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Die Geltendmachung eines Anspruchs iSd § 15 Ziff, 2 MTV setzt regelmäßig dessen Bestehen voraus. In Ausnahmefällen kann nach Sinn und Zweck der Ausschlussfrist eine Geltendmachung schon vor dem Entstehen erfolgen, wenn für den Schuldner kein Zweifel besteht, was von ihm verlangt wird.
Geht der Arbeitnehmer irrtümlich von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus und klagt seinen Urlaubsabgeltungsanspruch bezogen auf den vermeintlichen Beendigungszeitpunkt ein, so wahrt er damit die Ausschlussfrist auf erster und auf zweiter Stufe, auch wenn das Arbeitsverhältnis erst zu einem späteren Zeitpunkt endet. Denn auch wenn der Urlaubsabgeltungsanspruch erst zu diesem (späteren) Zeitpunkt entsteht, kann für den Schuldner kein Zweifel daran bestehen, was von ihm verlangt wird.
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 08. Mai 2024, Aktenzeichen 4 Ca 997/23, teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Urlaubsabgeltung in Höhe von 6.822,09 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31. Oktober 2024 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 44% und die Beklagte zu 56%.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltung für die Jahre 2021 bis 2023.
3Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 01. Februar 2003 als kaufmännischer Angestellter vollzeitig zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt 2.986,00 € beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden gemäß § 15 des Arbeitsvertrages (Bl. 6 ff. der erstinstanzlichen Akte, im Folgenden: EA) die Tarifverträge für Arbeitnehmer im Groß- und Außenhandel NRW in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Dessen § 15 lautet auszugsweise:
4„ …
52. Der Anspruch auf vorgenannte Vergütungen sowie alle sonstigen gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind binnen 3 Monaten nach Fälligkeit dem anderen Vertragspartner gegenüber schriftlich geltend zu machen.
6Spätestens innerhalb weiterer drei Monate nach Ablauf dieser Frist ist Klage zu erheben. Ist das Beschäftigungsverhältnis beendet, so beträgt die Klagefrist einen Monat.
7…“
8Ferner sieht der Arbeitsvertrag unter § 4 folgende Regelung vor:
9„Das Anstellungsverhältnis endet ohne Kündigung mit Ablauf des Monats, in dem der Angestellte sein 65. Lebensjahr vollendet hat, sofern es nicht bereits vor diesem Zeitpunkt wirksam aufgelöst worden ist. Es endet darüber hinaus mit dem Tage, an dem der Angestellte ein vorzeitiges Altersruhegeld oder eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht.“
10Der Kläger war seit dem 01. März 2021 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Mit Bescheid vom 29. September 2021 stellte der Kreis A ab dem 01. Juni 2021 eine Schwerbehinderung fest, was der Kläger der Beklagten mitteilte. Mit Rentenbescheid vom 24. April 2023 (Bl. 13 EA) bewilligte die Rentenversicherung dem Kläger eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 01. Oktober 2021 bis zum 31. August 2024.
11Daraufhin richtete der Kläger unter dem 09. Mai 2023 folgendes Schreiben an die Beklagte (Bl. 113 EA):
12„Sehr geehrter Herr B,
13hiermit möchte ich Sie darüber in Kenntnis setzen, dass ich ab dem 01.06.2023 die volle Erwerbsminderungsrente erhalte. Den Rentenbescheid lege ich bei. Da mein noch bestehender Arbeitsvertrag mit Erhalt der Rente automatisch erlischt, bitte ich Sie mir die noch zustehenden Resturlaubstage zuzüglich der zusätzlichen Urlaubstage wegen meiner Schwerbehinderung in voller Höhe von insgesamt 49,5 Tagen auszuzahlen.“
14Mit Schreiben vom 14. Juli 2023 (Bl. 16 EA) machte der Kläger durch die ihn vertretende Gewerkschaft erneut vergeblich die Zahlung einer Urlaubsabgeltung für 49,5 Urlaubstage = 6.822,09 € brutto geltend und berief sich auch hier auf das vermeintlich zum 31. Mai 2023 wegen Rentenbezuges beendete Arbeitsverhältnis.
