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1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 29.01.2024 als „Verdachtskündigung“ beschriebene Kündigung fristlos endet.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 29.01.2024 als „Tatkündigung“ beschriebene Kündigung fristlos endet.
3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 31.01.2024 als „Verdachtskündigung“ beschriebene Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2024 endet.
4. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 31.01.2024 als „Tatkündigung“ beschriebene Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2024 endet.
5. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 18.3.2024 ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung beendet worden ist.
6. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Ansprechpartnerin für das Zentrale Beschwerdemanagement im Amt weiter zu beschäftigen.
7. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
8. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
9. Der Streitwert beträgt 34.500 €.
Tatbestand:
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer außerordentlicher Kündigungen sowie über die Weiterbeschäftigung.
3Die dreiundsechzigjährige Klägerin, geschieden, ist bei der Beklagten seit 01.07.2000 beschäftigt. Sie ist Diplom-Verwaltungswirtin und in Entgeltgruppe 12, Stufe 6, des auf das Arbeitsverhältnis kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme anwendbaren TVöD/VKA eingruppiert und erzielt eine Vergütung von ca. 6.000,00 € brutto.
4Die Klägerin gab bei ihrer Einstellung das Gelöbnis nach dem damaligen § 6 BAT ab, dass sie ihre Dienstobliegenheiten gewissenhaft erfüllen und das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland sowie die Gesetze wahren werde.
5Seit 18.02.2019 war die Klägerin im Amt (Umwelt- und Verbraucherschutzamt) tätig und dort zunächst für die Geschäftsführung des Forums W zuständig. Zuletzt ist die Klägerin als Ansprechpartnerin für das Zentrale Beschwerdemanagement im Amt zuständig. Als Beschwerdekoordinatorin ist die Klägerin für die Koordination der Beschwerden zuständig, die innerhalb der eigenen Dienststellen eingehen und nicht unmittelbar der betreffenden Organisationseinheit zugeordnet werden. Ferner nimmt die Klägerin die Koordination und Beantwortung sämtlicher Anfragen zu Grundstücksbelastungen für das Amt wahr.
6Im Oktober 2023 versandte Herr M auf dem Briefkopf des „Düsseldorfer Forums“ einen Brief (hinsichtlich des genauen Inhalts: Bl. 87 f. d.A.), mit dem er zu einem Treffen am 25.11.2023 einlud. Die Klägerin lud er im Oktober 2023 persönlich ein. Sie nahm an dem Treffen teil.
7An dem Treffen in dem Landhotel V in P nahmen neben Herrn G M Ma S, io Mü, R H, G H, U Si, T K, Ul V, Mi Sch und die Klägerin teil. Es wurden Vorträge gehalten, u.a. einer von M S, in dem es u.a. um „Remigration“ ging.
8Die Zusammenkunft wurde durch Recherchen von C bekannt, das das Ergebnis seiner Recherche am 10.01.2024 auf seiner Website unter der Überschrift „Geheimplan gegen Deutschland“ veröffentlichte.
9Die Berichterstattung von C rief in der Öffentlichkeit ein großes Echo hervor und führte zu großen Massenprotesten.
10Der Amtsleiter des Amtes Pe sprach die Klägerin auf ihre Teilnahme an dem Treffen, die auch von C veröffentlicht worden war, am 12.01.2024 an. Sie antwortete, zum Essen eingeladen worden zu sein, von einem Treffen zuvor nichts gewusst zu haben.
11Mit E-Mail der Beklagten vom 17.01.2024 (im Einzelnen Bl. 259f. d.A.) wurde die Klägerin zu dem dringenden Verdacht, dass sie ihre arbeitsvertraglichen Pflichten, insbesondere zur Verfassungstreue, schwerwiegend verletzt und das in sie gesetzte Vertrauen in erheblicher Weise missbraucht habe, angehört und um Stellungnahme gebeten, aus welchem Grunde sie an dem Treffen teilgenommen habe, ob ihr im Vorfeld bekannt war, wer an dem Treffen teilnimmt, ob ihr die Tagesordnung bekannt war.
12Die Klägerin antwortete mit E-Mail vom 18.01.2024, in der sie als Grund für die Teilnahme angab, diese sei „privat“ erfolgt. Die anderen Fragen beantwortete sie mit „nein“. Mit E-Mail vom 24.01.2024 ergänzte sie ihre Stellungnahme (wegen des Inhalts: Bl. 261 f. d.A.).
13Die Beklagte hörte mit Schreiben vom 23. und 24.01.2024 den Gesamtpersonalrat und die Gleichstellungsbeauftragte an und zwar jeweils zu einer Tat- und Verdachtskündigung, fristlos und hilfsweise mit sozialer Auslauffrist. Mit weiterem Schreiben vom 25.01.2024 an Personalrat und Gleichstellungsbeauftragte wurden diese Gremien über die ergänzende Stellungnahme der Klägerin informiert.
