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1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
2Die Parteien streiten über ein Teilzeitbegehren des Klägers.
3Die Beklagte ist ein Unternehmen der chemischen Industrie. An ihrem Standort in K beschäftigt sie 2.417 Mitarbeiter. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge der chemischen Industrie mit einer Regelarbeitszeit von 37,5 Stunden pro Woche Anwendung.
4Am Standort gibt es drei Tankläger. Der Kläger ist seit 1992 bei der Beklagten als Chemikant beschäftigt, zuletzt als einer von insgesamt zehn (teils stellvertretenden) Schichtmeistern im Tanklager Ost. Das Tanklager Ost dient der Lagerung und dem Umschlag von brennbaren Flüssigkeiten und Flüssiggasen, die als Eingangsprodukte oder Zwischen- und Endprodukte in den Anlagen des Standortes K anfallen bzw. benötigt werden.
5Im Bereich Tanklager haben die Beklagte und der Betriebsrat ein vollkontinuierliches 5-Schicht-Wechselschichtmodell über die Betriebsvereinbarung Nr. 89 (Bl. 71 ff. d.A.) vereinbart. Es besteht aus insgesamt fünf Schichtgruppen, die den Betrieb im Tanklager in drei Schichten (Früh-, Spät- und Nachtschicht) an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr aufrechterhalten. Andernfalls würden die Produktionsprozesse der Beklagten ins Stocken geraten.
6Für jeden Mitarbeiter errechnet sich im 5-Schicht-Modell zunächst eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 33,6 Stunden pro Woche. Um die Differenz von 3,9 Stunden hoch auf die vertraglich geschuldeten 37,5 Stunden zu erreichen, sind von den Mitarbeitern 25,5 Ausgleichsschichten (203,50 Stunden) pro Jahr zu leisten. 80% der Ausgleichsschichten werden zu Jahresbeginn langfristig verplant; die restlichen 20% werden kurzfristig verplant um etwaig anfallende Personalengpässe, z.B. wegen Krankheit, auszugleichen.
7Jede Schicht wird mit einem Schichtzug geplant, der aus zwei Schichtmeistern und fünf Anlagenführern besteht. Zwar bedarf es zum Betrieb des Tanklagers Ost nur eines einzigen Schichtmeisters, den zweiten Schichtmeister plant die Beklagte aber aus Gründen der Vorsicht zusätzlich ein, um eventuelle Personalausfälle zu kompensieren und hierdurch eine andernfalls notwendige Rufbereitschaft zu vermeiden. Erscheinen beide Schichtmeister, so wird der stellvertretende Schichtmeister als zusätzlicher Anlagenführer eingesetzt.
8Am 12.03.2023 machte der Kläger einen Wunsch auf Verkürzung und Neuverteilung seiner Arbeitszeit (Bl. 10 d.A.) beginnend ab 01.10.2023 bis zum 30.09.2028 geltend. Die Arbeitszeit soll für diesen Zeitraum von durchschnittlich 37,5h/Woche auf durchschnittlich 35 h/Woche reduziert werden. Ab dem 03.05.2023 hat die Beklagte erfolglos verschiedene Stellenausschreibungen (Bl. 64 ff. d.A.) auf ihrer Homepage und bei der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht, mit der sie eine Ersatzkraft für den Kläger gesucht hat. Am 25.07.2023 führten die Parteien hierzu ein intensives Erörterungsgespräch (vgl. Gesprächsprotokoll Bl. 81 d.A.). Mit Schreiben vom 11.08.2023 (Bl. 82 d.A.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie nach Prüfung aller Möglichkeiten seinen Antrag aus betrieblichen Gründen ablehnen müsse.
9Der Kläger meint, die Beklagte sei verpflichtet, seinem Teilzeitbegehren zuzustimmen. Denn das betriebliche Organisationskonzept der Beklagten stehe seinem Begehren nicht entgegen. Er könne weiterhin im regulären Schichtmodell arbeiten. Lediglich die Ausgleichsschichten müssten verringert werden. Der hierdurch entstehende Arbeitskraftausfall dürfte aufzufangen sein. Ferner werde er nur in ca. 40 % seiner Einsätze als Schichtmeister eingesetzt. Im Übrigen sei er als zusätzlicher Anlagenführer tätig. Des von der Beklagten angeführten Personalansatzes bedürfe es vor diesem Hintergrund überhaupt nicht. Schließlich zeige sich auf Grundlage der Berechnungen der Beklagten, dass deren jetzige Personalstärke ohnehin nicht ausreiche, um sämtliche Schichten abzudecken. Dementsprechend könne die Beklagte auch nicht seine Teilzeit verweigern.
