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1. Die Beklagte zahlt an den Kläger 829,57 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 65,07 € brutto seit dem 1.7.2021,
aus weiteren 99,12 € brutto seit dem 1.8.2021,
aus weiteren 105,21 € brutto seit dem 1.9.2021,
aus weitere 248,99 € brutto seit dem 1.10.2021 und
aus weiteren 311,18 € brutto seit dem 1.11.2021.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
4. Streitwert: 10.804,90 €.
5. Eine gesonderte Zulassung der Berufung gem. § 64 Abs. 3 ArbGG erfolgt nicht.
Tatbestand:
2Der Kläger ist seit 1988 bei der Beklagten beschäftigt und zugleich Betriebsobmann des bei der Beklagten bestehenden Betriebsrates und Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates im Unternehmen der Beklagten.
3Mit der bei Gericht am 29.04.2021 eingegangenen Klage macht der Kläger die Lohnfortzahlung während Tätigkeiten als Betriebsobmann gegenüber der Beklagten für den Zeitraum von September 2020 bis Oktober 2021 geltend. In diesem Zeitraum hat der Kläger Betriebsratsarbeit geleistet.
4Die Vergütung des Klägers setzt sich aus einem Festgehalt und im wesentlichen Umfang aus verdienten Provisionen aus Außendiensttätigkeit des Klägers zusammen. In der Vergangenheit hatte die Beklagte den Verdienstausfall durch Betriebsratstätigkeit auf der Basis der Durchschnittsvergütung der letzten zwölf Monate berechnet und bis einschließlich August 2020 an den Kläger ausgezahlt. Seit September 2020 erfolgt dieser Ausgleich nicht mehr.
5Mit E-Mail vom 10.12.2020 wendete sich der Kläger an den Geschäftsführer der Beklagten unter dem Betreff „Auszahlung entgangener Provisionen für Betriebsratstätigkeiten Oktober und November“ mit folgendem Inhalt:
6„Hallo Herr S, ich habe von Frau (…) erfahren, dass sie die o.g. Auszahlung für meine Betriebsratstätigkeit noch prüfen.
7Wie ist der aktuelle Stand? Bitte um kurze Info“ vielen Dank “ „
8Der Geschäftsführer der Beklagten teilte dem Kläger per E-Mail vom 1.4.2021 folgendes mit:
9„Sehr geehrter Herr (…),
10bitte führen Sie ab kommender Woche (KW 14) angehängtes KD-Kontaktformular.
11Für jede Woche ist ein eigener Tab anzulegen. TAB KW 12 ist ein Beispiel, wie das Formular ausgefüllt werden soll.
12Senden Sie mir die gesamte Datei immer bis Montags 10 Uhr, der Folgewoche zu.“
13Der Kläger behauptet, in der Zeit von September 2020 bis Oktober 2021 im näher aufgeführten Umfang Betriebsratsarbeit im Rahmen von zwei Stunden bis zu 24,5 Stunden/Monat geleistet zu haben. Er ist der Auffassung, dass sich die Beklagte an die vorangegangene Vereinbarung über die Vergütung und deren Berechnung auf der Basis der Durchschnittsvergütung der letzten zwölf Monate festhalten lassen müsse. Es habe insoweit eine Vereinbarung mit der Beklagten vor dem Gesellschafterwechsel gegeben.
14Die ausstehenden Zahlungen seien vom Kläger auch mit E-Mail vom 10.12.2020 rechtzeitig geltend gemacht worden.
15Die Anweisung der Beklagten vom 01.04.2021, Kontaktformulare zu führen verstoße gegen eine vorangegangene Vereinbarung, dass keine solche Berichte zu fertigen seien. Außerdem sei er als einziger Außendienstmitarbeiter von dieser Weisung betroffen, womit die Beklagte gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße.
16Der Kläger beantragt:
171. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4138,52 € brutto mit nebst jeweils fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB über einen Betrag von 911,12 € ab dem 1.10.2020, 985,76 € ab dem 1.11.2020, 577,77 € ab dem 1.12.2020, 453,14 € ab dem 1.02.2021, 217,02 € ab dem 1.03.2021, 433,27 € ab dem 01.04.2021 und 259,50 € ab dem 01.05.2021, zu zahlen, 217,75 € ab dem 01.06.2021, 64,07 € ab dem 01.07.2021 und 99,12 € ab dem 01.08.2021 zu zahlen;
182. es wird festgestellt, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, aufgrund der Anweisung der Beklagten vom 1.04.2021 wöchentlich Kontakt-/Besuchsberichte gemäß dem von der Beklagten vorgelegten „KD-Kontaktformular“ zu fertigen.
193. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 665,29 € brutto nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB über einen Betrag i.H.v. 105,12 € ab dem 1.09.2021, 248,99 € ab dem 1.10.2021, 311,18 € ab dem 01.11.2021 zu zahlen.