14Der Gesamtpersonalrat stimmte den Maßnahmen zu und teilte dies der Beklagten mit Schreiben vom 30.01.2024 mit. Die Gleichstellungsbeauftragte nahm die Anhörungen zur Kenntnis und verzichtete auf eine Stellungnahme.
15Mit zwei Schreiben vom 29.01.2024 kündigte die Beklagte das bestehende Beschäftigungsverhältnis außerordentlich fristlos als Tat- und als Verdachtskündigung.
16Mit zwei weiteren Schreiben vom 31.01.2024 kündigte die Beklagte das bestehende Beschäftigungsverhältnis vorsorglich außerordentlich mit sozialer Auslauffrist als Tat- und als Verdachtskündigung.
17Mit am 30.01.2024 beim Arbeitsgericht eingegangenem und der Beklagten am 05.02.2024 zugestelltem Schriftsatz hat die Klägerin Kündigungsschutzklage gegen die ersten zwei Kündigungen erhoben und die Klage mit Schriftsatz vom 06.02.2024 gegen die weiteren zwei Kündigungen erweitert.
18Die Klägerin beantragte vor dem Arbeitsgericht Köln den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Zahlung von Gehalt sowie Beschäftigung. In diesem Verfahren – 15 Ga 13/24 - reichte die Klägerin zur Glaubhaftmachung eine von ihr unter dem 27.02.2024 unterzeichnete eidesstattliche Versicherung ein, in der sie monatliche Zahlungsverpflichtungen von rund 3.600 € versicherte. Aufwendungen für eine Wohngebäudeversicherung führte sie mit 920,00 € monatlich auf. Mit Schriftsatz vom 05.03.2024 gab sie ihre monatlichen Verpflichtungen hingegen mit 2.528,28 € an.
19Mit Schreiben vom 11.03.2024 hörte die Beklagte die Klägerin zu dem Vorwurf der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung an. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 15.03.2024 wies sie auf ein Versehen hin (im Einzelnen: Bl. 297 d.A.).
20Die Beklagte hörte mit Schreiben vom 12.03.2024 den Gesamtpersonalrat und die Gleichstellungsbeauftragte erneut an zur beabsichtigten weiteren außerordentlichen fristlosen Tat- und Verdachtskündigung sowie Nachschieben eines Kündigungsgrundes. Mit Schreiben vom 18.03.2024 sprach die Beklagte eine weitere außerordentliche fristlose Kündigung aus, gegen die die Klägerin ihre Klage mit Schriftsatz vom 21.03.2024 erweitert hat.
21Die Klägerin ist der Auffassung, dass sämtliche Kündigungen unbegründet, unverhältnismäßig und unwirksam seien.
22Die Klägerin beantragt zuletzt:
231. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 29.01.2024 als „Verdachtskündigung“ beschriebene Kündigung fristlos endet.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 29.01.2024 als „Tatkündigung“ beschriebene Kündigung fristlos endet.
3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis über den 29.01.2024 in ungekündigtem Zustand fortbesteht.
4. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 31.01.2024 als „Verdachtskündigung“ beschriebene Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2024 endet.
5. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 31.01.2024 als „Tatkündigung“ beschriebene Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2024 endet.
6. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Ansprechpartnerin für das Zentrale Beschwerdemanagement im Amt weiter zu beschäftigen.
7. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 18.3.2024 ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung beendet worden ist.
8. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis über den 18.3.2024 hinaus in ungekündigtem Zustand fortbesteht.
Die Beklagte beantragt,
40die Klage abzuweisen.
41Die Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin habe im Zusammenhang mit der Teilnahme an dem „Geheimtreffen“ in P am 25.11.2023 ihre arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblichem Maße verletzt und einen wichtigen Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses gesetzt. Nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei im Falle der Klägerin von einer beamtenähnlichen Treue- und Loyalitätspflicht auszugehen, gegen die sie durch die Teilnahme verstoßen habe.
42Für Beschäftigte der Entgeltgruppe 12, die regelmäßig und typischerweise Führungsaufgaben und hoheitliche Befugnisse ausüben, dürfe die Beklagte dieselben Maßstäbe an die Verfassungstreue ansetzen wie für Beamte. Nach der Entgeltordnung des TVöD/VKA werden Beschäftigte in die Entgeltgruppe 12 eingruppiert, die über eine abgeschlossene Hochschulbildung verfügen und entsprechende Tätigkeiten ausüben sowie Beschäftigte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben, die sich durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung und ein erhebliches Maß an Verantwortung herausheben. Im Regelfall seien dies Tätigkeiten, die mit einer Personalverantwortung und der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben verbunden sind. Es handele sich regelmäßig um Aufgaben, die mit Führungsverantwortung sowie der Fach- und Rechtsaufsicht verbunden seien.
43Die Beklagte ist der Auffassung, aufgrund ihrer Teilnahme an dem Geheimtreffen in P habe die Klägerin erkennbar nach außen zum Ausdruck gebracht, dass sie keine Gewähr dafür biete, stets für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. Sie habe sich mit dort diskutierten verfassungsfeindlichen Plänen gemein gemacht.