10Der Kläger beantragt,
11die Beklagte zu verurteilen, der Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit des Klägers im Zeitraum vom 1. Oktober 2023 bis zum 30. September 2028 auf 35 Stunden zuzustimmen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie meint, dem Begehren des Klägers stünden ihr Organisationskonzept und das darauf beruhende Arbeitszeitmodell entgegen. Das Organisationskonzept, welches – unstreitig – einen vollkontinuierlichen Anlagenbetrieb vorsehe, sei notwendig, um große wirtschaftliche Schäden zu vermeiden, die im Falle eines Stillstands des Produktionsbetriebs eintreten würden. Auf diesem Organisationskonzept beruhe das mit dem Betriebsrat vereinbarte Arbeitszeitmodell im 5-Schicht-Wechselschichtmodell, das mit dem Begehren des Klägers nicht in Einklang gebracht werden könne. Die Personalsituation sei ohnehin knapp. Um die von dem Kläger begehrte Arbeitszeitreduktion zu kompensieren, müsse sie gegenüber den anderen Mitarbeitern im gleichen Verhältnis Mehrarbeit anordnen. Dies sei indessen kaum mit den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zu vereinbaren. Dass der von ihr zugrunde gelegte Puffer in Form eines zweiten Schichtmeisters notwendig sei, zeige sich auch an den tatsächlichen Einsatzzeiten der Schichtmeister im Jahre 2023 (vgl. Anlage B13, Bl. 145 f.. d.A.).
15Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Protokolle der Verhandlungen Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe
17Die zulässige Klage ist unbegründet.
18I.
Dem Teilzeitbegehren des Klägers stehen jedenfalls betriebliche Gründe der Beklagten entgegen.
211.
22Der personelle und sachliche Anwendungsbereich des § 9a Abs. 1 S. 1, S. 2 TzBfG ist eröffnet. Die Beklagte beschäftigt mehr als 45 Arbeitnehmer im Unternehmen; der Kläger ist länger als 6 Monate bei der Beklagten beschäftigt. Sein Begehren bezieht sich auf einen Zeitraum zwischen mindestens einem Jahr und höchstens fünf Jahren. Infolge des Ablehnungsschreibens der Beklagten vom 11.08.2024 ist es auch nicht zum Eintritt der Zustimmungsfiktion des § 9a Abs. 3 S. 1, 8 Abs. 5 TzBfG gekommen.
232.
24Dem Begehren des Klägers stehen indessen betriebliche Gründe entgegen.
25a)
26Nach § 9a Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, 8 Abs. 4 S. 1 TzBfG hat der Arbeitgeber der Verringerung der Arbeitszeit zuzustimmen, soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen. Ein entgegenstehender betrieblicher Grund liegt gem. § 8 Abs. 4 S. 2 TzBfG insbesondere vor, wenn die Umsetzung des Arbeitszeitverlangens die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht. Insoweit genügt es, wenn der Arbeitgeber rational nachvollziehbare, hinreichend gewichtige Gründe hat, der Verringerung der Arbeitszeit nicht zuzustimmen. § 8 TzBfG gewährt nur einen Anspruch auf Verringerung der vereinbarten Arbeitszeit, aber keinen Anspruch auf die Änderung anderer Vertragsinhalte (vgl. Arnold/Gräfl/Lehnen, TzBfG, 3. Aufl., § 8 Rdnr. 8; HWK/Schmalenberg, § 8 TzBfG Rdnr. 20), wie etwa die Änderung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit (vgl. Meinel/Heyn/Herms, § 8 Rdnr. 31 m. w. Nachw.; Lorenz, Die Verringerung der Arbeitszeit auf Wunsch des Arbeitnehmers, S. 55).
