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Während der Mutterschutzfristen, sonstiger Beschäftigungsverbote und während der Elternzeit gehen die gesetzlichen Sonderregelungen in § 24 Satz 2 MuSchG, § 17 Abs. 2 BEEG den allgemeinen Befristungsregelungen in § 7 Abs. 3 BUrIG vor; sie regeln das für das Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrIG maßgebliche Urlaubsjahr.
Diese Ausnahmen von dem Grundsatz, dass der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss, gelten auch bei einer Mehrzahl von aufeinander folgenden Mutterschutzfristen und Elternzeiten.
Da aufgrund der spezialgesetzlichen Regelungen der §§ 24 S. 2 MuSchG, 17 Abs. 2 BEEG ein Verfall der – nicht nach § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG gekürzten - Urlaubsansprüche nicht eintreten kann, trifft den Arbeitgeber vor dem Ende des Beschäftigungsverbotes bzw. Elternzeit auch keine Mitwirkungsobliegenheit. Erst nach Ablauf des Beschäftigungsverbotes oder der (letzten) Elternzeit steht fest, wann das „Urlaubsjahr" im Sinne der §§ 24 S. 2 MuSchG, 17 Abs. 2 BEEG endet und wann ein Verfall frühestens eintreten kann. (Erst) ab diesem Zeitpunkt hat der Arbeitgeber bei der Erfüllung des Urlaubsanspruchs mitzuwirken und die Arbeitnehmerin auf einen drohenden Verfall hinzuweisen.
Der aufgrund von Mutterschutzfristen/ Beschäftigungsverboten/ Elternzeiten angesammelte Urlaubsanspruch ist nach Ablauf des gemäß § 24 Satz 2 MuSchG, § 17 Abs. 2 BEEG definierten Urlaubsjahres nicht anders zu behandeln als der während einer langjährigen Arbeitsunfähigkeit angesammelte Urlaub. Ist eine Arbeitnehmerin nach Ablauf der letzten Elternzeit durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und kann den Urlaub innerhalb des 15-monatigen Übertragungszeitraums nicht in Anspruch nehmen, so verfällt er nach § 7 Abs. 3 BurlG.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 21.02.2024 – Az. 1 Ca 919/23 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert.
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus eine weitere Urlaubsabgeltung für die Jahr 2011 bis 2021 in Höhe von 6.494,85 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.09.2023 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin zu 89 % und die Beklagte zu 11 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 92 % und die Beklagte zu 8 %.
II.Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Klägerin nimmt die Beklagte zuletzt noch auf Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2011 bis 2021 in Anspruch.
3Die Klägerin war vom 01.01.2002 bis zum 31.07.2023 bei der Beklagten, zuletzt als Assistentin im Bereich Abfüllung, beschäftigt. Der Arbeitsvertrag vom 05.01.2017, wegen dessen Inhalt im Übrigen auf Bl. 5 ff. der erstinstanzlichen Akte (im Folgenden: EA) verwiesen wird, enthält folgende Vereinbarungen:
4„§ 3 Urlaub
5Der Angestellte hat einen Anspruch auf einen Jahresurlaub gern. den tarifvertraglichen Bestimmungen und innerbetrieblichen Anweisungen von derzeit 30 Arbeitstagen. Diese setzen sich aus dem gesetzlichen Anspruch in Höhe von 20 Tagen und einem darüber hinausgehenden tarifvertraglichen Anspruch in Höhe von weiteren 10 Tagen zusammen.
6Im Falle der Urlaubsgewährung wird zunächst der gesetzliche Urlaubsanspruch erfüllt und sodann der darüber hinausgehende tarifvertragliche.
7§ 8 Sonstiges
8…
9Sofern in diesem Vertrag nichts Gegenteiliges vereinbart wurde, gelten ergänzend die für die Brauerei gültigen Tarifverträge. Daneben gelten die entsprechenden Betriebsvereinbarungen und Organisationsrichtlinien bzw. der für den Arbeitsplatz geltende Organisationsplan.
10…“
11Unter § 14 des in Bezug genommenen Manteltarifvertrages für die dem Siegener Brauereiverband e.V., Siegen, tarifrechtlich angeschlossenen Brauereien vom 5. Oktober 1995 (Bl. 131 ff. EA) heißt es:
12„II. Dauer des Urlaubs
13…
14Der Urlaub für Arbeitnehmer über 18 Jahre beträgt ab dem Urlaubsjahr 1993:
15bis zum vollendeten 50. Lebensjahr 30 Arbeitstage,
16nach dem vollendeten 50. Lebensjahr 31 Arbeitstage.
17…
18VI. Zeitpunkt, Übertragbarkeit und Abgeltung des Urlaubs
191. Der Urlaub muß im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muß der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden.
202. Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.
213. Tariflicher Urlaub, der über den Anspruch aus dem Bundesurlaubsgesetz hinausgeht, erlischt für den Fall der berechtigten fristlosen Entlassung, sofern diese auf einer groben Verletzung der dem Arbeitnehmer obliegenden Treuepflicht beruht.“
22Die Klägerin erbrachte aufgrund von Schwangerschaften und Geburten von drei Kindern zwischen dem 01.01.2011 und dem 17.09.2020 - abgesehen von einer Unterbrechung vom 16.01.2017 bis zum 23.04.2017 – keine Arbeitsleistungen für die Beklagte. Sie nahm in Anschluss an Beschäftigungsverbote bzw. Mutterschutzfrist ab dem 01.01.2011 ihre erste Elternzeit ab dem 14.03.2011 in Anspruch. Diese wurde unterbrochen durch eine weitere Mutterschutzfrist und Elternzeit aufgrund der Geburt des zweiten Kindes. Die zweite Elternzeit endete am 23.05.2016; im Anschluss daran wurde die erste Elternzeit fortgesetzt bis zum 15.01.2017. Zwischen dem 16.01. bis 23.04.2017 erbrachte die Klägerin – unterbrochen durch Arbeitsunfähigkeitszeiten und Urlaubstage – an 23 Tagen Arbeitsleistungen, bevor ab dem 24.04.2017 wiederum ein Beschäftigungsverbot bestand, das nahtlos überging in die Mutterschutzfrist sowie eine weitere Elternzeit für das dritte Kind vom 14.11.2017 bis zum 17.09.2020.
23In dem Zeitraum zwischen dem 18.09.2020 bis zum 27.09.2020 erbrachte die Klägerin Arbeitsleistungen an vier Tagen und nahm zwei Tage Erholungsurlaub in Anspruch, bevor sie ab dem 28.09.2020 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durchgehend arbeitsunfähig erkrankte.
24Mit Wirkung zum 20.05.2016 wurde der Klägerin ein Grad der Behinderung von 50% zuerkannt. Das teilte sie der Beklagten mit e-mail vom 29.03.2023 (Bl. 11 EA) mit und machte – auch rückwirkend – Zusatzurlaub wegen ihrer Schwerbehinderung geltend.
25Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete durch Eigenkündigung der Klägerin mit Ablauf des 31.07.2023. Anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechnete die Beklagte zugunsten der Klägerin eine Urlaubsabgeltung in Höhe von € 13.470,77 € für 56 Tage mit einem Tagessatz in Höhe von 240,55 € brutto ab und legte dabei für das Jahr 2022 30 Tage Tarifurlaub zzgl. 5 Tagen Schwerbehindertenurlaub sowie für das Jahr 2023 18 Tage Tarifurlaub zzgl. 3 Tagen Schwerbehindertenurlaub zugrunde (s. Bl. 13 f. EA).
