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Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 28.02.2018 – 5 Ca 1845/17 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Zur Klarstellung wird der Ausspruch in der Hauptsache wie folgt gefasst:
Es wird festgestellt, dass ein Anspruch des Klägers auf Auszahlung eines Wertguthabens nach den zwischen der Beklagten und der IG Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, geschlossenen Sanierungstarifverträgen vom 14.06.2007 und vom 22.06.2011 in Höhe von 18.959,66 € nicht durch den am 24.03.2015 vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main – Az. 16 Ca 2754/13 – geschlossenen Vergleich erloschen ist.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Die Parteien streiten über den Bestand eines Wertguthabens aus tariflichen Sanierungstarifverträgen.
3Der Kläger war in der Zeit vom 12.05.1980 bis zum 30.11.2013 bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete durch arbeitgeberseitige Kündigung. Über deren Wirksamkeit haben die Parteien vor dem Arbeitsgericht Frankfurt (16 Ca 2754/13) einen Rechtsstreit geführt, der am 24.03.2015 durch Vergleich mit folgendem Wortlaut erledigt wurde:
41. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung vom 05. April 2013 mit sozialer Auslauffrist mit Ablauf des 30. November 2013 aus personenbedingten Gründen sein Ende gefunden.
2. Die Beklagte zahlt an den Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung nach den §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 38.000,00 EUR (in Worten: Achtunddreißigtausend und 0/100 Euro) brutto.
3. Sämtlicher Urlaub des Klägers ist in natura gewährt.
4. Die Beklagte erteilt dem Kläger unter dem Ausstellungsdatum der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein wohlwollendes qualifiziertes Arbeitszeugnis.
5. Mit diesem Vergleich sind sämtliche wechselseitigen finanziellen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung – gleich aus welchem Rechtsgrund, ob bekannt oder unbekannt – ausgeglichen.
6. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit und der Rechtsstreit mit dem Aktenzeichen 16 Ca 6049/14 erledigt.
7. Die Kosten der Rechtsstreite werden gegeneinander aufgehoben.
In dem Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht Frankfurt war der Kläger vertreten durch die DGB Rechtsschutz GmbH, Büro Frankfurt.
19Die Parteien sind beiderseits tarifgebunden. Aufgrund eines zwischen der Beklagten und der IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen am 14.06.2007 geschlossenen Sanierungstarifvertrags (Aktenblatt 15 – 19) verzichteten die im Betrieb der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer auf bestimmte Arbeitsentgeltansprüche und die Beklagte im Gegenzug auf den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen. Die tariflichen Entgeltbestandteile, auf die aufgrund des genannten Sanierungstarifvertrags zunächst verzichtet wurden, wurden in einem Wertguthaben dokumentiert und vorbehaltlich einer zukünftigen günstigen wirtschaftlichen Entwicklung bei der Beklagten zu einem unbestimmten Zeitpunkt zur späteren Auszahlung vorgesehen. Der Sanierungstarifvertrag vom 14.06.2007 hatte eine Laufzeit vom 01.04.2007 bis zum 31.03.2009. Er wurde abgelöst von einem Sanierungstarifvertrag II vom 22.06.2011 (Aktenblatt 63 – 68) mit einer Laufzeit vom 01.04.2009 bis zum 31.12.2012. Aus beiden Sanierungstarifverträgen resultiert zu Gunsten des Klägers ein Wertguthaben in Höhe von 18.959,66 € per 31.03.2010. Der Betrag gibt den Endstand wieder, der sich seitdem nicht mehr verändert hat. Darüber hat die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 21.12.2010 (Aktenblatt 7) informiert.