15Mit seiner am 24. August 2023 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger seinen Anspruch weiterverfolgt. Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom Gütetermin am 19. September 2023 wies der Klägervertreter in dem Termin auf die Schwerbehinderung des Klägers hin und vertrat die Auffassung, für 2021 seien weitere 35 Tage zu berücksichtigen. Das Verfahren wurde auf Antrag beider Parteien zunächst ruhend gestellt. Am nächsten Tag kündigte der Kläger mit Schreiben vom 20. September 2023 das Arbeitsverhältnis zum 31. Oktober 2023.
16Mit Schreiben vom 06. Dezember 2023 (Bl. 38 EA) wies die Beklagten gegenüber dem Arbeitsgericht darauf hin, dass der Kläger sein Arbeitsverhältnis mittlerweile gekündigt, Urlaubsabgeltungsansprüche aber nicht geltend gemacht habe. Der Kläger beantragte mit Schriftsatz vom 07. Februar 2024, das Verfahren fortzuführen. Er wies auf die zwischenzeitlich ausgesprochene Eigenkündigung hin und verlangte nunmehr Urlaubsabgeltung für die Jahre 2021 bis 2023. Unstreitig stand dem Kläger - bezogen auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Oktober 2023 - für das Jahr 2021 ein restlicher Urlaubsanspruch in Höhe von 24 Tagen, für das Jahr 2022 in Höhe von 35 Tagen und für das Jahr 2023 von 29 Tagen zu. Daraus hat er unter Berücksichtigung eines unstreitig zugrunde zu legenden Tagessatzes iHv 137,82 € für 88 Urlaubstage einen Abgeltungsanspruch von 12.128,16 € brutto errechnet.
17Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass seinem Anspruch auf Urlaubsabgeltung die tarifliche Ausschlussfrist in § 15 des Manteltarifvertrages für den Groß- und Außenhandel NRW nicht entgegenstehe. Denn er habe die Ausschlussfrist mit seinem Schreiben vom 14. Juli 2023, jedenfalls aber mit seiner am 24. August 2023 bei Gericht eingegangenen Klage gewahrt und dabei seine Berechnungsgrundlage dargelegt. Zudem habe er sich in der Güteverhandlung vom 19. September 2023 auf die Abgeltungsansprüche berufen, als er auf seine Schwerbehinderung hingewiesen und die Anzahl der offenen Urlaubtage mit 49,5 zzgl. weiterer 35 Tage für 2021 beziffert habe. Damit habe der Kläger hinreichend deutlich gemacht, dass er die Abgeltung seines Urlaubs bezogen auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses begehre und habe die Beklagte auch im Hinblick auf die Berechnung nicht im Ungewissen gelassen. Aufgrund der Erörterungen im Gütetermin sei auch klar gewesen, dass der Kläger das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung beenden werde, was er mit seinem Kündigungsschreiben vom 20. September 2023 auch unmittelbar am nächsten Tag umgesetzt habe. Jedenfalls sei das Berufen der Beklagten auf den Verfall vor dem Hintergrund der zahlreichen Aufforderungen des Klägers zur Abgeltung des Urlaubs treuwidrig. Gegenforderungen der Beklagten bestünden nicht. Da der Kläger die Abgeltungsansprüche sogar schon eingeklagt habe, habe kein Zweifel bei der Beklagten bestehen können, dass der Kläger seine Urlaubsabgeltung durchzusetzen beabsichtigt.
18Der Kläger hat beantragt,
19die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 12.128,16 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
20Die Beklagte hat beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass Urlaubsabgeltungsansprüche des Klägers verfallen seien, da der Kläger bezogen auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Oktober 2023 den bezifferten Urlaubsabgeltungsanspruch erstmals mit Schriftsatz vom 07. Februar 2024 und damit außerhalb der dreimonatigen Ausschlussfrist geltend gemacht habe Die Berufung auf die Verfallfrist sei auch nicht treuwidrig, da die Beklagte den Kläger nie davon abgehalten habe, den Urlaubsabgeltungsanspruch fristgerecht geltend zu machen.
