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Lässt sich der Mitarbeiter eines Pflegedienstes von einer Patientin ein zinsloses, zu frei wählbaren Raten rückzahlbares Darlehen gewähren, so verstößt er gegen die in § 3 Abs. 2 BAT-KF geregelte Pflicht, keine Vergünstigungen in Bezug auf seine Tätigkeit anzunehmen. Der Pflichtenverstoß kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 01.08.2018 – 1 Ca 275/18 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Kündigungen, die die Beklagte auf Pflichtverletzungen der Klägerin stützen will.
3Die Klägerin wurde 1966 geboren und ist einem Kind gegenüber unterhaltspflichtig. Seit dem 15.04.2016 war sie als Krankenschwester für die Beklagte tätig, die unter anderem einen ambulanten Pflegedienst betreibt. Dort wurde die Klägerin eingesetzt. Die Klägerin war zunächst befristet beschäftigt. Im Arbeitsvertrag, den die Parteien unter dem 07.02.2018 abschlossen, vereinbarten sie sodann eine unbefristete Weiterbeschäftigung der Klägerin. Der Arbeitsvertrag vom 07.02.2018 sieht unter anderem vor, dass die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages für die Angestellten im Bereich der evangelischen Kirche von Westfalen (BAT-KF) in der jeweils geltenden Fassung für das Arbeitsverhältnis gelten.
4In § 3 Abs. 2 BAT-KF ist folgendes geregelt: „Die Mitarbeitenden dürfen von Dritten Belohnungen, Geschenke, Provisionen oder sonstige Vergünstigungen in Bezug auf ihre Tätigkeit nicht annehmen. Ausnahmen sind nur mit Zustimmung des Arbeitgebers möglich. Werden den Mitarbeitenden derartige Vergünstigungen angeboten, haben sie dies dem Arbeitgeber unverzüglich anzuzeigen.“
5Seit dem 05.02.2018 war die Klägerin eingesetzt bei der Patientin I in C. Ihre Aufgabe bestand darin, der Patientin zweimal täglich Insulin zu geben und den Blutzucker zu messen. Am 19.02.2018 fuhr die Klägerin mit Frau I zu einer Bank. Dort hob Frau I von ihrem Konto einen Geldbetrag in Höhe von 800,-- Euro ab und übergab ihn der Klägerin. Nach der Behauptung der Beklagten informierte die Tochter der Patientin dies am 26.02.2018 dem Pflegedienstleiter der Beklagten hierüber.
6Mit Schreiben vom 07.03.2018 teilte die Beklagte der Mitarbeitervertretung mit, dass sie das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich kündigen wolle, da die Klägerin von der Patientin Frau I sich 800,-- Euro „erschlichen“ habe. Die Beklagte verkürzte die Anhörungsfrist auf drei Arbeitstage. Mit einem weiteren Schreiben vom 08.03.2018 ersuchte die Beklagte die Mitarbeitervertretung um Zustimmung zur ordentlichen Kündigung.
7Mit Schreiben vom 09.03.2018, das der Klägerin am gleichen Tag zuging, sprach die Beklagte eine fristlose Kündigung aus. Diese Kündigung hat die Klägerin mit der am 15.03.2018 eingegangenen Klage angegriffen. Ende März 2018 schloss die Klägerin mit dem Sohn der Patientin I einen schriftlichen Darlehensvertrag über eine Darlehenssumme von 600,-- Euro. Der Darlehensvertrag sieht vor, dass das Darlehen nicht zu verzinsen und in zwölf monatlichen Raten in Höhe von 50,-- Euro zurückzuzahlen ist.
8Mit Schreiben vom 27.03.2018 sprach die Beklagte gegenüber der Klägerin eine hilfsweise ordentliche Kündigung aus. Diese Kündigung hat die Klägerin mit einem klageerweiternden Schriftsatz angegriffen, der am 05.04.2018 bei dem Arbeitsgericht eingegangen ist.
