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Die Entscheidung befasst sich mit der Zulassung einer außerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG erhobenen Kündigungsschutzklage. Der Antrag auf nachträgliche Zulassung wurde zurückgewiesen, sodass die mit der verspätet erhobenen Klage angegriffene ordentliche betriebsbedingte Kündigung als wirksam gilt. Die während des Kündigungsschutzprozesses ausgesprochene fristlose Kündigung wegen Prozessbetrugs wurde mangels Nachweises der Tat für unwirksam befunden. Annahmeverzugslohn für die Zeit der Kündigungsfrist wurde teilweise zugesprochen. Er wurde nicht zuerkannt, soweit der Kläger seinen anderweitigen Verdienst nicht beziffert hatte.
1. Der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gegen die ordentliche Kündigung vom 08.09.2021 wird zurückgewiesen.
2. Das Versäumnisurteil vom 28.10.2021 wird aufrechterhalten.
3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 11.10.2021 nicht aufgelöst ist.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.513,21 € (i. W. sechstausendfünfhundertdreizehn Euro, Cent wie nebenstehend) brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 660,48 € (i. W. sechshundertsechzig Euro, Cent wie nebenstehend) netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2021 zu zahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.769,11 € (i. W. dreitausendsiebenhundertneunundsechzig Euro, Cent wie nebenstehend) brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.651,20 € (i. W. eintausendsechshunderteinundfünfzig Euro, Cent wie nebenstehend) netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2022 zu zahlen.
6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
7. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 70 % und die Beklagte zu 30 % (bezogen auf einen Kostenstreitwert von 38.427,87 EUR).
8. Streitwert: 36.116,19 EUR.
T A T B E S T A N D:
2Die Parteien streiten wesentlich über die Wirksamkeit zweier arbeitgeberseitiger Kündigungen sowie über Zahlungsansprüche.
3Der am 1964 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 03.03.1997 als Maschinenbediener mit einem anfangs angegebenen Gehalt von 3.100,00 € brutto und einem tatsächlichen durchschnittlichen Verdienst von zuletzt ca. 3.769,11 € brutto beschäftigt gewesen.
4Die Beklagte beschäftigte im Jahr 2020 ca. 920 Mitarbeiter, von denen 723 gewerbliche Mitarbeiter waren. Der Betrieb der Beklagten in D., in dem der Kläger zuletzt tätig war, wurde mit Wirkung zum 01.09.2021 im Wege einer Ausgliederung nach dem Umwandlungsgesetz auf eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der Beklagten, die M. GmbH, übertragen. Mit Schreiben vom 07.06.2021 informierte die Beklagte den Kläger gemäß § 613 a Abs. 5 BGB über den Übergang des Betriebes. Mit Schreiben vom 12.07.2021 widersprach der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die I. F. NS. GmbH. Mit Schreiben vom 27.08.2021 stellte die Beklagte den Kläger unter Fortzahlung der Vergütung widerruflich von der Arbeitsleistung frei (Bl. 213 der Akte).
5Mit Schreiben vom 08.09.2021 sprach die Beklagte dem Kläger eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung zum 30.04.2022 aus (Bl. 20 des vormaligen Verfahrens 8 Ca 2956/21).
6Mit der von der ehemaligen Klägervertreterin, Rechtsanwältin B., am 01.10.2021 erhobenen Kündigungsschutzklage greift der Kläger die Wirksamkeit dieser Kündigung an, wobei im Klageantrag angegeben ist, dass die Kündigung am 10.09.2021 zugestellt worden sei. Einen hinreichenden betrieblichen Grund für die Kündigung sehe er nicht.
7Im Gütetermin vom 28.10.2021 erging gegen den ordnungsgemäß geladenen, aber nicht erschienenen Kläger ein klageabweisendes Versäumnisurteil (Bl. 16f der Akte), gegen das fristgerecht mit Schriftsatz vom 17.11.2021 Einspruch eingelegt wurde.
8Nachdem die Beklagte nach Zustellung der Klage am 06.10.2021 Kenntnis davon erlangt hatte, dass der Kläger angegeben hatte, die Kündigung sei ihm am 10.09.2021 zugegangen, sprach die Beklagte dem Kläger am 11.10.2021, zugegangen am 12.10.2021 eine fristlose Kündigung aus (Bl. 26 des vormaligen Verfahrens 8 Ca 2956/21).