20Eine Auszahlung des Wertguthabens ist bisher nicht erfolgt. Vielmehr wurde der Sanierungstarifvertrag vom 22.06.2011 abgelöst durch einen Tarifvertrag zur Zukunftssicherung I vom 09.05.2012 (Aktenblatt 69 – 75) mit einer Laufzeit vom 01.04.2012 bis zum 31.03.2015 und dieser von einem Tarifvertrag zur Zukunftssicherung II vom 10.06.2015 (Aktenblatt 8 – 14) mit einer Laufzeit vom 01.04.2015 bis zum 31.07.2017. Nach Auslaufen des letztgenannten Tarifvertrags hat der Kläger mit Schreiben vom 08.08.2017 gegenüber der Beklagten die Auszahlung seines Wertguthabens geltend gemacht.
21Der Kläger hat erstinstanzlich die Auszahlung seines Wertguthabens von der Beklagten verlangt, hilfsweise eine hierauf gerichtete Feststellung beantragt. Dazu hat er vorgetragen, die unter Ziffer 5 des Vergleichs vom 24.03.2015 enthaltene Ausgleichsklausel erfasse nicht Ansprüche aus den Sanierungstarifverträgen. Ein Verzicht auf tarifliche Rechte sei nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig und ein solcher liege hier nicht vor. Die Entstehung des Anspruchs sei nicht streitig und das Wertguthaben sei auch nicht Gegenstand des seinerzeit vor dem Arbeitsgericht Frankfurt geführten Rechtsstreits gewesen. Tarifschließende Gewerkschaft sei im vorliegenden Fall die IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen und nicht der DGB gewesen. Im Übrigen sei er auch nicht vom DGB, sondern von der DGB Rechtsschutz GmbH vertreten gewesen. Es werde bestritten, dass zum Zeitpunkt der Klageerhebung die Auszahlungsansprüche noch nicht fällig gewesen seien. Falls das Arbeitsgericht aber insoweit der Auffassung der Beklagten folge, bestehe jedenfalls ein Interesse an der Feststellung, dass sein Wertguthaben zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch bestanden habe.
22Der Kläger beantragt,
23die Beklagte zu verurteilen, an ihn 18.959,66 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen;
24hilfsweise festzustellen, dass sein Wertguthaben aus dem Tarifverzicht nach dem Sanierungstarifvertrag vom 14. Juni 2007 sich auf 18.959,66 € brutto beläuft.
25Die Beklagte beantragt,
26die Klage abzuweisen.
27Die Beklagte hat vorgetragen, der Anspruch des Klägers auf Ausgleich seines Wertguthabens sei bereits aufgrund der zwischen den Parteien im gerichtlichen Vergleich vom 24.03.2015 vereinbarten Ausgleichsklausel erledigt. Diese umfasse auch den Anspruch des Klägers auf Aufzahlung seines Wertguthabens. Eine Billigung durch beide Tarifvertragsparteien liege vor. Der Kläger sei bei Abschluss des Vergleichs vom DGB vertreten gewesen und dieser habe den Vergleich gebilligt. Die IG-Metall sei Mitglied im DGB, so dass davon auszugehen sei, dass der Vergleich auch von dieser gebilligt worden sei. Aber selbst wenn der Anspruch auf Ausgleich des Wertguthabens nicht durch die Ausgleichsklausel im gerichtlichen Vergleich vom 24.03.2015 erledigt worden sei, habe der Kläger jedenfalls keinen Anspruch auf Aufzahlung seines Wertguthabens, weil der Anspruch nicht fällig sei. Nach dem Sanierungstarifvertrag I vom 09.05.2012, der aufgrund des Ausscheidens des Klägers zum 31.03.2013 anwendbar sei, bestehe ein Ausgleichsanspruch, sobald bestimmte Jahresüberschüsse erzielt würden. Zwar seien in den Geschäftsjahren 2012/2013, 2013/2014 und 2014/2015 jeweils Überschüsse erzielt worden, mit denen aber andere, vorrangig zu erfüllende Ansprüche hätten ausgeglichen werden müssen. Nunmehr müsse sie die Töpfe „Entgelterhöhungen vom 01.04.2012 bis 31.03.2015“ und vom „01.04.2015 bis zum 31.03.2017“ bedienen. Erst danach dürfe sie nach dem Zukunftssicherungstarifvertrag I bei Vorliegen eines auszahlungspflichtigen Überschusses die Wertguthaben ausgleichen. Der Anspruch des Klägers auf Auszahlung seines Wertguthabens sei demnach jedenfalls nicht fällig.