44Die Beklagte behauptet, auf dem Treffen sei es in S Vortrag und der darauffolgenden Diskussion um einen sogenannten „Masterplan zur Remigration“ gegangen, der gegen das Grundgesetz verstoße. In rechtsextremen Kreisen – und so auch von S - werde der Begriff „Remigration“ abweichend von der wissenschaftlichen Bedeutung als Kampfbegriff und Euphemismus für Vertreibung und Deportation verwendet. Laut S ziele der „Masterplan“ darauf ab, dass neben Asylbewerbern, Ausländern mit und ohne Aufenthaltstitel auch „nicht assimilierte“ deutsche Staatsangehörige Deutschland verlassen sollen. Kritik an den Ausführungen von S seien in Teilnehmerkreisen nicht aufgekommen, lediglich Zweifel an der Umsetzbarkeit, insbesondere hinsichtlich der beabsichtigten Vertreibung deutscher Staatsangehöriger. Hierzu habe S geäußert, dass die deutsche Staatsangehörigkeit kein Hindernis sei, man müsse einen „hohen Anpassungsdruck“ auf die Menschen ausüben, z.B. über „maßgeschneiderte Gesetze“. Remigration sei nicht auf die Schnelle zu machen, es handele sich um ein „Jahrzehnteprojekt“. Die Umsetzung sei alsdann diskutiert worden.
45Die Beklagte behauptet bzw. „geht davon aus“, dass die Klägerin Kenntnis des Einladungsschreibens Herrn M gehabt und von der Teilnahme S und des Vortragsthemas gewusst habe sowie davon, dass sie einen finanziellen Beitrag für das Treffen geleistet habe. Jedenfalls bestehe der dringende Verdacht. Der Kündigungsvorwurf sei nicht, dass die Klägerin passiv verschiedenen Vorträgen gelauscht habe, sondern dass sie aktiv an einer Vernetzung unterschiedlicher Akteure aus dem rechtsextremen und rechtskonservativen Spektrum teilgenommen habe, welches dem Ziel diente, den „Masterplan Remigration“ voranzutreiben. Hieran habe sich die Klägerin wissentlich und willentlich beteiligt, jedenfalls bestehe ein entsprechender dringender Verdacht.
46Die Beklagte behauptet, das Verhalten der Klägerin habe zu einer konkreten Störung des Arbeitsverhältnisses geführt, die nach der Rechtsprechung des BAG eine außerordentliche oder ordentlich verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen könne. Eine Weiterbeschäftigung der Klägerin, die als Tarifbeschäftigte der Entgeltgruppe 12 des TVöD/VKA eine exponierte Stellung einnehme, würde sowohl innerhalb der Verwaltung als auch bei den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt auf völliges Unverständnis stoßen. Es sei insbesondere den Beschäftigten der Beklagten mit Migrationshintergrund nicht zumutbar, mit der Klägerin weiterhin zusammenzuarbeiten. Sie behauptet, die Mitarbeitenden des Amtes , in dem die Klägerin zuletzt tätig war, hätten dementsprechend gegenüber dem Amtsleiter Herrn Pe deutlich gemacht, dass sie zu einer Zusammenarbeit mit der Klägerin nicht mehr bereit seien.
47Zudem stelle es als nachgeschobenen Kündigungsgrund einen weiteren wichtigen Grund dar, dass die Klägerin gegenüber ihrem Dienstvorgesetzten sowie im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung vor Ausspruch der Kündigung die Unwahrheit gesagt habe.
48Hinsichtlich der weiteren vorsorglich ausgesprochenen Kündigung vom 18.03.2024 ist die Beklagte der Auffassung, dass die außerordentliche fristlose Kündigung aufgrund vorsätzlicher falscher eidesstattlicher Versicherung der Klägerin im Verfahren 15 Ga 13/24 oder dahingehenden dringenden Verdachts wirksam sei.
49Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle verwiesen.
50Entscheidungsgründe:
51A. Die Klage ist – soweit sie zulässig ist – auch begründet.
52I. Die Anträge 2 und 8 sind als allgemeine Feststellunganträge bereits unzulässig; ihnen fehlt es an dem nach § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresse. Ohne Vortrag von Tatsachen, aus denen sich die objektive Gefahr weiterer Auflösungstatbestände und möglicher Folgekündigungen ergäbe, besteht kein Feststellungsinteresse für einen allgemeinen, auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichteten Feststellungsantrag (BAG v. 7.12.1995 - 2 AZR 772/94; ErfK/Kiel, 10. Aufl., § 4 KSchG Rz. 36 ff.). Die Klägerin hat keine eine solche Gefahr nahe legenden Umstände vorgetragen.
53II. Die Kündigungen vom 29.01.2024, vom 31.01.2024 und vom 18.03.2024 haben das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht beendet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung als Ansprechpartnerin für das Zentrale Beschwerdemanagement im Amt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens.
