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1. a) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.112 € brutto zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 15.02.2023 zu zahlen.
b) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.344 € brutto zuzüglich Zinseni.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 15.03.2023 zu zahlen.
c) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.024 € brutto zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 576 € ab 15.03.2023, aus weiteren 2.208 € ab 15.04.2023, aus weiteren 1.920 € ab 15.05.2023, aus weiteren 2.208 € ab 15.06.2023 und aus weiteren 2.112 € ab 15.07.2023, abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit am 31.08.2023 gezahlter 3.773,44 € netto zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 176,40 € netto zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 15.02.2023 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 960 € brutto als Urlaubsabgeltung zu zahlen.
4. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigungen vom 24.05.2023 nicht fristlos, sondern fristgerecht zum 30.06.2023 beendet worden ist.
5. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 27 % und die Beklagte zu 73 % auf der Basis eines Kostenstreitwerts in Höhe von 14.016,40 €.
6. Der Streitwert wird auf 10.242,96 € festgesetzt.
Tatbestand
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlos ausgesprochenen Kündigung, das Bestehen von Lohn, Entgeltfortzahlungs- und Annahmeverzugslohnansprüchen sowie einen Urlaubsabgeltungsanspruch.
3Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 15.04.2021 als Berufskraftfahrer, insbesondere als Auslieferungsfahrer für Paketsendungen, tätig zu einem monatlichen Bruttolohn i.H.v. 2000 € (vgl. Arbeitsvertrag, Anlage zur Klageschrift Bl. 5 d. A.). Die Beklagte war jedenfalls zum Zeitpunkt der Arbeitstätigkeit des Klägers als Subunternehmerin für die G L S G GmbH & Co. OHG (G) tätig. Es handelt sich um einen Kleinbetrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes.
4Der Kläger war bis zum 20.01.2023 für die Beklagte tätig. Vom 19. Januar bis zum 16. Februar 2023 liegt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Kläger vor.
5Zwischen dem Ehemann der Beklagten Ö I, welcher unstreitig vertretungsberechtigt für die Beklagte ist, und dem Kläger fand folgender WhatsAppVerlauf statt (Anlage zum Klägerschriftsatz vom 11.09.2023, Bl. 148 ff.d. A.):
622.01.2023
7Kläger:
8Hi O! Bin krankgeschrieben seit Donnerstag zwei Woche! Tut mir leid!
9Bringe ich Auto heute Abend da bei Straße
10Ö I:
11O. K. alles klar brauchst nicht mehr arbeiten kommen das reicht mir mit dir zu
12Ich kündige dich diesmal D fristlos
13Kläger:
14Habe ich nicht geschafft Auto da bringen ! Schlüssel liegt bei Scheibenwischer bei mir in Parkplatz ! Entschuldige fur alle ! Wenn du soo sagst ... von meine Seite habe ich richtig gearbeitet! Wenn bin krank Dan bin nicht mehr gut ! Danke fur alles !
15Ö I:
16Ja von eure Seite ist alles richtig! Ich mache alles falsch deswegen mache ich Firma zu
1703.02.2023
18Kläger
19Hi O ! Ich war artz ! Ist noch schlimmer geworden .... Bin bis 16 Februar nicht da
20Ö I:
21D du bist bei mir abgemeldet. Geh dich am besten arbeitslos melden.
22Kläger:
23Ich bin krankgeschrieben darf du nicht kündigen
24Ich habe kein kundigung gekriegt
25Ö I:
26Ich bin zur Zeit unter 8 Mitarbeiter kann ich machen
27Wenn du willst kann ich auch wegen Diebstahl kündigen wie du willst. Ich habe dich aufjedenfall abgemeldet
28Kläger:
29Welche Diebstähl
30?
3115.02.2023
32Kläger:
33[…]
34Hi O! Kriege ich kein Geld?
35[…]
3620.02.2023
37Kläger:
38Guten Morgen O ! Um wie viel Uhr soll ich arbeiten kommen ? Freitag war letzte Tag von Krankmeldung
39Ö I:
40Junge verstehst du nicht ich habe dich abgemeldet.