23Das Arbeitsgericht Rheine hat die Klage durch Urteil vom 08. Mai 2024 – Az. 4 Ca 997/23 – abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass der Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung verfallen sei. Eine wirksame Geltendmachung sei erstmals mit dem Schriftsatz vom 07. Februar 2023 und damit außerhalb der dreimonatigen Ausschlussfrist erfolgt. Der Kläger habe die Ausschlussfrist weder mit seinem Schreiben vom 14. Juli 2023, noch mit der Klage vom 24. August 2023 gewahrt. Denn zu diesem Zeitpunkt sei das Arbeitsverhältnis, auch wenn der Kläger irrtümlich davon ausgegangen sei, noch nicht beendet gewesen und ein Abgeltungsanspruch noch nicht entstanden und fällig gewesen. Es habe weder festgestanden, wann das Arbeitsverhältnis tatsächlich zu Ende gehen würde, noch in welchem Umfang im Zeitpunkt der Beendigung Urlaubsansprüche noch bestehen würden. Auch die im Rahmen der Güteverhandlung am 19. September 2023 abgegebenen Erklärungen stellten keine fristwahrende Geltendmachung dar, da auch zu diesem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis noch nicht beendet gewesen und der Anspruch auf Urlaubsabgeltung noch nicht entstanden sei.
24Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg auf ein treuwidriges Verhalten der Beklagten berufen. Denn die Beklagte habe die Durchsetzung des Anspruchs durch ihr Verhalten nicht erschwert. Der Kläger habe den Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses gekannt, da er diesen selbst mit seiner Eigenkündigung herbeigeführt habe, habe aber dennoch weder das Verfahren zunächst fortgesetzt, noch Urlaubsabgeltung bezogen auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Oktober 2023 geltend gemacht. Zudem habe die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 06. Dezember 2023 auf die fehlende Geltendmachung der Urlaubsabgeltungsansprüche hingewiesen. Der Kläger hätte ausreichend Zeit und Gelegenheit gehabt, den Urlaubsabgeltungsanspruch bezogen auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Oktober 2023 rechtzeitig beziffert geltend zu machen.
25Gegen das dem Kläger am 21. Mai 2024 zugestellte Urteil richtet dieser sich mit seiner am 14. Juni 2024 eingegangenen Berufung, die er mit seinem am 19. August 2024 beim Landesarbeitsgericht eingegangen Schriftsatz innerhalb der verlängerten Begründungsfrist unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens wie folgt begründet: Zu Unrecht sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Klage vom 24. August 2023 die tarifliche Ausschlussfrist nicht wahre. Der Kläger habe bereits mit seinem Schreiben vom 09. Mai 2023 deutlich gemacht, dass er vom Ende des Arbeitsverhältnisses ausgehe und die Abgeltung noch offener Urlaubsansprüche begehre. Auch mit seiner Klage habe er unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er auf die Erfüllung der Abgeltungsansprüche jedenfalls in Höhe es ursprünglich eingeklagten Betrages bestehe. Zu keinem Zeitpunkt habe er ein Verhalten an den Tag gelegt, aufgrund dessen die Beklagte habe annahmen können, dass er von seinem Begehren Abstand nehme. Als sich im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung gezeigt habe, dass der Kläger rechtsirrig von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Rentenbezug ausgegangen sei, habe er umgehend durch seine Kündigung einen Beendigungstatbestand erzeugt. Für die Beklagte habe auch kein Zweifel daran bestehen können, wie sich die Forderung errechne. Deshalb sei die tarifliche Ausschlussfrist einschränkend dahingehend auszulegen, dass auch die Geltendmachung vor Fälligkeit des Anspruchs unter Verweis auf die richtige Berechnungsmethode ausreichend sei auch für einen erst später entstehenden Abgeltungsanspruch. Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht ein treuwidriges Berufen auf die Ausschlussfrist abgelehnt, nachdem der Kläger frühzeitig und immer wieder die Abgeltung der noch offenen Urlaubsansprüche verlangt habe.
26Der Kläger beantragt,
27das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 08.05.2024, Az. 4 Ca 997/23, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 12.128,16 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31. August 2024 zu zahlen.