541. Die Kündigungen stellen sich nicht als von Anfang an rechtswirksam nach § 13 Abs. 1 S. 2, § 7, § 4 S. 1 KSchG dar, weil die Klägerin die maßgebliche 3-wöchige Klagefrist versäumt hätte. Die Klägerin hat sich mit der am 30.01.2024 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage gegen die Kündigungen vom 29.01.2024 gewendet sowie mit Klageerweiterung vom 06.02.2024 gegen die Kündigungen vom 31.01.2024 und mit Klageerweiterung vom 21.03.2024 gegen die Kündigung vom 18.03.2024. Damit hat sie die 3-wöchige Klagefrist gewahrt.
552. Die Kündigungen vom 29.01.2024 und vom 31.01.2024 haben das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht außerordentlich fristlos und auch nicht mit sozialer Auslauffrist beendet. Es liegt kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vor, weder als Tat- noch als Verdachtskündigung, weder personen- noch verhaltensbedingt.
56a. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Auf der ersten Stufe muss festgestellt werden, ob der an sich zur außerordentlichen Kündigung geeignete Sachverhalt in dem Streitfall zu einer konkreten Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses führt. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 25. Januar 2018 - 2 AZR 382/17 – juris, Rn. 26; 14. Dezember 2017 - 2 AZR 86/17 - Rn. 27, BAGE 161, 198).
57Der Arbeitgeber kann die Kündigungserklärung auf eine Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat oder eines entsprechenden Verdachtes stützen (BAG vom 16.07.2015, 2 AZR 85/15, juris Rn.38; BAG vom 25.10.2012, 2 AZR 700/11, juris Rn.14). Bei der Prüfung ist das Gericht an die Bewertung des Arbeitgebers, ob eine Tat- oder Verdachtskündigung vorliegt, nicht gebunden. Das gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber sich im Kündigungsschutzprozess nicht auf eine Kündigung wegen erwiesener Tat berufen hat (BAG vom 21.11.2013, 2 AZR 797/11, juris Rn.39; BAG vom 23.06.2009, 2 AZR 447/07, juris Rn.55, 56).
58b. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur sog. funktionsbezogenen Treuepflicht der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (insbesondere BAG, Urteil vom 12. Mai 2011 – 2 AZR 479/09 –, Rn. 20 - 31, juris) gilt Folgendes:
59aa. Bei einem Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele kommt eine Kündigung sowohl unter verhaltensbedingten als auch unter personenbedingten Gesichtspunkten in Betracht. Auch das politische Engagement für eine nicht verbotene, gleichwohl verfassungsfeindliche Organisation kann kündigungsrechtlich beachtlich sein. Die dafür gegebenenfalls erforderlichen Feststellungen sind von dem zur Entscheidung berufenen Gericht eigenständig zu treffen.
60bb. Eine verhaltensbedingte - außerordentliche oder ordentliche - Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei oder Organisation oder wegen deren aktiver Unterstützung setzt voraus, dass durch einen darin liegenden Verstoß gegen die Treuepflicht eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist, sei es im Leistungsbereich, sei es im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich oder im behördlichen Aufgabenbereich.
61cc. Eine personenbedingte Kündigung kommt unabhängig davon in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer aufgrund seiner Aktivitäten jedenfalls die Eignung für die Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit fehlt. Im öffentlichen Dienst kann sich ein Eignungsmangel aus begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue des Arbeitnehmers ergeben. Diese ist Bestandteil des Begriffs „Eignung“ in Art. 33 Abs. 2 GG (vgl. BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - zu C I 1 b der Gründe, BVerfGE 96, 171). Mitgliedschaft und aktives Eintreten des Arbeitnehmers für eine verfassungsfeindliche Organisation können entsprechende Zweifel erwecken. Sie führen aber nicht ohne Weiteres zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Entscheidend ist, inwieweit die außerdienstlichen politischen Aktivitäten in die Dienststelle hineinwirken und entweder die allgemeine Aufgabenstellung des öffentlichen Arbeitgebers oder das konkrete Aufgabengebiet des Arbeitnehmers berühren (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - mwN, aaO). Das wiederum hängt maßgeblich davon ab, welche staatlichen Aufgaben der Arbeitgeber wahrzunehmen hat, welche Verhaltenspflichten dem Arbeitnehmer obliegen und welches Aufgabengebiet innerhalb der Verwaltung er zu bearbeiten hat (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe mwN, juris).
62dd. Verhaltenspflichten der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes sind u.a. in § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L geregelt – bzw. vorliegend in § 3 Abs. 1.1 Satz 2 TVöD/VKA.
63Nach dieser Regelung, die aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zur Anwendung gelangt, sind die Beschäftigten der Beklagten verpflichtet, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen. Eine entsprechende Verpflichtungserklärung hat die Klägerin zudem im Zusammenhang mit ihrer Einstellung abgegeben.
64Allerdings kann diese Erklärung mit ihrer allgemein gehaltenen Formulierung nicht dahin verstanden werden, dass allen Beschäftigten der Beklagten ohne Bezug zu der jeweils auszuübenden Tätigkeit - vergleichbar den Beamten - eine Pflicht zur Verfassungstreue obliegt (grundlegend BAG 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - zu III 1 d der Gründe, BAGE 28, 62; seither st. Rspr. 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe, BAGE 62, 256).