9Im Gütetermin vom 06.04.2018 erklärte die Klägerin, Frau I habe ihr den Geldbetrag übergeben, da geplant gewesen sei, dass die Klägerin selbst bei der zu pflegenden Patientin einziehen sollte; der Geldbetrag habe dazu dienen sollen, die dafür notwendigen Kosten für die Renovierung der Einliegerwohnung aufzubringen. Mit Schreiben vom 18.04.2018 teilte die Beklagte der Mitarbeitervertretung mit, dass sie beabsichtige, eine weitere außerordentliche fristlose Kündigung und hilfsweise eine ordentliche Kündigung gegenüber der Klägerin auszusprechen, da die Klägerin die Pflege, Betreuung und Haushaltsführung der Patientin I auf eigene Rechnung zu übernehmen geplant und damit eine unmittelbare Konkurrenztätigkeit zum Nachteil der Beklagten entfaltet habe. Die Beklagte teilte der Mitarbeitervertretung ferner mit, dass sie beabsichtige, dieses Verhalten als weiteren Kündigungsgrund für die unter dem 09.03.2018 und 27.03.2018 ausgesprochenen Kündigungen nachzuschieben. Mit Schreiben vom 18.04.2018 erklärte die Mitarbeitervertretung die Zustimmung sowohl zur fristlosen als auch zur vorglichen fristgerechten Kündigung. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 19.04.2018 abermals fristlos, hilfsweise ordentlich. Diese Kündigung hat die Klägerin mit einem klageerweiternden Schriftsatz angegriffen, der am 11.05.2018 bei dem Arbeitsgericht eingegangen ist.
10Die Klägerin hat bestritten, dass ein Kündigungsgrund vorliegt und dass die Mitarbeitervertretung ordnungsgemäß angehört wurde. Die Klägerin hat behauptet, sie habe mit der Patientin I im Februar 2018 ein Gespräch geführt, in dem die Patientin ihr gegenüber erklärt habe, sie fühle sich einsam und wünsche, dass die Klägerin in ihr Haus mit einziehe, um sich insbesondere um Gartenarbeiten zu kümmern. Frau I habe der Klägerin einen Betrag in Höhe von 800,-- Euro überlassen wollen, damit die Klägerin die Einliegerwohnung im Hause der Patientin renoviere und dort einziehe. Die Klägerin habe erwähnt, dass ihr Ehemann sich im Krankenhaus befinde und seine Behandlungsrechnung voraussichtlich selber bezahlen müsse. Daraufhin habe Frau In erklärt, die Klägerin könne das Geld auch zur Begleichung der Behandlungsrechnung nutzen. Am 05.03.2018 habe die Klägerin mit dem Sohn der Patientin I telefonisch vereinbart, dass sie den Betrag in Höhe von 800,-- Euro zinsfrei in selbst gewählten Raten zurückzahlen könne. Frau I habe ihr den Geldbetrag aus freien Stücken überlassen. Sie habe mit Frau I keine Vereinbarung über die Erbringung von Pflegeleistungen getroffen. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, durch ihr Verhalten sei weder der Patientin I noch der Beklagten ein Schaden entstanden, da die Klägerin den Darlehensbetrag zurückzahlen werde. Die Angelegenheit habe auch keinen „Öffentlichkeitsbezug“, so dass das Ansehen der Beklagten nicht geschädigt worden sei.
11Die Klägerin hat beantragt,
121. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 09.03.2018 nicht außerordentlich fristlos aufgelöst ist;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.03.2018 nicht ordentlich fristgerecht aufgelöst ist;
3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.04.2018 weder außerordentlich noch ordentlich aufgelöst ist;
4. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1, 2 und 3, die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Krankenschwester (Pflegefachkraft) weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Die Beklagte hat behauptet, die Patientin I habe der Klägerin 800,-- Euro geliehen, nachdem die Klägerin ihr mitgeteilt habe, sie benötige dringend das Geld, da ihr Mann, der zur Zeit zu Besuch in Deutschland sei, sich im Krankenhaus befinde und er dringend eine Behandlungsrechnung bezahlen müsse. Die Klägerin habe unter Tränen erklärt, sie benötige für die Krankenhausrechnung 1.000,-- Euro. Die Hingabe des Darlehensvertrages sei dem Sohn der Patientin aufgefallen, als er mit seiner Mutter einkaufen gegangen sei und festgestellt habe, dass die EC-Karte seiner Mutter nicht gedeckt gewesen sei. Die Klägerin habe Anfang März 2018 bei der Patientin angerufen und sie unter Druck gesetzt. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe gegen ihre vertraglichen Pflichten aus § 3 Abs. 2 BAT-KF verstoßen. Sie habe ihre „strukturelle Überlegenheit“ ausgenutzt, um die Patientin zur Herausgabe des Geldbetrages zu veranlassen.
