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Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 05.06.2019 – 5 Ca 162/19 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Die Parteien streiten über die Eigruppierung der Klägerin.
3Sie ist seit dem 01.09.1986 bei der Beklagten als Verwaltungsangestellte beschäftigt und als Sachbearbeiterin im Jugendamt – Abteilung Beistandschaft – eingesetzt.
4Auf das Arbeitsverhältnis sind der TVöD-VKA und der TVÜ-VKA anwendbar.
5Die Klägerin war im Dezember 2016 in der Entgeltgruppe 9 eingruppiert.
6Anlässlich der Einführung der Anlage 1 – Entgeltordnung (VKA) (im folgenden EGO) unterrichtete die Beklagte die Beschäftigten mit Schreiben aus Dezember 2016 (Bl. 66, 67 d. A.) über die Grundsätze der Überleitung in die neue Entgeltordnung. Sie teilte mit, die bisherige Entgeltgruppe 9 werde in die Entgeltgruppen 9a), 9b) und 9c) umgewandelt; mit dem Inkrafttreten der EGO werde die Entgeltgruppe 9 durch die Entgeltgruppen 9a) und 9b) ersetzt; die betroffenen Beschäftigten erhielten nach der technischen Umsetzung ihrer Überleitung (Anfang des Jahres 2017) ein gesondertes Schreiben. Gleichzeitig wies sie darauf hin, dass eine Höhergruppierung in eine höhere Entgeltgruppe der neuen EGO nur auf Antrag erfolgen werde, der in der Zeit vom 01.01.2017 bis zum 31.12.2017 zu stellen sei, es sei denn, das Arbeitsverhältnis ruhe aufgrund von Elternzeit, Sonderurlaub etc. Sie klärte darüber auf, das Antragserfordernis gebe allen Beschäftigten die Möglichkeit, im Hinblick auf ihre persönliche Situation und die persönliche und berufliche Lebensplanung zu beurteilen, ob ein Höhergruppierungsantrag für sie günstig sei oder nicht; die Beurteilung und Entscheidung obliege allein den Beschäftigten, denen sie aus rechtlichen Gründen keine Beratung geben könne.
7Ausweislich der Entgeltabrechnungen für die Monate Januar bis April 2017 (Bl. 274 bis 277 d. A.) erhielt die Klägerin im Januar noch ein Gehalt nach der Entgeltgruppe 9 Stufe 6, ab Februar 2017 aus der Entgeltgruppe 9b Stufe 6 EGO.
8Mit Schreiben vom 24.04.2017 (Bl. 29, 30 d. A.) klärte die Beklagte erneut über die Änderungen der EGO auf und verwies auf das Antragserfordernis. Die Klägerin behauptet, dieses Schreiben nicht erhalten zu haben.
9Sie war in der Zeit vom 28.03.2017 bis zum 26.10.2018 arbeitsunfähig krank. Sie leidet an einer chronischen Schmerzsymptomatik mit Schmerzen im Darm- und Magen sowie mit Gelenkschmerzen. Ihr Bewegungsapparat ist degenerativ verändert. Im Jahre 2000 wurde ein Morbus Crohn diagnostiziert. Seit 2004 leidet sie an einem chronischen Schmerzsyndrom mit Ausprägung eines Fibromyalgie-Syndroms. In der Zeit vom 31.03.2017 bis zum 02.04.2017, vom 12.04.2017 bis zum 15.04.2017, vom 10.05.2017 bis zum 24.05.2017 und vom 29.06.2017 bis zum 15.07.2017 befand sie sich in stationärer Behandlung. In den Zwischenräumen wurde sie ambulant behandelt. In der Zeit vom 24.07.2018 bis zum 21.08.2018 erfolgte eine stationäre Rehabilitation, aus der sie arbeitsunfähig krank entlassen wurde. Wegen der Einzelheiten der Maßnahme wird auf den von der Klägerin mit Schriftsatz vom 01.10.2019 vorgelegten ärztlichen Entlassungsbericht (Bl. 169 bis 183 d. A.) Bezug genommen.
10Am 18.12.2018 (Bl. 15 d. A.) führte die sie behandelnde Ärztin T aus, sie sei schon vor ihrer Arbeitsunfähigkeit ab dem 28.03.2017 aufgrund von starken Schmerzzuständen und deren Medikation nicht mehr in der Lage gewesen, die gesamte Situation im Hinblick auf Höhergruppierungsanträge ihres Arbeitgebers einzuschätzen.
11Die Ärztin führte mit Bescheinigung vom 17.09.2019 (Bl. 184 d. A.) aus, die Klägerin sei in der Zeit vom 28.03.2017 bis zum 24.07.2018 wiederholt mit BTM-pflichtigen Medikamenten behandelt worden.
12Mit Schreiben vom 20.01.2020 (Bl. 278, 279 d. A.) erklärte die sie seit Juni 2017 behandelnde Dipl. Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin W, stationären Krankenhausaufenthalte seien auch deshalb erfolgt, weil sie zu diesem Zeitpunkt körperlich und psychisch nicht in der Lage gewesen sei, ihre Alltagsversorgung zu bewältigen bei Arbeitsunfähigkeit seit dem 28.03.2017.
13Wegen der weiteren von der Klägerin mit Schriftsatz vom 01.10.2019 vorgelegten ärztlichen Berichte nach diversen Behandlungen wird auf Bl. 185 bis 199 d. A. verwiesen.
14Mit Schreiben vom 15.10.2018 (Bl. 14 d. A.) beantragte sie ihre Höhergruppierung aus der Entgeltgruppe 9b in die Entgeltgruppe 9c Teil A I Nr. 3 EGO. Mit Schreiben vom 22.10.2018 lehnte die Beklagte eine Höhergruppierung mit der Begründung ab, die Klägerin habe ihren Antrag nach Ablauf der Antragsfrist gestellt.
15Mit ihrer am 31.01.2019 bei dem Arbeitsgericht Bochum eingegangenen Klage verfolgt sie ihren Anspruch weiter.
