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Die Anträge werden abgewiesen.
Gründe
2Die Beteiligten streiten über die Frage der Behinderung der Betriebsratsarbeit und die Rechte aus § 78 Abs. 1 BetrVG im Rahmen einer Unterlassungsklage.
3Die beteiligte Arbeitgeberin ist ein bundesweit tätiges Textilunternehmen. Der Antragsteller ist der bei der Arbeitgeberin in ihrer „Filiale Köln 1“ (xxxxx) gebildete und aus sieben Mitgliedern bestehende Betriebsrat.
4Der Betriebsrat entschied auf Basis seiner Geschäftsordnung, aus Gründen des Infektionsschutzes Betriebsratssitzungen im Rahmen von Videokonferenzen nach § 30 Abs. 2 BetrVG durchzuführen und den Betriebsratsmitgliedern die Teilnahme an diesen Videokonferenzen auch von zu Hause aus zu ermöglichen. Die regelmäßigen Betriebsratssitzungen finden dienstags und donnerstags statt. Dabei befinden sich in der Regel zwei bis drei Betriebsratsmitglieder im Betriebsratsbüro und nehmen von dort aus an den Online-Sitzungen teil.
5Die Arbeitgeberin wies ausweislich der Gehaltsabrechnungen für die Monate November 2021 bis Februar 2022 bei der Betriebsratsvorsitzenden xxxx, dem Betriebsratsmitglied xxxx und dem Ersatzmitglied xxxx „unbez. Fehlzeit“ aus.
6Der Betriebsrat ist der Ansicht, einen Anspruch auf Unterlassung aus § 23 Abs. 3 BetrVG zu haben, weil die Handlungen der Arbeitgeberin einen Verstoß gegen § 78 Satz 1 und Satz 2 BetrVG sowie gegen § 2 Abs. 1 BetrVG darstellten. Der Betriebsrat behauptet hierzu, die Arbeitgeberin habe die Gehaltsabzüge für Zeiten der Teilnahme an Betriebsratssitzungen bzw. Betriebsratsarbeit von zu Hause aus vorgenommen. So hätten auch in den Monaten November 2021 bis Februar 2022 unter anderem die Betriebsratsmitglieder xxxx, xxxx und xxxx an Betriebsratssitzungen von zu Hause aus per Videokonferenz teilgenommen; das Ersatzmitglied xxxx nehme wegen der Verhinderung von ordentlichen Betriebsratsmitgliedern regelmäßig an Betriebsratssitzungen teil. Die Arbeitgeberin versuche auf diesem Wege, also durch Gehaltsabzüge, Betriebsratsmitglieder zu nötigen, ausschließlich in der Filiale aus zu kleinen Räumen heraus an Betriebsratssitzungen teilzunehmen.
7Es handele sich nicht um Fehlzeiten: In den Personaleinsatzplänen würden die Betriebsratsmitglieder für die Ausübung ihrer Betriebsratstätigkeit, insbesondere für die Teilnahme an den regulären feststehenden Betriebsratssitzungen „ausgetragen“ (so der Sprachgebrauch zwischen den Betriebsparteien). Die Arbeitszeiten der Betriebsratsmitglieder an den Betriebsratstagen würden also in die Personaleinsatzpläne eingetragen, jedoch mit dem Kürzel „BR“ versehen. Die Betriebsratsmitglieder mit längerer Arbeitszeit, als die Dauer der jeweiligen Betriebsratssitzungen, erledigten an den Betriebsratstagen nach den Sitzungen in der Regel noch anderweitige Betriebsratsarbeit (zum Beispiel Erstellung des Sitzungsprotokolls).