65(1) Beamte unterliegen einer gesteigerten politischen Treuepflicht. Diese fordert ihre Bereitschaft, sich mit der Idee des Staates, dh. seiner freiheitlichen, demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung, zu identifizieren und dafür aktiv einzutreten. Beamte haben sich deshalb von Gruppen und Bestrebungen zu distanzieren, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 („Radikalenerlass“) - zu C I 2 der Gründe, BVerfGE 39, 334).
66(2) Dieser - weite - Umfang der das Beamtenverhältnis prägenden Treuepflicht lässt sich nicht schematisch auf Beschäftigte übertragen, die in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum öffentlichen Arbeitgeber stehen und denen in der Regel keine hoheitlichen Befugnisse übertragen sind (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - zu C I 7 b der Gründe, BVerfGE 39, 334). Bei der Fülle staatlicher Aufgaben gibt es durchaus Bereiche, bei denen es für die konkret geschuldete Arbeitsleistung im Rahmen von Arbeitsverhältnissen nicht auf die von Beamten verlangte besondere politische Loyalität ankommt. In diesen Bereichen können Arbeitnehmer auch dann beschäftigt werden, wenn sie nur ein geringeres Maß an politischer Treue erfüllen. Würde man für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes gleichmäßig und unabhängig von ihrer Funktion das Bestehen einer besonderen politischen Treuepflicht annehmen, so würden damit politische Grundrechte der Arbeitnehmer - die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) und die Freiheit, sich in einer Partei politisch zu betätigen (Art. 21 Abs. 1 GG) - unnötig und unverhältnismäßig eingeschränkt (BAG 5. August 1982 - 2 AZR 1136/79 - zu II 4 a und III 1 b der Gründe, BAGE 40, 1; 29. Juli 1982 - 2 AZR 1093/79 - zu B IV 2 c der Gründe, BAGE 39, 235).
67(3) Das Maß der einem Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes obliegenden Treuepflicht ergibt sich aus seiner Stellung und dem Aufgabenkreis, der ihm laut Arbeitsvertrag übertragen ist (sog. Funktionstheorie, vgl. BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe mwN, BAGE 62, 256). Er schuldet (nur) diejenige politische Loyalität, die für die funktionsgerechte Amtsausübung unverzichtbar ist.
68Trifft den Arbeitnehmer nach der ihm übertragenen Funktion keine Pflicht zu gesteigerter Loyalität, ist er arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, jederzeit und auch außerdienstlich aktiv für den Bestand der politischen Ordnung des Grundgesetzes einzutreten. Je nach Stellung und Aufgabenkreis kann er die Verfassung schon dadurch „wahren“, dass er die freiheitliche demokratische Grundordnung jedenfalls nicht aktiv bekämpft (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe, BAGE 62, 256; 12. März 1986 - 7 AZR 468/81 - zu II 2 c der Gründe, RzK I 1 Nr. 10)
69(BAG, Urteil vom 12. Mai 2011 – 2 AZR 479/09 –, Rn. 20 - 31, juris).
70c. Nach diesen Grundsätzen sind die Kündigungen nicht aus Gründen in der Person der Klägerin gerechtfertigt; auch nicht aufgrund eines dringenden Verdachts.
71aa. Die Klägerin trifft aufgrund ihrer Stellung und dem ihr übertragenen Aufgabenkreis lediglich eine sog. einfache und keine gesteigerte politische Treuepflicht.
72Eine Verpflichtung der Klägerin, wie eine Beamtin jederzeit aktiv für die Grundordnung der Verfassung einzutreten, ergibt sich nicht bereits daraus, dass die Klägerin in Entgeltgruppe 12 eingruppiert ist und dies im Regelfall Tätigkeiten sein sollen, die mit einer Personalverantwortung und der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben bzw. Aufgaben, die mit Führungsverantwortung sowie der Fach- und Rechtsaufsicht verbunden sein sollen.
73Dem Vortrag der Beklagten lässt sich nicht entnehmen, dass für den konkreten, der Klägerin übertragenen Aufgabenbereich ein gesteigertes Maß an Verfassungstreue erforderlich wäre. Weder nimmt die Klägerin tatsächlich hoheitliche Aufgaben wahr noch hat sie Personalverantwortung, noch hat sie eine besondere Vorbildfunktion und/oder Einflussmöglichkeit wie beispielsweise eine Lehrkraft oder Erzieher*in.
74Als Beschwerdekoordinatorin im Umwelt- und Verbraucherschutzamt ist die Klägerin für die Koordination der Beschwerden zuständig, die innerhalb der eigenen Dienststellen eingehen und nicht unmittelbar der betreffenden Organisationseinheit zugeordnet werden. Ferner nimmt die Klägerin die Koordination und Beantwortung sämtlicher Anfragen zu Grundstücksbelastungen für das Amt wahr.