27b)
28Bei den entgegenstehenden betrieblichen Gründen handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zukommt. Die Prüfung der entgegenstehenden betrieblichen Gründe ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urt. v. 13.11.2012 – 9 AZR 259/11, NZA 2013, 373, beck-online) regelmäßig in drei Stufen vorzunehmen.
29Zunächst ist festzustellen, ob der vom Arbeitgeber als erforderlich angesehenen Arbeitszeitregelung überhaupt ein betriebliches Organisationskonzept zu Grunde liegt und – wenn das zutrifft – um welches Konzept es sich handelt (erste Stufe). Organisationskonzept ist das Konzept, mit dem die unternehmerische Aufgabenstellung im Betrieb verwirklicht werden soll. In der Folge ist zu untersuchen, inwieweit die aus dem Organisationskonzept folgende Arbeitszeitregelung dem Arbeitszeitverlangen tatsächlich entgegensteht (zweite Stufe). Schließlich ist das Gewicht der entgegenstehenden betrieblichen Gründe zu prüfen (dritte Stufe). Dabei ist die Frage zu klären, ob das betriebliche Organisationskonzept oder die zu Grunde liegende unternehmerische Aufgabenstellung durch die vom Arbeitnehmer gewünschte Abweichung wesentlich beeinträchtigt wird. Maßgeblich für das Vorliegen der betrieblichen Gründe ist der Zeitpunkt der Ablehnung des Arbeitszeitwunschs durch den Arbeitgeber (BAG, NZA 2010, 339 = AP TzBfG § 8 Nr. 29 = EzA TzBfG § 8 Nr. 25 Rdnr. 21 = NJW 2010, 799 Os. m. w. Nachw.), der die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen entgegenstehender betrieblicher Gründe trägt (BAG, NZA-RR 2008, 616 Os. = NJW 2007, 3661 = AP TzBfG § 8 Nr. 21 = EzA TzBfG § 8 Nr. 18 Rdnr. 36 m. w. Nachw.).
30c)
31Im Betrieb der Beklagten liegt ein Organisationskonzept vor, aus dem eine Arbeitszeitregelung folgt, die dem Begehren des Klägers entgegensteht. Das Gewicht dieser entgegenstehenden Gründe ist erheblich.
32aa)
33Das Organisationskonzept der Beklagten sieht vor, dass die Tankläger am Standort in K jederzeit den für die Produktion nötigen Zufluss an chemischen Grundstoffen gewährleisten müssen. Andernfalls wäre der reibungslose Ablauf der Produktionsprozesse der Beklagten gefährdet. Zur Bewältigung dieser unternehmerischen Aufgabenstellung müssen die Tankläger 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr in Betrieb sein. Basierend auf dieser Organisation ihres Betriebsablaufs hat die Beklagte den kollektivrechtlichen Bestimmungen entsprechend ein vollkontinuierliches fünf Schicht Wechselschichtmodell als Arbeitszeitmodell in den Tanklägern eingeführt. Es sieht den zwingenden Einsatz von 5 Anlagenführern und einem Schichtmeister je Schicht vor. Als zusätzliche Sicherheit plant die Beklagte jede Schicht mit einem weiteren, stellvertretenden Schichtmeister, um einen andernfalls für Personalausfälle notwendigen Bereitschaftsdienst zu vermeiden. Diesem Konzept der Beklagten kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, er werde in den weitaus überwiegenden Fällen ohnehin nur als zusätzlicher Anlagenführer eingesetzt, weil auch der andere Schichtmeister verfügbar sei (Bl. 129 d.A). Denn es gehört zu der dem Arbeitgeber vorbehaltenen Organisation und Gestaltung des Betriebs, die Stärke der Belegschaft, mit der das Betriebsziel erreicht werden soll, festzulegen. Darunter fällt auch die Entscheidung über die erforderliche Kapazität an Arbeitskräften und Arbeitszeit (BAG 24. Juni 2008 - 9 AZR 313/07 - Rn. 33; BAG vom 20.01.2015 – 9 AZR 735/13 Rn.33).
34bb)
35Dieses fünf Schicht Wechselschichtmodell steht dem Teilzeitbegehren des Klägers entgegen, ohne dass für die Beklagte eine zumutbare Möglichkeit besteht, die betriebliche Arbeitszeitgestaltung mit dem Teilzeitwunsch des Klägers in Einklang zu bringen.