8Der Betriebsrat beantragt,
91. die Arbeitgeberin zu verpflichten, es zu unterlassen, die nachfolgenden Maßnahmen durchzuführen:
10- Gehaltsabzüge bei Betriebsratsmitgliedern/Ersatzmitgliedern für Zeiten, zu denen sie von zu Hause aus an Betriebsratssitzungen nach § 30 Abs. 2 BetrVG per Video- oder Telefonkonferenz teilgenommen haben,
11- hilfsweise Gehaltsabzüge bei Betriebsratsmitgliedern/Ersatzmitgliedern für Zeiten, zu denen sie von zu Hause aus an erforderlichen Betriebsratssitzungen nach § 30 Abs. 2 BetrVG per Video- oder Telefonkonferenz teilgenommen haben,
12- Gehaltsabzüge bei Betriebsratsmitgliedern/ Ersatzmitgliedern für Zeiten, zu denen sie von zu Hause aus vor oder nach einer Betriebsratssitzung, an der sie nach § 30 Abs. 2 BetrVG per Video- oder Telefonkonferenz teilgenommen haben, erforderliche Betriebsratstätigkeit im Sinne von § 37 Abs. 2 BetrVG ausgeübt haben,
132. der Beteiligten zu 2. für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtungen aus Ziffer 1 ein Ordnungsgeld bis zu einer Höhe von 10.000,00 € anzudrohen,
14Die Arbeitgeberin beantragt,
15die Anträge abzuweisen.
16Die Arbeitgeberin behauptet, die „Gehaltsabzüge“ seien nicht vorgenommen worden, weil die betreffenden Betriebsratsmitglieder von zu Hause aus an (angeblichen) Betriebsratssitzungen teilgenommen hätten. Vielmehr sei für sie als Arbeitgeberin bei der Wahrnehmung (angeblicher) Betriebsratstätigkeit von zu Hause aus mangels Ab- und Anmeldung nicht erkennbar, ob die Betriebsrats-bzw. Ersatzmitglieder einer angeblichen Betriebsratstätigkeit nachgegangen oder schlicht unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben sind.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des wechselseitigen Beteiligtenvorbringens wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung geworden sind, Bezug genommen.
18II.
19Die Anträge sind zulässig, aber unbegründet.
201. Der Betriebsrat ist antragsbefugt iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG. Er macht den Unterlassungsanspruch als - nach seiner Auffassung aus § 78 BetrVG folgendes - eigenes Recht geltend. Es erscheint nicht von vornherein als aussichtslos, den streitbefangenen Anspruch auf diese kollektivrechtliche Schutzbestimmung zu stützen. Ob das vom Betriebsrat verfolgte Recht tatsächlich besteht, ist eine Frage der Begründetheit.
212. Die Anträge sind jedoch unbegründet. Entgegen der Ansicht des Betriebsrats kann der geltend gemachte Anspruch nicht auf § 78 Satz 1 BetrVG gestützt werden.
22Zu Gunsten des Betriebsrats kann unterstellt werden, dass die Arbeitgeberin in der Vergangenheit Gehaltsabzüge bei Betriebsratsmitgliedern für Zeiten vorgenommen hat, in denen diese an Betriebsratssitzungen per Videokonferenz von zu Hause aus teilgenommen haben bzw. von dort aus erforderliche Betriebsratstätigkeit ausgeführt haben. Ob dadurch eine Behinderung der Betriebsratsarbeit eingetreten ist, kann jedoch dahinstehen. Jedenfalls trägt § 78 Satz 1 BetrVG die vom Betriebsrat erstrebte Rechtsfolge nicht.
23a. Allerdings ist auch der Betriebsrat und nicht nur seine Mitglieder vom Schutz des § 78 Satz 1 BetrVG erfasst. Zwar dürfen nach dem Wortlaut von § 78 Satz 1 BetrVG die „Mitglieder“ ua. des Betriebsrats in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden. § 78 Satz 1 BetrVG schützt aber (auch) den Betriebsrat als Gremium (vgl. BAG 12. November 1997 - 7 ABR 14/97 - zu B 1 der Gründe).