75Für diese der Klägerin übertragenen Aufgaben können auch Arbeitnehmer*innen eingesetzt werden, die ein geringeres Maß an politischer Treue erfüllen.
76Auch daraus, dass die Klägerin aufgrund des Direktionsrechts im öffentlichen Dienst auch auf anderen Arbeitsplätzen mit EG 12 TVöD/VKA einsetzbar ist, ergibt sich keine gesteigerte Treuepflicht. Es kommt auf den tatsächlich übertragenen Aufgabenbereich an. Zudem wäre es jedenfalls ein milderes Mittel, die Klägerin nicht im Rahmen des Direktionsrechts auf eine Tätigkeit, die ein gesteigertes Maß an Verfassungstreue verlangen würde, zu versetzen.
77bb. Unterliegt die Klägerin also nur einer sog. einfachen politischen Treuepflicht, verlangt diese von ihr lediglich die Gewähr, nicht selbst aktiv verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen oder darauf auszugehen, den Staat, die Verfassung oder ihre Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen (BAG vom 05.08.1982 – 2 AZR 1136/79).
78Diese Pflicht wird erst durch ein Verhalten verletzt, das in seinen konkreten Auswirkungen darauf gerichtet ist, verfassungsfeindliche Ziele (…) aktiv zu fördern oder zu verwirklichen (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12; BAG, Urteil vom 12. Mai 2011 – 2 AZR 479/09 –, Rn. 62, juris).
79Solche Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt; auch nicht einen dahingehenden dringenden Verdacht.
80(1) Die Teilnahme an dem Treffen in P am 25.11.2023 ist kein solcher Umstand, ob der Vorwurf als „passives Lauschen verschiedener Vorträge“ bezeichnet wird oder als „aktive Teilnahme an einer Vernetzung unterschiedlicher Akteure aus dem rechtsextremen und rechtskonservativen Spektrum, welches dem Ziel diente, den „Masterplan Remigration“ voranzutreiben“ wie die Beklagte behauptet. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin die schriftliche Einladung Herrn M kannte und auch wusste, wer dort sprechen würde und über welche Themen. Dafür kann auch der von der Beklagten behauptete Inhalt des Vortrags Herrn S und der anschließenden Diskussion zu ihren Gunsten unterstellt werden. Die - als aktiv oder passiv angesehene - Teilnahme lässt zudem nicht per se den weitergehenden Schluss zu, dass die Klägerin sich in innerer Übereinstimmung mit dem Inhalt des oder der Vorträge oder der Diskussionsbeiträge befand.
81(2) Einen (Wort-)Beitrag der Klägerin an der Diskussion, der ein aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele darstellen würde, hat die Beklagte nicht behauptet.
82(3) Der Vortrag der Beklagten, dass sie davon ausgehe bzw. dass ein dringender Verdacht bestehe, dass die Klägerin einen finanziellen Beitrag für das Treffen geleistet habe, bleibt hingegen unkonkret. Zum einen trägt die Beklagte nicht vor, wofür genau die Klägerin möglicherweise einen Beitrag geleistet haben soll und zum anderen trägt sie nichts zu den konkreten Umständen vor. Der Vortrag war daher einer Beweisaufnahme nicht zugänglich.
83d. Die Kündigung ist auch nicht aus im Verhalten der Klägerin liegenden Gründen gerechtfertigt; es besteht auch kein entsprechender dringender Verdacht.
84Es fehlt an einer konkreten Störung des Arbeitsverhältnisses durch die Teilnahme der Klägerin an dem Treffen. Eine solche hat die Beklagte nicht vorgetragen. Ein Unverständnis innerhalb der Verwaltung oder auch bei Bürgern der Stadt an der Teilnahme der Klägerin an dem Treffen reicht hierfür nicht aus; insbesondere deshalb nicht, da die Klägerin als Ansprechpartnerin im internen Beschwerdemanagement des Umweltamts entgegen der Auffassung der Beklagten gerade keine exponierte Stellung bei ihr einnimmt. Da die Kammer - mangels entsprechenden Vortrags der Beklagten - nicht von einem konkreten Beitrag der Klägerin im Rahmen des Treffens in P, der ein aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele darstellen würde, ausgehen konnte, ist eine Unzumutbarkeit der Zusammenarbeit von Beschäftigten mit Migrationshintergrund mit der Klägerin nicht anzunehmen. Im Übrigen würde dies auch nicht pauschal für sämtliche Mitarbeiter der Beklagten ohne jegliche Berührungspunkte mit der Klägerin gelten. Zu einer konkreten Zusammenarbeit hat die Beklagte aber nichts vorgetragen.
85Auch der Vortrag der Beklagten, „die Mitarbeitenden des Amtes “, in dem die Klägerin zuletzt tätig war, hätten gegenüber dem Amtsleiter Herrn Pe deutlich gemacht, dass sie zu einer Zusammenarbeit mit der Klägerin nicht mehr bereit seien, bleibt zu unkonkret und nicht „greifbar“, um eine konkrete Beeinträchtigung darzustellen oder aber eine – wiederum in der Person der Klägerin bedingte - Druckkündigung zu rechtfertigen.
