sowie seine Unterhaltspflichten fallen vor diesem Hintergrund bei der stets vorzunehmenden Interessenabwägung nicht entscheidend ins Gewicht.
34II. Hat mithin die fristlose Kündigung das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mit dem 08.03.2024 beendet, kommt es auf die Wirksamkeit der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung nicht an. Ein Erfolg der diesbezüglichen Klage würde voraussetzen, dass das Arbeitsverhältnis zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortbesteht, sodass auch insoweit die Klage abzuweisen war.
35III. Auf die Widerklage der Beklagten hin war der Kläger zu verurteilen, den aufgrund der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses überbezahlten, rechnerisch unstreitigen Betrag an diese zurück zu zahlen. Der Anspruch ergibt sich aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB.
36Die Forderung der Beklagten ist auch nicht durch die Aufrechnungserklärung des Klägers erloschen. Zwar berühmt dieser sich ausstehender Provisionsansprüche, die zunächst jedoch als Bruttoforderung bestehen dürften, während die Beklagte lediglich eine Nettoforderung geltend macht, sodass die Aufrechnung schon mangels Vergleichbarkeit der Forderungen unzulässig ist. Hinzu kommt aber, dass der Kläger keine nachvollziehbaren Tatsachen vorgetragen hat, aus denen sich der Anspruch ergeben könnte.
37Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB i. V. m. § 288 Abs. 1 BGB.
38IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 ZPO.
39V. Der Streitwert wurde gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 42 Abs. 2 GKG, § 3 ZPO festgesetzt.