26Mit E-Mail vom 24.08.2023 (Bl. 15 EA) forderte die Klägerin die Beklagte vergeblich zur Zahlung einer weiteren Urlaubsabgeltung auf, die sie wie folgt berechnete:
27- 2011: 30 Urlaubstage
28- 2012: 30 Urlaubstage
29- 2013: 30 Urlaubstage
30- 2014: 30 Urlaubstage
31- 2015: 30 Urlaubstage
32- 2016: 33 Urlaubstage (zusätzliche 3 Urlaubstage wegen der ab dem 20.05.2016 bestehenden Schwerbehinderteneigenschaft, § 208 Abs. 1 S. 1 , Abs. 2 S. 1 SGB IX)
33- 2017: 31 Urlaubstage (ab diesem Jahr Jahresurlaubsanspruch im Volumen von 35 Urlaubstagen wegen des Zusatzurlaubs i.S.d. § 208 Abs. 1 S. 1 SGB IX; vier Urlaubstage in Anspruch genommen)
34- 2018: 35 Urlaubstage 2019: 35 Urlaubstage
35- 2020: 33 Urlaubstage (zwei Urlaubstage in Anspruch genommen)
36- 2021: 35 Urlaubstage
37- 2022: 35 Urlaubstage
38- 2023: 35 Urlaubstage (gemäß §§ 4, 5 Abs. 1 lit c.) BUrIG wegen erfüllter Wartezeit voller Jahresurlaubsanspruch)
39Von den sich danach ergebenden 422 Urlaubstagen brachte die Klägerin die bereits gezahlte Abgeltung für 56 Urlaubstage in Abzug und ermittelte so einen weiteren Urlaubsabgeltungsanspruch für verbleibende 366 Tage in Höhe von insgesamt 88.041,23 € brutto.
40Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass der streitgegenständliche Urlaub weder verfallen, noch verjährt sei, da die Beklagte ihren Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen sei. Die Beklagte habe die Klägerin zu keinem Zeitpunkt zwischen 2011 und 2023 aufgefordert, den ihr zustehenden (Rest-) Urlaub in Anspruch zu nehmen. Soweit die Beklagte auf eine Veröffentlichung im Intranet vom 04.09.2020 verweise, sei diese weder konkret an die Klägerin gerichtet, noch sei der noch offene Urlaub darin konkret aufgeführt worden. Zudem habe die Klägerin aufgrund ihrer Abwesenheit davon keine Kenntnis nehmen können. Zusatzurlaub wegen ihrer Schwerbehinderung könne sie seit der Feststellung ihrer Schwerbehinderung im Jahr 2016 verlangen. Da die Klägerin den Urlaub während ihrer Elternzeiten ohnehin nicht in natura habe nehmen können, sei es unschädlich, dass sie von der Schwerbehinderung erst in 2023 Mitteilung gemacht habe. Aufgrund der Sondervorschrift des § 17 Abs. 2 BEEG sei auch ein Verfall des Zusatzurlaubs i.S.d. § 208 SGB IX mit Ablauf des Urlaubsjahres nicht eingetreten. Den während der drei Elternzeitperioden entstandenen Urlaubsanspruch habe die Beklagte zu keinem Zeitpunkt gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG gekürzt.
41Die Klägerin hat beantragt,
42die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 88.041,33 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.09.2023 zu zahlen.
43Die Beklagte hat beantragt,
44die Klage abzuweisen.
45Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass der Klägerin über die bereits abgerechneten und ausgezahlten 13.470,77 € für insgesamt 56 Urlaubstage hinaus kein weiterer Abgeltungsanspruch zustehe, und hat vorgetragen: Die Beklagte habe ihre Mitwirkungsobliegenheit erfüllt, indem sie am 04.09.2020 via Intranet die Arbeitnehmer mit einem „Aushang“ (Bl. 39 EA) auf den drohenden Verfall von Urlaubsansprüchen hingewiesen habe. Auch in den Folgejahren habe die Beklagte ihre Arbeitnehmer jeweils auf diese Weise darauf hingewiesen, dass der Urlaub jeweils mit dem 31.12. verfallen werde. Unabhängig davon sei ein über den bereits abgegoltenen Urlaub hinausgehender, bis zum 31.12.2021 entstandener Urlaubsanspruch in Anwendung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 31.01.2023 (9 AZR 107/20) mit dem 31.03.2023 verfallen. Jedenfalls aber sei der Mehrurlaub verfallen, denn sowohl der Arbeitsvertrag, als auch der in Bezug genommene Tarifvertrag differenzierten an mehreren Stellen zwischen gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub.
46Unabhängig davon sei der erhobene Anspruch auch der Höhe nach unzutreffend ermittelt. Der Klägerin stehe für den Zeitraum 2011 bis 2022 kein über den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Tagen pro Kalenderjahr hinausgehender zusätzlicher Urlaub zu. Der auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Manteltarifvertrag für die dem Siegener Brauereiverband e. V., Siegen, differenziere zwischen gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub, so dass es an einem Gleichlauf von gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub fehle. Aufgrund der Regelung des § 14 VI Ziff. 1 MTV sei jedenfalls der übergesetzliche Urlaub jeweils am 31.03. des Folgejahres verfallen.
47Zudem sei der Urlaubsanspruch aufgrund der Elternzeit der Klägerin zu kürzen. Die Beklagte habe jeweils in ihren Schreiben, mit denen sie die Elternzeiten bewilligt habe, eine Kürzungserklärung gem. § 17 Abs. 1 BEEG abgegeben. Dass die Klägerin diese Erklärungen auch erhalten habe, ergebe sich schon daraus, dass sie mit der Übersendung der Geburtsurkunde für das dritte Kind am 18.10.2017 (Bl. 136 EA) auf das Bewilligungsschreiben vom 29.09.2017 (Bl. 48 EA) Bezug genommen habe.
48Schließlich bestehe auch kein weiterer Anspruch auf Abgeltung von Zusatzurlaub wegen der Schwerbehinderung. Da die Klägerin ihre Schwerbehinderung nicht rechtzeitig mitgeteilt habe, sei der Zusatzurlaub unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten bis einschließlich 2022 verfallen. Dennoch habe die Beklagte bei der Urlaubsabgeltung den Zusatzurlaub für 2022 iHv fünf Tagen und für 2023 anteilig iHv drei Tagen berücksichtigt.
49Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und gemeint, dass die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 31. Januar 2023 (Az. 9 AZR 456/20) vorliegend nicht einschlägig sei.
50Das Arbeitsgericht Siegen hat der Klage durch Urteil vom 21.02.2024 (Az. 1 Ca 929/23), auf dessen Inhalt wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz ergänzend Bezug genommen wird, in Höhe von 3.367,70 € stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Klägerin stehe nur für das Jahr 2023 ein weiterer Abgeltungsanspruch iHv 14 Urlaubstagen zu, da die Beklagte zu einer anteiligen Kürzung entgegen § 5 Abs. 1 c) BurlG aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.07.2023 nicht befugt gewesen sei. Die Kürzungsvorschrift des § 14 Abs. 4 Ziffer 1 MTV verstoße gegen § 13 Abs. 1 BUrlG und sei daher nichtig.
51Ein weiterer Abgeltungsanspruch stehe der Klägerin nicht zu, nachdem die Beklagte 21 Urlaubstage für das Jahr 2023 sowie weitere 35 Tage für das Jahr 2022 abgegolten habe. Der gesamte, bis zum 31.12.2021 entstandene Urlaubsanspruch sei mit Ablauf des 31.03.2023 ersatzlos untergegangen. Zwar habe die Beklagte weder eine Kürzungserklärung nach § 17 Abs. 1 BEEG abgegeben, noch sei sie ihren Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen, so dass sich der gesamte Urlaubsanspruch seit dem Jahr 2011 angesammelt habe, als die letzte Elternzeit der Klägerin im September 2020 endete. Dieser aufsummierte Anspruch sei allerdings nicht privilegiert, sondern zum laufenden Urlaubsanspruch des Jahres 2020 hinzugetreten und habe dessen Schicksal hinsichtlich Verfall und Mitwirkungsobliegenheiten geteilt. Aufgrund der Regelung des § 17 Abs. 2 BEEG, die nach dem Ende der Elternzeit das Urlaubsjahr eigenständig definiere, habe das Urlaubsjahr jedoch nicht am 31.12.2020, sondern erst am 31.12.2021 geendet. Der aus unterschiedlichen Urlaubsjahren herrührende, aufsummierte Anspruch sei – ebenso wie der am 01.01.2021 neu entstandenen Urlaubsanspruch - aufgrund der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin einheitlich zum 31.03.2023 verfallen. Unerheblich sei insoweit, dass die Klägerin den Resturlaub von mehr als 300 Tagen ohnehin in dem 15-Monats-Zeitraum nicht mehr hätte realisieren können. Der Übertragungszeitraum von 15 Monaten werde in ständiger Rechtsprechung bei typisierender Betrachtung als unionsrechtskonform bewertet, ohne dass hieran weitere Voraussetzungen geknüpft wären.