86e. Die Kündigungen sind auch nicht aus wichtigem Grund fristlos gemäß § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt, weil die Klägerin gegenüber ihrem Dienstvorgesetzten sowie im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung vor Ausspruch der Kündigung die Unwahrheit gesagt hätte.
87aa. Eine Lüge könnte nur insoweit pflichtwidrig sein, als der Arbeitnehmer aus vertraglicher Nebenpflicht zur wahrheitsgemäßen Auskunft verpflichtet wäre. Das ist im laufenden Arbeitsverhältnis nicht uneingeschränkt der Fall. Die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers setzt vielmehr ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers voraus.
88Dieses Interesse muss gerade im Zusammenhang mit dem bestehenden Arbeitsverhältnis vorliegen. Da sich die Auskunft nur auf das Bestehen oder den Umfang von Rechten aus dem Arbeitsverhältnis beziehen kann, muss ein Zusammenhang mit der Erfüllung der vom Arbeitnehmer geschuldeten vertraglichen Leistung, mit dessen sonstiger Pflichtenbindung oder mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers bestehen. Ein bloß allgemeiner Zweckzusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis reicht hier nicht aus. Die gesetzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Prozess und gesetzliche Beweislastregeln sind dabei zu berücksichtigen. Die Darlegungs- und Beweissituation darf nicht durch die Gewährung materiellrechtlicher Auskunftsansprüche unzulässig verändert werden. Der Auskunftsanspruch kann nach Treu und Glauben nur da ergänzend eingreifen, wo auch die grundsätzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast einer entsprechenden Korrektur bedarf. Nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG hat der Arbeitgeber die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen. Eine vorprozessuale Auskunftspflicht des Arbeitnehmers stünde hierzu im Widerspruch. Soweit nicht besondere rechtliche Grundlagen bestehen, ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, außergerichtliche Erklärungen zu möglichen Kündigungsgründen abzugeben (BAG 07.09.1995 - 8 AZR 828/93 - BAGE 81, 15 = AP Nr. 24 zu § 242 BGB Auskunftspflicht = DB 1996, 634; Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 29. April 2008 – 5 Sa 181/07 –, Rn. 35 - 36, juris).
89bb. Eine Unwahrheit im Rahmen der Anhörung hat die Beklagte schon nicht dargelegt. Dafür, dass die Klägerin wusste, wer an dem Treffen teilnehmen würde, insbesondere durch Erhalt der schriftlichen Einladung, hat die Beklagte schon keinen konkreten, einem Beweis zugänglichen Vortrag erbracht; auch nicht für einen dringenden dahingehenden Verdacht.
90Sollte die Klägerin gegenüber Herrn Pe am 12.01.2024 tatsächlich gesagt haben, sie habe von dem Treffen im Vorfeld nichts gewusst, hätte sie - ihrem späteren Vortrag folgend –die Unwahrheit gesagt. Die Frage traf die Klägerin allerdings unvorbereitet; im Rahmen der späteren Anhörung räumte sie ein, zu dem Treffen mündlich eingeladen worden zu sein.
91Eine Auskunftspflicht der Klägerin lag jedoch – ausgehend von den oben genannten Grundsätzen - nicht vor. Ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse der Beklagten an der Auskunft ergab sich nicht aus einer Pflicht der Klägerin zu gesteigerter Loyalität ähnlich einem Beamten und der Forderung, sich mit der Idee des Staates, dh. seiner freiheitlichen, demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung, zu identifizieren und dafür aktiv einzutreten. Die Klägerin traf als Ansprechpartnerin für das zentrale Beschwerdemanagement im Umwelt- und Verbraucherschutzamt gerade keine solche Pflicht. Ein berechtigtes Interesse der Beklagten ergab sich vor dem Hintergrund auch nicht aus dem öffentlichen Interesse an dem Treffen in P.
92Insofern kann in der falschen Beantwortung der Frage des Herrn Pe keine Pflichtverletzung der Klägerin gesehen werden.
93cc. Selbst wenn man eine Pflichtverletzung sehen würde, könnte diese aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zur Begründung einer außerordentlichen Kündigung ohne Abmahnung nach einem Bestand des Arbeitsverhältnisses seit dem Jahr 2000 nicht ausreichen.
94Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 16. Dezember 2021 – 2 AZR 356/21 –, Rn. 12). Beides trifft vorliegend nicht zu.
953. Die Kündigung vom 18.03.2024 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ebenfalls nicht außerordentlich fristlos beendet. Es liegt kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vor.
96Die Beklagte wirft der Klägerin vor, in dem Verfahren 15 Ga 13/24 vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben zu haben.
97a. Eine schwerwiegende Pflichtverletzung kann auf erheblicher und schuldhafter Verletzung von vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht und der Loyalitätspflicht beruhen. Entscheidend ist der mit der Pflichtverletzung begangene Vertrauensbruch. Die strafrechtliche Bewertung ist hierbei nicht maßgebend (BAG vom 26.09.2013, 2 AZR 741/12, juris Rn.17; BAG vom 25.10.2012, 2 AZR 700/11, juris Rn.15; LAG Berlin-Brandenburg vom 23.10.2014, 21 Sa 800/14, juris).