16Sie hat behauptet:
17Sie müsse monatlich eine Vergütungsdifferenz zum durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt in Höhe von 186,15 € bzw. 175,85 € hinnehmen. Wegen ihrer Berechnung im Einzelnen wird auf ihre Schriftsätze vom 03.05.2019 (Bl. 48 d. A.) und 08.05.2019 (Bl. 59, 60 d.A.) Bezug genommen.
18Bereits vor ihrer Arbeitsunfähigkeit ab dem 28.03.2017 habe sie unter starken Schmerzzuständen gelitten und hohe Dosen von Schmerzmitteln eingenommen. Deshalb habe sie ihre Situation am Arbeitsplatz nicht ordnungsgemäß einschätzen können. Sie sei aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht in der Lage gewesen, während des Jahres 2017 einen Höhergruppierungsantrag zu stellen. Dessen Notwendigkeit sei ihr erst im Rahmen ihrer Wiedereingliederung im Jahre 2018 bewusst geworden.
19Sie hat die Auffassung vertreten:
20§ 29b Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA sei auch auf ihren Fall anwendbar, da der Fall einer langandauernden Arbeitsunfähigkeit dem Ruhen des Arbeitsverhältnisses gleichzustellen sei. Entsprechend habe sich der Beginn ihrer Antragsfrist auf den 27.10.2018 verschoben. Zumindest sei eine analoge Anwendung geboten, da die Tarifvertragsparteien offenkundig den Fall der langandauernden Arbeitsunfähigkeit übersehen hätten.
21Im Übrigen sei die Antragsfrist in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens aus § 206 BGB gehemmt gewesen, da sie durch höhere Gewalt an ihrer Rechtsverfolgung gehindert gewesen sei. Ihre langandauernde Arbeitsunfähigkeit habe sich als höhere Gewalt dargestellt.
22Die Beklagte verhalte sich bei der Berufung auf die Ausschlussfrist treuwidrig. Ihr sei bekannt gewesen, dass sie – die Klägerin – unverschuldet daran gehindert gewesen sei, den Antrag zu stellen. Die Beklagte habe zu vertreten, dass sie vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit keinen Antrag gestellt habe, denn diese habe sie mit Schreiben aus Dezember 2016 nicht über die Entgeltgruppe 9c EGO informiert und bei ihr die Erwartung geweckt, es werde gesondert eine spezielle Information erfolgen und bis zur Umsetzung der neuen Entgeltordnung in ihr Arbeitsverhältnis bestehe kein Handlungsbedarf. Aufgrund der fehlenden technischen Umsetzung der Überleitung in die Entgeltgruppe 9b vor April 2017 hätten deshalb wesentliche Informationen für die Ausübung des Antragsrechtes gefehlt.
23Mit der Einführung der Antragsfrist i. V. m. der automatischen Überleitung in die Entgeltgruppe 9b hätten die Tarifvertragsparteien die Grundsätze des Artikel 3 Abs. 1 GG verletzt. Durch die Regelungen in den §§ 29b Abs. 1 Satz 1, 29c Abs. 2 TVÜ-VKA würden Arbeitnehmer, deren Tätigkeit den Voraussetzungen der Entgeltgruppe 9c EGO entspreche und die diese Tätigkeit über den 31.12.2016 weiterhin verrichteten, ohne den Höhergruppierungsantrag gestellt zu haben, dauerhaft gegenüber Arbeitnehmern schlechter gestellt, die den Antrag eingebracht bzw. die höherwertige Tätigkeit erst nach dem 01.01.2017 übernommen hätten. Ein Sachgrund sei nicht ersichtlich. Deshalb sei sie nach den Grundsätzen der Tarifautomatik in der Entgeltgruppe 9c EGO eingruppiert.
24Die Klägerin hat beantragt,
25festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie rückwirkend ab dem 01.01.2017 nach der Entgeltgruppe 9c Entgeltordnung TVöD zu vergüten.
26Die Beklagte hat beantragt,
27die Klage abzuweisen.
28Sie hat die Auffassung vertreten, das Antragsrecht der Klägerin sei erloschen, da kein Sonderfall des § 29b Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA vorgelegen habe. Ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses setzte die Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis am 01.01.2017 voraus.
29Mit Urteil vom 05.06.2019 hat das Arbeitsgericht Bochum die Klage abgewiesen.
30Es hat ausgeführt:
31Die zulässige Klage sei unbegründet.
32Eine Eingruppierung der Klägerin in der Entgeltgruppe 9c EGO im Wege der Überleitung sei nach dem TVÜ-VKA nicht vorgesehen. Eine Höhergruppierung habe nach § 29b Abs. 1 TVÜ-VKA einen Antrag bis zum 31.12.2017 vorausgesetzt, den die Klägerin nicht fristgerecht gestellt habe.
33Der Ausnahmetatbestand des § 29b Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA sei nicht gegeben. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin habe am Stichtag 01.01.2017 nicht geruht. Sie habe Anfang 2017 noch ihre Arbeitsleistung erbracht. Zwar habe sie vorgetragen, faktisch bereits seit Ende 2016 arbeitsunfähig krank gewesen zu sein. Die Arbeitsunfähigkeit sei jedoch nicht mit einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses gleichzusetzen, das die Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten voraussetze. Im Falle einer über den Entgeltfortzahlungszeitraum hinausgehenden Erkrankung ruhe das Arbeitsverhältnis grundsätzlich nicht, sondern es liege auf Seiten des Arbeitnehmers eine Leistungsstörung vor.
34Vorliegend sei nicht ersichtlich, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff des Ruhens des Arbeitsverhältnisses anders als in seiner rechtlichen Bedeutung hätten verwenden wollen. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass das „Ruhen“ auch Fälle der Arbeitsunfähigkeit erfassen solle.