24Die Norm bezweckt einen Schutz der Tätigkeit der Betriebsverfassungsorgane und ihrer Mitglieder. Auch ist der Begriff der Behinderung in § 78 Satz 1 BetrVG umfassend zu verstehen. Er erfasst jede unzulässige Erschwerung, Störung oder gar Verhinderung der Betriebsratsarbeit. Ein Verschulden oder eine Behinderungsabsicht des Störers ist nicht erforderlich (vgl. BAG 20. Oktober 1999 - 7 ABR 37/98 - zu B I 2 b bb der Gründe mwN). Es ist letztlich nicht entscheidend, ob die Betriebsratsarbeit dadurch behindert wird, dass die Betriebsratsmitglieder bei Teilnahme an Betriebsratssitzungen von zu Hause aus mit einem Gehaltsabzug rechnen müssen. Jedenfalls folgt aus § 78 Abs. 1 BetrVG kein Anspruch des Betriebsrats auf ein Unterlassen solcher Abzüge.
25b. Eine Rechtsfolge ist in § 78 Satz 1 BetrVG nicht ausdrücklich geregelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht dem Betriebsrat bei einer Störung oder Behinderung seiner Arbeit durch den Arbeitgeber ein Unterlassungsanspruch zu. Ein solcher Anspruch folgt aus dem Zweck der Vorschrift, die Erfüllung von Betriebsratsaufgaben zu sichern (vgl. BAG 12. November 1997 - 7 ABR 14/97 - zu B 2 der Gründe mwN). Im Schrifttum wird ebenso ganz überwiegend angenommen, dass aus § 78 BetrVG Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungsansprüche des Betriebsrats und seiner Mitglieder folgen können (BAG v. 04.12.2013- 7 ABR 7/12 Rn. 39 m.w.N. nach juris).
26c. Der Betriebsrat hat jedoch keinen aus § 78 Satz 1 BetrVG folgenden Anspruch auf Unterlassung von Gehaltsabzügen bei einem Betriebsratsmitglied. Der hier gestellte Unterlassungsantrag entspricht dem parallel gestalteten Anspruch des Betriebsratsmitglieds aus § 37 Abs. 2 BetrVG, worauf bereits das Landesarbeitsgericht in dem einstweiligen Verfügungsverfahren 5 TaBVGa 1/22 unter dem 25.03.2022 hingewiesen hatte, und ist im Ergebnis auf die Zahlung der Vergütung gerichtet. Denn der Arbeitgeber kann der Unterlassungsverpflichtung nur entsprechen, indem er die Vergütung zahlt. Hierbei handelt es sich aber um ein höchstpersönliches Recht des betroffenen Betriebsratsmitglieds aus § 37 Abs. 2 BetrVG. Diese Vorschrift schließt ausdrücklich eine Minderung des Arbeitsentgelts für erforderliche Betriebsratsarbeit aus, und ist damit ebenfalls als Unterlassungsverpflichtung formuliert, nämlich die Minderung zu unterlassen, begründet aber unzweifelhaft einen Entgeltanspruch. Die Vorschrift konkretisiert nach allgemeiner Auffassung hinsichtlich der Vergütung das allgemeine Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG (BAG 28.6.1995 – 7 AZR 1001/94, NZA 1996, 252; 29.4.2015 – 7 AZR 123/13, NZA 2015, 1328; 18.5.2016 – 7 AZR 401/14, NZA 2016, 1212; Fitting/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, 31. Aufl. 2022, BetrVG § 37 Rn. 57). Der Anspruch auf „Unterlassung des Gehaltsabzugs“ steht damit aus § 37 Abs. 2 BetrVG unmittelbar dem einzelnen Betriebsratsmitglied zu.