41[…]
42Die Bundesagentur für Arbeit hat dem Kläger unter dem 28.08.2023 für den Zeitraum ab dem 21.02.2023 Arbeitslosengeld bewilligt und ihm für den Zeitraum bis zum 30.06.2023 einen Betrag in Höhe von 3773,44 € gezahlt (Bewilligungsbescheid, Bl. 185 der Akte).
43Mit der am 07.05.2023 beim Arbeitsgericht Bonn eingegangen Klage, den am 31.05.23, 14.06.2023 und 05.09.2023 eingegangenen Klageerweiterungen sowie der am 12.09.2023 eingegangen Klageänderung begehrt der Kläger die Zahlung von Lohn, Entgeltfortzahlung und Annahmeverzugslohn bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist und wehrt sich gegen die fristlose Kündigung. Der Antrag auf die Erteilung der Dezemberabrechnung und die Erteilung der Arbeitsbescheinigung an die Agentur für Arbeit wurde im Kammertermin übereinstimmend für erledigt erklärt. Zudem hat er den Zahlbetrag, der von der Bundesagentur für Arbeit erfolgt ist, von seinem Antrag abgezogen.
44Der Kläger behauptet, dass er am 19. Januar 2023 bei seinem Arzt gewesen sei und aufgrund seines desolaten Gesundheitszustandes, insbesondere starke Kopfschmerzen und Rückenschmerzen sowie einer starken Stresssituation als arbeitsunfähig befunden worden sei. Er sei trotzdem zur Arbeit gefahren, da er große Angst vor dem Chef gehabt habe. Dieser habe ihn Tage zuvor darauf hingewiesen, wenn er zum Arzt gehe und sich krankschreiben lasse, er die Kündigung bekäme. Er habe seinen Arbeitsplatz nicht gefährden wollen. Er sei am 20.02.2023 um 5:00 Uhr zum Depot gefahren, um die Arbeit anzubieten. Herr K, der eine Art Vorarbeiterfunktion innehabe, habe ihm mitgeteilt, dass er weder ein Fahrzeug noch Arbeit habe und er nach Hause fahren solle. 6 Stunden später sei ihm per WhatsApp mitgeteilt worden, dass er abgemeldet worden sei. Er sei sodann zum Arbeitsamt gegangen, wo ihm geraten worden sei, zwei bis dreimal morgens zur Arbeit zu gehen und wenn er dann nicht weiter beschäftigt werde, sich an einen Rechtsanwalt zu wenden. Am 21. Februar habe er sich dann wieder gegen 7:30 Uhr an Herrn I gewandt und gefragt, ob dieser schon da sei. Als dieser nicht geantwortet habe, sei er um 8:00 Uhr zum Depot gefahren. Herr I und Herr K teilten ihm mit, dass er nicht weiter beschäftigt werde. Auch am 22.02.2023 habe er per WhatsApp nachgefragt und habe wieder das Depot aufgesucht wegen des Ausfüllens der Arbeitspapiere. Mit Schreiben vom 22.02.2023 (Anlage K 5, Bl. 101 d. A. ) habe er sodann erneut seine Arbeit angeboten. Es sei per Einschreiben versandt worden. Dazu legt er eine Sendungsverfolgung der Post vor (Bl. 130 d. A.).
45Er habe die zwei Pakete nicht gestohlen, sondern habe die beiden Pakete bei einer Firma in K G abgegeben. Er sei zwar tatsächlich aufgefordert worden, eine Reklamation zu bearbeiten. Er sei dann bei dem Kunden vorbeigefahren, um nach den Paketen zu schauen. Dort sei die Paketannahme des Kunden geschlossen gewesen. Ein Gespräch am 24.01.2023 oder 23.01.2023 diesbezüglich habe nicht stattgefunden. Es sei richtig, dass ihm am Montag, den 20.02.2023 ein Video bei der Mitarbeiterin der G vorgespielt worden sei. Auf diesem sei zu sehen gewesen, dass er eine Anzahl von Paketen in einen von ihm geführten Lieferwagen einlud. Mehr sei auf dem Video nicht zu sehen gewesen. Er habe sich in dem Gespräch nicht auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingelassen und auch nicht einen Diebstahl eingeräumt.