28Das Arbeitsgericht Herne hat durch Urteil vom 28.02.2018 wie folgt entschieden:
291. Es wird festgestellt, dass das Wertguthaben des Klägers aus dem Tarifverzicht aufgrund des Sanierungstarifvertrages zwischen der Beklagten und der IG Metall, Bezirksleitung NRW vom 14. Juni 2007 sich auf 18.959,66 € beläuft.
2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3.
4. Der Streitwert wird auf 18.959,66 € festgesetzt.
Zur Begründung führt das Arbeitsgericht aus, der Hauptantrag sei unbegründet. Der Kläger habe gegen die Beklagte derzeit keinen Anspruch auf Auszahlung eines Wertguthabens in Höhe von 18.959,66 € brutto. Sowohl nach dem Zukunftssicherungstarifvertrag I vom 05.05.2012, als auch nach dem Zukunftssicherungstarifvertrag II vom 10.06.2015 werde der Ausgleich eines bestehenden Wertguthabens davon abhängig gemacht, dass die Beklagte Jahresüberschüsse in einer bestimmten Höhe erziele. In einem solchen Fall sei ein Teil der Überschüsse dafür zu verwenden, nach einer bestimmten Reihenfolge Ansprüche aus den Wertguthaben zu bedienen. Der Kläger habe nicht dargelegt, dass die Beklagte aus den erzielten Jahresüberschüssen entsprechend den tarifvertraglichen Regelungen die vorrangigen Ansprüche schon habe bedienen können, so dass nunmehr sein Anspruch auf Ausgleich des Wertguthabens aus dem Tarifvertrag vom 14.06.2007 zur Zahlung fällig geworden sei. Der Hauptantrag sei mithin unbegründet. Sein Hilfsantrag sei zulässig und begründet. Die Frage, ob dem Kläger noch ein Wertguthaben aus dem Tarifverzicht zustehe, sei ein nach § 256 Abs. 1 ZPO feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse bestehe. Ein stattgebendes Feststellungsurteil sei geeignet, zwischen den Parteien den bestehenden Konflikt endgültig zu klären. Es sei zu erwarten, dass sich die Beklagte aufgrund einer gerichtlichen Feststellung entsprechend verhalten werde. Die Klage sei auch begründet, denn der Kläger habe aus dem Tarifverzicht aufgrund des Sanierungstarifvertrages vom 14.06.2007 ein Wertguthaben in Höhe von 18.959,66 € erworben, das auch nicht erloschen sei. Zwischen den Parteien stehe außer Streit, dass er ein Wertguthaben in dieser Höhe erworben habe. Der Anspruch sei nicht infolge des gerichtlichen Vergleichs der Parteien vom 24.03.2015 erloschen. Der einzelvertragliche Verzicht auf entstandene tarifliche Ansprüche sei wegen eines Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot nach § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG nichtig. Das Wertguthaben und mögliche Ausgleichsansprüche beruhten auf dem Sanierungstarifvertrag vom 14.06.2007. Es handele sich mithin um tarifliche Ansprüche nach § 4 Abs. 4 TVG. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des gerichtlichen Vergleichs am 24.03.2015 sei der tarifliche Anspruch auch bereits entstanden gewesen und zwar spätestens zum 31.03.2010. Die Tarifvertragsparteien hätten den gerichtlichen Vergleich vom 24.03.2015 nicht gebilligt. Eine Billigung der IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen ergebe sich nicht daraus, dass der Kläger seinerzeit in dem Kündigungsrechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Frankfurt durch die DGB Rechtsschutz GmbH vertreten worden sei. Rechtsfehlerhaft gehe die Beklagte davon aus, dass die DGB Rechtsschutz GmbH mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund identisch sei. Darüber hinaus rechtfertige allein der