52Gegen das den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 01.03.2024 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung vom 15.03.2024, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am selben Tage, die sie mit ihrem am 20.06.2024 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz rechtzeitig innerhalb der verlängerten Frist unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens wie folgt begründet: Zu Unrecht sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass – unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten - der gesamte aufsummierte Urlaub zum 31.03.2023 verfallen sei. Dabei habe es verkannt, dass die zitierten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und des EuGH nicht einschlägig seien. Denn diese Entscheidungen befassten sich ausschließlich mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Urlaubsansprüche, die der Arbeitnehmer in einem Bezugszeitraum erworben habe, in dem er durchgehend oder nahezu durchgehend krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen sei, mit Ablauf von 15 Monaten nach Ende des Bezugszeitraums erlöschen unabhängig davon, ob der Arbeitgeber in dem Bezugszeitraum seine Mitwirkungsobliegenheit erfüllt habe. Vorliegend gehe es aber nicht um Urlaubsansprüche, die während einer langjährigen Arbeitsunfähigkeit entstanden seien, sondern um solche, die sich über Jahre hinweg aufgrund mehrerer Mutterschutz- und Elternzeiten der Klägerin angesammelt hätten. Die Auffassung des Arbeitsgerichts führe dazu, dass die Beklagte allein wegen der – aus ihrer Sicht „zufällig“ – eingetreten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin privilegiert würde, denn wäre die Klägerin nach ihrer Elternzeitrückkehr nicht erkrankt, wäre aufgrund der auch im Nachgang hierzu unterbliebenen Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit ihr Gesamturlaubsanspruch weder verjährt noch verfallen. Dieses Ergebnis sei mit den höchstrichterlich entwickelten Grundsätzen zum Schutz von Urlaubsansprüchen krankheitsbedingt arbeitsunfähiger Arbeitnehmer nicht in Einklang zu bringen. Schließlich habe das Arbeitsgericht sich nur unzureichend damit auseinandergesetzt, dass die Klägerin aufgrund des Umfangs des angesammelten Urlaubs diesen in dem Übertragungszeitraum nicht mehr hätte nehmen können. Der schlichte Hinweis, dass die Bemessung des Übertragungszeitraums mit 15 Monaten im Zusammenhang mit Langzeiterkrankungen der ständigen Rechtsprechung entspreche, setzt sich nicht einmal ansatzweise mit den Besonderheiten des vorliegenden Rechtsstreits auseinander.
53Die Klägerin beantragt,
54das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 21.02.2024, Az. 1 Ca 919/23, teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus an die Klägerin eine weitere Urlaubsabgeltung in Höhe von 84.673,63 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.09.2023 zu zahlen.
55Die Beklagte beantragt,
56die Berufung zurückzuweisen.
57Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Zutreffend sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass der gesamte bis zum 31.12.2021 entstandene Urlaub mit dem 31.03.2023 verfallen sei. Unerheblich sei der Hinweis der Berufung, dass es vorliegend nicht um Urlaubsansprüche gehe, die während eines Bezugszeitraums aufgrund einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit, sondern während mehrerer Bezugszeiträume entstanden seien. Da der gesamte, aus verschiedenen Quellen stammende, aufsummierte Urlaubsanspruch zu dem am Jahresanfang neu entstehenden Urlaub hinzutrete und dessen Schicksal teile, könne die Frage, ob er in einem oder in mehreren Bezugszeiträumen entstanden sei, nicht relevant sein.
58Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrages der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 10.10.2024 verwiesen.
59Entscheidungsgründe:
60Die zulässige Berufung der Klägerin ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
61A. Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach der Art des Streitgegenstands zulässig (§ 64 Abs. 2 Buchst. b) ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und auch fristgerecht gegen das am 01.03.2024 zugestellte Urteil am 15.03.2024 eingelegt (§ 519 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und innerhalb der verlängerten Frist des § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG sowie ordnungsgemäß (§ 520 Abs. 3 ZPO i.Vm. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG) am 20.06.2024 begründet worden. Sie ist damit insgesamt zulässig.
62B. Die Berufung hat in der Sache jedoch nur zu einem geringen Teil Erfolg. Eine weitere Urlaubsabgeltung für die Jahre 2011 bis 2021 steht der Klägerin nur in Höhe von 6.494,85 € zu.
63I. Nach § 7 Abs. 4 BUrlG ist der Urlaub abzugelten, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Die Bestimmung knüpft allein an die durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verursachte Unmöglichkeit an, den noch bestehenden Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers durch bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht zu realisieren (BAG, Urteile vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 278/16 –, Rn. 11, zit. nach juris; vom 22. Januar 2019 - 9 AZR 45/16 - Rn. 22, BAGE 165, 90-99). Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung setzt voraus, dass die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist und zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung noch offene Urlaubsansprüche bestehen, die nicht mehr erfüllt werden können, weil das Arbeitsverhältnis beendet ist (BAG, Urteile vom 16.04.2024 – 9 AZR 165/23 – Rn. 9, zit. nach juris; vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 278/16 – aaO). Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG steht dem Arbeitnehmer dementsprechend nicht zu, wenn er mit dem Ende des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet und der nicht genommene Urlaub wegen Fristablaufs verfällt (BAG, Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 278/16 – aaO).
64II. Bis zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.07.2023 waren Urlaubsansprüche aus den Jahre 2011 bis 2021 sowie weitere Urlaubsansprüche aus den Jahren 2022 und 2023 entstanden, die die Klägerin nicht durch bezahlte Freistellung realisieren konnte. Nachdem die Beklagte die Urlaubsansprüche für die Jahre 2022 und 2023 durch Abgeltung mittlerweile vollständig erfüllt hat (§ 362 Abs. 1 BGB), sind im Berufungsverfahren streitig nur noch die Abgeltungsansprüche für die Jahre 2011 bis 2021. In diesem Zeitraum erwarb die Klägerin Urlaubsansprüche für die Jahre 2011 bis 2020 in Höhe von insgesamt 323 Tagen sowie für das Jahr 2021 in Höhe von weiteren 35 Tagen.
651. Die Klägerin erwarb in den Jahren 2011 bis 2020 nach § 3 des Arbeitsvertrages iVm Ziff. II des Manteltarifvertrages für die dem A e.V. jeweils zu Beginn des Jahres einen Urlaubsanspruch in Höhe von 30 Arbeitstagen, mithin für die Jahre 2011 bis 2020 insgesamt in Höhe von 300 Tagen. Die verschiedenen Beschäftigungsverbote, Mutterschutzfristen sowie Elternzeiten seit dem 01.01.2011 hinderten das Entstehen der Urlaubsansprüche nicht. Für die Beschäftigungsverbote und die Mutterschutzfristen folgt dies unmittelbar aus § 24 Satz 1 MuSchG, dem zufolge die Ausfallzeiten wegen eines Beschäftigungsverbots für die Berechnung des Anspruchs auf bezahlten Erholungsurlaub als Beschäftigungszeiten gelten. Die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG berücksichtigt über die Vorgaben der Richtlinie 2003/88/EG hinaus die Zeiten der Inanspruchnahme von Elternzeit zunächst bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs uneingeschränkt, räumt dem Arbeitgeber jedoch das Recht ein, den Urlaubsumfang für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit im Wege der Kürzung an die ausgesetzte Arbeitspflicht des Arbeitnehmers anzupassen (vgl. BAG, Urteile vom 16. April 2024 – 9 AZR 165/23 –, aaO, vom 19. März 2019 - 9 AZR 362/18 - Rn. 20, juris).