9Diese fristlose Kündigung griff der Kläger, vertreten durch Rechtsanwältin B., mit der am 02.11.2021 bei Gericht eingegangenen Klage im vormaligen Verfahren 8 Ca 2956/21 an, weil er keinen Anlass für eine fristlose Kündigung sehe.
10In diesem Verfahren wies der Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 01.12.2021 – noch vor dem Gütetermin in diesem Verfahren - darauf hin, dass dem Kläger die Kündigung vom 08.09.2021 an diesem Tag um 10:30 Uhr durch Boten zugestellt worden sei. Die Kündigungsschutzklage des Klägers gegen diese Kündigung sei somit nicht binnen drei Wochen gemäß § 4 KSchG erhoben worden. Dieser Schriftsatz wurde der Klägervertreterin noch am gleichen Tag per beA übermittelt.
11Mit Schriftsatz vom 16.12.2021 bestellte sich für den Kläger sein jetziger Prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt N. und beantragte mit Schriftsatz vom 17.12.2021 die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage (Bl. 34 der Akte).
12Hierzu verweist der Kläger darauf, dass er am 10.09.2021 in Begleitung seiner Ehefrau mit der Kündigung vom 08.09.2021 Rechtsanwältin B. aufgesucht habe und sie mit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage beauftragt habe. Er habe vielfach nach dem Stand des Verfahrens nachgefragt und nachgefragt, wann der Verhandlungstermin stattfinde. Diese Informationen habe er nicht erhalten, dafür allerdings die weitere fristlose Kündigung, die er sich nicht habe erklären können. Mit der Beauftragung einer Rechtsanwältin bereits zwei Tage nach Erhalt der Kündigung habe er sich darauf verlassen können, dass rechtzeitig Klage eingereicht werde. Rechtsanwältin B. habe mitgeteilt, dass sie wegen der erheblichen Hochwasserschäden in ihrer Kanzlei aufgrund der verheerenden Flut in E. Mitte Juli 2021 Klage nicht hätte rechtzeitig erheben können.
13Die Kündigung vom 08.09.2021 sei im Übrigen sozialwidrig.
14Der Kündigung vom 11.10.2021 fehle es an einem wichtigen Grund. Dem Kläger sei nicht anzulasten, dass Rechtsanwältin B. in der Klageschrift des Ausgangsverfahrens den Zugang des Kündigungsschreibens mit dem 10.09.2021 angegeben habe. Zumal der Kläger sich bei Übergabe des Kündigungsschreibens von den Boten der Beklagten auf seinem Exemplar der Kündigung sowohl das Zugangsdatum 08.09.2021 sowie auch die Uhrzeit des Zugangs habe bescheinigen lassen. Mit genau diesem Kündigungsschreiben habe er Rechtsanwältin B. beauftragt. Der Kläger hätte auch keine Chance gehabt, die Angaben der Klageschrift zu korrigieren, da er von seiner ehemaligen Anwältin keine Abschrift der Klageschrift erhalten habe, und keinerlei Kenntnis davon gehabt habe, dass dort der 10.09.2021 als Zugang bezeichnet worden sei. Der Vorwurf des Prozessbetruges gegenüber dem Kläger greife daher nicht. Auch seine Anwältin habe keinen Prozessbetrug versucht, da sie nicht vorsätzlich ein falsches Zustellungsdatum gegeben habe, sondern sie sich anhand der ihr in ihrem Home-Office vorliegenden Unterlagen versucht habe, das zutreffende Zustellungsdatum zu ermitteln. Irrtümlich habe sie dann den 10.09.2021 für das zutreffende Zugangsdatum gehalten. Wenn überhaupt, könne man im Ansatz vielleicht über einen versuchten Prozessbetrug nachdenken. In diesem Falle wäre allerdings eine Anhörung erforderlich gewesen, weil es sich lediglich um eine Verdachtskündigung gehandelt hätte. Eine solche Anhörung habe es jedoch nicht gegeben.
