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1. Die mündliche Verhandlung beginnt im arbeitsgerichtlichen Verfahren nach § 54 Abs. 1 ZPO mit dem Gütetermin vor dem Vorsitzenden. Es liegt insoweit eine bewusste Abweichung zu § 137 Abs. 1 ZPO vor. 2. Der arbeitsgerichtliche Gütetermin ist eine mündliche Verhandlung im Sinne des § 251a Abs. 2 ZPO. 3. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren kann daher grundsätzlich bereits im ersten Kammertermin eine Entscheidung nach Lage der Akten ergehen. Bedenken hinsichtlich der Bestimmheit des Streitgegenstandes bestehen nicht.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 10.05.2012 nicht beendet wurde.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Lager- und Transportarbeiter weiter zu beschäftigen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 10 % und die Beklagte zu 90 %.
Streitwert: 13.706,24 Euro
Tatbestand
3Der am .1971 geborene Kläger ist seit dem 27.11.1989 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern als Lager- und Transportarbeiter zu einen Monatsgehalt von zuletzt 3.426,56 Euro brutto beschäftigt.
4Die Beklagte beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer, ein Betriebsrat existiert.
5Mit Schreiben vom 10.05.2012 kündigte die Beklagte dem Kläger zum 31.12.2012.
6Mit der am 31.05.2012 erhobenen Kündigungsschutzklage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung. Er hält sie für sozial ungerechtfertigt. Zudem bestreitet er die ordnungsgemäße Sozialauswahl und die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates.
7Nachdem am 13.07.2012 ein Gütetermin stattgefunden hat, in dem die Sach- und Rechtslage erörtert wurde, ist die Beklagte zum Kammertermin am 20.02.2013 nicht erschienen.
8Der Kläger beantragt im Wege einer Entscheidung nach Lage der Akten,
91. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 10.05.2012 nicht beendet wurde;
102. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Lager- und Transportarbeiter weiter zu beschäftigen.
11Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Die Beklagte behauptet, dass ihr Geschäftsbetrieb in Bergisch Gladbach ausschließlich auf den Kunden N. ausgerichtet sei. Dieser habe sich entschlossen, zum Ende des 2. Quartals 2012 die Produktion unrentabler Produkte einzustellen. Hierdurch käme es auch bei der Beklagten zu Auftragsverlusten, von denen 33 Mitarbeiter betroffen seien. Mit ihrem Betriebsrat habe sie einen Interessenausgleich mit Namensliste geschlossen.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe
16Die Klage ist begründet.
17I.
18Die Kammer konnte auf Antrag des Klägers nach §§ 331a, 251a Abs. 2 ZPO, 46 Abs. 2 ArbGG nach Lage der Akten entscheiden, da die Beklagte im Kammertermin ausgeblieben ist und der Sachverhalt für eine derartige Entscheidung hinreichend geklärt ist.
19a) Die Frist zur Anberaumung eines Verkündungstermins frühestens in zwei Wochen nach dem Verhandlungstermin wurde eingehalten (§§ 331a S. 1, 251 a Abs. 2 S. 2 ZPO). Der Verkündungstermin wurde der Beklagten am 20.02.2013 per Telefax mitgeteilt.
20b) Es war auch nach § 251a Abs. 2 S. 1 ZPO in einem früheren Termin mündlich verhandelt worden, nämlich im Gütetermin am 13.07.2012, in dem die Sach- und Rechtslage erörtert wurde.
21Denn die mündliche Verhandlung beginnt im arbeitsgerichtlichen Verfahren nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 54 Abs. 1 ArbGG bereits mit der Güteverhandlung vor dem Vorsitzenden. Dementsprechend kann schon im ersten Kammertermin eine Entscheidung nach Aktenlage ergehen (vgl. LAG Hessen v. 31.10.2000 –9 Sa 2072/99–; LAG Berlin v. 03.02.1997 –9 Sa 133/96–; Germelmann, 6. Aufl., § 59 ArbGG Rn. 21; BeckOK/Hamacher, § 59 ArbGG Rn. 46; Musielak/Stadler, 6. Aufl., § 251a ZPO Rn. 2; Baumbach, 65. Aufl., § 251a ZPO Rn. 17; Lepke DB 1997, 1564 ff.; Gravenhorst in jurisPR-ArbR 31/2011 Anm. 6; a.A. LAG Hamm v. 04.03.2011 –18 Sa 907/10–).
22Die Abweichung zum Verfahren vor den ordentlichen Gerichten, bei denen die mündliche Verhandlung nach § 137 Abs. 1 ZPO erst mit dem Stellen der Anträge beginnt, ist dem arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 Abs. 1 ArbGG) geschuldet. Den Parteien soll nicht die Möglichkeit gegeben werden, den Rechtsstreit durch die oftmals folgenlose Säumnis zu verzögern.