27d. Dem Betriebsrat kommt vor diesem Hintergrund kein kollektivrechtlich begründetes Recht zu, hinter dem die Individualrechte der Betriebsratsmitglieder zurückzutreten hätten. Zwar betrifft die Frage der Teilnahmemöglichkeit an Betriebsratssitzungen und erforderlicher Betriebsratstätigkeit den Betriebsrat in eigenen Rechten, da die ihm als Gremium obliegenden Aufgaben von seinen Mitgliedern oder unter deren Mitwirkung wahrgenommen werden und er selbst deshalb auf deren Arbeitsbefreiung angewiesen ist (BAG v. 21.03.2017, 7 ABR 17/15; NZA 2017, 1014, Rn. 22, beck-online). Der Anspruch auf Unterlassung der Minderung des Arbeitsentgelts und damit die Vergütung stehen aber dem Betriebsratsmitglied in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer zu und betrifft den Betriebsrat damit nicht unmittelbar (BAG v. 21.03.2017, 7 ABR 17/15; NZA 2017, 1014, Rn. 22, beck-online). Die Ansprüche sind im Streitfall vom einzelnen Betriebsratsmitglied einzuklagen (Fitting/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, 31. Aufl. 2022, BetrVG § 37 Rn. 254).
28e. Nach Auffassung der Kammer kann der Unterlassungsanspruch des Betriebsrats in diesem Fall aber auch nicht neben dem Anspruch des Betriebsratsmitglieds stehen. Vielmehr schließt § 37 Abs. 2 BetrVG als speziellere Vorschrift einen Anspruch des Betriebsrats auf die begehrte Unterlassung aus. Die Rechte des Betriebsrats und der Betriebsratsmitglieder aus § 78 Satz 1 BetrVG bezogen auf die Vergütung werden ausschließlich durch § 37 Abs. 2 BetrVG gesichert und können nicht zusätzlich durch den Betriebsrat geltend gemacht werden.
29Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Das Betriebsratsmitglied muss die Voraussetzungen für seinen Anspruch aus § 37 Abs. 2 BetrVG darlegen und ggf. beweisen, wenn auch unter Berücksichtigung einer abgestuften Darlegungslast (GK-BetrVG/Weber Rn. 320; Däubler SR 2017, 85 [97]; BAG 15.3.1995 – 7 AZR 643/94, AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 105; zust. Küttner Personalbuch Betriebsratsfreistellung Rn. 22; Fitting/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, 31. Aufl. 2022, BetrVG § 37 Rn. 254). Hierzu gehört sowohl die Darlegung der Voraussetzungen für die Arbeitsbefreiung wie auch andere Voraussetzungen wie z.B. die Einhaltung einer Ausschlussfrist. Diese Voraussetzungen wären bei Vorliegen eines Unterlassungstitels des Betriebsrats in gleichem Umfang im Rahmen der Zwangsvollstreckung zu prüfen. Dies begründet die Gefahr unterschiedlicher Entscheidungen. Bei gleichzeitiger Einleitung eines Urteils- und eines Beschlussverfahren (zB Geltendmachung von Auslagen und Lohnansprüchen anlässlich einer Schulungsteilnahme in unterschiedlichen Verfahren) ist anerkannt, dass es zum Zwecke der Vermeidung unterschiedlicher Entscheidungen zulässig ist, das Urteilsverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Beschlussverfahrens auszusetzen (Dütz Anm. zu BAG 17.9.1974 – 1 AZR 574/73, AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 17; Fitting/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, 31. Aufl. 2022, BetrVG § 37 Rn. 253). Dies betrifft aber Fälle, in denen es nicht um den gleichen Anspruch sondern lediglich um die gleiche Vorfrage geht. Ein entsprechendes Vorgehen ist in der hier vorliegenden Konstellation nicht möglich, da es sich gerade nicht um unterschiedliche Ansprüche handelt, da entscheidend jeweils das Bestehen des Vergütungsanspruchs ist, und sich die Verfahren zudem in unterschiedlichen Stadien befinden. Eine Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen ist damit nur gewährleistet, wenn im Anwendungsbereich des § 37 Abs. 2 BetrVG ein Unterlassungsanspruch nach § 78 S. 1 BetrVG ausgeschlossen ist.