46Er habe während des streitgegenständlichen Zeitraums über kein anderweitiges Einkommen verfügt. Richtig sei lediglich, dass ein Bekannter ihn zweimal auf eine Tour bei einem Subunternehmer der T mitgenommen habe, bei der er schauen sollte, ob dies für ihn in Betracht käme. Eine Beschäftigung habe sich nicht ergeben. Auch habe er nicht in der Autowerkstatt gearbeitet. In der von der Beklagten benannten Autowerkstatt habe er wiederholt sein eigenes Fahrzeug repariert. In der Werkstatt gäbe es die Möglichkeit, selbst Reparaturen an dem eigenen Fahrzeug vorzunehmen.
47Der Kläger rügt die Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB.
48Der Kläger beantragt,
491.a) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.112 € brutto zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 15.02.2023 zu zahlen;
501b) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.344 € brutto zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 15.03.2023 zu zahlen;
511c) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 9.024 € brutto zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 576 € ab 15.3.2023, aus weiteren 2.208 €ab 15.04.2023, aus weiteren 1.920 € ab 15.05.2023, aus weiteren 2.208 Euro ab 15.06.2023 und aus weiteren 2.112 Euro ab 15.07.2023, abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit am 31.08.2023 gezahlter 3773,44 € netto zu zahlen.
522. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 176,40 € netto zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 15. 02. 2023 zu zahlen;
533. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 960 € brutto als Urlaubsabgeltung zu zahlen;
544. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigungen vom 24.05. 2023 nicht vor dem 30.6.2023 beendet wurde;
55Die Beklagte beantragt,
56die Klage abzuweisen.
57Die Beklagte bestreitet, dass der Kläger im Zeitraum 19.01.2023 bis 16.02.2023 arbeitsunfähig krank gewesen sei, da dieser bis zum 20.01.2023 für sie gearbeitet habe.
58Am 23.01.2023 hätte zwischen ihrem vertretungsberechtigten Ehemann, dem Mitarbeiter der Beklagten K und dem Kläger auf dem G Betriebsgelände in B ein Gespräch stattgefunden. In diesem habe der Kläger eingeräumt, dass er am 10.01.2023 zwei Pakete des Versenders E S GmbH und Co. KG gestohlen habe. Ihr Ehemann und der Kläger hätten sich darauf geeinigt, dass das Arbeitsverhältnis zum 20.01.2023 sein Ende gefunden habe, die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Beiträge für Januar abgeführt würden und zwischen den Parteien keine weiteren Ansprüche mehr bestünden. Ein Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 31.03.2023 habe die Beklagte nicht erhalten. Das einvernehmlich beendete Arbeitsverhältnis sei aus anwaltlicher Vorsorge sowohl fristlos als auch fristgerecht gekündigt worden. Am 10.01.2023 seien für den Kläger acht Pakete von E S bereitgestellt worden. Dieser habe dann noch zwei weitere Pakete in den Transporter geladen, aber im Gegensatz zu den anderen acht Paketen nicht eingescannt. Der Kläger habe sodann die ihm zugeteilten acht Pakete ausgeliefert und dabei wie vorgeschrieben einzeln die Pakete eingescannt. Er habe nicht die zwei weiteren Pakete eingescannt. Bei Rückkehr ins Depot habe er die beiden Pakete nicht ausgeladen und auch nicht wie vorgeschrieben eingescannt. Obwohl das Beladen als auch das Entladen des Transporters sei auf Video aufgezeichnet worden. Dafür seien der Beklagten insgesamt 720,19 € als Schadensersatzforderung von G berechnet worden (vgl. Anl. B3 und B4, Blatt 66 ff. der Akte). Am 13.01.2023 seien der Beklagten Reklamationszettel wegen der beiden Pakete ausgehändigt worden und mitgeteilt worden, dass diese von dem Kläger mitgenommen worden seien. Der Kläger sei mehrfach an die Pakete erinnert worden. Er habe vorgegeben, dass die Paketannahme des Kunden geschlossen gewesen sei. Am 23. Januar habe der Kläger zugegeben, dass er die beiden Pakete gestohlen habe. Die Beklagte habe erstmals mit der Klageschrift davon erfahren, dass der Kläger seine Zustimmung zur vorstehenden Regelung nur vorgetäuscht habe, um die Beklagte von einer schriftlichen Kündigung abzuhalten.