20Die Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, wann und welche Stunden tatsächlich angefallen seien. Insbesondere bestreitet die Beklagte die vermeintlich angefallene Betriebsratsstunde im Oktober 2020 im Umfang von 42,5 Stunden. Es sei nicht ersichtlich, wie der Kläger in diesem Umfang Betriebsratsarbeit geleistet haben wolle. Während seiner Tätigkeit als Betriebsrat habe der Kläger, was zwischen den Parteien unstreitig ist, monatlich seine vermeintlich geleisteten Stunden als Betriebsrat an die Beklagte gemeldet.
23Der nach Vergangenheit herangezogene Durchschnitt der Provisionen aus den letzten zwölf Monaten sei nicht geeignet, die ausfallende Vergütung für Betriebsratstätigkeit auszugleichen. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass Corona-bedingt der Umsatz des Klägers um ca. 25 % gesunken sei. Außerdem sei bei der Beklagten im September 2020 zu 50 % Kurzarbeit geleistet worden. Die besonderen Umstände des Corona-Lockdowns bei den Kunden der Beklagten sei der zuvor herangezogene Vergleichszeitraum nicht mehr geeignet. Die Beklagte sei daher an eine mögliche vorangegangene Vereinbarung nicht gebunden gewesen.
24Außerdem beruft sich die Beklagte auf die tarifvertraglichen Verfallfristen des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Manteltarifvertrags für den Groß und Außenhandel für das Land Nordrhein-Westfalen. Die Geltendmachung durch den Kläger am 10.12.2020 erfülle nicht das im Tarifvertrag vorgesehene Schriftformerfordernis.
25Soweit sich der Kläger auf eine vermeintliche Vereinbarung berufe, dass keine Berichte im Sinne des Kontaktformulars einzureichen seien, so wird dies von der Beklagten bestritten. Vorsorglich habe sie diese Vereinbarung per E-Mail gekündigt. Auch die beiden anderen Außendienstmitarbeiter müssten die verlangten Kontaktformulare einreichen.
26Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsprotokolle verwiesen.
27Entscheidungsgründe:
28Die zulässige Klage ist hinsichtlich eines Teils der Vergütungsansprüche begründet, im Übrigen aber unbegründet.
291. Soweit der Kläger Zahlungsansprüche geltend macht, ist die Klage bezüglich der Vergütungsansprüche aus den Monaten Juni 2021 bis Oktober 2021 teilweise begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
30Der Kläger hat einen Anspruch auf die ausgeurteilten Vergütungsansprüche aus § 611 Abs. 2 BGB i.V.m. § 37 Abs. 2 BetrVG.
31a) Das sich aus § 37 Abs. 2 BetrVG ergebende Verbot der Minderung des Arbeitsentgeltes bedeutet, dass dem Betriebsratsmitglied das Arbeitsentgelt weiterzuzahlen ist, dass er verdient hätte wenn es keine Betriebsratstätigkeit geleistet, sondern gearbeitet hätte. Das Arbeitsentgelt ist nach dem Lohnausfallprinzip fortzuzahlen. Die Berechnung der geschuldeten Vergütung nach dem Lohnausfallprinzip erfordert eine hypothetische Betrachtung, welches Arbeitsentgelt das Betriebsratsmitglied ohne die Arbeitsbefreiung verdient hätte. Zur Berechnung der hypothetischen Vergütung ist die Methode zu wählen, die dem Lohnausfallprinzip am besten gerecht wird. Dabei sind die Besonderheiten des jeweiligen Vergütungsbestandteils zu berücksichtigen. Gegebenenfalls ist bei schwankenden Bezügen eine Schätzung nach den Grundsätzen des §§ 287 Abs. 2 ZPO vorzunehmen (vgl. BAG, 29.04.2015, 7 AZR 123/13; Juris).
32Für das Lohnausfallprinzip bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist anerkannt, dass nicht nur die Fortzahlung des Grundgehaltes bis zur Dauer von sechs Wochen verlangt werden kann, sondern auch die Zahlung der Provision, die in dieser Zeit ohne krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung wahrscheinlich verdient worden wäre (vgl. BAG, 05.06.1985, 5 AZR 459/83; Juris).
33Nach diesen Grundsätzen stützt der Kläger seine Berechnung der ihm durch die Betriebsratstätigkeit entgangenen Provisionen zu Recht auf eine Durchschnittsberechnung der Provision aus den vorangegangenen zwölf Monaten. Dabei ist in Übereinstimmung mit dem Klägervortrag die vertragliche Arbeitszeit von 160 Stunden im Monat und damit dem Umfang von 1.920 Stunden pro Jahr in Beziehung zu setzen auf die jeweils verdiente Provision aus den vorangegangenen zwölf Monaten.
34b) Allerdings sind Vergütungsansprüche des Klägers in der Zeit bis einschließlich Mai 2021 nach den tarifvertraglichen Bestimmungen verfallen.
35Erstmals rechtswirksam geltend gemacht wurden die Zahlungsansprüche des Klägers durch die bezifferten Klageanträge im Schriftsatz vom 16.09.2021, bei Gericht eingegangen am 18.09.2021. Demgegenüber stellt die E-Mail vom 10.12.2020 keine Geltendmachung der Ansprüche des Klägers dar.