662. Neben dem (tarif-) vertraglichen Urlaubsanspruch kommt für die Jahre 2011 bis 2020 Zusatzurlaub aufgrund der zum 20.05.2016 festgestellten Schwerbehinderung (§ 208 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SGB IX) in Höhe von 3 Tagen für das Jahr 2016 (anteilig) sowie für die Jahre 2017 bis 2020 in Höhe von jeweils fünf Tagen, mithin insgesamt in Höhe von weiteren 23 Tagen, hinzu. Dabei ist es unschädlich, dass die Klägerin die Beklagte erst im Jahr 2023 von ihrer Schwerbehinderung in Kenntnis gesetzt hat. Denn der Anspruch auf Zusatzurlaub entsteht unabhängig davon, ob der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers Kenntnis hat (vgl. BAG, Urteil vom 26. April 2022 – 9 AZR 367/21 –, Rn. 8, NZA 2022, 1047-1051; vom 30. November 2021 - 9 AZR 143/21 - Rn. 11 mwN, BAGE 176, 239-250). Damit ergibt sich für die Jahre 2011 bis 2020 ein Gesamt-Urlaubsanspruch in Höhe von 323 Tagen.
673. Die danach aufsummierten Urlaubsansprüche aus den Jahren 2011 bis 2020 sind nicht aufgrund einer Kürzungserklärung der Beklagten gemäß § 17 Abs. 1 BEEG teilweise untergegangen. Soweit die Beklagte behauptet, dass sie jeweils in ihren Bewilligungsschreiben für die Elternzeit eine Kürzungserklärung abgegeben habe, ist ihr dieser Nachweis nicht gelungen.
68a) Möchte der Arbeitgeber den Anspruch auf Erholungsurlaub nach § 17 Abs. 1 BEEG kürzen, muss er sein Kürzungsrecht ausüben. Dazu ist eine hierauf gerichtete rechtsgeschäftliche Erklärung erforderlich, die dem Arbeitnehmer zugehen muss (vgl. BAG, Urteil vom 19. Mai 2015 - 9 AZR 725/13 - Rn. 12, BAGE 151, 360). Die Kürzungserklärung kann ausdrücklich oder stillschweigend abgegeben werden. Dazu ist es ausreichend, dass dem Arbeitnehmer - abweichend von seinem Urlaubsverlangen - nur der gekürzte Urlaub gewährt wird oder für ihn aufgrund sonstiger Umstände erkennbar ist, dass der Arbeitgeber sein Kürzungsrecht ausüben will (vgl. zu § 17 Abs. 1 Satz 1 BErzGG BAG, Urteil vom 28. Juli 1992 - 9 AZR 340/91 - zu 1 c der Gründe, BAGE 71, 50). Sowohl für die Abgabe als auch für den Zugang der Kürzungserklärung beim Arbeitnehmer trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast (BAG, Urteil vom 5. Juli 2022 – 9 AZR 341/21 –, Rn. 39, juris).
69b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Beklagte den der Klägerin zustehenden Urlaub, der auf die Zeiträume ihrer Elternzeiten entfällt, nicht wirksam gekürzt. Die Beklagte hat zum Nachweis einer Kürzungserklärung ihr Schreiben vom 27.09.2017 (Bl. 48 EA) vorgelegt, mit dem sie die dritte Elternzeit bewilligt hat. Ihr ist jedoch nicht der Nachweis gelungen, dass dieses Schreiben der Klägerin auch zugegangen ist. Zwar legt die Tatsache, dass die Beklagte die Klägerin in dem Schreiben vom 27.09.2027 aufgefordert hat, zeitnah eine Geburtsurkunde zu übersenden, und die Klägerin am 19.10.2022 die Geburtsurkunde ihrer Tochter mit der zur Gerichtsakte gereichten „post-it“-Nachricht (Bl. 136 EA) „anbei die gewünschte Geburtsurkunde“ übermittelt hat, eine entsprechende Vermutung nahe, zwingend ist dies indes nicht. Die Klägerin hat insoweit vorgetragen, dass sie – wie auch bei den ersten beiden Kindern – lediglich pflichtgemäß unaufgefordert auch die Geburtsurkunde ihres dritten Kindes an die Beklagte übermittelt habe. Diesen Vortrag hat die Beklagte nicht zu widerlegen vermocht.
704. Der Urlaubsanspruch für die Jahre 2011 bis 2020 ist in Höhe von sechs Tagen durch Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB) erloschen. Unstreitig hat die Klägerin im Jahr 2017 vier Urlaubstage und im Jahr 2020 zwei weitere Tage in Anspruch genommen. Damit hat die Klägerin aus den Jahren 2011 bis 2020 einen Urlaubsanspruch von insgesamt 317 Arbeitstagen erworben, der nicht durch Erfüllung erloschen ist.
715. Die verbleibenden Urlaubsansprüche aus den Jahren 2011 bis 2020 waren mit Beendigung der letzten Elternzeit am 20.09.2020 nicht nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen. Vielmehr war für die gesamten, seit dem Jahr 2011 angesammelten Urlaubsansprüche das Jahr 2021 das maßgebliche Urlaubsjahr und ein Verfall konnte frühestens zum 31.12.2021 eintreten. Zwar muss der Urlaub gemäß § 7 Abs. 3 BurlG grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Das Kalenderjahr, in dem der Urlaubsanspruch entsteht, ist regelmäßig auch das Urlaubsjahr. Diese Regelung findet jedoch während der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote und Elternzeiten aufgrund spezialgesetzlicher Regelungen keine Anwendung.
72a) Einem Verfall von Urlaub während der Mutterschutzfristen und sonstiger Beschäftigungsverbote steht § 24 Satz 2 MuSchG entgegen, dem zufolge die Arbeitnehmerin den vor Beginn der Beschäftigungsverbote nicht oder nicht vollständig erhaltenen Erholungsurlaub auch noch nach Ablauf der Verbote im laufenden Jahr oder im Folgejahr nehmen kann. Die Vorschrift regelt das für das Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG maßgebliche Urlaubsjahr (BAG, Urteile vom 16. April 2024 – 9 AZR 165/23 –, Rn. 12, juris; vom 9. August 2016 - 9 AZR 575/15 - Rn. 14, BAGE 156, 65).
73b) Während der Elternzeit gehen die gesetzlichen Sonderregelungen in § 17 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BEEG den allgemeinen Befristungsregelungen in § 7 Abs. 3 BUrlG vor (BAG, Urteile vom 5. Juli 2022 - 9 AZR 341/21 - Rn. 32, aaO; 19. März 2019 - 9 AZR 495/17 - Rn. 12, BAGE 166, 189). Auch § 17 Abs. 2 BEEG trifft bezüglich der Erfüllung und des Verfalls des Urlaubs eine eigenständige, von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichende Regelung des Urlaubsjahres (BAG, Urteile vom 23. Januar 2018 – 9 AZR 200/17 –, Rn. 19, BAGE 161, 347-355; vom 15. Dezember 2015 - 9 AZR 52/15 - Rn. 19, 22, BAGE 154, 1; ErfK-Gallner, 24. Aufl. 2024, § 17 BEEG Rn. 8). Urlaub, der nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel gekürzt werden kann, verfällt während der Elternzeit nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums (BAG, Urteil vom 19.03.2019 – 9 AZR 497/17 – Rn. 14). Vielmehr hat der Arbeitgeber den Urlaub, den der Arbeitnehmer vor dem Beginn der Elternzeit nicht oder nicht vollständig erhalten hat, gemäß § 17 Abs. 2 BEEG nach der Elternzeit im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr zu gewähren.
74c) Diese Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss (BAG 5. Juli 2022 - 9 AZR 341/21 - Rn. 34 mwN), gilt auch bei einer Mehrzahl von aufeinander folgenden Mutterschutzfristen und Elternzeiten (vgl. BAG, Urteile vom 16. April 2024 – 9 AZR 165/23 –, Rn. 16, aaO; vom 5. Juli 2022 - 9 AZR 341/21 – aaO). Beginnt eine weitere Elternzeit, bevor der Urlaub verfällt, so verfällt auch der gesamte, bis zu dieser weiteren Elternzeit nicht genommene Urlaub nicht. Er wird dem Urlaub, auf den der Arbeitnehmer nach seiner Rückkehr aus der Elternzeit im konkreten Urlaubsjahr Anspruch hat, hinzugerechnet. Dieser aus unterschiedlichen Urlaubsjahren herrührende Urlaub verfällt erst am Ende des Urlaubsjahres bzw. wenn Übertragungsgründe vorliegen, am 31.03. des Folgejahres, bzw. 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums krankheitsbedingt arbeitsunfähig war (ErfK-Gallner, 24. Aufl. 2024, § 17 BEEG Rn. 10).