35§ 29b Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA sei auch nicht analog auf den Fall der Klägerin anzuwenden, da nicht davon auszugehen sei, dass sie am Stichtag 01.01.2017 arbeitsunfähig krank gewesen sei. Sie sei erst ab dem 28.03.2017 mit ärztlicher Bescheinigung arbeitsunfähig krank gewesen. Im Jahre 2017 habe sie fast drei Monate gearbeitet. Auch aus dem vorgelegten ärztlichen Attest vom 18.12.2018 ergebe sich nicht, dass sie bereits vor dem 28.03.2017 arbeitsunfähig krank gewesen sei. Dagegen spreche im Übrigen, dass sie trotz der von ihr vorgetragenen Behandlung mit verschreibungspflichtigen Medikamenten nicht krankgeschrieben worden sei.
36Der Ablauf der Ausschlussfrist sei auch nicht entsprechend § 206 BGB gehemmt gewesen. Danach sei die Verjährung gehemmt, solange der Gläubiger innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert sei. Die Verjährungsvorschriften fänden auch auf tarifliche Ausschlussfristen entsprechende Anwendung.
37Für die Hemmung sei jedoch erforderlich, dass die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung tatsächlich nicht in der Lage gewesen sei, einen Antrag auf Höhergruppierung zu stellen. Insoweit wäre es nicht ausreichend, wenn sie aufgrund ihrer Erkrankung zunächst die Prioritäten auf ihre Genesung gesetzt hätte. Aus ihrem Vortrag ergebe sich nicht hinreichend substantiiert, dass sie insbesondere in der zweiten Hälfte des Jahres 2017 durch ihre Erkrankung an der Rechtsverfolgung gehindert gewesen sei. Über den Krankheitsverlauf seit dem 28.03.2017 habe sie keine Auskunft gegeben. Die ärztliche Bescheinigung vom 18.12.2018 verhalte sich nur zu ihrem Zustand Ende des Jahres 2016 und Anfang des Jahres 2017.
38Die Beklagte berufe sich nicht treuwidrig auf den Ablauf der Antragsfrist.
39Aus dem Vortrag der Klägerin ergebe sich schon nicht, dass die Beklagte über ihre genaue gesundheitliche Situation informiert gewesen sei und Kenntnis von ihrer Unfähigkeit gehabt habe, den Antrag fristgerecht zu stellen.
40Eine Treuwidrigkeit folge auch nicht aus einer unvollständigen Information durch die Beklagte. Das Informationsschreiben aus Dezember 2016 sei nicht unvollständig, da sie zutreffend darauf hingewiesen habe, eine Überleitung werde in die Entgeltgruppen 9a oder 9b EGO erfolgen. Auf die Antragsfrist sei hingewiesen worden. Sie habe auch darüber aufgeklärt, dass dieser Antrag nicht für jeden Mitarbeiter sinnvoll sei. Die Information enthalte zwar keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Entgeltgruppe 9c. Das sei jedoch nicht erforderlich gewesen. Die Beklagte habe auf die Möglichkeit einer Höhergruppierung hingewiesen.
41Nichts anderes ergebe sich aus der Tatsache, dass der Klägerin das Schreiben vom 24.04.2017 nicht zugegangen sei. Schon mit Schreiben aus Dezember 2016 sei ausdrücklich auf die Ausschlussfrist hingewiesen worden. Die Klägerin hätte sich nach ihrer Überleitung erkundigen oder einen Antrag auf Höhergruppierung stellen können. Wie dargestellt, ergebe sich aus ihrem Vortrag nicht hinreichend, dass sie dazu gesundheitlich nicht in der Lage gewesen sei. Durch Studium der tarifvertraglichen Regelungen hätte sie herausfinden können, dass eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9c EGO einen Antrag voraussetzte.
42Sie könne sich nicht mit Erfolg auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz berufen. Dieser schütze nur vor einer willkürlichen Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen, soweit der Arbeitgeber durch eigenes gestaltendes Verhalten ein eigenes Regelwerk bzw. eine eigene Ordnung schaffe, nicht jedoch, wenn er sich bei der Eingruppierung an die tarifvertraglichen Vorgaben halte, was die Beklagte getan habe.
43Außerdem spreche gegen eine willkürliche Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die einen Antrag auf Höhergruppierung gestellt hätten, und solchen, die es unterlassen hätten, dass aufgrund der unterschiedlichen Stufenaufstiege bzw. Stufenüberleitungen ein Antrag auf Höhergruppierung nicht für jeden Mitarbeiter sinnvoll gewesen sei.
44Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird auf Bl. 73 bis 84 d. A. verwiesen.
45Die Klägerin hat gegen das ihr am 09.07.2019 zugestellte Urteil am 05.08.2019 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 04.10.2019 am 02.10.2019 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend begründet.
46Sie rügt das erstinstanzliche Urteil als fehlerhaft und führt aus:
47Das erstinstanzliche Gericht habe seine Hinweispflicht aus § 139 Abs. 2 ZPO verletzt. Bereits erstinstanzlich habe sie unter Vorlage des Attestes vom 18.12.2018 und unter Beweisantritt vorgetragen, während des gesamten Jahres 2017 gesundheitlich nicht in der Lage gewesen zu sein, einen Antrag auf Höhergruppierung zu stellen. Sie habe auch dargestellt, spätestens ab dem 28.03.2017 krankheitsbedingt an psychischen Beschwerden, geringer Belastbarkeit, Panikattacken sowie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen gelitten zu haben. Sie habe mehrerer stationäre Krankhausaufenthalte geschildert und dargelegt, eine Vielzahl von schweren Schmerzmitteln erhalten zu haben.
48Die Beklagte sei dem Vortrag nicht entgegengetreten. Das Gericht hätte auf die Ergänzung ihres Vortrages hinwirken müssen.
