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Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
Gründe:
2I.
3Die Parteien führen einen Kündigungsrechtsstreit. Der Kläger war zunächst auf Grundlage einer als „Arbeitsvertrag“ überschriebenen Vereinbarung vom 19.04.2012 seit dem 01.05.2012 bei der Beklagten als Unternehmensberater beschäftigt. In März 2019 vereinbarten die Parteien rückwirkend zum 01.07.2018 den Wechsel des Klägers in die Position eines „Senior Partner“ auf dem „Integrative Path“ der Beklagten. In dieser Position beriet er Unternehmen in strategischen Fragen der Geschäftsentwicklung und –ausrichtung. Zur organschaftlichen Vertretung der Beklagten war er nicht berechtigt. In dieser Funktion erhielt der Kläger im Jahr 2023 eine Gesamtvergütung von rund 3.000.000 EUR, die sich zusammensetzte aus einem Fixum in Höhe von 1.850.000 EUR brutto sowie einer variablen Vergütung zuzüglich Aktien sowie Beiträgen zur Altersversorgung und weiteren Versicherungen und finanziellen Leistungen in Höhe von insgesamt umgerechnet ca. 1.150.000 EUR. Für den weiteren Vertragsinhalt wird auf Anlage K 1 zur Klageschrift verwiesen. Mit Schreiben vom 29.04.2024 kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende „Anstellungsverhältnis“ außerordentlich fristlos und erklärte hilfsweise die ordentliche Kündigung zum 31.08.2024, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt.
4Mit seiner am 17.05.2024 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Zudem begehrt er die Erteilung eines Zwischenzeugnisses sowie seine vorläufige Weiterbeschäftigung.
5Die Beklagte hat vorab die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs gerügt.
6Sie behauptet, dass der Kläger in seiner Tätigkeit frei und nicht weisungsgebunden gewesen sei und seinen eigenen Geschäftsbereich und seine Klienten autonom geregelt habe. Er habe insbesondere keinem Weisungsrecht bezüglich Zeit, Dauer und Ort seiner Tätigkeit unterlegen. Seine Dienstreisen habe er nicht genehmigen lassen, sondern diese lediglich nach den Reiserichtlinien abwickeln müssen. Als Senior Partner habe er jederzeit und ohne Beschränkung Urlaub nehmen können, solange er dies mit seinen aktuellen Projekten koordiniert habe. Eine Genehmigung oder Zustimmung habe er für die Urlaubsnahme nicht benötigt. Gemeinsam mit den anderen Senior-Partnern habe er die Verantwortung für den unternehmerischen Erfolg der Gesellschaft getragen und sei als Anteilseigner am Unternehmen beteiligt gewesen. Damit sei er nicht nur an den Gewinnen beteiligt gewesen, sondern habe auch das unternehmerische Risiko vollumfänglich mitgetragen. Entsprechend habe sich auch seine Vergütung von der eines Arbeitnehmers unterschieden.
7Die Beklagte ist der Auffassung, dass zur Streitentscheidung nicht die Arbeitsgerichte, sondern die ordentlichen Gerichte zuständig seien. Der Kläger sei dem Arbeitgeberlager zuzuordnen. Dafür streite die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses. Ergebe sich aus dieser, dass es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis handele, seien die Bezeichnung des Vertrags und die verwendeten Begriffe nicht entscheidend, weil sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehung am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen ließen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen seien.
8Der Kläger ist der Auffassung, der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sei eröffnet, weil zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestehe. Dies ergebe sich bereits aus dem in 2019 geschlossenen Vertrag, der ausdrücklich von einem Arbeitsverhältnis spreche. Anders als im umgekehrten Fall komme es bei ausdrücklicher Vereinbarung eines Arbeitsverhältnisses auf eine abweichende Vertragspraxis nicht an. Zudem sei das Vertragsverhältnis auch tatsächlich als Arbeitsverhältnis durchgeführt worden. Angesichts der Art der geschuldeten Arbeitsleistung und der dafür gezahlten Vergütung verstehe sich von selbst, dass er weitgehend selbständig und weisungsfrei tätig sei. Allerdings habe auch er Einschränkungen unterlegen, etwa bei der Frage, mit welchen der von ihm akquirierten Kunden die Beklagte eine Vertragsbeziehung eingehen wollte. Auch habe sich die Beklagte ausweislich des Arbeitsvertrags das Recht zur Versetzung an einen anderen Ort vorbehalten.
9Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
10II.
11Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist eröffnet. Das Verfahren betrifft eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und seiner Arbeitgeberin über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. b ArbGG und über Arbeitspapiere im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. e ArbGG. Der Kläger war im Kündigungszeitpunkt Arbeitnehmer der Beklagten im Sinne von § 5 Abs. 1 ArbGG.