36Sinn und Zweck tariflicher Ausschlussfristen ist es, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu schaffen. Der Anspruchsgegner soll sich auf noch offene Forderung rechtzeitig einstellen, Beweise sichern und gegebenenfalls Rücklagen bilden können. Für eine ordnungsgemäße Geltendmachung ist daher erforderlich, dass der Anspruchsgegner zur Erfüllung eines bestimmten Anspruchs aufgefordert wird. Der Anspruchsteller muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er Inhaber einer nach Grund und Höhe spezifizierten Forderung ist und auf die Erfüllung dieser Forderung besteht. Allein die Aufforderung, die bisherige Nichterfüllung „zu überdenken“ oder „zu überprüfen“, ist noch keine Geltendmachung, weil ihr das eindeutige Erfüllungsverlangen fehlt (vgl. BAG, 11.04.2019, 6 AZR 104/18; Juris).
37Nach diesen Grundsätzen stellt die Nachfrage des Klägers vom 10.12.2020, wie „der aktuelle Stand“ sei und die Bitte „um kurze Info“ keine Geltendmachung im Sinne des Manteltarifvertrages für das für den Groß und Außenhandel NRW dar.
38Es fehlt an der E-Mail vom 10.12.2020 bereits die ausdrückliche Zahlungsaufforderung. Außerdem eine auch nur annähernde Bezifferung oder Bezeichnung der geltend gemachten Ansprüche.
39Angesichts der erstmaligen Geltendmachung mit Klageschriftsatz vom 16.09.2021 waren alle zuvor bereits fälligen Ansprüche des Klägers verfallen. Da die Vergütungen des Klägers nach § 611 a Abs. 2 BGB jeweils zum Monatsende fällig und zahlbar waren, sind alle Ansprüche von Mai 2021 und früher verfallen.
40Die verbleibenden Ansprüche für die Monate Juni 2021 bis Oktober 2021 sind von dem Kläger der Höhe nach zutreffend berechnet worden, sodass diesbezüglich der Klage stattzugeben war. Im Übrigen war sie abzuweisen.
41Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus § 286 Abs. 1, 288 BGB.
422. Soweit der Kläger die Unwirksamkeit der Anweisung vom 01.04.2021 begehrt, ein Kontaktformular zu führen und an die Beklagte zu übersenden, ist die Klage zulässig aber unbegründet.
43Die Beklagte ist berechtigt, im Rahmen ihres Direktionsrechtes des nach § 106 GewO im Rahmen höherrangigem Rechts Einzelheiten des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung billigen Ermessens festzulegen.
44Diesem Direktionsrechts geht im vorliegenden Fall eine anderweitige vertragliche Vereinbarung nicht entgegen. Soweit der Kläger, durch die Beklagte bestritten, vorgetragen hat, dass es zuvor eine mündliche Vereinbarung zwischen den Parteien gegeben habe, dass keine Berichte zu erstellen gewesen seien, ist dieser Vortrag unsubstantiiert. Spätestens nach dem Bestreiten durch die Beklagte hätte der Kläger vortragen müssen, wann und mit wem eine solche Vereinbarung getroffen worden sei. Da dies nicht erfolgt ist, kann zu Lasten des Klägers nicht von einer entgegenstehenden Vereinbarung ausgegangen werden.
45Auch soweit sich der Kläger auf den Gleichbehandlungsgrundsatz beruft, steht dieser der Anweisung vom 01.04.2021 nicht entgegen. Nach dem Bestreiten durch die Beklagte hat der Kläger nicht im Einzelnen benannt, welche Mitarbeiter unter Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes von der Beklagten von einer solchen Anweisung ausgenommen worden sind. Er hat seinen insoweit rudimentären Vortrag auch nicht unter Beweisantritt gestellt.
46Anhaltspunkte dafür, dass die Anweisung, Kontaktformulare zu führen, gegen billiges Ermessen nach § 106 GewO verstößt, sind vom Kläger nicht vorgetragen worden. Im Gegenteil wird regelmäßig ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers bestehen, die Außendiensttätigkeit eines Mitarbeiters durch entsprechende Besuchsberichte zu kontrollieren und gegebenenfalls zu steuern. Da auch von beiden Parteien nicht vorgetragen worden ist, welchen Inhalt die streitigen Listen haben, konnte auch nicht geprüft werden, ob bei deren Einführung Mitbestimmungsrechte des bei der Beklagten bestehenden Betriebsrats insbesondere nach § 87 Abs. 1 BetrVG verletzt worden sind.
47Daher war die Klage insoweit abzuweisen.
483. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
49Der Streitwert wurde festgesetzt gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO. Dabei wurden die Zahlungsanträge in ihrer Höhe und der Antrag hinsichtlich der Anweisung vom 01.04.2021 mit einem halben Gehalt berücksichtigt.