49Ihr Gesundheitszustand habe sich zum Ende des Jahres 2016 aufgrund starker psychischer Belastungen durch die berufliche Situation (Arbeitsverdichtung/Stresslevel) drastisch verschlechtert. Im Jahre 2017 habe durchgehend ein Zustand von andauernd vorhandener starker bis sehr starker Schmerzen bestanden. Sie sei zunehmend erschöpft und in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt gewesen. Es seien eine ausgeprägte Fatigue-Symptomatik und eine seelische Belastungsreaktion mit depressiver Ausprägung diagnostiziert worden. Am 28.03.2017 sei es zu einem schmerzbedingten Zusammenbruch gekommen, nachdem sie zuvor trotz der bestehenden Schmerzsymptomatik versucht habe, ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Ab diesem Zeitpunkt habe sich ihr Ehemann um sämtliche Belange des täglichen Lebens gekümmert, da sie dazu nicht mehr in Lage gewesen sei.
50Wegen der Erkrankungen der Klägerin im Einzelnen und der in den Jahren 2017 und 2018 erfolgten Behandlungen wird auf ihre Schriftsätze vom 01.10.2019 (Bl. 164 bis 166 d. A.) und 21.04.2020 (Bl. 271 d. A.) Bezug genommen.
51Es sei zu berücksichtigen, dass sowohl der Personalrat als auch die Gewerkschaft vor einer vorschnellen Antragsstellung gewarnt hätten. Wegen des diesbezüglichen Vorbringens der Klägerin wird auf den Schriftsatz vom 21.04.2020 nebst Anlagen (Bl. 271, 272, 280 bis 283 d. A.) verwiesen.
52Das erstinstanzliche Gericht habe zu Unrecht ein treuwidriges Verhalten der Beklagten bei der Berufung auf die Ausschlussfrist verneint. Sie habe schon erstinstanzlich vorgetragen, dass ihr aufgrund der fehlenden technischen Umsetzung der Überleitung vor April 2017 wesentliche Informationen zur Ausübung ihres Antragsrechts gefehlt hätten. Sie habe insbesondere keine Kenntnis von ihren Bezügen in der Entgeltgruppe 9c EGO gehabt. Frühestens ab dem 24.04.2017 hätten aufgrund des Schreibens der Beklagten die erforderlichen Informationen vorgelegen, das sie allerdings nicht erhalten habe. Zwar sei sie erstmals im Februar 2017 aus der Entgeltgruppe 9b vergütet worden. Die Abrechnung habe sie erst zum Monatsende erhalten und aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation keiner Prüfung unterzogen. Auf die Mitteilung der Eingruppierung bereits im März 2017 sei sie erst im Prozess aufmerksam geworden. Zu berücksichtigen sei im Übrigen, dass sie zur Prüfung eines Höhergruppierungsantrags vor Eintritt ihrer Arbeitsunfähigkeit lediglich einen Zeitraum von 27 Tagen zur Verfügung gehabt habe, obwohl die Tarifvertragsparteien von einer Frist von einem Jahr ausgegangen seien.
53Das Arbeitsgericht habe die Reichweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes verkannt. Es habe verkannt, dass es nicht um die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Beklagte gehe, sondern dass auch die Tarifvertragsparteien an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden seien. Sie hätten durch die Ausschlussfrist nach § 29b Abs. 1 Satz 2 TVÜ-VKA gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, wie sie bereits erstinstanzlich gerügt habe. Die Ausschlussfrist führe zu einer dauerhaften, nicht gerechtfertigten Schlechterstellung von Arbeitnehmern, deren Tätigkeit die Voraussetzungen der Entgeltgruppe 9c EGO erfülle, da diese entgegen den Grundsätzen der Tarifautomatik bei unveränderter Tätigkeit dauerhaft falsch eingruppiert seien. Sie würden dadurch ungerechtfertigt dauerhaft gegenüber solchen Arbeitnehmern schlechter gestellt, die einen Höhergruppierungsantrag gestellt hätten, und insbesondere gegenüber solchen Arbeitnehmern, die eine identische oder vergleichbare Tätigkeit nach dem 01.03.2017 aufnähmen.
54Aus diesen Gründen sei die analoge Anwendung des § 29 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA auf Fälle langandauernder Arbeitsunfähigkeit geboten.
55Die Klägerin beantragt,
56das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 05.06.2019 – 5 Ca 162/19 – abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie ab dem 01.01.2017 nach der Entgeltgruppe 9c der Anlage 1 – Entgeltordnung (VKA) Teil A I Nr. 3 zu vergüten.
57Die Beklagte beantragt,
58die Berufung zurückzuweisen.
59Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend und führt aus:
60Die Klägerin habe in der Berufungsinstanz nicht mehr in Abrede gestellt, dass die Ausnahmeregelung nach § 29b Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA nicht anwendbar sei. Es sei auch unstreitig geworden, dass sie in der Zeit vom 01.01.2017 bis zum 27.03.2017 nicht arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen sei.
61Eine analoge Anwendung des § 29b Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA auf Fälle langandauernder Erkrankung sei nicht geboten. Den Tarifvertragsparteien sei bekannt gewesen, dass es Fälle von Langzeiterkrankungen gebe. Sie hätten von der großzügig bemessenen Überlegungsfrist von einem Jahr jedoch nur in Fällen des am 01.01.2017 ruhenden Arbeitsverhältnisses abweichen wollen. In anderen Fällen gelte die Antragsfrist. Zu bedenken sei, dass eine Arbeitsunfähigkeit den Arbeitnehmer im Regelfall nicht daran hindere, einen Höhergruppierungsantrag zu stellen.
62Die Klägerin sei auch nach ihrem ergänzenden Vortrag am 01.01.2017 nicht arbeitsunfähig krank gewesen. Sie habe vielmehr bis zum 27.03.2017 ihre Arbeitsleistung erbracht.
63Soweit sie ärztliche Bescheinigungen vorlege, seien diese in einem erheblichen zeitlichen Abstand erstellt worden. Aus dem Kurzgutachten der Dipl.-Psychologin W vom 20.01.2020 ergäben sich im Übrigen gesundheitliche Schwierigkeiten der Klägerin ab dem 28.03.2017.
64Der Fall der Arbeitsunfähigkeit sei nicht mit dem Ruhen des Arbeitsverhältnisses gleichzusetzen. Die Klägerin habe keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, im gesamten Jahr 2017 handlungs- bzw. gar geschäftsunfähig gewesen zu sein.
