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Kein Leitsatz
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 810,46 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus einem Betrag von 243,70 seit dem 01.07.2007, aus einem Betrag in Höhe von 141,69 seit dem 01.08.2007, aus einem Betrag von 141,69 seit dem 01.09.2007, aus einem Betrag von 141,69 seit dem 01.10.2007 sowie aus einem Betrag von 141,69 seit dem 01.11.2007 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab dem 01.11.2007 mindestens bis zur nächsten Leistungsbeurteilung eine Leistungszulage in Höhe von 644,79 brutto monatlich zu zahlen und den Eurowert dieser Leistungszulage ab dem 01.07.2007 bei der Berechnung von variablen Entgeltbestandteilen, Durch-schnittsvergütungen und Sonderzahlungen zu berücksichtigen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Der Streitwert wird auf 5.100,84 festgesetzt.
T a t b e s t a n d :
2Die Parteien streiten über die Höhe einer Zulage im Zusammenhang mit der Einführung des tariflichen Entgeltrahmenabkommens (ERA).
3Der Kläger steht seit 1995 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten, in deren Betrieb ungefähr 200 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Der Betrieb der Beklagten fällt in den Geltungsbereich der Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens. Die Tarifverträge finden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Die bisherige Leistungszulage des Klägers belief sich auf 644,79 .
4Die Beklagte betrieb zum Stichtag 1. März 2007 die Einführung des tariflichen Entgeltrahmenabkommens (ERA). Hierzu sieht der Einführungstarifvertrag vor, dass die bisherige tarifliche Leistungszulage ohne neue Leistungsbeurteilung mit unverändertem Euro-Wert in die ERA-Leistungszulage zu überführen ist.
5Die Beklagte führte sodann im Frühjahr 2007 die jährliche, tariflich normierte Leistungsbeurteilung durch. Die Leistungsbeurteilung des Klägers in Punkten veränderte sich nicht zum Vorjahr. Als weiteres Ergebnis teilte die Beklagte dem Kläger am 25. Juni 2007 mit, dass die betriebliche Gesamtsumme der ermittelten Leistungszulagen erheblich über 11 %, nämlich bei 14,68 % liege, und dass man sich deshalb entschlossen habe, den Korrekturfaktor anzuwenden, ... indem die erreichte Punktzahl betriebseinheitlich mit einem niedrigeren Faktor multipliziert werde. Dies führe zu einer verminderten Leistungszulage für den Kläger von 503,10 .
6Der Kläger hält diese Kürzung für tarifwidrig. Er beruft sich insoweit auf § 10 Nr. 10 Abs. 6 ERA. Diese Vorschrift lautet: Liegt die betriebliche Gesamtsumme der ermittelten Leitungszulagen oberhalb von 11 %, so ist der Arbeitgeber berechtigt, sie durch entsprechende Reduzierung des in Abs. 1 genannten Faktors auf 11 % zu korrigieren (dies darf bei Beschäftigten, deren Punktzahl nach der Neubeurteilung gleich geblieben oder gestiegen ist, nicht zu einer Minderung des Euro-Betrages ihrer Leistungszulage führen).
7Der Kläger meint, die Bestimmung sei eine Sicherungsklausel, so dass bei gleicher oder höher ermittelter Punktzahl keine Minderung des Zahlbetrags zulässig sei, jedenfalls dann, wenn nach der Maßgabe des früheren Tarifvertrags eine Bewertung stattgefunden habe.
8Der Kläger beantragt
91. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn 810,46 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus einem Betrag in Höhe von 243,70 seit dem 01.07.2007, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus einem Betrag in Höhe von 141,69 seit dem 01.08.2007, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus einem Betrag in Höhe von 141,69 seit dem 01.09.2007, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus einem Betrag in Höhe von 141,69 seit dem 01.10.2007, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus einem Betrag in Höhe von 141,69 seit dem 01.11.2007 zu zahlen.
102. Die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 01.11.2007 mindestens bis zur nächsten Leistungsbeurteilung eine Leistungszulage in Höhe von 644,79 brutto monatlich zu zahlen und den E-Wert dieser Leistungszulage ab dem 01.07.2007 bei der Berechnung von variablen Entgeltbestandteilen, Durchschnittsvergütungen und Sonderzahlungen zu berücksichtigen.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Die Beklagte meint, die Sicherungsklausel finde bei der ersten Beurteilung nach ERA aus sprachlichen Gründen keine Anwendung, da es sich nicht um eine "Neubeurteilung" handele; der neue Tarifvertrag entkoppele die Beurteilungskriterien vom (bisher) gezahlten Entgelt.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
15Die Klage ist mit beiden Anträgen zulässig und begründet. Die Kammer schließt sich den Entscheidungen der 16. und 17. Kammer an (ArbG Köln 29. Mai 2008 - 17 Ca 9291/07).