59Darüber hinaus mache der Kläger die vollen Monatslöhne gelten, obwohl er über Einnahmen aus einer Vollbeschäftigung verfüge. Auch stütze er seine Ansprüche auf eine erschlichene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Diese drei Betrugshandlungen begründeten die fristlose Kündigung.
60Die Beklagte bestreitet, dass der Kläger am 17.02.2023 frühmorgens seine Arbeit angeboten habe. Dies sei auch nicht am 20.02.2023, 21.02.2023 und 22.02.2023 erfolgt. Er habe lediglich einmal vorgesprochen und um eine Chance gebeten. In dem Gespräch sei mit ihm erörtert worden, dass er nicht mehr als Auslieferungsfahrer beschäftigt werden könne, da dies bei G nicht mehr möglich sei, da ein Hausverbot bestehe.
61Am 24.02.2023 habe der Kläger erklärt, dass er ab und zu bei einem Iraner, gemeint sei eine Kfz-Werkstatt in der Siemensstraße in B, arbeite. Zudem wisse die Beklagte, dass der Kläger auch Schwarz bei einem Subunternehmer bei t am Standort in K arbeite. Im Kammertermin weist der Vertreter der Beklagten daraufhin, dass dies auch von einem Mitarbeiter bestätigt werden könne, der dort tätig sei.
62Das Schreiben vom 22.02.2023 habe die Beklagte nicht erhalten.
63Entscheidungsgründe
64Die zulässige Klage ist begründet.
65I.
66Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zahlung von 12.480 € brutto abzüglich gezahlter 3.773,44 € netto aus §§ 611 a Abs. 2, 293, 615 BGB und §§ 3; 4 Abs. 1 EfzG.
671.
68Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zahlung von Vergütung vom 01.01.2023 bis zum 20.01.2023, da er unstreitig in der Zeit seine Arbeitsleistung erbracht hat, § 611 a Abs. 2 BGB.
69a)
70Die von dem Kläger berechnete Lohnhöhe ist unstreitig, zumal diese auf der Grundlage von Mindestlohnansprüchen berechnet worden ist.
71b)
72Der Anspruch ist nicht aufgrund eines Verzichts erloschen. Gemäß § 3 S. 2 MiLoG kann ein Arbeitnehmer auf den entstandenen Anspruch nur durch gerichtlichen Vergleich verzichten; im Übrigen ist ein Verzicht ausgeschlossen.
732.
74Der Kläger hat einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung vom 21.01.2023 bis zum 16.02.2023, da er in dem Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt war, §§ 3 und 4 EfzG.
75a)
76Das Arbeitsverhältnis ist nicht aufgrund des Abschlusses eines Aufhebungsvertrages am 23.01.2023 zum 20.01.2023 beendet worden. Gemäß § 623 BGB ist für die Wirksamkeit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Auflösungsvertrag die Schriftform erforderlich. Selbst unterstellt an dem Tag wäre mündlich ein Aufhebungsvertrag geschlossen worden, so wäre dieser formnichtig, § 125 BGB.
77b)
78Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung liegt für diesen Zeitraum vor.
79c)
80Der Beweiswert ist nicht aufgrund der Arbeitstätigkeit des Klägers zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit erschüttert.
81Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet jedoch keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit iSd. § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre. Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt jedoch ein „bloßes Bestreiten“ der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen hat. Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Der Arbeitgeber ist dabei nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt. Hierfür gibt es weder nach Wortlaut, Systematik und Zweck der Regelung, der in der Bekämpfung eines Missbrauchs der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall liegt, hinreichende Anhaltspunkte. Diese Bestimmung gibt ihm lediglich ein zusätzliches Instrument zur Erschütterung des Beweiswerts an die Hand, um einem missbräuchlichen Verhalten des Arbeitnehmers begegnen zu können. Den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben (vgl. BAG, Urteil vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21 –, BAGE 175, 358-366 Rn. 13 juris mwN).