15Da beide Kündigungen unwirksam seien, stehe ihm auf jeden Fall Vergütung für die Monate November 2021 - einschließlich des 13. Monatseinkommens - und Dezember 2021 abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes zu. Auch stehe dem Kläger Vergütung für den Zeitraum Januar 2022 bis April 2022 zu. Mit der Freistellung durch die Beklagte habe diese auf die Arbeitsleistung des Klägers verzichtet. Hiermit sei der Kläger einverstanden gewesen. Im Falle einer einvernehmlichen Suspendierung der Arbeitspflicht läge kein Annahmeverzug vor, sodass sich der Kläger für diesen Zeitraum jedenfalls kein Arbeitslosengeld oder anderweitigen Zwischenverdienst anrechnen lassen müsse.
16Zum Vorhalt der Beklagten, der Kläger habe Zwischenverdienst unterlassen, verweist er auf diverse Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit (Bl. 127-181 der Akte), zu denen der Kläger im Einzelnen seine Aktivitäten schildert.
17Für den Fall der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung stünden dem Kläger hilfsweise Ansprüche auf Urlaubsabgeltung, Altersfreizeit und aus Zeitguthaben zu. Hierzu wird im Einzelnen auf Seite 3f seines Schriftsatzes vom 28.01.2022 (Bl. 69f der Akte) verwiesen.
18Der Kläger beantragt,
19unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 28.10.2021,
201) die Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 08.09.2021 nachträglich zuzulassen,
212) festzustellen, dass die Kündigung vom 08.09.2021 zugestellt am 10.09.20201, das bestehende Arbeitsverhältnis nicht beendet hat,
223) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände aufgelöst wurde oder wird, sondern unbefristet fortbesteht,
234) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 11.10.2021 nicht aufgelöst ist,
245) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6.513,21 € brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 660,48 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2021 zu zahlen,
256) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.769,11 € brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.651,20 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2022 zu zahlen,
267) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.769,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2022 zu zahlen,
278) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.769,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2022 zu zahlen,
289) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6.513,31 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2022 zu zahlen,
2910) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.769,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.05.2022 zu zahlen,
3011) für den Fall des Unterliegens mit dem Klageantrag zu 4), die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.479,93 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
31Die Beklagte beantragt,
32das Versäumnisurteil vom 28.10.2021 aufrechtzuerhalten und die Klage abzuweisen.
33Die Beklagte ist der Auffassung, die Kündigung der Beklagten vom 08.09.2021 zum 30.04.2022 sei gemäß §§ 4, 7 KSchG wirksam. Der Kläger habe mit der erst am 01.10.2021 bei Gericht eingegangenen Klage die Dreiwochenfrist des § 4 KSchG nicht eingehalten. Die Kündigung sei dem Kläger tatsächlich am Tag der Ausstellung am 08.09.2021 vormittags durch Boten überbracht worden, was von den Boten auf der Abschrift des Kündigungsschreibens entsprechend dokumentiert worden sei, und was der Kläger auch durch seine Unterschrift bestätigt habe (Bl. 26 des vormaligen Verfahrens 8 Ca 2956/21). Damit gelte die Kündigung gemäß § 7 KSchG als wirksam
34Denn auch der Antrag auf nachträgliche Zulassung müsse ohne Erfolg bleiben, da der Kläger die Frist des § 5 Abs. 3 KSchG versäumt habe.
35Die Beklagte verteidigt die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 11.10.2021. Wahrheitswidrig sei in der Klageschrift von einem Zugangsdatum der Kündigung vom 08.09.2021 am 10.09.2021 die Rede. Berechnet auf dieses Datum wäre der Klageeingang fristgerecht. Aus Sicht der Beklagten handelt es sich um ein Prozessbetrug des Klägers.
36Hinsichtlich der Zahlungsansprüche beruft sich die Beklagte auf Rückzahlungsansprüche, da für den Monat Oktober 2021 trotz der fristlosen Kündigung vom 11.10.2021 das Tarifentgelt, Zulagen und pauschale Zuschläge ungeschmälert ausgezahlt worden seien. Soweit der Kläger hilfsweise Ansprüche auf Urlaubsabgeltung, Altersfreizeit und Zeitguthaben geltend mache, seien solche Ansprüche auf den Zeitraum der Freistellung ab dem 01.09.2021 anzurechnen.
37Die Beklagte wendet weiterhin ein, dass der Kläger sich anderweitigen Verdienst sowie böswillig unterlassenen Zwischenverdienst anrechnen lassen müsse. Die Beklagte verlange vom Kläger diesbezüglich Auskunft vom Kläger über die Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit bzw. des Jobcenters. Bis zur Erteilung der Auskunft berufe sich die Beklagte auf ihr Zurückbehaltungsrecht.
38Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen. Mit Beschluss vom 06.01.2022 wurde das Ausgangsverfahren 8 Ca 2611/21 mit dem Verfahren 8 Ca 2956/21 unter Führung des ersteren Verfahrens verbunden (Bl. 53f der Akte).
39Mit Schriftsatz vom 20.12.2021 hat der Kläger Rechtsanwältin B. im Ausgangsverfahren den Streit verkündet (Bl. 36 der Akte), ihr zugestellt am 21.12.2021 (Bl. 37 d.A.). Mit Schriftsatz vom 21.12.2021 hat der Kläger Rechtsanwältin B. im Folgeverfahren den Streit verkündet (Bl. 36 der Akte des vormaligen Verfahrens 8 Ca 2956/21), ihr zugestellt am 23.12.2021 (Bl. 54 B d.A. des vormaligen Verfahrens 8 Ca 2956/21).
40ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
41Die zulässige Klage ist in tenoriertem Umfang begründet, im Übrigen aber unbegründet.
42Das Versäumnisurteil vom 28.10.2021, mit dem die Kündigungsschutzklage betreffend die Kündigung vom 08.09.2021 abgewiesen wurde, ist aufrechtzuerhalten. Denn das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 08.09.2021 rechtswirksam spätestens zum 30.04.2022 beendet worden.
43Denn der Kläger hat die Klagefrist des § 4 KSchG von drei Wochen nicht eingehalten. Zuletzt unstreitig ist dem Kläger das Kündigungsschreiben vom 08.09.2021 am Vormittag des gleichen Tages durch Boten der Beklagten ausgehändigt worden, was sowohl die Boten auf der Durchschrift des Kündigungsschreibens sowie auch der Kläger mit seiner Unterschrift auf der Durchschrift des Kündigungsschreibens dokumentiert haben. Bei einem Zugang der Kündigung am 08.09.2021 hätte die Klage fristgerecht bis spätestens 29.09.2021 bei Gericht eingehen müssen. Diese Frist ist mit dem Eingang der Klage bei Gericht am 01.10.2000 nicht mehr gewahrt. Die Kündigung gilt daher gem. § 7 KSchG als wirksam.
44Die Versäumung der Dreiwochenfrist konnte auch nicht durch den Antrag auf nachträgliche Zulassung geheilt werden. Denn gemäß § 5 Abs. 3 KSchG ist ein Antrag auf nachträgliche Zulassung nur innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses zulässig. Bereits mit Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 01.12.2021 im vormaligen Verfahren 8 Ca 2956/21, der damaligen Klägervertreterin übermittelt am gleichen Tag, wurde der Hinweis gegeben, dass die Dreiwochenfrist nicht gewahrt ist. Bis spätestens 15.12.2021 hätte also der Antrag auf nachträgliche Zulassung gestellt werden müssen. Tatsächlich wurde er jedoch durch den jetzigen Klägervertreter erst am 17.12.2021 gestellt.
45Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 11.10.2021 vorzeitig beendet worden, da es dieser Kündigung an einem wichtigen Grund fehlt.
46Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände und unter Abwägung der Interessen beider Parteien die Fortsetzung nicht einmal bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zugemutet werden kann.
47Solche Gründe vermag die Kammer vorliegend nicht zu erkennen. Anhaltspunkte dafür, dass entweder die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers oder gar der Kläger persönlich vorsätzlich dafür gesorgt hätten, dass in der Klageschrift des Ausgangsverfahrens das Zugangsdatum der Kündigung mit dem 10.09.2021 angegeben wird, wodurch suggeriert würde, die Dreiwochenfrist sei gewahrt, und wodurch ein Prozessbetrug begangen worden wäre, fehlen.
48Allein die fehlerhafte Angabe eines Zugangsdatums stellt keinen Beweis dafür dar, dass ein versuchter Prozessbetrug vorliegt. Aus einer solchen Falschangabe kann allenfalls der Verdacht eines versuchten Prozessbetrugs hergeleitet werden. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist jedoch für den Ausspruch einer Verdachtskündigung die Anhörung des Verdächtigen erforderlich. Eine solche Anhörung hat jedoch nicht stattgefunden.