28Die Beklagte beantragt,
29die Berufung zurückzuweisen.
30Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Zutreffend sei das Arbeitsgericht von einem Verfall der Ansprüche ausgegangen. Eine Geltendmachung vor Fälligkeit sei nur ausnahmsweise bei unveränderter rechtlicher und tatsächlicher Lage möglich, sofern die Leistung auf einem ständig gleichen Grundtatbestand beruhe. Das sei bei einem Anspruch auf Urlaubsabgeltung jedoch nicht der Fall, bei dem erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses feststehe, in welcher Höhe er bestehe.
31Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
32Entscheidungsgründe:
33Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.
34I. Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach der Art des Streitgegenstands zulässig (§ 64 Abs. 2 Buchst. b) ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und auch fristgerecht gegen das am 21. Mai 2024 zugestellte Urteil am 14. Juni 2024 eingelegt (§ 519 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und innerhalb der verlängerten Frist des § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG sowie ordnungsgemäß (§ 520 Abs. 3 ZPO i.Vm. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG) am 19. August 2024 begründet worden. Sie ist damit insgesamt zulässig.
35II. In der Sache hat die Berufung jedoch nur teilweise Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung in Höhe von 6.822,80 € brutto; eine darüberhinausgehende Urlaubsabgeltung ist nach § 15 Ziff. 2 MTV verfallen.
361. Dem Kläger steht dem Grunde nach ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung in Höhe von 12.128,16 € brutto zu gemäß § 7 Abs. 4 BurlG. Insoweit steht zwischen den Parteien nicht im Streit, dass dem Kläger für das Jahr 2021 ein restlicher Urlaubsanspruch in Höhe von 24 Tagen, für das Jahr 2022 in Höhe von 35 Tagen und für das Jahr 2023 von 29 Tagen zustand, woraus eine Urlaubsabgeltung für insgesamt 88 Tage resultiert. Unter Berücksichtigung des unstreitig zugrunde zu legenden Tagessatzes iHv 137,82 € errechnet sich daraus die mit der Berufung begehrte Urlaubsabgeltung in Höhe von 12.128,16 € brutto.
372. Der Kläger hat jedoch nur hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 6.822,80 € die tarifliche Ausschlussfrist (§ 15 MTV) gewahrt.
38a) Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete unstreitig am 31. Oktober 2023. Der Kläger hat eine Urlaubsabgeltung für 49,5 Urlaubstage in Höhe von 6.822,80 € erstmals mit Schreiben seiner Gewerkschaft vom 14. Juli 2023 beziffert und sodann mit seiner Klage vom 24. August 2023 gerichtlich geltend gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war der Urlaubsabgeltungsanspruch aus dem erst mit Ablauf des 31. Oktober 2023 beendeten Arbeitsverhältnisses weder entstanden, noch fällig. Das hindert entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts die Einhaltung der Ausschlussfrist auf der ersten Stufe jedoch nicht.
39aa) Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung kann nach Aufgabe der Surrogatstheorie durch das Bundesarbeitsgericht (vgl. BAG, Urteile vom 09. August 2011 - 9 AZR 365/10, NZA 2011, 1421; vom 21. Februar 2012 - 9 AZR 486/10, NZA 2012, 750; vom 19. Juni 2012 - 9 AZR 625/10 - DB 2012, 228) als reiner Geldanspruch grundsätzlich sowohl tarifvertraglichen, als auch arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen unterliegen. Dem stehen weder der unabdingbare Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs nach §§ 1, 3 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 BurlG, noch die vom Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommene verbindliche Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC entgegen (ausführlich dazu BAG, Urteil vom 24. Mai 2022 – 9 AZR 461/21 –, Rn. 9, AP Nr 119 zu § 7 BurlG Abgeltung; s. auch BAG, Urteile vom 31. Januar 2023 – 9 AZR 244/20 –, Rn. 27, AP Nr 122 zu § 7 BUrlG Abgeltung; vom 9. März 2021 - 9 AZR 323/20 - Rn. 10; vom 18. September 2018 - 9 AZR 162/18 - Rn. 29, BAGE 163, 282). Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung gehört den von § 15 Ziff. 2 MTV erfassten Ansprüchen „aus dem Arbeitsverhältnis“ (vgl. auch BAG, Urteil vom 24. Mai 2022 – 9 AZR 461/21 –, Rn. 52, aaO).