65Die Ausschlussfrist sei auch nicht in entsprechender Anwendung des § 206 BGB gehemmt gewesen, da nicht ersichtlich sei, dass sie krankheitsbedingt völlig unfähig gewesen sei, den erforderlichen Antrag zu stellen.
66Ihr habe es nicht an den erforderlichen Informationen gemangelt. Wegen des diesbezüglichen Vorbringens der Beklagten wird auf ihren Schriftsatz vom 07.11.2019 (Bl. 247 bis 250 d. A.) Bezug genommen.
67Die tarifliche Regelung verstoße nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Tarifvertragsparteien hätten es bewusst den Beschäftigten überlassen, eine Entscheidung über eine Höhergruppierung nach der neuen Entgeltordnung zu treffen, da diese auch zu Nachteilen habe führen können.
68Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
69Entscheidungsgründe
70A.
71Die gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO an sich statthafte und form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 05.06.2019 ist unbegründet. Zu Recht hat das erstinstanzliche Gericht die Klage abgewiesen.
72I. Der Feststellungsantrag ist gem. § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Es handelt sich bei der Klage auf Feststellung des Anspruchs auf Vergütung aus einer bestimmten Entgeltgruppe um eine im öffentlichen Dienst übliche Eingruppierungsfeststellungsklage, gegen deren Zulässigkeit nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Bedenken bestehen, wenn durch die Entscheidung Rechtsfrieden geschaffen wird und die Parteien – wie hier – nicht über weitere Faktoren streiten (BAG 28.02.2018 – 4 AZR 816/16 – Rd. 14; 27.08.2014 – 4 AZR 518/12 – Rd. 15).
73II. Die Klage ist unbegründet.
74Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung aus der Entgeltgruppe 9c der Anlage 1 – Entgeltordnung (VKA) A.I.Nr.3.
751. Auf das Arbeitsverhältnis sind der TVöD-VKA, der TVÜ-VKA und die EGO anwendbar. Insoweit besteht kein Streit zwischen den Parteien.
762. Dem Anspruch der Klägerin auf Vergütung aus der begehrten Entgeltgruppe steht – wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat - § 29b Abs. 1 Satz 2 TVÜ-VKA entgegen. Ihr Antragsrecht ist am 31.12.2017 erloschen.
77a. Gemäß § 29 Abs. 1 TVÜ-VKA gelten ab dem 01.01.2017 für die Eingruppierung §§ 12, 13 TVöD- VKA i. V. m. der Anlage 1 – Entgeltordnung (VKA) für die vor dem 31.12.2016 eingestellten Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis über den 31.12.2016 fortbesteht. Gemäß § 29a Abs. 1 TVÜ-VKA erfolgt die Überleitung in die neue Entgeltordnung unter Beibehaltung der bisherigen Entgeltgruppe für die Dauer der unverändert auszuübenden Tätigkeit. Eine Überprüfung und Neufeststellung findet aufgrund der Überleitung in die Entgeltordnung grundsätzlich nicht statt. Nach der Protokollerklärung zu § 29a Abs. 1 TVÜ-VKA gilt die Zuordnung zu den Entgeltgruppen des TVöD nach den Anlagen 1, 3 TVÜ-VKA in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung als Eingruppierung. § 29b TVÜ-VKA stellt demgegenüber eine Ausnahmevorschrift dar. Sie eröffnet den Beschäftigten bei unverändert auszuübender Tätigkeit den Zugang zu dem neuen Tarifsystem, das teilweise höhere Eingruppierungen vorsieht. Nur auf Antrag des Arbeitnehmers findet eine Höhergruppierung statt, wobei gemäß § 29b Abs. 2 Satz 2 TVÜ-VKA die Stufenzuordnung in der höheren Entgeltgruppe nach den Regelungen für Höhergruppierungen in § 17 Abs. 4 TVöD-VKA in der bis zum 28.02.2017 geltenden Fassung erfolgt, es sei denn, der Beschäftigte war in der bisherigen Entgeltgruppe der Stufe 1 zugeordnet. Beschäftigte der Entgeltgruppe 9 TVöD-VKA, für die keine Stufenregelung gilt, sind nach § 29c Abs. 2 TVÜ-VKA stufengleich und unter Mitnahme der in ihrer Stufe zurückgelegten Stufenlaufzeit in die Entgeltgruppe 9b TVöD-VKA übergeleitet. Es findet auch insoweit keine Neubewertung der Tätigkeit statt. Die Überleitung erfolgt nach festgelegten Kriterien (LAG Hamm 01.08.2018 – 6 Sa 336/18 – Rd. 35).
78Die Klägerin war – wie sich aus der Entgeltabrechnung für Januar 2017 ergibt und zwischen den Parteien nicht streitig ist – am 31.12.2016 in der Entgeltgruppe 9 eingruppiert und wurde ausweislich der Entgeltabrechnung für Februar 2017 zutreffend in die Entgeltgruppe 9b EGO übergeleitet.
79b. Sie konnte bei unveränderter Tätigkeit eine Höhergruppierung in die Entgeltgruppe 9c EGO nur durch einen Antrag nach § 29b Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA erreichen. Danach bedarf es eines Antrags, wenn sich nach der EGO eine höhere Entgeltgruppe ergibt. Hier folgt die Entgeltgruppe 9c allein aus der neuen EGO.
80Die Klägerin hat die Antragsfrist nach § 29b Abs. 1 Satz 2 TVÜ-VKA nicht bis zum 31.12.2017 gewahrt, sondern ihren Höhergruppierungsantrag erst im Jahre 2018 gestellt.
81c. Ausnahmsweise verlagert sich die Antragsfrist nach § 29b Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA, wenn das Arbeitsverhältnis am 01.01.2017 ruht. Die Frist von einem Jahr beginnt in diesem Fall mit der Wiederaufnahme der Tätigkeit. Der Antrag wirkt auf den 01.01.2017 zurück.