Umstand, dass es zwischen der IG Metall, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der DGB Rechtsschutz GmbH rechtliche und/oder personelle Verbindungen gebe, nicht die Annahme, dass jeder der Beteiligten die Handlung eines anderen Beteiligten im Rechtssinne billige. Eine ausdrückliche Zustimmung der IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen werde auch von der Beklagten nicht behauptet. Es handele sich bei der Ausgleichsklausel in Ziffer 5 des Vergleichs der Parteien vom 24.03.2015 auch nicht um einen sogenannten Tatsachenvergleich, für den § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG nicht heranzuziehen wäre. Bei Abschluss des Vergleichs habe kein Streit über die tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen des Wertguthabens bestanden. Vielmehr habe dieser Anspruch unabhängig von der Wirksamkeit der damaligen Kündigung existiert. Die Geltendmachung der Unwirksamkeit des Verzichts auf tarifvertragliche Ansprüche durch den Kläger verstoße auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Es verstoße nicht gegen Treu und Glauben, wenn eine Partei sich nachträglich auf die Unwirksamkeit einer von ihr abgegebenen Willenserklärung berufe oder ein unter ihrer Beteiligung zustande gekommenes Rechtsgeschäft angreife. Widersprüchliches Verhalten sei vielmehr erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sei oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen ließen. Derartige Umstände würden nicht einmal von der Beklagten geltend gemacht.
38Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird auf Aktenblatt 97 – 105 verwiesen.
39Die Beklagte hat gegen das ihr am 23.03.2018 zugestellte Urteil mit am 20.04.2018 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 23.05.2018 eingegangenem Schriftsatz begründet.
40Die Beklagte trägt vor, der Kläger habe zwar aus dem Tarifverzicht aufgrund des Sanierungstarifvertrages vom 14.06.2007 zwischen ihr und der IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, ein Wertguthaben in Höhe von 18.959,66 € erworben. Dieses sei aber durch den am 24.03.2015 vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main geschlossenen Vergleich erledigt. Das Gericht habe außer Acht gelassen, dass die DGB Rechtsschutz GmbH als Rechtsbeistand Mitglieder der IG-Metall bei Streitigkeiten vor Gericht vertrete. Es sei demnach davon auszugehen, dass die Handlungen der DGB Rechtsschutz GmbH in dem damaligen Kündigungsstreit durch die IG-Metall gebilligt worden seien. Im Übrigen habe das Gericht fehlerhaft angenommen, dass die Geltendmachung der Unwirksamkeit des Verzichts auf tarifvertragliche Ansprüche durch den Kläger nicht gegen Treu und Glauben verstoße. Nach dem Vergleich habe sie eine Abfindung in Höhe von 38.000,00 € brutto an den Kläger gezahlt und im Gegenzug sei vereinbart worden, dass alle wechselseitigen Ansprüche zwischen den Parteien erledigt seien. Dem Kläger sei bei Abschluss des Vergleichs bekannt gewesen, dass er ein Wertguthaben aus Tarifverzicht bei ihr gehabt habe. Dennoch habe er den Vergleich geschlossen, ohne auf eine gesonderte Regelung bezüglich des Wertguthabens zu bestehen. Er habe damit den Eindruck erweckt, dass gegen Zahlung der Abfindung alle Ansprüche erledigt seien. Vor diesem Hintergrund habe sie den Vergleich abgeschlossen. Der Kläger habe durch sein Verhalten bei Abschluss des Vergleichs einen Vertrauenstatbestand geschaffen.