40bb) Die Geltendmachung eines Anspruchs iSd § 15 Ziff. 2 MTV setzt regelmäßig dessen Bestehen voraus. Andernfalls liegt kein Anspruch vor, der geltend gemacht werden könnte (BAG, Urteil vom 3. Juli 2013 – 4 AZR 476/12 –, Rn. 44, AP Nr 205 zu § 4 TVG Ausschlussfristen).
41Ein Urlaubsabgeltungsanspruch entsteht regelmäßig mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird grundsätzlich gleichzeitig fällig (BAG, Urteile vom 27. Oktober 2020 – 9 AZR 531/19 –, Rn. 31, AP Nr 115 zu § 7 BUrlG Abgeltung; vom 22. Januar 2019 - 9 AZR 149/17 - Rn. 37, AP Nr 109 zu § 7 BUrlG Abgeltung; vom 17. Oktober 2017 - 9 AZR 80/17 - Rn. 29 mwN, AP Nr 106 zu § 7 BUrlG Abgeltung). § 7 Abs. 4 BUrlG knüpft allein an die durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verursachte Unmöglichkeit an, den noch bestehenden Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers durch bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht zu realisieren (BAG, Urteil vom 22. Januar 2019 - 9 AZR 328/16 - Rn. 30). Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfällt die Arbeitspflicht und damit die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer durch Freistellung von der Arbeitspflicht Urlaub zu gewähren (BAG 22. Januar 2019 - 9 AZR 328/16 - Rn. 31). Dies gilt auch in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist (vgl. BAG, Urteil vom 17. Oktober 2017 – 9 AZR 80/17 –, Rn. 29, aaO; vom 09. August 2011 – 9 AZR 352/10 – Rn. 19 ff.; - Rn. 19 ff., PflR 2012, 14).
42Die danach vorliegend für den Lauf der Ausschlussfrist maßgebliche rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien trat durch die Kündigung des Klägers vom 20. September 2023 mit Ablauf der Kündigungsfrist am 31. Oktober 2023 ein. Damit war der Abgeltungsanspruch weder zum Zeitpunkt der Geltendmachung durch das klägerische Schreiben vom 14.07.2023, noch zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 24.08.2023 bereits entstanden.
43cc) In Ausnahmefällen kann nach Sinn und Zweck der Ausschlussfrist eine Geltendmachung eines Anspruchs aber auch schon vor dessen Entstehen erfolgen (vgl. dazu zB BAG, Urteil vom 3. Juli 2013 – 4 AZR 476/12 –, Rn. 45, aaO mwN). Der Sinn und Zweck von Ausschlussfristen gebieten zwar grundsätzlich, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen nach dem Vorbringen des Anspruchstellers bei der Geltendmachung bereits vorliegen oder ihr Eintreten als sicher gelten muss. Denn Ausschlussfristen bezwecken, dass sich der Anspruchsgegner auf die aus Sicht des Anspruchstellers noch offenen Forderungen rechtzeitig einstellt, Beweise sichert oder vorsorglich Rücklagen bilden kann (BAG, Urteil vom 03. Juli 2013 – 4 AZR 476/12 – Rn. 44, aaO; vom 18. September 2012 – 9 AZR 1/11 –, Rn. 35, AP Nr 96 zu § 7 BUrlG Abgeltung; vom 11. Dezember 2003 - 6 AZR 539/02 -, BAGE 109, 100). Sie sollen zur raschen Klärung von Ansprüchen beitragen. Dieser Zweck kann nicht erfüllt werden, wenn Ansprüche vor ihrer Entstehung geltend gemacht werden und damit letztlich nur als möglich angekündigt werden. Es bleibt ungewiss, ob und in welchem Umfang Ansprüche entstehen. Auch wird die rasche Klärung von Ansprüchen nicht erreicht (vgl. BAG, Urteil vom 03. Juli 2013 – 4 AZR 476/12 –, aaO).