82aa. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat am 01.01.2017 nicht geruht, denn die Klägerin hat bis zum 27.03.2017 einschließlich ihre Arbeitspflicht erfüllt. Ein Arbeitsverhältnis ruht, wenn die wechselseitigen Hauptpflichten aus § 611 a BGB ausgesetzt sind (Kuner/Bergauer, Die neue Entgeltordnung TVöD-VKA – Rd. 343).
83Selbst wenn die Klägerin am 01.01.2017 arbeitsunfähig krank mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung gewesen wäre, hätte ihr Arbeitsverhältnis nicht geruht (Kuner/Bergauer a.a.O. Rd. 345).
84bb. Entgegen ihrer Auffassung ist der Ausnahmetatbestand des § 29b Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA ungeachtet der Frage nach einer bewussten Tariflücke und der Möglichkeiten, sie auszufüllen, schon deshalb nicht analog auf ihren Fall der langandauernden Arbeitsunfähigkeit anzuwenden, weil sie weder am 01.01.2017 noch während des gesamten Jahres 2017 arbeitsunfähig krank war. Zwar wird die Auffassung vertreten, langzeiterkrankte Arbeitnehmer könnten sich nach Wiederaufnahme ihrer Arbeit auf die verlagerte einjährige Ausschlussfrist berufen. Das soll allerdings nur gelten, wenn sie schon am 01.01.2017 ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung arbeitsunfähig krank gewesen sind (Kuner/Bergauer a.a.O. Rd. 347).
85Die Klägerin war nicht gehindert, ihren Antrag während der Antragsfrist zu stellen. Eine Arbeitsunfähigkeit ist erst nachgewiesen für die Zeit ab dem 28.03.2017. Zu ihren Gunsten geht das Gericht davon aus, dass sie schon im 1. Quartal 2017 erkrankt war. Krankheit führt jedoch nicht stets zu einer Arbeitsunfähigkeit. Hier ist entscheidend zu bedenken, dass sie ihre Tätigkeit, die unter anderem selbstständige Leistungen erfordert und besonders verantwortungsvoll ist, ohne ersichtliche Beanstandungen bis zum 27.03.2017 einschließlich erfüllt hat, mag sie ihre berufliche Situation auch – wie in der Anamnese des ärztlichen Entlassungsberichtes nach dem Klinikaufenthalt im Juli/August 2018 dargestellt - als belastend empfunden haben. Das Attest der Fachärztin für Allgemeinmedizin T bestätigt keine Arbeitsunfähigkeit vor dem 28.03.2017, sondern etwas vage, die Klägerin sei „bereits vor Dezember 2016 sicherlich nicht mehr in der Lage (gewesen), die gesamte Situation im Hinblick auf die Höhergruppierungsanträge ihres Arbeitgebers einzuschätzen“. Diese nur mit Schmerzzuständen und deren Medikation begründete Aussage ist nicht plausibel vor dem Hintergrund der über Wochen fortgesetzten Erbringung einer anspruchsvollen Arbeitsleistung. Nichts anderes folgt aus dem Kurzgutachten der Dipl.-Psychologin W vom 20.01.2020. Sie bestätigt, dass eine Arbeitsunfähigkeit erst ab dem 28.03.2017 bestand und die Klägerin im Juni 2017 nicht in der Lage war, ihre Alltagsversorgung zu bewältigen
86d. Die Antragsfrist war nicht in entsprechender Anwendung von § 206 BGB gehemmt.
87Danach ist der Lauf der Verjährungsfrist gehemmt, solange der Gläubiger innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert war.
88aa. Zugunsten der Klägerin geht die Kammer davon aus, dass die Vorschrift entsprechend auf die Ausschlussfrist des § 29b Abs. 1 Satz 2 TVÜ-VKA anwendbar ist.
89bb. Höhere Gewalt liegt vor, wenn die Verhinderung auf Ereignissen beruht, die auch durch äußerste, billigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (BGH 21.03.1973 – 8 ZR 212/71 – Rd. 15).
90Eine schwere Krankheit stellt jedoch nur dann einen Fall der höheren Gewalt dar, wenn sie dem Gläubiger die Besorgung seiner Angelegenheiten schlechthin unmöglich macht, z. B. bei Bewusstlosigkeit. Bei psychischen Erkrankungen kann höhere Gewalt anzunehmen sein, wenn der Gläubiger psychisch außer Stande gewesen ist, sachgemäß über die Durchsetzung von Ansprüchen zu entscheiden. Ist er jedoch noch in der Lage, seine Angelegenheiten zumindest dergestalt zu besorgen, dass er einer anderen Person generell Vollmacht oder im Einzelfall einen Auftrag erteilt, führt die Erkrankung zu keiner Hemmung der Verjährung (jurisPK/BGB/Lakkis, § 206 BGB – Rd. 6). So hat das LSG Berlin-Brandenburg erkannt, dass noch keine höhere Gewalt vorliegt, wenn der Gläubiger einen Schlaganfall mit Lähmungserscheinungen erlitten hat, die ihn hindern, einen schriftlichen Antrag zu stellen (LSG Berlin-Brandenburg 21.01.2015 - L 13 VH 5/13 - Rd. 43). Ihm muss die Besorgung seiner Angelegenheiten schlechthin unmöglich sein, das heißt, auch die Erteilung einer Vollmacht oder eines Einzelauftrags muss ausgeschlossen sein (BGH 13.11.1962 – VI ZR 228/60).
