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Ist im Rahmen einer Konkurrentenklage zugleich über einen hilfsweise formulierten Feststellungsantrag zu entscheiden, der auf den umfassenden Ersatz gegenwärtigen und künftigen Schadens bei anderweitiger Besetzung der Stelle oder dem Abbruch des Verfahrens gerichtet ist, so besteht zwischen den Klagebegehren auch nach Maßgabe des kostenrechtlichen Streitgegenstandsbegriffs keine Identität des wirtschaftlichen Interesses.
Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 11. Juni 2024 sowie von Amts wegen wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld ebenfalls vom 11. Juni 2024 – 2 Ca 2199/22 – abgeändert. Der Gebührenstreitwert wird auf 38.565,27 EURO festgesetzt. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
2Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Festsetzung des Gebührenstreitwerts für ein durch streitiges Urteil entschiedenes Klageverfahren erster Instanz.
3I.
4Die Klägerin, die über eine Berufsausbildung zur Bilanzbuchhalterin (A) verfügt, war bei der Beklagten seit März 2014 zunächst als Sachbearbeiterin und ab Januar 2018 als kommissarische Leiterin der Verwaltung einer wissenschaftlichen Einrichtung tätig. In den Jahren 2018 bis 2019 absolvierte sie einen Qualifizierungslehrgang für die moderne Hochschulverwaltung. Im August 2022 bewarb sie sich auf die von der Beklagten für die B zunächst intern ausgeschriebene Stelle einer „Teamleitung Personal und Finanzen“, wobei insoweit allein die Bewerbung der Klägerin einging. Diese blieb von der Beklagten unter Hinweis auf die in der Ausschreibung geforderte, von der Klägerin jedenfalls formal nicht erfüllte Qualifikation unberücksichtigt. Die fraglichen Anforderungen, ein Hochschulabschluss oder alternativ eine Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt mit langjähriger Erfahrung im Personalwesen, waren von der Beklagten in einem vorausgehenden, dieselbe Tätigkeit betreffenden Stellenbesetzungsverfahren des Jahres 2020 so nicht formuliert worden.
5Es folgten eine erste ergebnislose externe Ausschreibung und im Herbst 2022 – bei unverändertem Anforderungsprofil – eine wiederholte interne Ausschreibung. Die nochmalige Bewerbung der Klägerin lehnte die Beklagte am 10. November 2022 unter Hinweis auf deren nach ihrer Auffassung weiterhin fehlende Qualifikation wiederum ab. Daran schloss sich eine erneute externe Ausschreibung an. Mit E-Mail vom 6. März 2023 teilte die Beklagte den Bewerberinnen und Bewerbern den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens mit. Hintergrund der Abbruchentscheidung war, dass die im vorausgehenden Besetzungsverfahren des Jahres 2020 erfolgreiche Stelleninhaberin, deren Wunsch nach einer Rückkehr auf die Sachbearbeiterebene die wiederholte Neuausschreibung bedingt hatte, sich zwischenzeitlich dazu bereiterklärte, die fragliche Teamleitung auch künftig auszuüben. Streitig blieb zwischen den Parteien insoweit, ob diese Mitarbeiterin bereits rechtlich wie faktisch in die Tätigkeit einer Sachbearbeiterin eingewiesen bzw. zurückgekehrt war oder ihr die Teamleitung über die Dauer der Bewerbungsverfahren, sei es auch unter zwischenzeitlicher Reduzierung ihrer Stundenzahl, weiterhin oblegen hatte.
6Mit ihrer wiederholt modifizierten und erweiterten Klage vom 16. Dezember 2022 hat die Klägerin zuletzt begehrt, die Rechtswidrigkeit des gegenüber der Ausschreibung 2020 ausgeschärften Anforderungsprofils festzustellen (Antrag zu 1.) und die Beklagte zu verpflichten, ihr die Stelle der Teamleitung Personal und Finanzen zu übertragen (Antrag zu 2.). Hilfsweise sei der Beklagte aufzugeben, ihr den aus einer anderweitigen Besetzung der Stelle resultierenden Schaden zu ersetzen (Antrag zu 3.), nochmals hilfsweise das Stellenbesetzungsverfahren fortzusetzen (Antrag zu 4.), nochmals hilfsweise die Besetzung der Stelle mit der im Jahr 2020 ausgewählten Mitarbeiterin zu beenden sowie das Besetzungsverfahren fortzusetzen und ihre Qualifikation dabei als gleichwertig zu berücksichtigen (Antrag zu 5.) und letztlich hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ein erneutes Auswahlverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts durchzuführen (Antrag zu 6.).