44Von einem Ausnahmefall, bei dem eine Geltendmachung bereits vor Fälligkeit erfolgen kann, ist bezogen auf Urlaubsabgeltungsansprüche jedenfalls dann nicht auszugehen, wenn die Urlaubsabgeltung lange vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses beansprucht wird und die Beendigung oder der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht sicher ist. In einem solchen Fall können weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Verlangens absehen, ob überhaupt Urlaubsabgeltungsansprüche entstehen und für wie viele Urlaubstage ggf. bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich noch ein Urlaubsabgeltungsanspruch in welcher Höhe entstehen wird. Aufgrund gesetzlicher oder tariflicher Verfallregelungen kann Urlaub zwischenzeitlich noch verfallen oder je nach dem Beendigungszeitpunkt Kürzungsregelungen unterliegen (§ 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG). Die verfrühte Geltendmachung kann deshalb allenfalls punktuell den „Ist-Zustand“ der Urlaubshöhe zum Zeitpunkt der Geltendmachung abbilden, auf den es für den erst später entstehenden Urlaubsabgeltungsanspruch jedoch nicht ankommt. Soweit sie auf den noch ungewissen künftigen Beendigungszeitpunkt bezogen wird, geschieht sie „ins Blaue hinein“. Die Zulassung einer solchen „Vorratsgeltendmachung“ ohne erkennbaren Anlass in einer noch wandelbaren Situation würde nicht zur schnellen Klärung von Ansprüchen beitragen, sondern die Ausschlussfrist ins Leere laufen lassen (vgl. BAG, Urteil vom 18. September 2012 – 9 AZR 1/11 –, Rn. 34 - 36, juris).
45Anders ist es gemessen an dem Sinn und Zweck von Ausschlussfristen aber dann, wenn für den Schuldner kein Zweifel darüber besteht, was von ihm verlangt wird; dann darf der Gläubiger ohne Weiteres davon ausgehen, dass er seiner Obliegenheit zur Geltendmachung Genüge getan hat (vgl. BAG, Urteile vom 22. März 2023 – 10 AZR 351/20 –, Rn. 73 - 74, AP Nr 40 zu § 6 ArbZG; vom 19. Februar 2020 - 10 AZR 19/19 - Rn. 61, BAGE 170, 24; umfassend BAG 16. Januar 2013 - 10 AZR 863/11 - Rn. 31, BAGE 144, 210 mwN).
46ee) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger seinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung in Höhe von 6.822,80 € jedenfalls mit seiner Klage am 24. August 2023 rechtzeitig auf erster Stufe geltend gemacht. Abgesehen davon, dass er seine Ansprüche etwa zwei Monate und damit nicht „lange“ im Sinne der zitierten Rechtsprechung vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhoben hat, war für die Beklagte klar erkennbar, was der Kläger von ihr verlangte, nämlich eine Urlaubsabgeltung für 49,5 Tage in der bezifferten Höhe aufgrund der (vermeintlichen) Beendigung zum 31.05.2023 bezogen auf diesen Beendigungszeitpunkt. Dass das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch nicht beendet war, ein Abgeltungsanspruch noch nicht bestand und die Klage zu diesem Zeitpunkt (noch) unbegründet war, ist unerheblich. Denn es war für die Beklagte erkennbar, dass es sich nicht um eine „Vorratsgeltendmachung“ im Hinblick auf eine nur mögliche zukünftige Beendigung handelte, sondern dass der Kläger aufgrund seiner unzutreffenden rechtlichen Würdigung davon ausging, dass das Arbeitsverhältnis gemäß § 4 des Arbeitsvertrages bereits zum 31.05.2023 beendet worden und ein Abgeltungsanspruch entstanden sei, den er aus seiner Sicht konsequent sodann innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist eingeklagt hat. Damit hat der Kläger die durch die tarifliche Ausschlussfrist geschützten Interessen der Beklagten gewahrt, denn eindeutiger als durch Erhebung einer Klage kann ein Anspruch – unabhängig von der Begründetheit der Klage - nicht verlangt und die Frage einer schnellen Klärung zugeführt werden. Die Beklagte konnte sich aufgrund dessen auf die Forderung des Klägers einstellen. Nachdem der Irrtum des Klägers im Gütetermin aufgeklärt worden ist, hat er unmittelbar, nämlich bereits am nächsten Tag, eine Eigenkündigung ausgesprochen, um nun seinerseits das Ende des Arbeitsverhältnisses herbeizuführen. Eine erneute Geltendmachung nach der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verlangen, wäre gemessen an dem Sinn und Zweck von Ausschlussfristen bloße Förmelei.