41Die Beklagte beantragt,
42das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 28.02.2018, Aktenzeichen 5 Ca 1845/17, abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
43Der Kläger beantragt,
44die Berufung zurückzuweisen und klarstellend festzustellen, dass sein Auszahlungsanspruch nicht durch den vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am 24.03.2015 geschlossenen Vergleich erloschen ist.
45Der Kläger trägt vor, das Arbeitsgericht habe zutreffend angenommen, dass er durch den Vergleich vom 24.03.2015 nicht rechtswirksam auf sein Wertguthaben verzichtet habe. Der Vergleich sei durch die Tarifvertragsparteien nicht gebilligt worden. Die Beauftragung der DGB Rechtsschutz GmbH erfolge nicht durch die rechtsschutzgewährende Gewerkschaft, sondern durch die Gewerkschaftsmitglieder selbst. Die Mitwirkung der Einzel-Gewerkschaft erschöpfe sich darin, die entsprechenden Kosten zu übernehmen. Schon von daher scheide eine Billigung des Vergleichsschlusses durch die IG-Metall aus. Hinzu komme, dass die Tarifverträge durch die Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen der IG-Metall abgeschlossen worden seien und somit auch nur die Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen für die Billigung eines entsprechenden Vergleichs zuständig gewesen wäre. Rechtsschutz sei aber durch die Verwaltungsstelle Frankfurt der IG-Metall gewährt worden. Auch die bloße Erteilung der Prozessvollmacht begründe keine Billigung nach § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG. Zutreffend habe das Arbeitsgericht auch angenommen, dass seine Berufung auf die Unwirksamkeit des Verzichts nicht gegen Treu und Glauben verstoße. Würde man dies annehmen, liefe die gesetzlich angeordnete Unverzichtbarkeit in Leere.
46Die Kammer hatte die Parteien im Termin am 01.08.2018 darauf hingewiesen, dass der Tenor des erstinstanzliches Urteil lediglich auf den Sanierungstarifvertrag vom 14.06.2007 Bezug nehme, während der bezifferte Betrag des Wertguthabens auch Ansprüche erfasse, die durch den 2. Sanierungstarifvertrag vom 22.06.2011 geregelt worden seien. Es sei daher beabsichtigt, klarstellend festzustellen, dass der fragliche Auszahlungsanspruch nicht durch den vom Arbeitsgericht Frankfurt am 24.03.2015 geschlossenen Vergleich erloschen sei.
47Den Parteien wurde Gelegenheit gegeben, dazu ergänzend Stellung zu nehmen.
48Der Kläger hat sich den Ausführungen der Kammer angeschlossen.
49Die Beklagte hat vorgetragen, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht festgestellt, dass das Wertguthaben des Klägers aus dem Tarifverzicht aufgrund des Sanierungstarifvertrag zwischen ihr und der IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen vom 14.06.2007 sich auf 18.959,66 € belaufe. Selbst wenn der Kläger noch ein Wertguthaben dieser Höhe habe, würde dieses nicht lediglich Ansprüche aus dem Tarifverzicht aufgrund des Tarifvertrags vom 14.06.2007 erfassen. Aus dem Sanierungstarifvertrag vom 22.06.20011 ergebe sich, dass sämtliche Tarifverzichte aus dem Sanierungstarifvertrag vom 14.06.2007 und ältere Ansprüche aus Vorzeiten in das Wertguthaben eingeflossen seien.
50Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf ihre zu Protokoll genommenen Erklärungen ergänzend Bezug genommen.
51Entscheidungsgründe
52Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaft und wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet.