82Nach Auffassung der Kammer bestehen keine Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Klägers aufgrund seiner Arbeitstätigkeit. Der Kläger hat im Einzelnen geschildert, dass er aufgrund von Kopf- und Rückenschmerzen und wegen der Stresssituation von dem Arzt als arbeitsunfähig befunden wurde und er nur allein aus Angst vor seinem Chef trotzdem zu Beginn seiner Arbeit nachgekommen ist. Allein dass der Kläger seine Arbeitstätigkeit verrichtet hat heißt nicht, dass dieser möglicherweise diese unter Schmerzen vorgenommen hat. Seine Befürchtung, er könne gekündigt werden, wenn er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlege, hat sich im weiteren Verlauf des Arbeitsverhältnisses bestätigt. Wie sich aus dem WhatsApp-Verlauf ergibt, erklärte der Ehemann der Beklagten dem Kläger nach Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit unmittelbar, dass es ihm nun reiche und er ihn diesmal fristlos kündige.
83d)
84Dem Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers ist auch kein treuwidriges Verhalten vorzuwerfen, § 242 BGB. Selbst wenn am 23.01.2023 ein mündlicher Aufhebungsvertrag geschlossen worden wäre - was allerdings vor dem Hintergrund des WhatsAppverlaufs, nach welchem der Kläger am 23. Januar 2023 es eben nicht geschafft hat, zum Arbeitsplatz zu fahren und das Auto zu bringen, der Ehemann der Beklagten am 03.02.2023 selbst schreibt, er könne ihm auch wegen Diebstählen kündigen (warum müsste er dies schreiben, wenn nach seiner Auffassung am 23.01.2023 ein wirksamer Aufhebungsvertrag geschlossen worden wäre?) sowie der Kläger am 03.02.2023 nachfragt, von welchen Diebstählen der Ehemann der Beklagten spricht, aus Sicht der Kammer unplausibel ist – so hätte sich der Kläger im Anschluss krank gemeldet, am 03.02.23 mitgeteilt, dass er keine Kündigung bekommen habe, am 15.02.23 nach seinem Geld gefragt und am 20.02.23 nachgefragt, wann er zur Arbeit kommen solle. Insofern war für die Beklagte hinreichend deutlich, dass der Kläger sich jedenfalls an einen Aufhebungsvertrag nicht gebunden sah.
853.
86Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zahlung von Annahmeverzugslohn vom 17.02.2023 bis 30.06.2023, da sich die Beklagte in diesem Zeitraum im Annahmeverzug befand, §§ 293, 615 BGB.
87a)
88Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, § 615 Satz 1 BGB. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs richten sich nach den §§ 293 ff. BGB.
89Die Arbeitgeberin gerät durch Ausspruch einer rechtsunwirksamen Kündigung in Annahmeverzug, da sie dem Arbeitnehmer die Arbeitsmöglichkeit entzieht (vgl. BAG, Urteil vom 5. November 2003 – 5 AZR 562/02 –, juris Rn. 21 f. mwN).
90Die Beklagte befand sich nach Auffassung der Kammer bereits ab dem 22.01.2023 im Annahmeverzug, da ihr vertretungsberechtigter Ehemann dem Kläger schrieb, dass er nicht mehr arbeiten kommen müsse und es mit ihm reiche. „Ich kündige dich diesmal D fristlos“. Darüber hinaus schrieb er am 03.02.23, dass der Kläger bei ihm abgemeldet sei. Vor diesem Hintergrund wäre nach Auffassung der Kammer schon kein wörtliches Angebot mehr erforderlich gewesen. Spätestens mit der WhatsApp Nachricht vom 20.02.23 hat der Kläger seine Arbeit angeboten, was jedenfalls vor dem Hintergrund genügte, dass die Beklagte durch ihren Ehemann erklärt hat, dass sie die Leistung des Klägers nicht annehmen werden, § 295 BGB, in dem er wiederholt schrieb, dass der Kläger abgemeldet sei.