47Der hier zu entscheidende Fall ist nicht anders zu beurteilen als die zB Fälle, in denen der Arbeitgeber mit einer unzutreffenden Kündigungsfrist kündigt. Hätte vorliegend der Arbeitgeber zum 31.05.2023 eine Kündigung ausgesprochen und der Kläger daraufhin Kündigungsschutzklage erhoben und beziffert seine Urlaubsabgeltung eingeklagt, und hätte sich erst im Laufe des Prozesses herausgestellt, dass die Kündigung nicht bereits zum 31.05., sondern erst zum 31.10.2023 wirkt, so wäre auch hier der Anspruch auf Urlaubsabgeltung vor seinem tatsächlichen Entstehen geltend gemacht und eingeklagt worden. In konsequenter Anwendung der von der Beklagten vertretenen Auffassung wäre der Abgeltungsanspruch in einem solchen Fall verfallen. Auch das wäre mit dem Sinn und Zweck von Ausschlussfristen nicht vereinbar.
48Der vorliegende Fall ist zudem nicht vergleichbar mit den bisher von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen, in denen ein Arbeitnehmer durch ein nur „punktuell“ wirkendes Geltendmachungsschreiben seine Ansprüche gestellt hat. Denn ist der Anspruch bereits eingeklagt, wirkt die Klage als „Dauertatbestand“ während der gesamten Dauer eines Prozesses. Vorliegend war die Klage bei Ablauf der Kündigungsfrist am 31.10.2023 noch rechtshängig, so dass der Abgeltungsanspruch unmittelbar im Zeitpunkt seines Entstehens mit Ablauf des 31.10.2023 durch die noch rechtshängige Klage geltend gemacht war.
49gg) Mit seiner Klage hat der Kläger auch die zweite Stufe der Ausschlussfrist nach § 15 MTV gewahrt. Dass die Klage erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 01. November 2023 begründet worden ist, ändert daran nichts. Denn eine Geltendmachung auf zweiter Stufe verlangt zwar die gerichtliche Geltendmachung einer Forderung, nicht aber deren Begründetheit.
502. Hinsichtlich der weiteren Urlaubsabgeltung in Höhe von 5.305,36 € bleibt die Berufung hingegen ohne Erfolg, denn der über 6.822,80 € hinausgehende Anspruch ist nach § 15 Ziff. 2 MTV verfallen. Dabei kann dahinstehen, ob die Geltendmachungsschreiben des Klägers vom 09. Mai 2023 bzw. vom 14. Juli 2023 oder die Klageerhebung vom 24. August 2023 geeignet waren, die erste Stufe der Ausschlussfrist einzuhalten (zur Wahrung der Ausschlussfrist auf erster Stufe auch für zukünftige Ansprüche durch Klageerhebung vgl. BAG, Urteil vom 22. März 2023 – 10 AZR 351/20 –, Rn. 72, juris). Denn jedenfalls hat der Kläger hinsichtlich des über 6.822,80 € hinausgehenden Anspruchs die zweite Stufe der Ausschlussfrist nicht gewahrt, indem er weitergehende Ansprüche erstmals mit seiner Klageerweiterung vom 07.Februar 2024 gerichtlich und damit auf der zweiten Stufe geltend gemacht hat. Nachdem das Arbeitsverhältnis unstreitig bereits zum 31. Oktober 2023 beendet worden war, hat der Kläger damit keine der in § 15 Ziff. 2 MTV festgelegten Fristen gewahrt.
513. Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB.
52III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
53Gründe für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht ersichtlich.
54RECHTSMITTELBELEHRUNG
55Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
56Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.