53Die Berufung der Beklagten ist aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht Herne hat dem hilfsweise gestellten Feststellungsantrag der Sache nach zu Recht stattgegeben. Die Kammer folgt der sorgfältig begründeten erstinstanzlichen Entscheidung (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Mit Rücksicht auf das zweitinstanzliche Vorbringen der Beklagten sind lediglich die nachfolgenden Hinweise angezeigt:
541. Zu Recht ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass der Anspruch des Klägers auf Auszahlung seines bei der Beklagten nach Maßgabe der Sanierungstarifverträge vom 14.06.2007, 22.06.2011, 09.05.2012 und 10.06.2015 angesammelten Wertguthabens nicht aufgrund der Ziffer 5 des vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main am 24.0.3.2015 geschlossenen Vergleichs erloschen ist. Dem steht § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG entgegen. Danach ist ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. Ein Verzicht i. S. d. § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG liegt vor, wenn der Arbeitnehmer über ein tarifliches Recht dergestalt verfügt, dass er dieses Recht verliert oder nicht mehr durchsetzen kann. Dies kann in Form des Erlassvertrages nach § 397 Abs. 1 BGB, durch negatives Schuldanerkenntnis nach § 397 Abs. 2 BGB oder durch eine sogenannte Ausgleichsquittung geschehen (LAG Hamm, Urteil vom 29.05.2009 – 7 Sa 188/09 – juris).
Bei den in dem Wertguthaben saldierten Beträgen handelt es sich um tarifliches Arbeitsentgelt, das aufgrund der vorgenannten Sanierungstarifverträge nicht zur Auszahlung gelangt ist, sondern zunächst gestundet wurde. Schon daraus ergibt sich, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Wertguthaben um ein tarifliches Recht handelt. Im Übrigen ist auch das Wertguthaben als solches ein tariflicher Anspruch, denn er beruht unmittelbar auf den genannten Sanierungstarifverträgen. Mit der Abgeltungsklausel im gerichtlichen Vergleich vom 24.03.2015 haben die Parteien eine sogenannte Ausgleichsquittung vereinbart, die vom Verzichtsverbot des § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG erfasst wird (BAG, Urteil vom 19.11.1996 – 3 AZR 461/95 = NZA 1997, 1117 ff; LAG Hamm a.a.O.).
57Eine Billigung der Tarifvertragsparteien i. S. v. § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG liegt nicht vor. Billigung bedeutet Zustimmung i. S. d. § 182 ff. BGB (Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 4 Rn 707). Mithin bedarf es einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung der Tarifvertragsparteien. Zwar kann angenommen werden, dass die Zustimmung der Beklagten als Partei der fraglichen Sanierungstarifverträge vorliegt (vgl. Löwisch/Riedle, a.a.O., Rn 708). Demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass auch eine der IG-Metall zurechenbare Willenserklärung abgegeben wurde. Diesbezüglich war die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet. Die Genehmigung des gerichtlichen Vergleichs vom 24.03.2015 im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Frankfurt durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers, die DGB Rechtsschutz GmbH, ist jedenfalls keine Billigungserklärung i. S. d. § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG. Es handelt sich vielmehr um die nach §§ 160 Abs. 3 Nr. 1, 162 Abs. 2 Satz 3 ZPO erforderliche Prozesserklärung, die die Prozessbevollmächtigten des Klägers in dessen Namen abgaben. Eine Willenserklärung der tarifschließenden IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen liegt darin nicht. Zu unterscheiden ist nach § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG die Willenserklärung des Arbeitnehmers, die zum Abschluss des fraglichen Vergleichsvertrages führt von jener, mit der die Tarifvertragsparteien einen solchen Vergleich billigen. Eine derartige Erklärung der tarifschließenden IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Im Übrigen ist auch die Annahme der Beklagten, die DGB Rechtsschutz GmbH habe eine Erklärung für die IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen abgegeben, völlig falsch. Allein der Umstand, dass die IG Metall Mitglied im DGB ist, begründet keine Vertretungsmacht, für die IG-Metall oder deren Untergliederungen Willenserklärungen abzugeben. Schon gar nicht kann angenommen werden, dass die DGB Rechtsschutz GmbH über eine derartige Befugnis verfügte. Es fehlt daher nach jeder Betrachtungsweise die erforderliche Billigung der IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen i. S. v. § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG. Rechtsfolge ist, dass der Verzicht nach § 134 BGB nichtig und damit unwirksam ist.
582. Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, die Berufung des Klägers auf § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG sei treuwidrig nach § 242 BGB. Dem steht schon der Umstand entgegen, dass der Gesetzgeber tarifliche Rechte umfassend schützen wollte und demzufolge nach § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG auch die Verwirkung von tariflichen Rechten ausgeschlossen hat. Dies schließt zwar nicht von vorneherein aus, dass nach einer anderen Fallgruppe des § 242 BGB im Einzelfall die Rechtsausübung treuwidrig sein kann (Löwisch/Riedle, a.a.O., Rn 719). Im vorliegenden Fall ist dafür aber nichts ersichtlich. Alleine der Umstand, dass die Parteien im gerichtlichen Vergleich am 24.03.2015 die Zahlung einer Abfindung vereinbart haben, genügt nicht. Soweit die Beklagte weitergehend andeutet, der Kläger habe bei den Vergleichsverhandlungen den Eindruck erweckt, er werde den Auszahlungsanspruch aus dem Wertguthaben nicht mehr verfolgen, woraus sie die Schaffung eines Vertrauenstatbestands ableitet, sind dazu weitergehende Tatsachen nicht vorgetragen. Insbesondere ist weder ersichtlich, dass in den Vergleichsverhandlungen überhaupt über das Wertguthaben gesprochen wurde, noch dass der Kläger diesbezüglich über einen Informationsvorsprung verfügte. Erst dies hätte womöglich Anlass geboten, den Arglisteinwand näher zu prüfen. Mangels erheblichem Sachvortrag kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Berufung des Klägers auf § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt.
3. Da zwischen den Parteien unstreitig ist, dass das streitgegenständliche Wertguthaben in Höhe von 18.959,66 € zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses vom 24.03.2015 noch bestanden hat und weitere Tatsachen, die einen späteren Untergang des Anspruchs begründen würden, nicht vorgetragen sind, ist davon auszugehen, dass nach Maßgabe der geschlossenen Sanierungstarifverträge der Auszahlungsanspruch des Klägers auf Grundlage der ihm am 21.12.2010 erteilten Information noch besteht.
Die Kammer hat es für geboten gehalten, den erstinstanzlichen Urteilstenor neu zu fassen. Dabei hat es berücksichtigt, dass zum einen der erstinstanzliche Urteilstenor sich allein auf den Sanierungstarifvertrag vom 14.06.2007 bezieht, obwohl davon auszugehen ist, dass auch Ansprüche aus dem Nachfolgetarifvertrag vom 22.06.2011 in dem tenorierten Gesamtbetrag enthalten sind. Zum anderen war zu berücksichtigen, dass der Streit der Parteien im Kern über die Frage besteht, ob der gerichtliche Vergleich vom 24.03.2015 den Auszahlungsanspruch aus dem Wertguthaben zum Erlöschen gebracht hat. Die Kammer hat in der Neufassung des Urteilstenors diese Umstände berücksichtigt. Dabei wurde dem Kläger nicht etwas zugesprochen, was nicht schon Gegenstand des erstinstanzlichen Feststellungstenors war. Der Tenor stellt nämlich zugleich ab auf die Höhe des Wertguthabens von 18.959,66 € und nimmt damit inhaltlich Bezug auf die Bestätigung der Beklagten vom 21.12.2010. Wie sich der Betrag im Einzelnen zusammensetzt und auf Grundlage welchen Sanierungstarifvertrags das Wertguthaben angesammelt wurde, ist demgegenüber gerade nicht Bestandteil des Streits der Parteien.
63Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und zugleich klarstellend der Feststellungsausspruch neu zu fassen.
64Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
65Für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG besteht kein Einlass.