121. § 5 Abs. 1 ArbGG liegt der allgemeine nationale Arbeitnehmerbegriff zugrunde (hM – vgl. nur BAG, Beschluss vom 9. April 2019 – 9 AZB 2/19 –, Rn. 16 ff, juris; BeckOK ArbR/Clemens, 72. Ed. 1.6.2024, ArbGG § 5 Rn. 1), der seit dem 1. April 2017 durch die Aufnahme des Arbeitsvertrags als eigenständiger Vertragstyp in § 611a BGB gesetzlich kodifiziert ist. Durch den Arbeitsvertrag wird danach der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet (§ 611a Abs. 1 Satz 1 BGB). Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen (Satz 2). Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (Satz 3). Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab (Satz 4). Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen (Satz 5). Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an (Satz 6).
132. Das Vertragsverhältnis der Parteien ist als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren. Es ist nicht erkennbar, dass die Parteien das in 2012 begründete Arbeitsverhältnis durch den in März 2019 geschlossenen Vertrag beendet und stattdessen einen freien Dienstvertrag im Sinne des § 611 BGB begründet hätten.
14Die Vereinbarung aus März 2019 spricht an verschiedenen Stellen ausdrücklich von einem Arbeitsverhältnis. Auch die aufgenommenen Verweise auf Arbeitnehmerschutzvorschriften wie das Mindestlohngesetz (in der Ausschlussfristenregelung auf Seite 9 des Vertrags) und die gesetzlichen Regelungen über die Verlängerung der Kündigungsfristen im Arbeitsverhältnis (auf Seite 10 des Vertrags) zeigen – worauf der Kläger zu Recht hinweist – dass die Parteien ihr Vertragsverhältnis bei Vertragsschluss (weiterhin) als Arbeitsverhältnis qualifizierten. Die Vertragsänderungen sollten zudem zum 01.07.2018 gelten, also auf einen Zeitpunkt rückwirken, zu dem das Arbeitsverhältnis auf der Basis des ursprünglichen Arbeitsvertrags abgewickelt wurde – unter anderem gegenüber den Sozialversicherungsträgern.
15Unabhängig davon, ob bei ausdrücklicher Vereinbarung eines Arbeitsverhältnisses und trotz entgegenstehender Vertragspraxis in jedem Fall oder nur regelmäßig von einem Arbeitsverhältnis auszugehen ist (vgl. BAG, Beschluss vom 8. September 2015 – 9 AZB 21/15 –, Rn. 13, juris und Urteil vom 12. September 1996 – 5 AZR 1066/94 –, BAGE 84, 108-115, Rn. 25), liegen keine hinreichenden Hinweise dafür vor, dass die Parteien trotz entgegenstehender Bezeichnung ein freies Dienstverhältnis begründen (und das bestehende Arbeitsverhältnis beenden) wollten.
16Ein weitgehend weisungsfreies Tätigwerden des Klägers mag für einen geringen Grad an persönlicher Abhängigkeit sprechen, ist jedoch bei der Erbringung hoch qualifizierter Dienstleistungen – wie etwa im Bereich der freien Berufe – auch im Arbeitsverhältnis denkbar. Selbst wenn man im Sinne der Beklagten unterstellen wollte, dass sie seit der Vertragsumstellung gegenüber dem Kläger keinerlei Einzelweisungen hinsichtlich Zeit, Ort und Inhalt der Arbeitsleistung ausgesprochen hat, ist dies angesichts der ausdrücklichen Vertragsabsprachen nicht aussagekräftig in Hinblick auf einen entgegenstehenden Parteiwillen. Denn nicht nur hat sich die Beklagte durch die Qualifizierung des Vertrags als Arbeitsverhältnis mittelbar die Ausübung des arbeitsvertraglichen Weisungsrechts (§ 106 GewO), sondern sich zudem auf Seite 10 des Vertrags ausdrücklich auch eine einseitige Bestimmung des Leistungsorts vorbehalten und den Kläger dynamisch an verschiedenste von ihr bestimmte allgemeine Regelwerke gebunden (vgl. Seite 3 f. des Vertrags) sowie sich die Aussetzung der Beschäftigungspflicht vorbehalten (S. 10 f.). Eine (zeitweise) Nichtausübung dieser Rechte lässt nicht den Rückschluss zu, dass die Vertragsparteien diese tatsächlich nicht zum Inhalt des Vertrags erheben wollten. Dahingestellt bleibt, inwieweit die vom Kläger angesprochenen, möglicherweise subtil oder indirekt vermittelten „Erwartungen“ (vgl. Seite 18 des Schriftsatzes vom 26.07.2024 zu Präsenzerwartungen und Seite 3 des Vertrags: „Als Partner des Unternehmens wird von Ihnen erwartet, dass Sie die Mission und die Werte des Unternehmens verkörpern, die Erwartungen des Unternehmens, wie sie in unserem Führungskräfteentwicklungsmodell […] zum Ausdruck kommen, erfüllen“) eine niederschwellige Art der Weisungsausübung darstellen können.