91Es liegt auch kein Fall des Unvermögens des Schuldners nach § 297 BGB aufgrund eines von G ausgesprochenen Hausverbots vor (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 28. September 2016 – 5 AZR 224/16 –, BAGE 157, 34-43). Dazu müsste zunächst vorgetragen werden, wann von einem Vertreter von GLS ein Hausverbot mit welchem konkreten Inhalt ab welchem Zeitpunkt für den Kläger erteilt worden sein soll und aufgrund welcher Informationen. Von dem Hausverbot ist in dem gesamten WhatsAppVerlauf keine Rede, obwohl der von der Beklagten behauptete Diebstahl bereits vor der Arbeitsunfähigkeit erfolgt sein soll, ebenso das Anschauen des diesbezüglichen Videos. Selbst wenn dem Kläger zwei Pakete abhandengekommen sein sollten, spricht dies nicht zwingend dafür, dass er diese gestohlen hat und ihm deswegen ein Hausverbot ausgesprochen worden ist. Es ist genauso gut möglich, dass er diese nicht ordnungsgemäß abgegeben und eingescannt hat. Darüber hinaus müsste ein Vortrag erfolgen, dass die Beklagte über keinen anderen Kunden zu dem Zeitpunkt verfügt hat, bei dem der Kläger hätte eingesetzt werden können. Nach eigenem Vortrag im Kammertermin soll G die Aufträge für die Beklagte nunmehr gekündigt haben. Es sind aber weiterhin Mitarbeiter vorhanden, wenn auch weniger.
92b)
93Der Annahmeverzug ist auch nicht durch die fristlose Kündigung vom 24.05.2023 beendet worden, da diese unwirksam ist.
94Die Kündigungsschutzklage ist rechtzeitig innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben worden, § 4 KSchG.
95Nach § 626 Abs. 2 S. 1 BGB muss eine Kündigung aus wichtigem Grund innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Nichteinhaltung der Frist wurde von dem Kläger gerügt. Selbst wenn der Kläger einen Diebstahl vorgenommen hätte, wäre zu diesem Zeitpunkt nur noch eine fristgemäße Kündigung möglich gewesen, welche der Kläger nicht angreift. Diese Frist wäre auch bezüglich einer erschlichenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgelaufen. Auch kann sie sich nicht auf das Vortäuschen eines Aufhebungsvertrags stützen, da der Kläger bereits im Februar darauf hingewiesen hat, dass er keine Kündigung erhalten habe und davon ausgeht, dass das Arbeitsverhältnis nicht beendet ist. Auch diesbezüglich ist die Frist abgelaufen.
96Darüber hinaus ist der Vortrag der Beklagten nicht ausreichend substantiiert, dass der Kläger zu viel Lohn einklagt, obwohl er über anderweitigen Verdienst in der Zeit verfügt habe. Nach § 615 S. 2 BGB muss sich der Dienstverpflichtete den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Es genügt also nicht, wenn ein Arbeitnehmer eine Arbeitstätigkeit vornimmt, welche er auch hätte vornehmen können, wenn er weiter bei der Beklagten tätig gewesen wäre. Insofern wäre ein Vortrag der Beklagten erforderlich gewesen, wann konkret der Kläger bei der Vornahme einer anderen Arbeitstätigkeit unter welchen Umständen beobachtet worden ist und wann diese Tätigkeit mit seinen Arbeitszeiten kollidiert haben soll. Es reicht nicht aus, dass diese pauschal behauptet, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum schwarz gearbeitet habe und dies von einem Zeugen, der ebenfalls bei dem Subunternehmer tätig sei, beobachtet worden ist. Darüber hinaus käme dies auch nur als Kündigungsgrund in Betracht, wenn der Kläger vorsätzlich zu viel Lohn einklagen würde, das Vorliegen einer anderen Rechtsauffassung reicht als wichtiger Grund nicht aus.