91Hier hätte die Klägerin den Antrag bis zum 27.03.2017 selbst stellen können. Er erforderte nicht mehr geistige Leistung als die Verrichtung der geschuldeten Arbeit. Selbst wenn sie angesichts der Jahresfrist angenommen haben sollte, noch im Laufe des Jahres ausreichend Zeit für die Prüfung der Tariflage und die Antragstellung zu haben, hätte sie jedenfalls im letzten Quartal des Jahres 2017 ihren Ehemann oder einen Rechtsanwalt beauftragen können und müssen, ihre Rechte wahrzunehmen. Aus den ärztlichen Stellungnahmn folgt nicht, dass sie auch zur Auftragserteilung nicht in der Lage war. Aus dem Entlassungsbericht bezüglich des stationären Aufenthalts im Juli/August 2018 und der Stellungnahme der behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin vom 17.09.2019 ergibt sich lediglich, dass sie in 2017 ab dem 28.03. mit BTM-pflichtigen Medikamenten behandelt wurde. Das schließt jedoch die Geschäftsfähigkeit oder nur die Handlungsfähigkeit nicht per se aus. Nichts anderes folgt aus der ärztlichen Feststellung vom 18.12.2018, die Klägerin sei „sicherlich“ nicht mehr in der Lage gewesen, die Gesamtsituation bezüglich der Höhergruppierung einzuschätzen. Diese Einschätzung hätte sie zunächst einer beauftragten Person überlassen können.
92cc. Soweit sie sich darauf beruft, ihr hätten wesentliche Informationen zur Wahrnehmung ihrer Rechte gefehlt, kann ihr die Kammer nicht zustimmen.
93Die Hemmung nach § 206 BGB ist ausgeschlossen, wenn dem Gläubiger Verschulden vorzuhalten ist. Verschulden wird durch Rechtsirrtum und Rechtsunkenntnis nicht ausgeschlossen. Verschulden ist allenfalls dann ausgeschlossen, wenn die Rechtslage unter Einsatz der vernünftigerweise gebotenen Mitteln nicht aufzuklären war (Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, 15. Auflage, § 206 BGB Rd. 5).
94Hier konnte die Klägerin bereits dem Schreiben der Beklagten aus Dezember 2016 entnehmen, dass zum 01.01.2017 eine neue EGO mit Änderungen der sie betreffenden Entgeltgruppe 9 eingeführt werden würde. Die Beklagte hat ausreichend erläutert, dass anstelle der Entgeltgruppe 9 die Entgeltgruppen 9a, 9b und 9c gelten und die Beschäftigten der Entgeltgruppe 9 in die Entgeltgruppen 9a/9b übergeleitet werden würden. Bereits der Entgeltabrechnung für Februar 2017 konnte sie ihre Überleitung in die Entgeltgruppe 9b entnehmen. Unter Nr. 2 ihres Schreibens aus Dezember 2016 hat die Beklagte umfassend auf das Antragsrecht und die Antragsfrist für den Fall der Höhergruppierung nach der neuen EGO hingewiesen und ausgeführt, dass die Beschäftigten die Vor- und Nachteile eines solchen Antrags selbst zu prüfen hätten. Sie hat auch über die Rechtsfolgen einer Entscheidung gegen einen Antrag aufgeklärt. Damit hat sie ihre Mitarbeiter überobligatorisch aufgeklärt. Denn der Arbeitgeber hat gegenüber den Arbeitnehmern hinsichtlich einer etwaigen Höhergruppierung auf Antrag keinerlei Aufklärungs- und/oder Beratungspflichten. Er muss nur über die bestehende Eingruppierung, den Ist-Zustand zum Stichtag der Überleitung Auskunft geben (Kuner/Bergauer a.a.O. Rd. 367, 368). Die Beklagte hat sich zutreffend darauf beschränkt, allgemeine und grundlegende Informationen zur Entgeltordnung zu geben. Zu einer weiteren individuellen Beratung war sie nicht verpflichtet.
95Die Klägerin hatte drei Monate Zeit, den Hinweisen nachzugehen und die Rechtslage zu prüfen, zumal den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes abgefordert werden muss, sich bei Anwendung der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes über den Tarif- inhalt zu informieren. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 Nachweisgesetz fordert dem Arbeitgeber lediglich ab, auf die Anwendung von Tarifverträgen in allgemeiner Form hinzuweisen. Bei Änderungen in den anwendbaren Tarifverträgen entsteht nach § 3 Satz 2 Nachweisgesetz keine neue Hinweispflicht.
96Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Klägerin aufgrund der Entgeltabrechnung für Februar 2017 die Überleitung in die Entgeltgruppe 9b bekannt war. Auf das Schreiben der Beklagten vom 24.04.2017 kommt es nicht erheblich an. Wie ausgeführt, war die Klägerin nicht erkennbar gehindert, ihre Rechte durch Beauftragung Dritter wahrzunehmen. Dass sie sich aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht um ihre Eingruppierung gekümmert hat, ist menschlich nachvollziehbar, begründet aber nicht eine Verhinderung durch höhere Gewalt.
973. Die Beklagte ist nicht gem. § 242 BGB gehindert, sich auf die Antragsfrist zu berufen.
98Zwar ist der Schuldner nach Treu und Glauben gehindert, Verteidigungsmöglichkeiten in unzulässiger Weise geltend zu machen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellt die Berufung auf eine Ausschlussfrist eine gegen Treu und Glauben verstoßende und damit gem. § 242 BGB unzulässige Rechtsausübung dar, wenn die zum Verfall von Ansprüchen führende Untätigkeit des Arbeitnehmers durch ein Verhalten des Arbeitgebers veranlasst worden ist. Das setzt voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der rechtzeitigen Geltendmachung seines Anspruchs abgehalten hat. In einem solchen Fall setzt er sich in Widerspruch zu seinem eigenen früheren Verhalten, wenn er zunächst die Untätigkeit des Arbeitnehmers veranlasst und dann aus dieser Untätigkeit einen Vorteil ziehen will, indem er sich auf den Verfall der Ansprüche beruft (BAG 17.04.2019 – 5 AZR 313/18 – Rd. 29). Diese Grundsätze sind auch im Rahmen der Antragsfrist nach § 29b Abs. 1 Satz 2 TVÜ-VKA anwendbar, da diese eine spezielle Ausschlussfrist ist.
99Die Beklagte hat die Untätigkeit der Klägerin in keiner Hinsicht veranlasst. Wie bereits dargestellt, hat sie sie vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ausreichend informiert und die Überleitung in die neue Entgeltordnung durch die Entgeltabrechnungen für Februar und März 2017 dokumentiert.
