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Allein von den Zivil- und Arbeitsgerichten zu entscheiden und damit nicht von der Bindungswirkung des § 108 Abs. 1 SGB VII – mit entsprechender Aussetzungsverpflichtung gemäß § 108 Abs. 2 SGB VII – erfasst ist die Frage, ob ein Haftungsausschluss nach §§ 104, 105 SGB VII aufgrund einer vorsätzlichen Schädigung ausgeschlossen ist. Denn dies ist für die Beurteilung des Versicherungsfalls irrelevant.
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 5. September 2024 – 1 Ca 848/23 – aufgehoben.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
2I. Die Parteien streiten über das Bestehen von Schadensersatzansprüchen.
Die Kläger sind Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers der Beklagten zu 2.
5Der Beklagte zu 1 ist der frühere Geschäftsführer der Komplementärin der Beklagten zu 2. Die Beklagte zu 2 ist als A Teil einer Unternehmensgruppe (AG Arnsberg HRA XXXX),
6Am 28. März 2020 kam es im Betrieb der Beklagten zu 2 zu einem Unfall. Der verstorbene Arbeitnehmer und Erblasser arbeitete mit einem Kollegen im Bereich der Schlackekammer eines Kurztrommelofens. Es kam zum Auslaufen von 50 bis 100 l Schlacke mit einer Temperatur zwischen 500 und 600 °C. Die Schlacke ergoss sich auf den nassen Fußboden. Die hohe Hitze der Schlacke brachte das Wasser auf dem Boden zur sofortigen Verdampfung. Die heiße Schlacke verteilte sich explosionsartig. Die beiden Arbeitnehmer erlitten durch die heiße Schlacke starke Verbrennungen, denen der Erblasser später erlag.
7Die zuständige Berufsgenossenschaft erbrachte wegen des Arbeitsunfalls als Versicherungsfall Leistungen und macht im Nachgang – außerhalb des vorliegenden Rechtsstreits – Regressansprüche gegenüber der Betriebshaftpflichtversicherung der Beklagten zu 2 geltend.
8Mit ihrer Klage vom 31. Dezember 2023 verlangen die Kläger Schmerzensgeld sowie die Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet sind, alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Schadensereignis vom 28. März 2020 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder einen Dritten übergangen sind.
9Die Kläger meinen, es liege aufseiten der Beklagten ein Verstoß gegen Fürsorgepflichten des Arbeitgebers vor. Dieser Verstoß habe zum Tod des Erblassers geführt, welcher zumindest billigend in Kauf genommen worden sei. Es verbleibe daher kein Raum für die ansonsten bestehende unfallversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung.
10Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 5. September 2024 unter Verweis auf die Regelung in § 108 Abs. 2 SGB VII ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 6. September 2024, bei Gericht eingegangen am selben Tag.
11Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte verwiesen.
12II. Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 78 ArbGG, §§ 252, 567 ff. ZPO).
Sie ist auch begründet. Das Arbeitsgericht hätte den Rechtsstreit nicht auf der Grundlage des § 108 Abs. 2 SGB VII aussetzen dürfen.
151. Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung wird der Schadensausgleich bei Arbeitsunfällen aus dem individualrechtlichen in den sozialrechtlichen Bereich verlagert.
a) Die zivilrechtliche Haftung des Unternehmers und der Arbeitskollegen für fahrlässiges Verhalten bei Personenschäden gegenüber dem Arbeitnehmer wird gemäß § 104 SGB VII durch die öffentlich-rechtliche Leistungspflicht der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung abgelöst. Mit dieser Ablösung einher geht gemäß § 105 SGB VII eine entsprechende Haftungsfreistellung aller Betriebsangehörigen bei Betriebsunfällen (statt aller: Bundesarbeitsgericht 28. November 2019 – 8 AZR 35/19).
18b) Gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII sind Gerichte außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit bei Entscheidungen über die in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Ansprüche hinsichtlich der Frage, ob ein Versicherungsfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist, an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und der Sozialgerichte gebunden. Gemäß § 108 Abs. 2 SGB VII hat das Gericht sein Verfahren auszusetzen, bis eine Entscheidung nach Absatz 1 ergangen ist. Falls ein solches Verfahren noch nicht eingeleitet ist, bestimmt es dafür eine Frist, nach deren Ablauf die Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens zulässig ist (statt aller: Bundesgerichtshof 30. Mai 2017 – VI ZR 501/16).
19c) Allein von den Zivil- und Arbeitsgerichten zu entscheiden und damit nicht von der Bindungswirkung des § 108 Abs. 1 SGB VII – mit entsprechender Aussetzungsverpflichtung gemäß § 108 Abs. 2 SGB VII – erfasst ist jedoch die Frage, ob ein Haftungsausschluss nach §§ 104, 105 SGB VII aufgrund einer vorsätzlichen Schädigung ausgeschlossen ist. Denn dies ist für die Beurteilung des Versicherungsfalls irrelevant (Bundesarbeitsgericht 28. November 2019 – 8 AZR 35/19; Bundesarbeitsgericht 30. Oktober 2003 – 8 AZR 548/02).
202. Vorliegend ist die Berufsgenossenschaft – dies steht zwischen den Parteien außer Streit – infolge des sich am 28. März 2020 ereigneten Arbeitsunfalls eingetreten und hat Leistungen erbracht. Das Vorliegen eines Versicherungsfalls, der Umfang der Leistungsverpflichtung und die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers stehen nicht in Frage.
Im vorliegenden Rechtsstreit verlangen vielmehr die Erben des infolge des Arbeitsunfalls verstorbenen Arbeitnehmers von den Beklagten Schmerzensgeld sowie Feststellung der Eintrittspflicht für materielle und immaterielle Schäden, weil diese den Tod des Erblassers „zumindest billigend in Kauf genommen“ hätten. Es geht mithin um die Frage, ob der Haftungsausschluss gemäß §§ 104, 105 SGB VII aufgrund einer vorsätzlichen Schädigung entsperrt ist. Darüber hat das Arbeitsgericht zu entscheiden, ohne dass es auf das Vorliegen eines Versicherungsfalls sowie den Umfang der Leistungsverpflichtung und die Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft ankäme.
23Eine Aussetzung auf der Grundlage der Regelung in § 108 Abs. 2 SGB VII hatte mithin nicht zu erfolgen.
24III. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, da die durch die Beschwerde entstandenen Kosten einen Teil der Gesamtkosten des Rechtsstreits bilden, über die unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens in der Entscheidung zur Hauptsache gemäß §§ 91 ff. ZPO zu befinden ist (vgl. statt aller: Bundesgerichtshof 9. März 2021 – II ZB 16/20; Landesarbeitsgericht Hamm 28. November 2023 – 9 Ta 314/23; a.A. sowie zum Meinungsstand: Landesarbeitsgericht Hamm 8. Mai 2020 – 12 Ta 317/20).
IV. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 78 S. 2, 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.
Rechtsmittelbelehrung
29Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.