97c)
98Wie ausgeführt ist der Lohnanspruch auch nicht nach § 615 S. 2 BGB zu mindern.
99d)
100Wie bereits oben ausgeführt verhält sich der Kläger auch hier nicht treuwidrig nach § 242 BGB.
101e)
102Der Beklagten ist kein weiterer Schriftsatznachlass eingeräumt worden. Eine Beweisaufnahme war wie ausgeführt bereits nicht zu veranlassen, da nicht konkret vorgetragen worden ist, zu welchen Zeitpunkten und unter welchen Umständen der Kläger bei der Arbeit gesehen worden ist. Insofern hätte an der Bewertung auch nichts geändert, wenn der Zeuge namentlich benannt worden wäre. Auch bezüglich der Klageänderung ist kein weiterer Nachlass gewährt worden, da der Kläger seine Klage lediglich reduziert und die Reduzierung durch die Vorlage eines Bescheids der Bundesagentur für Arbeit belegt hat.
103II.
104Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zahlung von 176,40 € netto als Verpflegungsmehraufwand für seine Arbeitstätigkeit im Januar 2023.
105Die vorgetragene Vereinbarung zum Verpflegungsmehraufwand ist von der Beklagten nicht bestritten worden. Von der Beklagten ist auch nicht substantiiert vorgetragen worden, dass der Kläger auf die Zahlung von allen Ansprüchen für Januar 2023 verzichtet hätte. Zum einen war der Verzicht auf Mindestlohnansprüche wie ausgeführt bereits unwirksam. Zum anderen müsste aber im Wortlaut vorgetragen werden, wie der Kläger auf solche Ansprüche verzichtet haben soll, damit überhaupt beurteilt werden könnte, dass der Kläger eine eigene Willenserklärung diesbezüglich abgegeben hat. Dagegen spricht zudem der vorgelegte WhatsAppVerlauf, in welchem der Kläger sowohl nach den Diebstählen fragt wie auch fragt, warum er kein Geld erhalten habe.
106III.
107Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zahlung von 960 € brutto als Urlaubsabgeltung aus § 7 Abs. 4 BurlG.
108Der Kläger macht den Mindesturlaub für Januar bis Juni 2023 geltend auf der Grundlage des Mindestlohns. Wie ausgeführt bestand das Arbeitsverhältnis zu der Zeit. Urlaub ist unstreitig nicht in Natur gewährt worden.
109IV.
110Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Kündigung vom 24.05.2023 fristlos beendet worden ist.
111Auf die vorherigen Ausführungen zur Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung wird verwiesen.
112V.
113Die Kosten des Rechtsstreits waren vorliegend zwischen den Parteien aufzuteilen nach § 92 ZPO.
114Dem Kläger mussten die Kosten für den Teil auferlegt werden, in welcher er die Zahlungsklage aufgrund der Zahlung von der Bundesagentur für Arbeit zurückgenommen hat, § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Da es sich um eine Teilklagerücknahme handelt, ist diese nicht kostenprivilegiert. Die Kosten für den Klageantrag zu 4) bezüglich der Abrechnung und der Erteilung der Bescheinigung für die Agentur für Arbeit wurden der Beklagten auferlegt, da dem Kläger bei Klageeinreichung Ansprüche nach § 108 GewO und § 312 SGB III zustanden und die Beklagte die Ansprüche im Laufe des Prozesses erfüllt hat, § 91 a ZPO. Die übrigen Kosten waren von der Beklagten zu tragen, da diese unterlegen ist nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
115Für den Kostenstreitwert wurde der eingeklagte Zahlbetrag berücksichtigt, 200 € für jedes Arbeitspapier (10 % vom Bruttomonatseinkommen) sowie für die geltend gemachte Kündigungsfrist 1,25 Bruttomonatseinkommen.
116Der Streitwert setzt sich aus den vorgenannten Beträgen zusammen, wobei der Betrag für die Arbeitspapiere und der gezahlte Betrag von der Agentur für Arbeit abgezogen wurden, § 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ff. ZPO, 39 ff. GKG.