23Dass der Beginn der mündlichen Verhandlung durch den Gesetzgeber bewusst vorverlagert wurde, zeigt sich auch an der abweichenden Regelung zur Klagerücknahme ohne Einwilligung des Gegners: Während sie im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung (§ 269 Abs. 1 ZPO) möglich ist, kann sie im arbeitsgerichtlichen Verfahren aufgrund des früheren Beginns der mündlichen Verhandlung noch bis zum Stellen der Anträge erfolgen (§ 54 Abs. 2 ArbGG).
24Soweit das LAG Hamm (a.a.O.) entgegen des klaren und eindeutigen Gesetzeswortlauts die Güteverhandlung nicht für eine mündliche Verhandlung im Sinne des Gesetzes hält, kann dem nicht gefolgt werden. Wie Gravenhorst (a.a.O.) zu Recht anführt, fehlen der Entscheidung bei genauerer Betrachtung tragfähige Argumente.
25Das LAG Hamm begründet seine abweichende Auffassung im Wesentlichen mit der seiner Ansicht nach fehlenden Bestimmtheit des Streitgegenstands bei einer fehlenden Sachantragstellung in der mündlichen Verhandlung. Dies überzeugt nicht, denn der Streitgegenstand einer Klage wird nicht erst durch die Antragstellung im Termin bestimmt, sondern steht ab Rechtshängigkeit der Klage fest, natürlich vorbehaltlich späterer Klageänderungen (Gravenhorst a.a.O.). Ansonsten dürfte bei klägerischer Säumnis auch kein klageabweisendes Versäumnisurteil erlassen werden. Denn hinsichtlich der Bestimmtheit des Streitgegenstandes macht es prozessual keinen Unterschied, ob die erschienene Partei ein Versäumnisurteil oder eine Entscheidung nach Lage der Akten beantragt.
26Dass für die Bestimmung des Streitgegenstandes eine Sachantragstellung in der mündlichen Verhandlung nicht notwendig ist, ergibt sich zudem aus mehreren zivilprozessualen Vorschriften, die eine Entscheidung sogar ohne mündliche Verhandlung zulassen, beispielsweise §§ 128 Abs. 2, 495a ZPO, § 83 Abs. 4 ArbGG. Denn ansonsten wären diese Entscheidungen mangels Bestimmtheit des Streitgegenstandes niemals der Rechtskraft fähig.
27Wenn sogar in Zivilverfahren ohne mündliche Verhandlung der Streitgegenstand aufgrund des schriftlichen Antrags hinreichend bestimmt ist, dann erst recht bei der Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Gütetermin.
28In der vorliegenden Konstellation, nämlich bei einer Säumnis der Beklagten, stellt sich das vermeintliche Problem eines nicht hinreichend bestimmten Streitgegenstandes ohnehin nicht. Denn der Kläger, der letztlich den Streitgegenstand bestimmt, hat seine Anträge im Kammertermin zu Protokoll erklärt.
29Wieso das LAG Hamm in diesem Zusammenhang den Grundsatz des § 308 ZPO („ne ultra petita“) erwähnt, ist nicht erkennbar (so auch Gravenhorst a.a.O.).
30Auch das weitere Argument, dass die Parteien das Vorbringen in ihren zwischen Güte- und Kammertermin eingereichten Schriftsätzen nicht mündlich erörtern konnten, verfängt nicht. Denn ansonsten könnte selbst in einem zweiten Kammertermin –nach mündlicher Antragstellung im ersten Kammertermin– keine Entscheidung nach Lage der Akten ergehen, wenn nach dem ersten Kammertermin noch ein Schriftsatz eingereicht würde.
31Zudem ist bei einer Aktenlageentscheidung –wie der Name schon sagt– der Inhalt der Akte Grundlage der Entscheidungsfindung und eben nicht die mündliche Verhandlung (vgl. BVerfG v. 27.07.2004 –1 BvR 801/94–).
32Ebenfalls ist es kein Hindernis, dass die ehrenamtlichen Richter, die an der Güteverhandlung nicht beteiligt waren, von ihrem Fragerecht keinen Gebrauch machen konnten. Dies liegt bei einer Säumnis in der Natur der Sache. Selbst bei der vom LAG Hamm offenbar für zulässig erachteten Aktenlageentscheidung im zweiten Kammertermin wäre dies der Fall, da es aufgrund der Regelungen des Geschäftsverteilungsplans reiner Zufall wäre, dass dieselben ehrenamtlichen Richter bereits im ersten Kammertermin mitgewirkt hätten. Einer Entscheidung nach Aktenlage stünde schließlich noch nicht einmal ein Wechsel des Kammervorsitzenden nach der Güteverhandlung entgegen (vgl. Zöller/Vollkommer, § 309 ZPO Rn. 6; Zöller/Greger, § 251a ZPO Rn. 9; BVerfG v. 27.07.2004 –1 BvR 801/94–).