75d) Ausgehend davon war für den gesamten, aus den Jahren 2011 bis 2020 aufsummierten Urlaub das Jahr 2021 das maßgebliche Urlaubsjahr. Die Urlaubsansprüche der Klägerin ab dem Jahr 2011 bestanden wegen der sich nahtlos aneinander anschließenden Mutterschutzfristen und Elternzeiten zunächst nach dem Ende der ersten und zweiten Elternzeit am 15.01.2017 fort. Die Klägerin nahm in Anschluss an Beschäftigungsverbote bzw. die Mutterschutzfrist ihre erste Elternzeit, die unterbrochen wurde durch eine erneute Mutterschutz- und Elternzeit aufgrund der Geburt des zweiten Kindes. Die zweite Elternzeit endete am 23.05.2016; im Anschluss daran wurde die erste Elternzeit fortgesetzt bis zum 15.01.2017. Der angesammelte Urlaub wäre aufgrund der Vorschriften der §§ 24 MuSchG, 17 Abs. 2 BEEG verfallen zum 31.12.2018. Da jedoch bereits ab dem 24.04.2017 ein erneutes Beschäftigungsverbot bestand, an das sich nahtlos die Mutterschutzfrist und Elternzeit wegen der Geburt des dritten Kindes anschlossen, galten für den bis dahin noch bestehenden Urlaub erneut die Regelungen der §§ 24 S. 2 MuSchG, 17 Abs.2 BEEG und für die gesamten, aufsummierten Ansprüche war nach Rückkehr aus der letzten Elternzeit am 17.09.2020 das Jahr 2021 das maßgebliche Urlaubsjahr.
766. Zu dem Urlaubsanspruch aus den Jahren 2011 bis 2020, der aufgrund der §§ 24 S. 2 MuSchG, 17 Abs.2 BEEG erst zum 31.12.2021 verfallen konnte, trat der am 01.01.2021 neu entstandene Urlaubsanspruch – vorliegend weitere 35 Arbeitstage - hinzu, für den nach § 7 Abs. 3 S. 1 BurlG ebenfalls das Jahr 2021 das Urlaubsjahr war. Mithin war das Kalenderjahr 2021, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt und begründet hat, sowohl für die aufsummierten Ansprüche aus den Jahren 2011 bis 2020, als auch für den am 01.01.2021 neu hinzutretenden Urlaub - insgesamt 352 Tage - das maßgebliche Urlaubsjahr.
77III. Da die Klägerin im Kalenderjahr 2021 und darüber hinaus bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.07.2023 durchgehend krankheitsbedingt arbeitsunfähig war, ist der Urlaubsanspruch für die Jahre 2011 bis 2021 überwiegend zum 31.03.2023 verfallen.
781. Aufgrund der Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9) ist § 7 Abs. 3 BUrlG unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass der gesetzliche Mindesturlaub nicht vor Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums krank und deshalb arbeitsunfähig ist (vgl. BAG, Urteile vom 25. Juli 2023 – 9 AZR 285/22 –, Rn. 12, NZA 2023, 1200-1203; vom 20. Dezember 2022 - 9 AZR 107/20 -, Rn. 42, NZA 2023, 968 ff.; grundlegend Urteil vom 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 23 ff., BAGE 142, 371).
792. Das Bundesarbeitsgericht hat (seit seinem Urteil vom 19. Februar 2019 - 9 AZR 423/16 - Rn. 16 ff., BAGE 165, 376) im Anschluss an die Entscheidung des Gerichtshofs vom 6. November 2018 (- C-684/16 - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]) zu Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG sowie zu Art. 31 Abs. 2 der GRC erkannt, dass bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 4 BUrlG) erlischt, wenn der Arbeitgeber zuvor konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge getragen hat, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn - erforderlichenfalls förmlich - auffordert, dies zu tun, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird. Hat der Arbeitnehmer den Urlaub trotz eines entsprechenden Hinweises aus freien Stücken nicht genommen, so verfällt er zum Ende des Urlaubsjahres bzw. des Übertragungszeitraumes. Der Arbeitgeber hat grundsätzlich die Initiative zu ergreifen, damit der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG verwirklicht. In der Regel führt erst die Erfüllung der daraus abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, zur Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG (BAG, Urteile vom 31. Januar 2023 – 9 AZR 107/20 –, Rn. 15, aaO; vom 20. Dezember 2022 - 9 AZR 401/19 - Rn. 22, BAGE 179, 361 ff.; vom 30. November 2021 – 9 AZR 143/21 – Rn. 14, BAGE 176, 239-250; vom 19. Februar 2019 - 9 AZR 423/16 - Rn. 22 ff.).
80Hat der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, tritt der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht. Für ihn gelten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG. Der Arbeitgeber kann deshalb das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren dadurch vermeiden, dass er seine Mitwirkungsobliegenheiten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt. Nimmt der Arbeitnehmer in einem solchen Fall den kumulierten Urlaubsanspruch im laufenden Urlaubsjahr nicht wahr, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, verfällt der Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. eines (zulässigen) Übertragungszeitraums (BAG, Urteile vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 401/19 –, Rn. 15, aaO; vom 19. Februar 2019 - 9 AZR 423/16 - Rn. 44, BAGE 165, 376 ff.).
813. Ist der Arbeitnehmer infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit oder voller Erwerbsminderung daran gehindert, seinen Urlaub bis zum Ende des Urlaubsjahres zu nehmen, so ist nach der Rechtsprechung des Bundearbeitsgerichts (vgl. zB Urteile vom 31. Januar 2023 – 9 AZR 107/20 –, Rn. 13 ff., aaO, und vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 401/19 –, Rn. 17, aaO), der sich die Berufungskammer anschließt, im Hinblick auf den Zweck der Richtlinie 2003/88/EG – einerseits dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2018 – C-12/17 –, Rn. 27, juris), andererseits aber auch Arbeitgeber vor einer Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiten des Arbeitnehmers und den Schwierigkeiten, die sich daraus für die Arbeitsorganisation ergeben können, zu bewahren (vgl. dazu EuGH 29. November 2017 - C-214/16 - [King] Rn. 53 ff.; 22. November 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 29 f., 38 ff.; BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 401/19 –, Rn. 18, aaO) - für die Frage der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers zu differenzieren:
82a) War der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig bzw. voll erwerbsgemindert, verfällt der Urlaubsanspruch weiterhin nach Ablauf der 15-Monatsfrist unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist. Denn in diesem Fall sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal. Der Urlaubsanspruch ist auf eine bezahlte Befreiung von der Arbeitspflicht gerichtet. Kann der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung aus gesundheitlichen Gründen nicht erbringen, wird ihm die Arbeitsleistung unmöglich. Er wird nach § 275 Abs. 1 BGB von der Pflicht zur Arbeitsleistung frei. Eine Befreiung von der Arbeitspflicht durch Urlaubsgewährung ist deshalb rechtlich unmöglich (BAG, Urteile vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 401/19 –, Rn. 21, aaO, und 9 AZR 245/19, Rn. 43, jeweils zit. nach juris; vom 7. Juli 2020 - 9 AZR 401/19 (A) - Rn. 26 mwN, BAGE 171, 231). Eine freie Entscheidung über die Verwirklichung des Anspruchs ist - ohne dass es auf die Aufforderungen und Hinweise des Arbeitgebers ankäme - von vornherein ausgeschlossen, weil die Arbeitsunfähigkeit auf psychischen oder physischen Beschwerden beruht und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig ist (st. Rspr., BAG, Urteile vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 401/19 –, Rn. 21 und 9 AZR 245/19 - Rn. 43, jeweils zit. nach juris; vgl. auch EuGH 25. Juni 2020 - C-762/18 und C-37/19 - [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 66; 4. Oktober 2018 - C-12/17 - [Dicu] Rn. 32, 33 mwN).
83b) War der Arbeitnehmer hingegen nicht während des gesamten Urlaubsjahres arbeitsunfähig, so kann der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub aus dem Bezugszeitraum, in dessen Verlauf der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG grundsätzlich nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlöschen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch auszuüben. Denn in diesem Fall hätte der Arbeitnehmer bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten die Möglichkeit gehabt, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen. Das Erlöschen des Urlaubsanspruchs nach Ablauf des 15-monatigen Übertragungszeitraums setzt deshalb auch in dieser Konstellation grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Anspruch geltend zu machen (EuGH 22. September 2022 - C-518/20 und C-727/20 - [Fraport] Rn. 45; BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 401/19 –, Rn. 19, juris).
844. Die dargestellten Grundsätze gelten allerdings grundsätzlich lediglich bezogen auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch, denn nur zu diesen verhält sich Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG. Da die Parteien vorliegend jedoch die Mitwirkungsobliegenheit bezogen auf den übergesetzlichen Urlaub nicht abweichend von den für den gesetzlichen Urlaub geltenden Vorgaben geregelt haben, gelten die Grundsätze vorliegend auch für den übergesetzlichen Mehrurlaub.
85a) Während der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub arbeitsvertraglichen Dispositionen entzogen ist, die sich zuungunsten des Arbeitnehmers auswirken (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG), können die Arbeitsvertragsparteien Urlaubsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Für einen Regelungswillen der Arbeitsvertragsparteien, dem zufolge der vertragliche Mehrurlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder am Ende des Übertragungszeitraums unabhängig davon verfallen soll, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten entsprochen hat, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem diesbezüglichen Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf vertraglichen Mehrurlaub auszugehen (vgl. BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 401/19 –, Rn. 24, BAGE 179, 361 ff.; vom 22. Januar 2019 - 9 AZR 328/16 - Rn. 33, NZA 2019, 835 ff.). Allein der Umstand, dass die Vertragsparteien gegenüber dem BUrlG eigenständige Regelungen zur Befristung und Übertragung bzw. zum Verfall des Anspruchs auf Mehrurlaub getroffen haben, lässt noch nicht darauf schließen, dass auch die gesetzlichen Mitwirkungsobliegenheiten abweichend geregelt werden sollten. Der dem Gleichlauf der Urlaubsansprüche entgegenstehende Regelungswille muss sich vielmehr auf den jeweils in Rede stehenden Regelungsgegenstand beziehen. Es genügt daher nicht, wenn in einem Arbeitsvertrag von Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes abgewichen wird, die mit den im Streit stehenden Regelungen nicht in einem inneren Zusammenhang stehen (vgl. BAG, Urteile vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 401/19 –, Rn. 24, aaO; vom 12. Oktober 2021 - 9 AZR 577/20 (B) - Rn. 30, NZA 2022, 1198).
86b) Vorliegend ist ausgehend davon von einem Gleichlauf des gesetzlichen und des übergesetzlichen Urlaubsanspruchs auszugehen, weil es an deutlichen Anhaltspunkten für einen Regelungswillen der Parteien fehlt, den (tarif-) vertraglichen Mehrurlaub im Hinblick auf die Mitwirkungsobliegenheiten abweichend von dem gesetzlichen Urlaub zu behandeln. Schon § 4 Ziff. 3 des Tarifvertrages spricht gegen eine grundsätzlich unterschiedliche Behandlung, indem er regelt, dass der tarifliche Mehrurlaub nur erlischt im Falle einer „berechtigten fristlosen Entlassung“, die „auf einer groben Verletzung der dem Arbeitnehmer obliegenden Treuepflicht beruht“. In allen anderen Fällen soll der Mehrurlaub explizit den Regelungen zum gesetzlichen Urlaub folgen. Der Arbeitsvertrag differenziert zwar zwischen gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub, indem er festlegt, dass im Falle der Urlaubsgewährung zunächst der gesetzliche und dann der übergesetzliche Urlaub erfüllt wird. Das beinhaltet aber keine differenzierende Regelung im Hinblick auch auf die Initiativlast und die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Da hinsichtlich der Mitwirkungsobliegenheit weder der Tarifvertrag, noch der Arbeitsvertrag differenzieren, ist insoweit von einem Gleichlauf von gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub auszugehen.
875. Ausgehend von den dargestellten Grundsätzen sind die Urlaubsansprüche der Klägerin aus den Jahren 2017 und 2020 jedenfalls teilweise nicht nach § 7 Abs. 3 BurlG verfallen. Denn in diesen Jahren ist die Beklagte ihren Mitwirkungshandlungen (teilweise) nicht nachgekommen und die Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit hat sich in diesen Jahren teilweise kausal ausgewirkt und dazu geführt, dass bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch ein Urlaubsanspruch von insgesamt 27 Tagen bestand, der nach § 7 Abs. 4 BurlG abzugelten ist.
88a) Die Obliegenheiten aus § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG dienen keinem Selbstzweck. Sie sollen verhindern, dass der Arbeitnehmer den Urlaubsanspruch verliert, weil er ihn in Unkenntnis der Befristung nicht rechtzeitig gegenüber dem Arbeitgeber geltend macht und der Urlaub deshalb nach § 7 Abs. 3 BurlG verfällt. Dieser Zweck bestimmt sowohl den Inhalt der gebotenen Mitwirkungsobliegenheiten (vgl. BAG, Urteile vom 31. Januar 2023 – 9 AZR 107/20 –, Rn. 17, juris; vom BAG 19. Februar 2019 - 9 AZR 423/16 - Rn. 40 f., BAGE 165, 376) als auch deren Rechtsfolgen (BAG, Urteile vom 31. Januar 2023 – 9 AZR 107/20 –, aaO; vom 7. Juli 2020 - 9 AZR 401/19 (A) - Rn. 24, BAGE 171, 231).
89b) Bestehen von Beginn eines Jahres an mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbote oder befindet sich eine Arbeitnehmerin während des gesamten Jahres in Elternzeit, so besteht während dieser Zeiten schon keine Arbeitspflicht, von der der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin durch Gewährung von Urlaub befreien könnte. Ist eine Urlaubsgewährung nicht möglich, so wäre es sinnwidrig, eine Arbeitnehmerin zur Inanspruchnahme von Urlaub aufzufordern, der ihr aus rechtlichen Gründen nicht gewährt werden kann. Ohne die Möglichkeit einer Urlaubsgewährung, an die die Mitwirkungshandlungen anknüpft, kann die darauf ausgerichtete Obliegenheit nicht bestehen.
90Zudem kann aufgrund der spezialgesetzlichen Regelungen der §§ 24 S. 2 MuSchG, 17 Abs. 2 BEEG (s.o. II.5) ein Verfall der vor dem Beschäftigungsverbot/ der Elternzeit sowie der in diesem Zeitraum angesammelten Urlaubsansprüche innerhalb der Fristen des § 7 Abs. 3 BurlG nicht eintreten, ohne dass es auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten in den einzelnen Jahren ankäme, denn das Fristenregime nach § 7 Abs. 3 BurlG findet während dieser Zeiten keine Anwendung (s.o. II.5; BAG, Urteil vom 19.03.2019 – 9 AZR 495/17-Rn. 12, aaO; ErfK-Gallner, aaO, § 17 BEEG Rn. 2). Vor Ablauf des Beschäftigungsverbotes oder der (letzten) Elternzeit steht weder fest, wann das „Urlaubsjahr“ im Sinne der §§ 24 S. 2 MuSchG, 17 Abs. 2 BEEG endet, noch wann frühestens ein Verfall eintreten kann, so dass der Arbeitgeber darauf auch nicht hinweisen kann. Befindet sich eine Arbeitnehmerin das gesamte Jahr in Beschäftigungsverboten bzw. Elternzeit, so besteht unter Berücksichtigung des Zweckes der Mitwirkungsobliegenheit in diesen Jahren aus den dargelegten Gründen keine Obliegenheit des Arbeitgebers, die Gewährung und Inanspruchnahme künftigen Urlaubs zu initiieren.