100Sollte die Klägerin meinen, die Beklagte schulde ihr im Hinblick auf ihre Erkrankung eine besondere Rücksichtnahme, verkennt sie, dass sie erst ab dem 28.03.2017 arbeitsunfähig krank war und die Beklagte die Ursachen der Arbeitsunfähigkeit nicht ersichtlich kannte. Die Kenntnis von Kollegen reicht nicht aus.
101c. Das Antragserfordernis und die Antragsfrist nach § 29b Abs.1 Satz 1, 2 TVÜ-VKA sind nicht wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz unwirksam.
102Die Tarifvertragsparteien als Normgeber sind bei der tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar grundrechtsgebunden. Das gilt auch für die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes. Die Gerichte für Arbeitssachen sind aber gem. Artikel 1 Abs. 3 GG zum Schutz der Grundrechte berufen. Der Schutzauftrag des Artikel 1 Abs. 3 GG verpflichtet sie dazu, die Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien zu beschränken, wenn diese mit den Freiheits- oder Gleichheitsrechten oder anderen Rechten mit Verfassungsrang der Normunterworfenen kollidiert. Die Gerichte müssen insoweit praktische Konkordanz herstellen. Sie sind darum verpflichtet, gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen zu unterbinden. Der Gleichheitssatz bildet als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie. Tarifnormen sind deshalb uneingeschränkt auch am Gleichheitssatz zu messen. Tarifvertragsparteien steht bei ihrer Normsetzung aufgrund der durch Artikel 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie allerdings ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind. Darüber hinaus verfügen sie über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung. Die Gerichte dürfen nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Verbände setzen. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die betroffene Reglung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt. Dies bedingt im Ergebnis eine deutliche zurückgenommene Prüfungsdichte durch die Gerichte (BAG 19.12.2019 – 6 AZR 59/19 - Rd. 15, 16).
103Ausgehend von diesen Grundsätzen verstößt das Erfordernis, unter Außerachtlassung der Tarifautomatik eine Höhergruppierung in eine Entgeltgruppe der neuen Entgeltordnung nur auf einen innerhalb einer bestimmten Frist zu stellenden Antrag zu gewähren, nicht gegen Artikel 3 Abs. 1 GG.
104aa. Soweit die Klägerin eine Ungleichbehandlung gegenüber Arbeitnehmern reklamiert, die nach dem 01.01.2017 aufgrund der Übernahme einer höherwertigen Tätigkeit höhergruppiert sind, verkennt sie, dass diese nicht mit ihr vergleichbar sind, denn es liegt bei diesen Beschäftigten ein Sachverhalt vor, der mit der Übernahme der am 01.01.2017 mit unveränderter Tätigkeit Beschäftigten in die neue Entgeltordnung keine gemeinsamen Merkmale aufweist. Bei den aufgrund einer veränderten Tätigkeit nach dem 01.01.2017 höhergruppierten Arbeitnehmern gilt die Tarifautomatik, bei der Überleitung in die neue Entgeltordnung gilt sie - wie dargestellt - grundsätzlich nicht.
105bb. Das Absehen von der Tarifautomatik in § 29c Abs. 2 TVÜ-VKA verbunden mit dem Antragserfordernis nach § 29b Abs. 1 TVÜ-VKA führt zwar zu einer Ungleichbehandlung der Beschäftigten, die den Antrag stellen, gegenüber den Beschäftigten, die ihn nicht stellen. Die tariflichen Regelungen sind jedoch nicht willkürlich, sondern sachgerecht. Die Aufhebung der Tarifautomatik im Zusammenhang mit der Überleitung in die neue Entgeltordnung dient vor allem dem Schutz der Beschäftigten, denn die neue Entgeltordnung hätte bei Neueingruppierung nach den neuen Tätigkeitsmerkmalen auch zu einer Herabgruppierung führen können. (Kuner/Bergauer a.a.O. Rd. 302). Weil aber auch Höhergruppierungen in Betracht kommen, haben sich die Tarifvertragsparteien auf das Antragsrecht der Beschäftigten verständigt. Mit dem Antrag können sie den Grundsatz der Tarifautomatik wieder aktivieren. Sie können selbstbestimmt, nicht fremdbestimmt, ab dem 01.01.2017 das Entgelt aus der höheren (neuen) Entgeltgruppe verlangen, tragen aber auch die Verantwortung für ihre (weitere) Entgeltentwicklung. Eine Höhergruppierung bringt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht stets einen finanziellen Vorteil. Gem. § 29b Abs. 2 TVÜ-VKA richtet sich die Stufenzuordnung bei Höhergruppierungen auf Antrag nach § 17 Abs. 4 TVöD-VKA in der bis zum 28.02.2017 geltenden Fassung. Nach dieser Norm werden die Beschäftigten bei Eingruppierung in eine höhere Entgeltgruppe der Stufe zugeordnet, in der sie mindestens ihr bisheriges Tabellenentgelt erhalten, mindestens jedoch der Stufe 2. Die Regelung begegnet keinen rechtlichen Bedenken (BAG 19.12.2019 a.a.O. Rd. 17 ff.). Die Höhergruppierung erfolgt demnach nicht stufengleich. Die Stufenlaufzeit in der höheren Entgeltgruppe beginnt gem. § 17 Abs. 4 Satz 4 TVöD-VKA a.F. mit dem 01.01.2017.
106Es kommt auch der Verlust von Besitzstandsansprüchen in Betracht, in jedem Fall geht die angebrochene Stufenlaufzeit verloren (Groeger/Spelge/Pfeiffer, Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst, 3. Auflage, Rd. 29.9.6). Weiterhin reduziert sich z. B. bei einem Wechsel aus der Entgeltgruppe 8 in die Entgeltgruppe 9a die Sonderzahlung gem. § 20 Abs. 2 TVöD-VKA.
107B.
108Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO.
109Gründe im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG, die Revision zuzulassen, liegen angesichts der Besonderheiten des Einzelfalls nicht vor.
110RECHTSMITTELBELEHRUNG
111Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
112Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.