36Mit dem aktuellen Personalkörper der Beklagten, den diese im Tanklager Ost einsetzen kann, ist der Teilzeitwunsch des Klägers unvereinbar. Der Beklagten stehen insgesamt 10 Schichtmeister bzw. stellv. Schichtmeister für das Tanklager Ost zur Verfügung. Hiervon werden jeweils zwei Schichtmeister je Schichtzug benötigt. Würde der Kläger – seinem Teilzeitbegehren entsprechend – nur noch in verringertem Umfang Ausgleichsschichten für die Beklagte ableisten, so hätte dies rechnerisch zwingend die Anordnung von Mehrarbeit für die anderen Mitarbeiter der Beklagten zur Folge. Der Arbeitnehmer kann vom Arbeitgeber indessen nicht verlangen, den Arbeitsausfall durch die Anordnung von Überstunden für andere Arbeitnehmer auszugleichen (BAG 9.12.2003, NZA 2004, 921 (923)).
37Der Kläger kann der Beklagten insofern auch nicht entgegenhalten, dass bereits jetzt eine vollschichtige Besetzung der Anlage nicht durchgehend gewährleistet ist. Ganz im Gegenteil spricht dies vor dem Hintergrund der unstreitig angespannten Personalsituation erst recht dafür, dass dem Teilzeitbegehren des Klägers betriebliche Gründe entgegenstehen.
38Ferner war der Beklagten auch keine Ersatzeinstellung möglich. Ein betrieblicher Grund außerhalb der in § 8 Abs. 4 S. 2 TzBfG genannten Regelbeispiele besteht nach der Gesetzesbegründung dann, wenn es an einer geeigneten Ersatzkraft fehlt (BeckOK ArbR/Bayreuther, 72. Ed. 1.6.2024, TzBfG § 8 Rn. 46, beck-online). Insofern konnte die Beklagte vorbringen, in angemessenem Umfang erfolglose Bemühungen unternommen zu haben, um eine Ersatzkraft für den Kläger zu finden. Denn sie hat für einen Zeitraum von insgesamt mehr als drei Monaten eine Stellenanzeige auf ihrer Homepage und auch bei der Bundesagentur für Arbeit geschaltet.
39cc)
40Schließlich ist die Beeinträchtigung des Arbeitszeitkonzepts durch das Teilzeitbegehren des Klägers auch i.S.d. § 8 Abs. 4 S. 2 TzBfG wesentlich für die Organisation und den Arbeitsablauf bei der Beklagten. So kann eine Beeinträchtigung des Arbeitsablaufs dann eintreten, wenn – und das ist vorliegend der Fall – die Tätigkeit des Arbeitnehmers an ein Schichtsystem gebunden ist (Beckschulze DB 2000, 2598 [2602]; Hümmerich/Boecken/Düwell/Michels/Kortmann TzBfG § 8 Rn. 26; LS/Laux TzBfG § 8 Rn. 190; Sievers TzBfG § 8 Rn. 101). Denn der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, vorhandene Schichtsysteme grundlegend zu ändern (Meinel/Heyn/Herms TzBfG/Heyn, 6. Aufl. 2022, TzBfG § 8 Rn. 62, beck-online). Dies wäre vorliegt aber notwendig. Würde nämlich die Beklagte zugleich die Besetzung des Schichtzugs sicherstellen und zugleich auch dem Teilzeitbegehren des Klägers entsprechen wollen, so müsste sie infolge der Verringerung der Arbeitszeit des Klägers dazu übergehen, eine Rufbereitschaft anstelle einer „Doppelbesetzung“ der Schichtmeister einzurichten. Andernfalls wäre die vollkontinuierliche Besetzung des Tanklagers mit einem Schichtmeister nicht gewährleistet.
41II.
42Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. §§ 495, 91 Abs. 1 ZPO. Die Berufung war nicht gesondert zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 64 Abs. 3 ArbGG nicht vorlagen. Die Festsetzung des Streitwerts im Urteil beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 495, 3 ff. ZPO. In Ermangelung anderer Anhaltspunkte ist das Gericht vom Auffangstreitwert des § 23 Abs. 3 RVG ausgegangen.