16I. Der Antrag zu 1. ist begründet.
171. Der Kläger kann von der Beklagten ab dem 1. Juni 2007 bis zum 31. Oktober 2007 den zusätzlichen Betrag von monatlich 141,69 , also insgesamt 708,45 , aus § 10 Nr. 10 Abs. 6 ERA verlangen.
18a) Bei der Auslegung eines Tarifvertrags ist zunächst vom Wortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften, um auf diese Weise Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend zu ermitteln; dabei kann zur Erreichung zweifelsfreier Auslegungsergebnisse auf weitere Kriterien abgestellt werden, zum Beispiel die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 20. Februar 2008 - 10 AZR 119/07 - BeckRS 2008, 51737).
19b) Damit greift entgegen der Ansicht der Beklagten die Lohnsicherungsklausel.
20aa) Der Wortlaut von § 10 Nr. 10 Abs. 6 ERA ist eindeutig. Er geht bei der Neubeurteilung von der Lohnsicherung aus. Neubeurteilung lässt sich auch nicht als Wiederbeurteilung verstehen. Neubeurteilung bedeutet die erste Beurteilung unter der Anwendung des Tarifvertrags.
21bb) Auch der Wille der Tarifvertragsparteien spricht gegen das Verständnis der Beklagten. Ziffer 1 Abs. 4 der tariflichen Ergänzungsvereinbarung zum ERA-Einführungstarifvertrag (E-ERA-ETV) vom 30. September 2004 stellt klar, dass bei der Überführung der Leistungszulagen "die Anwendung von Korrekturfaktoren gemäß § 10 Nr. 10 Abs. 5-7 ERA ... nicht statt (findet)". Folglich ist bei allen Beurteilungsvorgängen § 10 Nr. 10 Abs. 6 ERA voll anzuwenden, und damit auch die Lohnsicherungsklausel.
22cc) Der von der Beklagten bevorzugten Interpretation des Begriffs "Neubeurteilung" ist auch unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität und tariflichen Zweckorientierung nicht zu folgen. Der Sinn und Zweck einer Sicherungsklausel soll einen bestimmten, definierten Standard zukünftig nicht unterschreiten. Ein von diesem Verständnis abweichendes Ergebnis hätte einer sprachlich durchaus möglichen anderweitigen Klarstellung durch die Tarifvertragspartner bedurft. Gab es aber im Betrieb der Beklagten bereits vor der ERA-Einführung eine Beurteilung, so ist jede danach stattfindende Beurteilung, auch die erstmals im Rahmen von ERA stattfindende, eine "Neubeurteilung".
232. Der Kläger hat auch einen Anspruch auf das erhöhte Urlaubsgeld in Höhe von 102,10 . Die erhöhte Leistungszulage ist als Lohnbestandteil bei der Urlaubsvergütung und damit nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG zu berücksichtigen.
24II. Der Antrag zu 2. ist zulässig und begründet.
251. Die Beklagte weigert sich, die erhöhte Zulage zu zahlen und bei der Berechnung des Entgelts zu berücksichtigen, obwohl sie hierzu verpflichtet ist. Dies rechtfertigt die Besorgnis, dass sie sich der rechtzeitigen Leistung entziehen wird, §§ 259, 495 ZPO, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.
262. Der Antrag ist begründet.
27Da der Kläger bis zur nächsten Leistungsbeurteilung einen Anspruch auf eine Leistungszulage von 644,79 hat, kann er sie für diesen Zeitraum auch geltend machen.
28III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO.
29IV. Der Streitwert war § 61 Abs. 1 ArbGG, § 3 ZPO mit der 36-fachen Differenz im Urteil festzusetzen.
30Rechtsmittelbelehrung
31Gegen dieses Urteil kann
32B e r u f u n g
33eingelegt werden.
34Die Berufung muss
35innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
36beim Landesarbeitsgericht Köln, Blumenthalstraße 33, 50670 Köln eingegangen sein.
37Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung
38Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
39Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
41* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
42Roloff