33c) Die Beklagte hat auch nicht nach § 251a Abs. 2 S. 4 ZPO dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie ohne ihr Verschulden ausgeblieben ist und die Verlegung des Termins nicht rechtzeitig beantragen konnte.
34Die Beklagte wurde durch verkündeten Beschluss vom 20.02.2012 ordnungsgemäß zum Kammertermin geladen.
35Selbst wenn man die Aufführungen der Beklagten in dem Schriftsatz vom 01.03.2013 als zutreffend unterstellt, trifft die Beklagte ein Verschulden.
36Offensichtlich hat der von ihr bevollmächtigte Mitarbeiter X., der auch den Gütetermin wahrgenommen hat, die Akte bis November 2012 –zu diesem Zeitpunkt war die Klageerwiderungsfrist längst abgelaufen– einfach liegen gelassen. Danach wurde sie nach eigenen Angaben zwischen verschiedenen Konzernunternehmen umher geschickt, ohne dass sich ihr jemand annahm.
37Damit hat die Beklagte selbst belegt, dass sie zumindest ein fahrlässiges Organisationsverschulden trifft, da sie bei der Bearbeitung ihrer Rechtsangelegenheiten nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt angewendet hat.
38II.
391. Der Klageantrag zu 1) ist begründet. Die Kündigung der Beklagten vom 10.05.2012 ist unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet.
40Die Kündigung ist nach § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, weil sie sozial ungerechtfertigt i.S.v. § 1 Abs. 2, Abs. 3 KSchG ist.
41a) Die Beklagte hat dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in ihrem Betrieb entgegenstehen, nicht ausreichend dargetan.
42Ein betriebsbedingter Kündigungsgrund kann sich aus außerbetrieblichen Umständen ergeben, wenn nämlich der Arbeitgeber, wie im Fall eines schlichten Auftragsverlustes, die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer unmittelbar an die verbliebene bzw. vorhandene Arbeitsmenge anpassen will, die sich aus dem verringerten Auftragsbestand und dem daraus resultierenden verringerten Arbeitsvolumen ergibt. Ein Auftragsrückgang stellt insoweit ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung dar, wenn der Arbeitsanfall so zurückgegangen ist, dass zukünftig für einen oder mehrere Arbeitnehmer kein Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung mehr besteht.
43Die Kammer hält es zwar für nachvollziehbar, dass sich die Einstellung der Produktion unrentabler Produkte durch den Auftraggeber N. letztlich auf den Beschäftigungsbedarf bei der Beklagten auswirkt.
44Jedoch fehlt seitens der Beklagten ein substantiierter Vortrag dazu, wie sich diese teilweise Produktionseinstellung auf die Aufträge der Beklagten und damit konkret auf den Beschäftigungsbedarf auswirkt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb der Beschäftigungsbedarf für 33 Arbeitnehmer entfallen soll und wie die Beklagte überhaupt zu dieser Zahl kommt.
45b) Zudem hat die Beklagte trotz ausdrücklicher Rüge des Klägers ihre Sozialauswahl nicht offengelegt. Sie hat nur eine Liste eingereicht, auf der die Namen der Mitarbeiter unkenntlich gemacht wurden (Bl. 34 GA). Im Gütetermin hat der Beklagtenvertreter zudem ausdrücklich erklärt, dass die Beklagte die Sozialauswahl „aus Datenschutzgründen“ nicht weiter darlegen möchte.
46In Konsequenz dessen konnte die Kündigung keinen Bestand haben.
47c) Die Beklagte kann sich ebenfalls nicht auf einen Interessenausgleich mit Namensliste im Sinne des § 1 Abs. 5 KSchG berufen, da sie diesen trotz Hinweises der Kammer nicht vorgelegt hat. Vielmehr hat sie auch hierzu im Gütetermin erklärt, dass sie ihn „aus Datenschutzgründen“ nicht vorlegen möchte. Die Beklagte ist selbstverständlich nicht verpflichtet, den Interessenausgleich mit Namensliste vorzulegen. Jedoch kann sie sich dann nicht dessen Vermutungswirkung zunutze machen.
482. Der Klageantrag zu 2) ist begründet. Wegen der festgestellten Unwirksamkeit der Kündigung hat der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte auf Weiterbeschäftigung nach den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung vom 27.02.1985 entwickelten Grundsätzen (vgl. BAG, Großer Senat, Beschluss vom 27.02.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Von der Beklagten wurden keine besonderen Umstände vorgetragen, die ihr ausnahmsweise eine Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Eintritt der Rechtskraft dieser Entscheidung über das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen.
49III.
50Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO. Die Streitwertfestsetzung hat ihre gesetzliche Grundlage in den §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ff. ZPO.
51Rechtsmittelbelehrung
52Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei Berufung eingelegt werden. Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
53Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat schriftlich beim Landesarbeitsgericht Köln, Blumenthalstraße 33, 50670 Köln eingegangen sein.
54Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
55Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
561. Rechtsanwälte,
572. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
583. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
59Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.