7Mit Urteil vom 23. April 2024 – 2 Ca 2199/22 – hat das Arbeitsgericht Bielefeld die Klage mit dem Antrag zu 1. als unzulässig sowie mit allen weiteren Haupt- und Hilfsanträgen als unbegründet abgewiesen. Mit Beschluss vom 11. Juni 2024, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 1602 der Akte erster Instanz), setzte es den Gebührenstreitwert auf insgesamt 27.755,01 € fest. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass der Streitwert für die Anträge zu 2. bis 6. unter Berücksichtigung des kostenrechtlichen Streitgegenstandsbegriffs insgesamt nach dem 36-fachen Differenzbetrag zwischen den hier relevanten Entgeltgruppen EG 9a Stufe 5 und EG 11 Stufe 4 TV-L (36 x 665,19 €) zu bemessen sei. Denn bei wirtschaftlicher Betrachtung beträfen diese Anträge denselben Gegenstand im Sinne des § 45 Abs. 1 S. 3 GKG, was zur Wertbestimmung allein nach dem Schadensersatzbegehren als dem Antrag mit dem höchsten Einzelwert Anlass gebe. Eine wirtschaftliche Werthäufung sei insoweit nicht begründet, weil die Anträge nur alternativ, nicht aber nebeneinander zum Erfolg führen könnten. Hinzu komme der Wert des als Zwischenfeststellungsantrag aufzufassenden Antrags zu 1., der mit 3.808,17 € anzusetzen sei. Denn die insoweit begehrte Feststellung sei nicht nur bezogen auf die Gegenstände der Anträge zu 2. bis 6., sondern zumindest auch hinsichtlich weitergehender, nicht rechtshängiger Ansprüche vorgreiflich. Insoweit hatte die Klägerin ihr Feststellungsinteresse an etwaigen Schadensersatzansprüchen betreffend die Kosten der Prozessführung und ihrer Bewerbungsabsicht auf etwaige weitere Stellenausschreibungen festgemacht, wofür die Frage nach den sachlich begründeten Anforderungen auch künftig relevant werden könne.
8Gegen diesen Beschluss haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten noch am 11. Juni 2024 aus eigenem Recht Beschwerde eingelegt. Unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 3. Januar 2024 – 8 AZN 45/23 (nicht veröffentlicht) vertreten sie die Auffassung, dass hinsichtlich des Schadensersatzbegehrens und der Gesamtheit der Konkurrentenschutzanträge eine Wertaddition zu erfolgen habe (insoweit zusätzlich dreifaches Monatseinkommen nach EG 11 Stufe 4 in Höhe von 14.412,78 €). Entsprechend der Auffassung des Arbeitsgerichts sei der von diesem angenommene Wert des Zwischenfeststellungsantrags hinzuzurechnen.
9Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen sowie insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten des Beschwerdeverfahrens wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.
10II.
11Die nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG iVm. §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten hat weitgehend Erfolg. Sie gibt der Beschwerdekammer zugleich Anlass, die angefochtene Entscheidung in Teilen gem. § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG von Amts abzuändern.
121. Dem Arbeitsgericht und der Beschwerde ist darin zu folgen, dass bei der Bestimmung des Gebührenstreitwerts gem. § 39 Abs. 1 GKG grundsätzlich dahingehend zu verfahren ist, die Einzelwerte mehrerer Streitgegenstände, die in demselben Verfahren und Rechtszug zur gerichtlichen Entscheidung anstehen, zusammenzurechnen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Hinsichtlich einer Mehrheit von Klage- oder Widerklageanträgen trifft § 45 Abs. 1 S. 3 GKG insoweit eine abweichende Bestimmung, als eine Wertaddition dann nicht zu erfolgen hat, wenn die Begehren denselben Gegenstand betreffen. Dieser Gegenstandsbegriff ist mit dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff nach prozessrechtlichem Verständnis nicht identisch. Maßgeblich für die Bestimmung des Gebührenstreitwerts ist vielmehr das durch die jeweiligen Anträge abgebildete Interesse der klagenden Partei. Sind die Anträge wirtschaftlich betrachtet auf denselben Gegenstand gerichtet, scheidet gem. § 45 Abs. 1 S. 3 GKG eine Zusammenrechnung der Einzelwerte aus (BAG, Beschluss vom 1. März 2022 – 9 AZB 38/21 – NZA 2022 S. 1079/1080). Die Wertbestimmung erfolgt dann allein nach dem höchsten Einzelwert.
2. Nach dem Vorschlag zu I. Nr. 19.3 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 1. Februar 2024 (siehe u. a.: NZA 2024, S. 307 ff), dem die Beschwerdekammer im Interesse einer einheitlichen, vorhersehbaren und transparenten Spruchpraxis sowie hier mit Blick auf die Wertung des § 42 Abs. 2 S. 1 GKG insbesondere rechtskonformen Wertbestimmung regelmäßig folgt, bestimmt sich der Gebührenstreitwert einer arbeitsrechtlichen Konkurrentenstreitigkeit, soweit wie vorliegend die Übertragung der Stelle im Streit steht (siehe Antrag zu 2.), nach der Vergütung für ein Vierteljahr, was vorliegend nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des TV-L zu einem Einzelwert in Höhe von 14.412,78 € führt. Die Einzelwerte der weiteren, hier in der Sache beschiedenen und in der Rechtsschutzintensität weniger weitreichenden Konkurrentenschutzanträge zu 4. bis 6. gehen nach § 45 Abs. 1 S. 3 GKG in diesem Wertansatz auf.