49Fehlt es der Kündigung vom 11.10.2021 daher an einem wichtigen Grund, könnte sie das Arbeitsverhältnis allenfalls unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist beenden. Dies wirkt sich vorliegend jedoch nicht aus, da durch die Fiktion der Wirksamkeit der ersten Kündigung vom 10.09.2021 das Arbeitsverhältnis ohnehin bereits zum 30.04.2022 beendet worden ist.
50Erweist sich die Kündigung vom 11.10.2021 als unwirksam und besteht das Arbeitsverhältnis bis zum 30.04.2022 fort, hat der Kläger Anspruch auf Annahmeverzug für die Monate November und Dezember 2021 in der von ihm bezifferten Höhe abzüglich Arbeitslosengeldes nebst Zinsen. Soweit die Beklagte den Einwand erhebt, der Kläger müsse sich böswillig unterlassenen Zwischenverdienst anrechnen lassen, verfängt dies für den Zeitraum November und Dezember 2021 nicht. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 04.04.2022 diverse Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit vorgelegt und zu diesen jeweils im Einzelnen seinen Umgang damit dargestellt. Für diesen Zeitraum kann dem Kläger gegenüber der Vorwurf, er hätte böswillig Zwischenverdienst unterlassen, nicht erhoben werden.
51Soweit die Beklagte einwendet, ihr stünden Ansprüche aus der dem Kläger ungeschmälert gezahlten Vergütung für Oktober 2021 zu, die sie verrechnen könne, verfängt dies nicht. Wie oben festgestellt, erweist sich die Kündigung vom 11.10.2021 als unwirksam, sodass der Kläger Anspruch auf die ungeschmälerte Vergütung für den Monat Oktober 2021 hatte.
52Der Kläger hat jedoch zur Zeit keinen Anspruch auf Vergütung für die Monate Januar 2022 bis April 2022. Für diesen Zeitraum ist er explizit Auffassung, er müsse sich Zwischenverdienst jeglicher Art nicht anrechnen lassen, da mit der Freistellung des Klägers eine einvernehmliche Suspendierung der Arbeitspflichten des Klägers verbunden sei, und deshalb kein Annahmeverzug vorliege. Dem vermag die Kammer nicht zu folgen. Aus Sicht der Kammer sind etwaige Zahlungsansprüche des Klägers ab Januar 2022 Ansprüche aus Annahmeverzug gemäß § 615 BGB. Nach § 293 BGB kommt der Gläubiger in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Mit der Freistellungserklärung der Beklagten vom 27.08.2021 erklärte die Beklagte, sie wolle die vom Kläger angebotene bzw. die vom Kläger künftig anzubietende Arbeitsleistung nicht annehmen. Damit fehlt es an der notwendigen Mitwirkungshandlung der Beklagten, mit der die Arbeitsleistung des Klägers ermöglicht würde. Dies ist nach Auffassung der Kammer der klassische Fall des Annahmeverzuges. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Freistellung wie vorliegend nur widerruflich erfolgt. Im Fall der Widerruflichkeit fehlt der Erklärung der Beklagten vom 27.08.2021 jedenfalls ein Erklärungsgehalt, sie wolle einseitig und egal, was komme, die Arbeitspflicht des Klägers suspendieren.
53Da sich die Kündigung der Beklagten vom 11.10.2021 als unwirksam erweist, brauchte sich die Kammer mit den Zahlungsansprüchen, die hilfsweise für den Fall der Wirksamkeit dieser Kündigung geltend gemacht worden waren, nicht zu befassen.
54Die Nebenentscheidungen des Urteils beruhen auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 92 Abs. 1 S. 1ZPO und § 61 Abs. 1 ArbGG, §§ 3, 5 ZPO, § 42 Abs. 2 GKG. Der Streitwert wurde in Bezug auf die Kündigung vom 08.09.2021 im Versäumnisurteil auf der Basis der damals benannten Monatsvergütung auf drei Monatseinkommen festgesetzt, für die Folgekündigung mit einem Einkommen des nachträglich mitgeteilten durchschnittlichen Monatseinkommens und für die Zahlungsansprüche mit dem Nominalwert in Ansatz gebracht. Im Kostenstreitwert waren die erst nachträglich in Abzug gebrachten Arbeitslosengeldzahlungen für November und Dezember 2021 zu berücksichtigen Die Kosten waren nach dem Grad des Obsiegens und Unterliegens der Parteien zu quoteln.