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Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Prozesskostenhilfebeschluss des Arbeitsgerichts Münster vom 17.12.2021 – 1 Ca 1248/20 - wird unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags als unzulässig verworfen.
Gründe
2I. Dem Kläger war unter dem 30.10.2020 Prozesskostenhilfe bewilligt worden und die Zahlung von Raten in Höhe von 173,00 € angeordnet worden. Der am 02.11.2020 zugestellte Beschluss wurde bestandskräftig. Mit Zahlungsplan vom 20.07.2021 wurde sodann eine Zahlungspflicht für die Raten beginnend mit dem 02.08.2021 festgesetzt. Die Ratenzahlung wurde seitens des Klägers nicht aufgenommen.
3Mit Schreiben vom 12.11.2021, zugestellt am 15.11.2021, wurde der Kläger auf die Zahlungsrückstände und die bei Nichtzahlung erfolgende Aufhebung der Prozesskostenhilfe hingewiesen. Nachdem weder eine Stellungnahme noch ein Zahlungseingang verzeichnet werden konnten, hob das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 17.12.2021 die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf.
4Gegen den am 21.12.2021 zugestellten Beschluss wandte sich der Kläger mit der am 25.01.2022 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde, mit der er geltend machte, dass er derzeit inhaftiert sei und daher nicht in der Lage gewesen sei, sich bei dem Gericht zu melden.
5Das Arbeitsgericht teilte mit Schreiben vom 27.01.2022 mit, die Beschwerdefrist sei abgelaufen und daher könne nichts mehr veranlasst werden. Der Sachverhalt wurde der Beschwerdekammer vorgelegt.
6II. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschuss des Arbeitsgerichtes ist unzulässig nach den §§ 11 Abs. 1 RPflG, 78 Satz 1 ArbGG, 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, 567 ff ZPO, da die einmonatige Notfrist gem. § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht gewahrt ist.
7a) Nach § 127 Abs. 2 Satz 3 iVm. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist die sofortige Beschwerde im Prozesskostenhilfeverfahren binnen eines Monats einzulegen. Diese Frist beginnt nicht mit der Zustellung bei dem Antragsteller, sondern mit der Zustellung an den im Prozesskostenhilfeverfahren bestellten Prozessbevollmächtigten.
8Nach § 172 Abs. 1 ZPO hat die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen, um wirksam zu sein. Diese Regelung findet sich in Titel 2 des 1. Buches der ZPO “Allgemeine Vorschriften” und gilt damit für alle Zustellungen nach der ZPO und somit auch im Prozesskostenhilfeverfahren, das seinerseits in §§ 114 ff. ZPO geregelt ist.
9Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Prozessbevollmächtigte auch für das Prozesskostenhilfeverfahren bevollmächtigt ist. Davon ist auszugehen, wenn der Prozesskostenhilfeantrag nicht durch die Partei, sondern durch den Prozessbevollmächtigten gestellt worden ist. (BAG, Beschluss v. 19.07.2006, 3 AZB18/06, juris ). Dies ist vorliegend der Fall.
10Damit war der Beschluss vom 17.12.2021 am 21.12.2021 wirksam zugestellt, die Rechtsmittelfrist endete am 21.01.2022, weshalb die am 25.01.2022 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde verspätet war.
11b) Der Kläger hat allerdings mit der erhobenen sofortigen Beschwerde jedenfalls incidenter auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach §§ 233 f ZPO sind aber nicht erfüllt.
12aa) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts hätte es den Kläger auf die sofortige Beschwerde vom 25.01.2022 zur Überzeugung der Beschwerdekammer nicht einfach dahingehend bescheiden dürfen, dass aufgrund der Versäumung der Notfrist „nichts veranlasst werden“ könne.
13Damit hat es den Inhalt des Beschwerdeschreibens nur unzureichend erfasst und bewertet. Neben der ausdrücklich erhobenen sofortigen Beschwerde enthielt dieses Schreiben zum einen eine Begründung für die verspätete Einlegung der sofortigen Beschwerde – die vorliegende Haft – sowie eine Begründung für Ratenrückstände – die Einkommenslosigkeit aufgrund der Haft. Vor diesen Ausführungen durfte das Arbeitsgericht nicht ohne weiteres die Augen verschließen.
14bb) Grundsätzlich gilt, dass Anträge von Parteien dergestalt auszulegen sind, dass das von der Partei angestrebte Ziel zu ermitteln und zu prüfen ist, ob es die Voraussetzungen einer Prozesshandlung erfüllt, welche entsprechend zu bescheiden ist (LAG Hamm, Beschluss vom 28. September 2017 5 Ta 473/17, juris; Beschluss vom 19. Oktober 2015, 5 Ta 395/15, juris).
15Das Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 19 Abs. 4 GG gewährt einen Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz. Dieses gebietet es, den Zugang zu vom Gesetz gewährten Rechtsbehelfsverfahren nicht in unzumutbarer Weise zu erschweren. Daher darf einem Rechtsschutzsuchenden der Zugang zu einer gerichtlichen Sachentscheidung nicht aufgrund einer Auslegung seines Rechtsschutzgesuchs verwehrt werden, die dem erkennbar verfolgten Rechtsschutzziel zuwiderläuft (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 26. August 2008, 2 BvR 1198/08, juris unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. August 1992 - 2 BvR 89/92, NJW 1993, S. 1380 <1381>). Deshalb hat ein Gericht den Vortrag sachdienlich so auszulegen, dass die Erreichung des regelmäßig gewünschten Ziels, eine günstige anderweitige Entscheidung zu erreichen, möglich ist.
16Alle Anträge gegen getroffene Entscheidungen bis zum Ablauf der Beschwerdefrist sind grundsätzlich als Beschwerde aufzufassen, da mit der Beschwerde sowohl die Unrichtigkeit der getroffenen Entscheidung als auch eine zwischenzeitliche Veränderung bis zum Erlass der Beschwerdeentscheidung geltend gemacht werden können (Gottschalk/Schneider, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 10. Aufl., 2022, Rn. 1034). Auch bloße Eingaben oder Gegenvorstellungen sind in Fällen noch möglicher sofortiger Beschwerde als solche aufzufassen. Im Rahmen sachdienlicher Auslegung ist der Einreichung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse regelmäßig der erkennbare Wille zu entnehmen, dass z.B. eine Aufhebungsentscheidung nach § 124 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO durch die Darlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse verhindert oder aus der Welt geschaffen werden soll (so schon LAG Hamm, Beschluss v. 19. 10. 2015, 5 Ta 395/15, juris; siehe auch die erkennende Kammer Beschluss v.10.04.2014, 5 Ta 191/14, Beschluss v. 29.01.2013, 5 Ta 35/13 jeweils n.v.; LAG Schleswig-Holstein, 3 Ta 117/11, Beschluss v. 20.07.2011, juris; LAG Rheinland-Pfalz, 2 Ta 281/04, Beschluss v. 13.01.2005, juris). Das hat zur Folge, dass dieses Rechtsmittel gemäß § 572 ZPO zu bescheiden ist, ohne dass die Partei dieses nochmals ausdrücklich verlangen muss (LAG Hamm, Beschluss vom 28. September 2017 5 Ta 473/17, juris; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20. Juli 2011, 3 Ta 117/11, juris).
17Diese Grundsätze gelten auch und insbesondere in Anbetracht der nach § 236 Abs. 2 ZPO möglichen Wiedereinsetzung von Amts wegen, wenn die Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist erfolgt ist (siehe zur BGH, Beschluss vom 03.06.2014 - BGH Aktenzeichen VIII ZB 23/14, BeckRS 2014, 14519).
18Die Antragsfrist für die Wiedereinsetzung beträgt gem. § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO zwei Wochen. Da die Rechtsmittelfrist erst am 21.01.2022 abgelaufen war, ist sie mit Eingang der Beschwerde am 25.01.2022 in jedem Fall gewahrt.
19cc) Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen, § 85 Abs. 2 ZPO. Die Partei muss die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen glaubhaft machen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offen bleibt, dass die Fristversäumnis von der Partei bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war (BGH, Beschl. v. 08.04.2014 - VI ZB 1/13 - m. w. N.). Grundsätzlich müssen nach den §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist vorgetragen werden. Jedoch dürfen erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (BGH, Beschl. v. 31.03.2010 - XII ZB 166/09 - m. w. N.).
20dd) Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
21Die Wiedereinsetzung war im Ergebnis zu verweigern, da der Kläger bis zuletzt in der Beschwerdeinstanz trotz ausdrücklicher Aufforderungen und gewährter Fristverlängerungen nicht dargelegt hat, dass er nicht in der Lage gewesen ist, rechtzeitig selbst oder etwa durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten sofortige Beschwerde einzulegen.
22Eine Haftbescheinigung wurde bis zuletzt nicht vorgelegt. Schriftlich teilte der Kläger mit, dass er „im Januar“ inhaftiert wurde, was ihm allerdings nach eigener Einlassung bereits im Frühsommer 2021 in Aussicht gestellt worden ist. Er hätte daher durchaus Veranlassung und auch Gelegenheit gehabt, seine Angelegenheiten vor dem Haftantritt „im Januar“, also nicht erkennbar vor Ablauf der Beschwerdefrist, zu regeln. Wenn der Kläger sich in dieser Zeit nach seinem Vortrag nur unstetig unter seiner Adresse aufgehalten hat, ist die unterbliebene Kenntnisnahme von Posteingängen jedenfalls nicht unverschuldet im Sinne des § 233 ZPO.
23Die sofortige Beschwerde war als unzulässig zurückzuweisen.
24c) Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der Antrag auf Abänderung der Entscheidung des Arbeitsgerichtes auch im Übrigen unbegründet gewesen wäre.
25Nach der eigenen Einlassung des Klägers resultiert die Einkommenslosigkeit aus der Inhaftierung. Diese begann erst im Januar 2022. Ein Entschuldigungsgrund für die nicht geleisteten Zahlungen in den Monaten August und September kann dieses nicht darstellen. Andere Gründe, weshalb der Kläger in diesen Monaten nicht in der Lage gewesen sein sollte, die korrekt festgesetzten Raten zu leisten, sind nicht vorgetragen.
26Rechtsmittelbelehrung:
27Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, denn ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 574 Abs. 2 und 3 ZPO) besteht nicht.