3. Soweit die Klägerin über den hier abschlägig beschiedenen weiteren Hilfsantrag zu 3. zusätzlich umfassend und auch zukunftsgerichtet Schadensersatz wegen der Nichtübertragung der Stelle begehrt hat, bemisst sich der Einzelwert dieses Antrags in Anwendung des § 42 Abs. 1 S. 1 GKG nach dem dreifachen Jahresdifferenzbetrag zwischen dem aktuell gezahlten und dem über die Stellenbewerbung angestrebten Tabellenentgelt, wobei die Differenzbeträge, die bei den jährlichen Sonderzahlungen entstehen, als Teil der Jahresbezüge ergänzend zu berücksichtigen sind. Der vorliegend relevante Differenzbetrag beträgt hier somit zunächst 25.430,40 €.
4. Da die Klägerin jedoch insoweit ausschließlich ein Feststellungsbegehren verfolgt hat, ist davon ein Abschlag in Höhe von 20% vorzunehmen. Dieser trägt dem Umstand Rechnung, dass der ggfls. erstrittene Feststellungstitel keine Zwangsvollstreckung ermöglicht und deshalb in seiner Wirkung hinter einem Leistungstitel zurückbleibt, den die Bemessungsanordnung des § 42 Abs. 1 S. 1 GKG im Blick hat. Ob es sich bei dem Titelschuldner um einen öffentlich-rechtlich verfassten Rechtsträger handelt, ist insoweit ohne Belang (TZA-Ziemann, Streitwert und Kosten im Arbeitsrecht, I A Rn 375 m. w. N.). Der anzusetzende Einzelwert dieses Antrags beträgt danach 20.344,32 €.
5. Die Zusammenrechnung der Einzelwerte wird in der vorliegenden Konstellation nicht durch §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 1 S. 3 GKG ausgeschlossen.
Mit ihren Konkurrentenschutz- und Schadensersatzanträgen hat die Klägerin nicht nur in zivilprozessualer, sondern auch in kostenrechtlicher Hinsicht zwei unterschiedliche Streitgegenstände verfolgt, die bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht gänzlich oder auch nur teilweise identisch sind, was kostenrechtlich betrachtet eine Addition der Einzelwerte nach § 39 Abs. 1 GKG erfordert.
23Die Konkurrentenklage ist auf die Übertragung der Stelle bzw. die Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs, der Feststellungsantrag hingegen allein auf eine wirtschaftliche Kompensation unter Beibehaltung des bisherigen Status gerichtet. Diese steht dem mit der Übertragung einer fachlich anspruchsvolleren und tariflich höher bewerteten Stelle verbundenen, gleichwertigen Leistungsaustausch wirtschaftlich nicht gleich. Denn anders als etwa beim Annahmeverzugsanspruchs nach unwirksamer Kündigung verfolgte die Klägerin hier keinen abhängigen Leistungs-, sondern einen rechtlich unabhängigen Sekundäranspruch, der an weitergehende Voraussetzungen, etwa an ein Verschulden der Beklagten und das fehlende eigene Mitverschulden gebunden ist. Wirtschaftliches Ziel eines solchen Begehrens ist es, dauerhaft eine höhere Entgeltleistung außerhalb eines vertraglich begründeten Austauschverhältnisses – also ohne adäquate Gegenleistung – zu erhalten. Dieses zudem unter Verzicht auf die mit der Übertragung der tariflich höherwertigen Stelle verbundene erweiterte Führungsverantwortung, weitergehende Bewährungs- und Aufstiegschancen und ein höheres fachliches wie soziales Prestige. Danach ist von einem in den Voraussetzungen, der inhaltlichen Gestaltung und den Folgen abweichendem wirtschaftlichen Interesse der Klägerin außerhalb des Bewerbungsverfahrens auszugehen, was auch nach dem kostenrechtlich geprägten Streitgegenstandsbegriff des § 45 Abs. 1 S. 3 GKG eine Wertaddition erfordert.
246. Soweit das Arbeitsgericht für den Zwischenfeststellungsantrag einen ebenfalls nach § 39 Abs. 1 GKG zu addierenden Einzelwert in Höhe von 3.808,17 € angesetzt ist, hält es sich dabei innerhalb des nach § 48 Abs. 1 S. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO beschriebenen Rahmens. Denn die begehrte Feststellung kann – wie von der Klägerin geltend gemacht und vom Arbeitsgericht aufgegriffen – für weitere, vorliegend nicht streitgegenständliche Ansprüche vorgreiflich sein.
Für die Wertbestimmung kommt es dabei, ausgehend vom klägerischen Interesse, allein auf die Möglichkeit einer Relevanz für anderweitige und künftige Rechtsverhältnisse, nicht aber auf die Begründetheit weitergehender Ansprüche an, was hier insbesondere im Hinblick auf § 12a Abs. 1 ArbGG ausgeführt sei.
277. Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens und der Ausschluss der Kostenerstattung ergeben sich unmittelbar aus § 32 Abs. 2 S. 1 RVG iVm. § 68 Abs. 3 GKG.
Rechtsmittelbelehrung
30Gegen diese Entscheidung ist nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG iVm. §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG kein Rechtsmittel statthaft.