91c) Anders ist es nach Ablauf der Elternzeit. Zu diesem Zeitpunkt steht fest, wann das durch die §§ 24 S. 2 MuSchG, 17 Abs. 2 BEEG definierte Urlaubsjahr endet und zu welchem Zeitpunkt ein Verfall der Urlaubsansprüche eintreten kann. Ab diesem Zeitpunkt hat der Arbeitgeber bei der Erfüllung des Urlaubsanspruchs mitzuwirken und die Arbeitnehmerin auf einen drohenden Verfall hinzuweisen.
92d) Ausgehend davon hätte die Beklagte die Klägerin jeweils nach Rückkehr aus der Elternzeit in den Jahren 2017 und 2020 auf den nun drohenden Verfall des Urlaubs hinweisen müssen. Dieser Mitwirkungsobliegenheit ist sie nicht nachgekommen.
93Dass die Beklagte ihrer Mitwirkungsobliegenheit im Jahr 2017 nachgekommen ist, hat sie selbst nicht behauptet. Zum Nachweis der Erfüllung ihrer Mitwirkungsobliegenheiten im Jahr 2020 hat sich die Beklagte auf eine Intranet-Mitteilung vom 04.09.2020 berufen, die sie in den Folgejahren jeweils wiederholt habe. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin aufgrund ihrer verschiedenen Abwesenheitszeiten von dieser Mitteilung überhaupt hätte Kenntnis nehmen können, denn jedenfalls hat die Beklagte damit ihren Mitwirkungsobliegenheiten nicht Genüge getan.
94aa) Der Arbeitgeber muss konkret und in völliger Transparenz dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen (BAG, Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 541/15 –, Rn. 41, NZA 2019, 982-985). Der Inhalt der in richtlinienkonformer Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG bestehenden Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers ergibt sich aus ihrem Zweck zu verhindern, dass der Arbeitnehmer den Urlaubsanspruch nicht wahrnimmt, weil der Arbeitgeber ihn hierzu nicht in die Lage versetzt hat. Infolge des Fehlens konkreter gesetzlicher Vorgaben ist der Arbeitgeber grundsätzlich in der Auswahl der Mittel frei, derer er sich zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten bedient. Die Mittel müssen jedoch zweckentsprechend sein. Sie müssen geeignet sein, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. Ob der Arbeitgeber das Erforderliche getan hat, um seinen Mitwirkungsobliegenheiten zu genügen, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen (BAG, Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 541/15 –, Rn. 42, aaO). Zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten hat der Arbeitgeber sich regelmäßig auf einen „konkret“ bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres beziehen und den Anforderungen an eine „völlige Transparenz“ genügen. Er kann seine Mitwirkungsobliegenheiten regelmäßig zum Beispiel dadurch erfüllen, dass er dem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteilt, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen, ihn auffordert, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann, und ihn über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt. Die Anforderungen an eine „klare“ Unterrichtung sind regelmäßig durch den Hinweis erfüllt, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, er ihn aber nicht beantragt. Nimmt der Arbeitnehmer in diesem Fall seinen bezahlten Jahresurlaub nicht in Anspruch, obwohl er hierzu in der Lage war, geschieht dies aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen (BAG, Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 541/15 –, Rn. 43, aaO). Abstrakte Angaben etwa im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Kollektivvereinbarung genügen den Anforderungen einer konkreten und transparenten Unterrichtung regelmäßig nicht (BAG, Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 541/15 –, Rn. 44, aaO).
95bb) Gemessen daran hat eine ordnungsgemäße Unterrichtung der Klägerin nicht stattgefunden. Die von der Beklagten zur Gerichtsakte gereichte Intranet-Mitteilung vom 04.09.2020 wird den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterrichtung nicht gerecht. Die mit „Urlaubsplanung 2020“ überschriebene Veröffentlichung im Intranet hat folgenden Wortlaut:
96„Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
97wir erinnern noch einmal daran, dass der gesamte Urlaub im laufenden Kalenderjahr genommen werden muss. Eine Übertragung über diesen Termin hinaus ist grundsätzlich nicht möglich. Nicht genommener Resturlaub verfällt zum 31.12.2020. Bitte planen Sie Ihren Urlaub rechtzeitig entsprechend ein!“
98Damit hat die Beklagte sich nicht auf einen „konkret“ bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres bezogen; die Mitteilung genügt den von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gestellten Anforderungen an eine „völlige Transparenz“ nicht einmal im Ansatz, so dass es nicht mehr darauf ankommt, ob die Klägerin davon Kenntnis erlangen konnte.
99Aufgrund der Verletzung der Mitwirkungsobliegenheiten jeweils nach Rückkehr der Klägerin aus ihrer Elternzeit in den Jahren 2017 und 2020 war der Urlaub nicht gemäß § 7 Abs. 3 BurlG an das Urlaubsjahr bzw. an den Übertragungszeitraum gebunden.
100e) Auch bei einer Verletzung der Mitwirkungsobliegenheiten können Urlaubsansprüche jedoch nur in dem Umfang erhalten bleiben, in dem die Arbeitnehmerin den Urlaub hätte in Anspruch nehmen können. Soweit ein Urlaubsantritt selbst bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Mitwirkungshandlungen nicht möglich gewesen wäre, treffen den Arbeitgeber nicht die grundsätzlichen eintretenden nachteiligen Folgen der Obliegenheitsverletzung. Eine Kausalität zwischen der Nichtinanspruchnahme des Urlaubs durch den Arbeitnehmer und der Nichtvornahme der Mitwirkung durch den Arbeitgeber ist in diesem Fall ausgeschlossen (BAG, Urteil vom 31. Januar 2023 – 9 AZR 107/20 –, Rn. 20, juris).
101Wäre die Beklagte ihrer Mitwirkungsobliegenheit ordnungsgemäß nachgekommen, so hätte die Klägerin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Urlaubsanspruch (nur) in Höhe von insgesamt 27 Tagen realisieren können. Zwischen den Parteien war zuletzt unstreitig, dass die Klägerin sowohl zwischen dem Ablauf der zweiten Elternzeit am 15.01.2017 und ihrem erneuten Ausfall aufgrund eines Beschäftigungsverbotes am 23.04.2017 unter Abzug weiterer Arbeitsunfähigkeitszeiten an 23 Tagen (vgl. Arbeitszeiterfassung Bl. 156 ff. EA). und nach Ablauf der dritten Elternzeit am 17.09.2020 an weiteren vier Tagen Arbeitsleistungen für die Beklagte erbringen konnte und erbracht hat, bevor sie – nach der Inanspruchnahme von Urlaub an zwei Tagen - am 28.09.2020 durchgehend bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankte.
102Nur im Hinblick auf diese 27 Arbeitstage hätte die Klägerin selbst bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten ihren Urlaub in Anspruch nehmen können. Im Übrigen hat sich die Verletzung der Mitwirkungsobliegenheiten nicht kausal ausgewirkt, da die Klägerin aufgrund ihrer am 28.09.2020 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit weitere Urlaubsansprüche innerhalb des Übertragungszeitraums nicht hätte realisieren können. Nur im Umfang dieser 27 Tage war deshalb der Urlaub der Klägerin wegen Verletzung der Mitwirkungsobliegenheiten nicht nach § 7 Abs. 3 BurlG befristet und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.07.2023 abzugelten. Auf Grundlage des unstreitig zugrunde zu legenden Tagessatzes in Höhe von 240,55 € ergibt sich ein Urlaubsabgeltungsanspruch für Urlaubsansprüche aus den Jahre 2011 bis 2021 in Höhe von 6.494,85 €.
1036. Die Beklagte war nicht nach § 214 Abs. 1 BGB berechtigt, die Abgeltung des Urlaubs aus den Jahren 2017 und 2020 wegen Eintritts der Verjährung zu verweigern. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB war bei Klageerhebung am 14.09.2023 noch nicht abgelaufen.