98Gibt der Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit dem Arbeitgeber vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung ab, kann dies die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses - womöglich gar die außerordentliche - rechtfertigen (st. Rspr., BAG 24. November 2005 - 2 ABR 55/04 - Rn. 23; 20. November 1987 - 2 AZR 266/87 - zu II 2 a der Gründe mwN). Ein solches Verhalten stellt - unabhängig von seiner Strafbarkeit - eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Nebenpflicht dar, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie in zumutbarem Umfang zu wahren. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer in einem Gerichtsverfahren mit dem Arbeitgeber leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellt, deren Unhaltbarkeit auf der Hand liegt (BAG, Urteil vom 31. Juli 2014 – 2 AZR 434/13 –, Rn. 20, juris).
99Vorsatz besteht im Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Bedingter Vorsatz reicht dafür aus (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 22; 28. April 2011 - 8 AZR 769/09 - Rn. 50; für den Anwendungsbereich von § 156 StGB vgl. Fischer StGB 61. Aufl. § 156 Rn. 17; MünchKommStGB/Müller § 156 Rn. 79). Der an Eides statt Erklärende muss demnach wissen, welche Tatsachen seine Erklärungspflicht begründen. Er muss zudem die Unrichtigkeit seiner Behauptungen erkennen und deren Unwahrheit in seinen Erklärungswillen aufnehmen. Er muss die Unvollständigkeit und Unrichtigkeit zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - aaO) (BAG, Urteil vom 31. Juli 2014 – 2 AZR 434/13 –, Rn. 32, juris).
100b. Die falschen Angaben der Klägerin in der eidesstattlichen Versicherung vom 27.02.2024, insbesondere über die Aufwendungen der Wohngebäudeversicherung sind nicht geeignet, im vorliegenden Fall einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung zu bilden. Die eidesstattliche Versicherung wurde zwar nicht ordnungsgemäß erstellt und enthielt falsche Angaben, die nicht damit zu rechtfertigen sind, dass die Erklärungen im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens „in großer Eile“ gefertigt wurden. Es ist von einem Pflichtverstoß der Klägerin, die diese eidesstattliche Versicherung nicht erstellt, aber doch mit den einleitenden Worten über die Kenntnis der Strafbarkeit unterzeichnet hat, auszugehen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die offenkundig falschen Angaben in der eidesstattlichen Versicherung vorsätzlich erfolgten und auf die Täuschung der erkennenden Kammer ausgerichtet waren. Die Angaben wurden alsbald korrigiert und der Antrag wenig später zurückgenommen. Eine Täuschung ist nicht eingetreten.
101Die Kammer geht vielmehr davon aus, dass die Klägerin bei der Unterzeichnung die Unrichtigkeit der Berechnung nicht erkannt hat. Wie die Beklagte zu Recht schreibt, war klar, dass jedem, der die Berechnung nachvollzieht, sofort hätte ins Auge fallen müssen, dass die Kosten für die Wohngebäudeversicherung kein monatlicher Betrag sein konnten. Dass die Klägerin dies gesehen hat und in ihren Erklärungswillen aufnehmen wollte, ist nicht anzunehmen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Klägerin ihrem Prozessbevollmächtigten „blind“ vertraut und die Angaben nicht überprüft hat. Dieses grob fahrlässige Verhalten stellt eine Pflichtverletzung dar, kann aber aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zur Begründung einer außerordentlichen Kündigung ohne Abmahnung nach dem mehr als 23-jährigen Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht ausreichen.
1024. Aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigungen hat die Klägerin auch den geltend gemachten Anspruch auf Weiterbeschäftigung.
103a. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 27.02.1985 - GS 1/84 - AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14) hat der gekündigte Arbeitnehmer einen allgemeinen Beschäftigungsanspruch außer im Fall einer offensichtlich unwirksamen Kündigung mindestens dann, wenn der Arbeitnehmer im Kündigungsprozess ein obsiegendes Urteil erstreitet. Dieser Beschäftigungsanspruch ist abzuleiten aus den §§ 611, 613, 242 BGB, Art. 1 und 2 GG. Ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers ist grundsätzlich nur bis zur Entscheidung der ersten Instanz im Kündigungsschutzprozess anzuerkennen. Diese Interessenlage ändert sich dann, wenn der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess ein obsiegendes Urteil erstreitet. In diesem Fall kann die Ungewissheit über den endgültigen Prozessausgang für sich allein ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht mehr begründen. Will der Arbeitgeber auch für diesen Fall die Beschäftigung verweigern, so muss er zusätzliche Gründe anführen, aus denen sich sein überwiegendes Interesse an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers ergibt.
104b. So liegt der Fall hier.
105B. Die Kostentragung ergab sich aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Der Streitwert mit insgesamt 5,75 Bruttomonatsgehältern war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen.