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Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 7. April 2021 (3 Ca 1643/20) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.
3Die Klägerin war bei der Beklagten in einer ihrer Filialen als Verkäuferin seit 11. März 2005 beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörten sowohl die Tätigkeit als Kassiererin als auch das Einräumen von Waren in Regalen oder auf Warentische und andere Aufräumarbeiten im Laden. Für die Tätigkeit an der Kasse war der Klägerin die Bedienernummer 17 zugeteilt, die im fraglichen Zeitraum Mitte März bis Anfang Juni 2020 nicht verändert wurde. Für die arbeitstäglich Anmeldung an der Kasse hatte sie eine ihr zugeteilte Geheimzahl eingeben. Im Falle des kurzzeitigen Verlassens der Kasse, sei es für Auf- und Einräumarbeiten, sei es für Pausen, hatte sie die Kasse durch die Betätigung der Pausetaste zu sperren. Ansonsten geht die Kasse nach zwei Minuten selbsttätig auf „Pause“. Vor einer erneuten Nutzung musste die Klägerin die Kasse mit der ihr zugeteilten Geheimzahl entsperren.
4Im Rahmen einer zentralen Kassenprüfung fielen in den Kalenderwochen 12 bis 23 des Jahres 2020 insgesamt 14 Warenrückgaben auf, die unter der Bedienernummer der Klägerin getätigt wurden. In allen Fällen wurde der Artikel, welcher immer aus dem Non‑Food-Bereich stammte, häufiger zurück genommen als nach dem Originalbon verkauft. Zudem wurden in sieben Fällen mit den Originalbonnummern zwei Geldrückgaben erstellt.
5Die für die Klägerin zuständige, am 22. Juni 2020 von den verdächtigen Warenrückgaben unterrichtete Verkaufsleiterin hörte die Klägerin am 30. Juni 2020 zu dem Verdacht manipulierter Warenrücknahmen an. Unter dem 2. Juli 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht. Dagegen richtet sich die am 6. Juli 2020 beim Arbeitsgericht eingegangene Kündigungsschutzklage.
6Erstinstanzlich hat die Klägerin die Ansicht vertreten, die Beklagte habe lediglich Auffälligkeiten vorgetragen, welche die hohen Anforderungen an eine Verdachtskündigung nicht erfüllten. Die Tatsache, dass ihr die Bediennummer 17 zugeteilt sei, beweise nicht eine Beteiligung an fingierten Warenrücknahmen. Sie habe mit Wissen und Duldung der jeweiligen Filialleiter in stiller Übereinkunft mit langjährig Beschäftigten diesen die Kasse mit ihrer Bediennummer überlassen, wenn sie Warentische ein- und ausgeräumt oder Kurzpausen gemacht habe. Ebenso sei sie bei Kolleginnen in dieser Weise eingesprungen. Zudem könnten Waren zurückgenommen werden, die nicht in der Filiale gekauft worden seien oder für welche die Kunden keinen Originalbon mehr hätten, so dass die häufigere Rückgabe von Kleidungsstücken nicht den Verdacht eines Vermögensdeliktes begründen könnten. Auch würde gestohlene Ware so häufig zu Geld gemacht. Die kurzfristige Rückgabe mancher Waren sei damit zu erklären, dass Kunden Kleidungsstücke außerhalb der Filiale anprobieren und dann zurückgeben würden.
7Nach erstinstanzlich vertretener Auffassung der Beklagten bestehe der dringende Verdacht gegen die Klägerin, durch 14 fingierte Rückgaben Geld aus der Kasse in Höhe von 210,80 Euro unterschlagen zu haben. Es könne ausgeschlossen werden, dass andere Mitarbeiter unter Verwendung der Geheimnummer der Klägerin die Kasse bedient und Rücknahmen fingiert hätten. Die angebliche gegenseitige Vertretung sei eine reine Schutzbehauptung. Bei Rückgabe von Waren ohne Originalbon sei eine sogenannte „Dummy-Nummer“ für die Bon-Nummer einzugeben. Diese Methode habe die Klägerin nicht verwendet, vielmehr einen stets von ihr erstellten Originalbon für Mehrfachrückgaben genutzt. Angesichts der Vielzahl der Fälle und der systematischen Vorgehensweise sei davon auszugehen, dass die Klägerin die Rückgabe bewusst manipuliert habe. Die Grundlage einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sei entfallen, eine Weiterbeschäftigung der Klägerin nicht mehr zumutbar.
8Von der Darstellung des weiteren Vorbringens der Parteien in der ersten Instanz wird nach § 69 Abs. 2 ArbGG unter Bezugnahme auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Seite 2 bis 7, Bl. 189 ff. d. A.) abgesehen.
9Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin Warenrücknahmen fingiert und sich das Geld daraus angeeignet habe. Dies habe die Beklagte dargelegt, die von der Klägerin erfolgten Erklärungen zu etwaigen anderen Geschehensabläufen seien nicht überzeugend. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (Seite 7 ff., Bl. 194 ff. d. A.) verwiesen.
10Das Urteil wurde der Klägerin am 23. April 2021 zugestellt. Hiergegen richtet sich ihre am 7. Mai 2021 eingelegte und mit dem am 23. Juni 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung.
11Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens zur Sach- und Rechtslage trägt die Klägerin ergänzend vor, dass selbst nach dem Vortrag der Beklagten zu den Auffälligkeiten unterschiedliche Geschehensabläufe denkbar seien, deren Verhältnis zueinander das Arbeitsgericht nicht aufgeklärt habe. Eine spezielle Dummy-Taste für Warenrücknahmen ohne Beleg habe es nicht gegeben. Wenn es für jede Ware eine Dummy-Nummer gebe, die bei Rückgaben ohne Bon Verwendung finde, müsse es mehr als 1.000 solcher Nummern geben, was nicht der Fall sei. Im Übrigen seien die Verwendung des Originalbons die schnellste und sicherste Methode der Einbuchung in das Kassensystem und ein ganz normaler Vorgang gewesen. Dass die Beschäftigten aus Zeit- und Bequemlichkeitsgründen sich nicht stets an der Kasse persönlich an- und abgemeldet hätten, habe das Arbeitsgericht zu Unrecht für unwahrscheinlich erachtet und nicht durch eine Beweisaufnahme geklärt. Verboten sei dies nicht gewesen. Im Übrigen nehme das Arbeitsgericht fehlerhaft an, dass Warenbestände nicht durch Diebstähle beeinflusst werden könnten. Ebenso habe keine für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten geltende Anweisung für Warenrücknahmen existiert. Die nunmehr mit der Berufungserwiderung von der Beklagten vorgelegte „Konzeptunterweisung Kassierverhalten“ und „Bedienungsanleitung Touchkasse“ hätten nicht an der Kasse ausgelegen und seien im Jahr 2020 weder der Klägerin noch vielen Arbeitskolleginnen bekannt, sondern wohl ausschließlich an Führungskräfte gerichtet gewesen. Insgesamt sei der Vortrag der Beklagten auch in ihrem zuletzt vor dem erstinstanzlichen Kammertermin eingereichten Schriftsatz vom 15. März 2021 nicht geeignet eine Verdachtskündigung zu begründen.
12Die Klägerin beantragt,
13das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 7. April 2021 (3 Ca 1643/20) abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 2. Juli 2020 weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst worden ist.
14Die Beklagte beantragt,
15die Berufung zurückzuweisen.
16Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages zur Sach- und Rechtslage als zutreffend.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den von ihnen in Bezug genommenen Inhalt der in beiden Instanzen zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der Sitzungen des Arbeitsgerichts am 4. September 2020 und 7. April 2021 sowie des Landesarbeitsgerichts am 23. November 2021 Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe
19Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet:
20Zu Recht und mit in weiten Teilen zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Die Kammer folgt den Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 2. Juli 2020 und sieht insoweit von der Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Die Berufungsbegründung gibt zu folgenden Ergänzungen Anlass:
211. Auch der dringende, auf objektive Tatsachen gestützte Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Der Verdacht muss auf konkrete, vom Kündigenden darzulegende und gegebenenfalls zu beweisende Tatsachen gestützt sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, welches eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus. Für das Vorliegen eines dringenden Verdachtes kommt es auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an (vgl. LAG Hamm 11. März 2020 – 6 Sa 1182/19 – juris, Rn. 58 m. w. N. zur Rspr. des Bundesarbeitsgerichts).
222. Entgegen der Auffassung der Klägerin rechtfertigen die von der Beklagten im Rahmen einer Zentralen Kassenprüfung festgestellten Tatsachen zu Warenrückgaben, welche unter der Bedienernummer der Klägerin erfolgten, im vorliegenden Fall den dringenden Verdacht fingierter Rückgaben und Unterschlagung der dafür aus der Kasse entnommenen Gelder. Letztere stellen eine so schwerwiegende Pflichtverletzung dar, so dass der Verdacht an sich geeignet ist, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.
23a) Die 14 Warenrückgaben erfolgten unter der Bedienernummer der Klägerin nach drei unterschiedlichen Mustern, die jeweils so ungewöhnlich sind, dass sie den o. g. Verdacht rechtfertigen.
24aa) Zum einen gab es in sieben Fällen ein oder mehrere Tage nach dem Kauf eine einfache Warenrückgabe unter Vorlage des Originalbons. Der verkaufte Artikel wurde nur einmal als zurückgegeben verbucht. Sodann erfolgte später am selben Tag unter erneuter Verwendung des Verkaufsbons eine weitere Rückgabe zumeist von mehreren Teilen. Im Einzelnen:
25Datum |
Kauf/Retoure |
Artikel |
Stück |
Bon-Nr. |
13.03.2020 |
Verkauf |
Damen-Tunika |
1 |
364695 |
18.03.2020, 13:11 Uhr |
Rückgabe |
Damen-Tunika |
1 |
364695 |
18.03.2020, 13:46 Uhr |
Rückgabe |
Damen-Tunika |
4 |
364695 |
23.03.2020 |
Verkauf |
Damen-Jeggings |
1 |
157337 |
24.03.2020, 10:22 Uhr |
Rückgabe |
Damen-Jeggings |
1 |
157337 |
24.03.2020, 11:08 Uhr |
Rückgabe |
Damen-Jeggings |
2 |
157337 |
26.03.2020 |
Verkauf |
Herren-Arbeitsbundhose |
1 |
158316 |
27.03.2020, 08:42 Uhr |
Rückgabe |
Herren-Arbeitsbundhose |
1 |
158316 |
27.03.2020, 09:10 Uhr |
Rückgabe |
Herren-Arbeitsbundhose |
1 |
158316 |
21.04.2020 |
Verkauf |
Damen-Twillhose |
3 |
401069 |
24.04.2020, 12:46 Uhr |
Rückgabe |
Damen-Twillhose |
3 |
401069 |
24.04.2020, 12:52 Uhr |
Rückgabe |
Damen-Twillhose |
1 |
401069 |
15.05.2020 |
Verkauf |
Damen-Jeans |
1 |
183768 |
18.05.2020, 08:46 Uhr |
Rückgabe |
Damen-Jeans |
1 |
183768 |
18.05.2020, 08:50 Uhr |
Rückgabe |
Damen-Jeans |
2 |
183768 |
25.05.2020 |
Verkauf |
Damen-Hose |
1 |
413229 |
26.05.2020, 09:00 Uhr |
Rückgabe |
Damen-Hose |
1 |
413229 |
26.05.2020, 09:07 Uhr |
Rückgabe |
Damen-Hose |
3 |
413229 |
29.05.2020 |
Verkauf |
Herrenhose |
1 |
415332 |
05.06.2020, 12:23 Uhr |
Rückgabe |
Herrenhose |
1 |
415332 |
05.06.2020, 12:23 Uhr |
Rückgabe |
Herrenhose |
2 |
415332 |
Der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung in Form einer fingierten Warenrückgabe beruht in allen Fällen darauf, dass es völlig untypisch ist, dass nach der erstmaligen und mit dem Verkauf übereinstimmenden Rückgabebuchung derselbe Verkaufsbon für eine erneute Warenrückgabe wieder verwendet wird. Erschwerend kommt hinzu, dass in fünf von sieben Fällen bei der „zweiten Rückgabe“ auch noch mehr Stücke des Artikels zurückgegeben worden sein sollen als laut Verkaufsbon verkauft wurden. Es besteht der dringende Verdacht, dass die Klägerin eine zunächst ordnungsgemäß durchgeführte Rückgabe dazu ausgenutzt hat, eine weitere, zum überwiegenden Teil mehrfache Rückgabe vorzutäuschen und das Geld daraus zu vereinnahmen.
27bb) Zum anderen geschah in fünf Fällen die Rückgabe nach dem Verkauf des Artikels noch am selben Tag. Der Artikel wurde mit einem zeitlichen Abstand zwischen vier Minuten und mehr als zwei Stunden als zurückgegeben verbucht. Der Artikel wurde dabei jeweils manuell erfasst. Im Einzelnen:
28Datum |
Kauf/Retoure |
Artikel |
Stück |
Bon-Nr. |
24.03.2020, 07:49 Uhr |
Verkauf |
Tierabwehr |
1 |
384064 |
24.03.2020, 07:53 Uhr |
Rückgabe |
Tierabwehr |
2 |
384064 |
24.03.2020, 12:39 Uhr |
Verkauf |
Damen-Freizeitschuh |
1 |
384349 |
24.03.2020, 13:17 Uhr |
Rückgabe |
Damen-Freizeitschuh |
2 |
384349 |
27.03.2020, 09:29 Uhr |
Verkauf |
Damen-Freizeitschuh |
1 |
386576 |
27.03.2020, 11:58 Uhr |
Rückgabe |
Damen-Freizeitschuh |
2 |
386576 |
29.04.2020, 16:16 Uhr |
Verkauf |
Wasserkaraffe |
1 |
174278 |
29.04.2020, 16:22 Uhr |
Rückgabe |
Wasserkaraffe |
2 |
174278 |
02.05.2020, 17:39 Uhr |
Verkauf |
Wasserkaraffe |
1 |
175690 |
02.05.2020, 18:17 Uhr |
Rückgabe |
Wasserkaraffe |
2 |
175690 |
In allen Fällen ist der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung dadurch begründet, dass jeweils nur ein Artikel verkauft, aber zwei zurückgegeben wurden. Die Klägerin hat dabei entweder die tatsächliche Rückgabe eines Artikels dazu genutzt, im Rahmen der manuellen Eingabe einen Umtausch von zwei Artikeln einzugeben, dem Kunden das Geld für einen Artikel zu geben und zeitgleich oder später das Geld für den weiteren Artikel an sich zu nehmen. Oder aber sie hat einen zurückgelassenen Originalbon verwendet, um eine mehrfache Rückgabe vorzutäuschen.
30cc) Schließlich wurde zwei Mal nach dem Verkauf des Artikels dieser ein paar Tage später mehrfach zurückgegeben, wobei auch hier eine manuelle Eingabe des Artikels erfolgte:
3107.05.2020, 18:53 Uhr |
Verkauf |
KK-M-Sandale |
1 |
178964 |
09.05.2020, 08:34 Uhr |
Rückgabe |
KK-M-Sandale |
2 |
178964 |
11.05.2020, 11:10 Uhr |
Verkauf |
Damen-Maxikleid |
1 |
375922 |
15.05.2020, 08:05 Uhr |
Rückgabe |
Damen-Maxikleid |
2 |
375922 |
In beiden Fällen ist der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung dadurch begründet, dass jeweils nur ein Artikel verkauft, aber zwei zurückgegeben wurden. Auch hier gilt, dass der Verdacht gegen die Klägerin beinhaltet, entweder bei einer ordnungsgemäßen Rückgabe den Artikel als zwei Mal zurückgegeben verbucht und das Geld aus einer Rücknahme selbst eingenommen zu haben.
33dd) Die Rückgaben sind alle während der Arbeitszeit der Klägerin in der Filiale erfolgt. Die Kasse wurde unter ihrer Bediennummer betätigt. Der Bediennummer ist eine persönliche Geheimnummer zugeordnet, mit der die Klägerin sich an- und abmelden muss. Im Falle einer Pause oder eines sonstigen Verlassens des Kassenplatzes ist die Kasse durch Drücken einer Pausetaste zu sperren und kann nur mittels Eingabe der Geheimnummer entsperrt werden. Dies rechtfertigt die Annahme, dass die Klägerin alle Rücknahmen durchgeführt hat, weil nur sie die Kasse mit ihrer Geheimnummer bedienen kann. Es handelt sich um vierzehn auffällige Rückgaben in nur zweieinhalb Monaten. Das alles zusammengenommen, rechtfertigt gegenüber der Klägerin den dringenden Verdacht der Unterschlagung von Geld aus der Kasse durch fingierte Warenrücknahmen.
34b) Die von der Klägerin genannten Gründe für diese Unregelmäßigkeiten bei der Warenrückgabe sind nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften.
35aa) Soweit die Klägerin vorträgt, dass es üblich gewesen sei, sich an den Kassen wechselseitig zu vertreten und daher Kolleginnen unter der Bedienernummer der Klägerin kassiert hätten, geht das Gericht von einer Schutzbehauptung der Klägerin aus; zudem vermag sie dieses Verhalten angesichts der dann anzunehmenden groben Vertragswidrigkeit nicht zu entlasten.
36(1) Kern der ordnungsgemäßen Kassenführung ist es, die eigene Kasse nie anderen zu überlassen. Die Kassiererin ist für ihre Kasse verantwortlich. Überlässt sie bewusst anderen die Kasse, nimmt sie es in Kauf, dass unter ihrer Bediennummer andere das Vermögen der Beklagten schädigen können. Auf gegenseitiges Vertrauen kommt es nicht an, da dieses missbraucht werden kann. Eine solch grobe Verletzung der Hauptleistungspflicht wäre ihrerseits geeignet, an sich eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.
37(2) Es ist unstreitig zwischen den Parteien, dass bei einem Verlassen des Arbeitsplatzes die Klägerin die Pflicht hat, ihre Kasse durch Betätigung der Pausetaste vor fremden Zugriff zu sperren und danach eine erneute Verwendung der Kasse erst nach Eingabe ihrer Geheimnummer möglich war. Selbst wenn sie dies vergessen oder bewusst nicht gemacht haben sollte, wäre die Kasse nach zwei Minuten in diesen geschützten Pausenmodus gewechselt. Dementsprechend ist es unerklärlich, warum am 24. März 2021 um 11:07 Uhr die Geheimnummer der Klägerin eingegeben wird, nachdem die Kasse auf „Pause“ gesetzt war, und dann um 11:08 Uhr eine verdächtige Rückgabe erfolgte. Entweder hat die Klägerin einer Kollegin die Geheimnummer überlassen, was wiederum ein schwerwiegendes Fehlverhalten bedeuten würde, oder sie will die Kasse entsperrt und sofort wieder den Kassenplatz einer anderen Kollegin überlassen haben, weil sie andere Arbeiten im Laden erledigt hat. Das ist eine nicht plausible Schutzbehauptung.
38(3) Der von der Klägerin behauptete Wechsel an der Kasse ist zudem schon deswegen zweifelhaft, weil in der Regel mehrere Kassen gleichzeitig besetzt waren und deshalb eine Vertretung durch Mitarbeiter, die keinen Kassendienst haben, nicht nötig war.
39(4) Des Weiteren ist unstreitig geblieben, dass – im Gegensatz zur Klägerin – keine anderer Mitarbeiterin der Filiale an allen Tagen, an denen Rücknahmen erfolgten, auch zu den Uhrzeiten, zu denen diese stattfanden, zeitgleich mit der Klägerin beschäftigt war. Sollten also die Rücknahmen auf entsprechenden Verhalten von „Kassenvertretungen“ beruhen, müssten sich mehrere Kolleginnen abgesprochen haben, auf diese Weise zulasten der Klägerin zu agieren. Dafür besteht kein tatsächlicher Anhaltspunkt.
40(5) Es mag sein, dass es zu pflichtwidrigen Vertretungstätigkeiten an der Kasse einer angemeldeten Kassiererin gelegentlich gekommen ist. Der daraus abgeleitete, allgemeine Einwand, auch andere Mitarbeiterinnen könnten deswegen die Warenrücknahmen fingiert haben, ist in der von der Klägerin vorgetragenen Pauschalität nicht geeignet, den konkreten Verdacht gegen sie durch einen pauschalen Verdacht gegenüber Kolleginnen in Frage zu stellen.
41bb) Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass Waren aus anderen Filialen und ohne Originalbon zurückgegeben werden konnten, erklärt dies nicht, warum in allen 14 Fällen mehr Waren zurückgenommen wurden als zuvor verkauft worden waren.
42(1) So ist es nicht nachvollziehbar, dass der am 24. März 2020 um 7:39 verkaufte Artikel „Tierabwehr“ nur vier Minuten später doppelt zurückgegeben wurde. Die Beklagte bezeichnet es zurecht als „ignorant“, wenn die Klägerin tatsächlich in diesem Fall den einmal gekauften Artikel ohne Prüfung und insbesondere Rücksprache mit einem Vorgesetzten zwei Mal zurücknimmt. Daher ist dieser Einwand nicht plausibel.
43(2) In allen Fällen einer mehrfachen Warenrückgabe hat die Klägerin jeweils den Originalbon verwendet und nicht das Verfahren genutzt, die Warenrückgabe ohne Bon mit einer Dummynummer für den Beleg und die Kasse (jeweils die „1“) auf die eigene Filiale zu erzeugen, um die Rückgabe zu dokumentieren. Das gilt insbesondere in den sieben Fällen, in denen anscheinend zunächst eine ordnungsgemäße Warenrückgabe dokumentiert ist, im Verlauf des Tages aber eine weitere Rückgabe erfolgte, bei welcher die Klägerin wieder den Originalbon verwendete und nicht das normale Verfahren. Dass ihr Letzteres – auch ohne Kassenanweisung – bekannt war, hat sie nicht bestritten. Wenn sie dann aber die Rückgabe mit einem Originalbon dokumentiert, täuscht sie über den eigentlichen Vorgang. Das ist ein starkes Indiz dafür, dass es sich um fingierte Warenrücknahmen handelt.
44(3) Entsprechendes gilt für alle Fälle in denen noch am gleichen Tag (5 Vorgänge) oder an ein paar Tage später (2) ein Kunde lediglich einen Artikel kauft und dann mindestens zwei gleichzeitig zurückgibt. Weder kann dies mit einer Anprobe im Auto oder zuhause erklärt werden noch mit einem geplanten Vorgehen, um vorher begangene Diebstähle derselben Ware „zu Geld zu machen“. Dass dies zudem ausgerechnet bei der Klägerin in dieser Häufung innerhalb von nur zweieinhalb Monaten auftrat, ist damit nicht erklärbar.
45c) Inwieweit Warenfehlbestände von der Beklagten hinreichend dargelegt wurden, woran angesichts des pauschalen Verweises auf die Anlagenkonvolute A9 und A10 (Bl. 136 ff. d. A.) im Schriftsatz vom 6. November 2020 Zweifel bestehen, bedarf keiner weiteren Aufklärung. Denn auch ohne diese Fehlbestände, welche die Beklagte zur Unterstützung ihres Vorwurfs heranzieht, besteht ein auf objektive Tatsachen gestützter dringender Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung der Klägerin.
463. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist ihre erforderliche Anhörung vor Ausspruch der Verdachtskündigung ordnungsgemäß erfolgt.
47a) Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung Gelegenheit geben, zu den Verdachtsmomenten Stellung zu nehmen, um dessen Einlassungen bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können. Versäumt er dies, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen; die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam. Der Umfang der Anhörung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen (vgl. BAG 20. März 2014 – 2 AZR 1037/12 – juris, Rn. 23 f.). Eine Mitteilung des beabsichtigten Gesprächsthemas ist grundsätzlich nicht erforderlich (vgl. BAG 12. Februar 2015 – 6 AZR 845/13 – juris, Rn. 62).
48b) Die Klägerin hat die von der Beklagten in ihrer Klageerwiderung vom 20. Juli 2020 konkret dargelegte Anhörung nur pauschal bestritten. Erstinstanzlich hat sie vorgetragen, dass sie nicht in der Anhörung am 30. Juni 2020 die Richtigkeit der Bedienerabrechnungen und der Warenbewegungen nicht in Frage gestellt habe. Sie sei über die Vorwürfe schockiert gewesen, so dass sie sich nicht näher zur Sache geäußert habe. Erst- wie zweitinstanzlich hat sie im Übrigen darauf verwiesen, dass sie das Gesprächsprotokoll nicht unterschrieben habe, und zudem gerügt, dass ihr die Vorwürfe weder am Tag vorher telefonisch noch in dem Anhörungsgespräch selbst im Detail mitgeteilt worden seien noch ihr genügend Bedenkzeit eingeräumt oder die Möglichkeit gegeben wurde, einen Rechtsbeistand beizuziehen.
49Die vorherige Mitteilung der Vorwürfe war nicht erforderlich, ebenso wenig die vorherige Einräumung der Möglichkeit, einen Rechtsbeistand hinzuziehen. Letzteres gilt aus demselben Grund (Gefahr einer Verdunkelung der Tat in Fällen des begründeten Verdachts), aus dem eine vorherige Mitteilung der Vorwürfe nicht erforderlich ist (vgl. dazu BAG, 12. Februar 2015 – 6 AZR 845/13 – juris, Rn. 61). Im Übrigen gibt die Klägerin an, einerseits über die Vorwürfe schockiert gewesen zu sein, andererseits schon in dem Gespräch daran gedacht zu haben, dass an den fraglichen Tagen andere Mitarbeiterinnen unter ihrer Bediennummer an der Kasse gearbeitet zu haben. Wenn der Klägerin aber schon im Gespräch hinreichend deutlich war, dass es um mehrere Warenrücknahmen ging, hatte sie hinreichend Gelegenheit, entweder selbst konkreter die Vorwürfe aufzuklären oder eine Unterbrechung zu verlangen, um eine Vertrauensperson hinzuziehen (vgl. dazu BAG, aaO., Rn. 62). Dass sie dies nicht genutzt hat, stellt die ordnungsgemäße Anhörung nicht in Frage.
504. Die Arbeitsgericht ist zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass die nach § 626 Abs. 1 BGB erforderliche umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles eine außerordentliche Kündigung ohne Einhaltung der Kündigungsfrist rechtfertigt. Einwendungen hiergegen hat die Klägerin im Rahmen ihrer Berufungsbegründung nicht mehr erhoben.
515. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
52Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen nicht.
53RECHTSMITTELBELEHRUNG
54Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
55Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.