104a) Gemäß § 194 Abs. 1 BGB unterliegt das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, der Verjährung. Dies gilt grundsätzlich auch für den Anspruch des Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindesturlaub (BAG, Urteile vom 16. April 2024 – 9 AZR 165/23 –, Rn. 29, NZA 2024, 1272-1276; vom 20. Dezember 2022 - 9 AZR 266/20 - Rn. 38).
105b) Vor Ablauf eines Urlaubsjahres kann Urlaub weder verfallen noch verjähren. § 24 Satz 2 MuSchG und § 17 Abs. 2 BEEG bestimmen das „Urlaubsjahr“ abweichend von § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG (s.o. Ziff. II.5). Danach endete das „Urlaubsjahr“ für die aufsummierten Urlaubsansprüche aus den Jahre 2011 bis 2020 vorliegend aufgrund der Beendigung der Elternzeit zum 17.09.2020 am 31.12.2021, so dass Verjährung frühestens nach Ablauf der dreijährigen Frist (§ 195 BGB) mit Ablauf des 31.12.2024 eintreten konnte. Die Urlaubsansprüche der Klägerin waren damit – unabhängig davon, ob die Beklagte ihrer Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen ist - bei Klageerhebung am 14.09.2023 nicht verjährt.
1067. Soweit die Klägerin eine weitere Urlaubsabgeltung für die Jahre 2011 bis 2021 in Höhe von 78.178,78 € brutto für weitere 325 Urlaubstage begehrt, hat die Berufung keinen Erfolg. Insoweit ist der Urlaubsanspruch der Klägerin, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt und begründet hat, nach § 7 Abs. 3 BurlG mit dem 31.03.2023 verfallen. Die Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit hat sich insoweit nicht kausal ausgewirkt und steht einem Verfall der Urlaubsansprüche nicht entgegen.
107a) Das Urlaubsjahr für alle bis 2021 angesammelten Urlaubsansprüche war der 31.12.2021 (s.o.II.5). Aufgrund der bereits seit dem 28.09.2020 bestehenden durchgehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit konnte die Klägerin ab diesem Zeitpunkt weder im Jahr 2020, noch bis zum Ablauf des 15- monatigen Übertragungszeitraums am 31.03.2023 weitere - über die gemäß Ziffer III.5.e) zuerkannten 27 Urlaubstage hinausgehende - Urlaubsansprüche realisieren. Denn insgesamt bestand zwischen dem 01.01.2011 und dem Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.07.2023 aufgrund von Beschäftigungsverboten, Elternzeiten oder Arbeitsunfähigkeit lediglich an 27 Tagen eine Arbeitspflicht, von der die Beklagte die Klägerin hätte befreien können. Darüber hinaus hat sich die Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit, soweit sie denn bestand, nicht kausal ausgewirkt.
108b) Soweit die Klägerin mit ihrer Berufung einwendet, dass die hier dargestellten und auch vom Arbeitsgericht angewandten Grundsätze vorliegend nicht einschlägig seien, da es zur Ansammlung der Urlaubsansprüche nicht aufgrund einer langjährigen Arbeitsunfähigkeit, sondern aufgrund von sich aneinander reihenden Beschäftigungsverboten und Elternzeiten gekommen sei, ist ein Grund für eine solche Differenzierung nicht ersichtlich.
109Zwar ist „das Urlaubsjahr“ in diesen beiden Fällen anders definiert. Während das Urlaubsjahr auch bei langjähriger Arbeitsunfähigkeit am 31.12. des jeweiligen Jahres endet, bestimmt es sich in den Fällen von Beschäftigungsverboten, Mutterschutzfristen und Elternzeiten nach §§ 24 S. 2 MuSchG, 17 Abs. 2 BEEG. Ist ein Arbeitnehmer während eines danach definierten „Urlaubsjahres“ durchgehend und bis zum 31. März des zweiten, auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig bzw. voll erwerbsgemindert, so ist es unerheblich, aufgrund welcher Sachverhalte es zu einer Ansammlung von Urlaubsansprüchen gekommen ist. Entscheidend ist allein, dass eine Befreiung von der Arbeitspflicht durch Urlaubsgewährung bis zum Ablauf des Übertragungszeitraums rechtlich unmöglich ist.
110Auch Sinn und Zweck der Mitwirkungsobliegenheit – dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer in die Lage versetzt wird, seinen Urlaub zu nehmen, und ihn deshalb aufzufordern, dies zu tun – verlangen eine Differenzierung zwischen Urlaubsansprüchen, die entstanden sind in einem Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer durchgehend arbeitsunfähig war, und solchen Urlaubsansprüchen, die sich – wie vorliegend - über Jahre hinweg aufgrund mehrerer Mutterschutz- und Elternzeiten sowie des Ausbleibens einer Kürzungserklärung i.S.d § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG angesammelt haben, nicht. Denn ohne die Möglichkeit einer Urlaubsgewährung, an die die Mitwirkungshandlung anknüpft, kann die darauf ausgerichtete Obliegenheit nicht bestehen (s.o. III.5.b)), ohne dass es darauf ankommt, aus welchen Gründen während des Bezugszeitraums, in dem die Urlaubsansprüche erworben werden, eine Arbeitspflicht und damit eine Mitwirkungsobliegenheit nicht bestanden.
111c) Einem Verfall der Urlaubsansprüche zum 31.03.2023 steht entgegen der klägerischen Auffassung auch nicht entgegen, dass die Klägerin aufgrund des Umfangs der angesammelten 352 Urlaubstage diese innerhalb der 15- Monats-Frist nicht vollständig hätte in Anspruch nehmen können. Denn ist es nicht möglich, den noch bestehenden Resturlaub bis zum Ablauf des Urlaubsjahres bzw. des Übertragungszeitraums (vollständig) zu nehmen, so geht er unter (§ 7 Abs. 3 BurlG) und ein Abgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG entsteht insoweit nicht.
112Dass der Teil des Urlaubsanspruchs untergeht, der innerhalb eines Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums von 15 Monaten nicht mehr genommen werden kann, ist unbedenklich mit dem Unionsrecht vereinbar. Der EuGH hat den Einzelstaaten zugestanden, dass die Festlegung des Urlaubszeitraums grundsätzlich zu ihrem Regelungsbereich gehört (vgl. Erf-Gallner, § 7 BurlG, Rn. 53). Diese Frist wird auch im Hinblick auf den mit der Richtlinie verfolgten Zweck, den Arbeitgeber vor einer Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiten des Arbeitnehmers und den Schwierigkeiten, die sich daraus für die Arbeitsorganisation ergeben können, zu bewahren, von der Rechtsprechung des EuGH und des BAG bei typisierender Betrachtung als unionsrechtskonform bewertet, ohne dass daran weitere Voraussetzungen geknüpft wären. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, den vorliegenden Fall anders zu behandeln als sonstige Fälle von Arbeitsunfähigkeit. Erkrankt zB ein Arbeitnehmer zu Beginn des Urlaubsjahres durchgehend und gesundet erst am 15.03. des Folgejahres, so verfällt auch hier der überschießende Teil des Urlaubs, der zwischen bis zum 31.03. nicht mehr genommen werden kann.
113Weiter übersieht die Klägerin, dass wenn sie nicht arbeitsunfähig erkrankt wäre, der gesamte seit dem Jahr 2011 angesammelte Urlaub bereits mit dem 31.12.2021 verfallen wäre. Auch hier wäre es der Klägerin nicht möglich gewesen, den gesamten Urlaub im Umfang von 352 Tagen zwischen dem 28.09.2020 und dem 31.12.2021 zu nehmen, und der restliche Urlaub wäre ebenfalls gemäß § 7 Abs. 3 BurlG verfallen. Es ist kein Grund ersichtlich, den aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidenden Arbeitnehmer besser zu behandeln als den im Arbeitsverhältnis verbleibenden Arbeitnehmer.
114Nach alledem steht der Klägerin ein weiterer Urlaubsabgeltungsanspruch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu.
115IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.
116Gründe für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht ersichtlich.
117RECHTSMITTELBELEHRUNG
118Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
119Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.