23Das Arbeitsgericht hat über die Behauptung der Beklagten, sie habe erstmalig am 26.02.2018 von der Übergabe des Geldbetrages an die Klägerin erfahren, Beweis erhoben durch Vernehmung des Pflegedienstleiters der Beklagten. Das Arbeitsgericht hat die Klage sodann abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die fristlose Kündigung der Beklagten vom 09.03.2018 habe das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst. Die Klägerin habe gegen § 3 Abs. 2 BAT-KF verstoßen, da sie von der Patientin I eine Zuwendung in Höhe von 800,-- Euro in Bezug auf ihre Tätigkeit erhalten habe. Der Beklagten sei aufgrund dessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar. Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei eingehalten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei das Gericht davon überzeugt, dass die Beklagte am 26.02.2018 von dem Vorfall Kenntnis erlangt habe. Die Beklagte habe die Mitarbeitervertretung ordnungsgemäß angehört. Mit dem Schreiben vom 07.03.2018 habe die Beklagte die aus ihrer Sicht tragenden Kündigungsgründe geschildert. Dabei sei unschädlich, dass die Beklagte im Anhörungsschreiben formuliert habe, die Klägerin habe sich 800,-- Euro „erschlichen“, da in dem Anhörungsschreiben und den überreichten Unterlagen die Vorwürfe entsprechend dem Vorbringen der Beklagten im Rechtsstreit geschildert worden seien und die Beklagte im Anhörungsschreiben nicht etwa auch eine Täuschung durch die Klägerin behauptet habe. Soweit die Klägerin die Anhörung der Mitarbeitervertretung weiterhin bestreite, sei ihr Bestreiten unbeachtlich. Nachdem die Beklagte substantiiert den Ablauf und den Inhalt der Anhörung dargelegt habe, sei von der Klägerin nicht konkretisiert worden, in welcher Hinsicht sie den Sachvortrag der Beklagten bestreite.
24Das erstinstanzliche Urteil ist der Klägerin am 06.08.2018 zugestellt worden. Sie hat mit einem Schriftsatz, der am 23.08.2018 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt. Nachdem die Berufungsbegründungsfrist durch gerichtlichen Beschluss bis zum 08.10.2018 verlängert worden war, hat die Klägerin die Berufung mit einem am 08.10.2018 eingegangenen Schriftsatz begründet.
25Die Klägerin meint, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein wichtiger Grund für die Kündigung vom 09.03.2018 vorliege. Die Klägerin behauptet, bei dem Gespräch, das sie mit der Patientin I im Februar 2018 über eine etwaige Unterstützungsleistung durch die Klägerin und über deren Einzug in das Haus der Patientin geführt habe, sei der Sohn der Patientin zugegen gewesen. Telefonisch habe die Klägerin mit dem Sohn der Patientin vereinbart, dass sie den Betrag in Höhe von 800,-- Euro zinsfrei und in selbst gewählten Raten zurückzahlen könne und dass zeitnah ein Darlehensvertrag aufzusetzen sei, in dem die monatliche Tilgung mit 50,-- Euro festgeschrieben werden sollte. Bereits „in der Zeit von Februar bis März 2018“ habe die Klägerin Raten in Höhe von 200,-- Euro gezahlt, weshalb der schriftliche Darlehensvertrag nur noch über ein Restdarlehen in Höhe von 600,-- Euro sich verhalte. Die Klägerin meint, sie habe durch das Darlehen keinen wirtschaftlichen Vorteil erhalten, da die Darlehenssumme zurückzuzahlen sei.
26Die Klägerin beantragt,
27das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 01.08.2018, zugestellt am 06.08.2018, Az.: 1 Ca 275/18, wird aufgehoben und die Beklagte wird wie folgt verurteilt:
281. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 09.03.2018 nicht außerordentlich fristlos aufgelöst ist;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.03.2018 nicht ordentlich fristgerecht aufgelöst ist;
3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.04.2018 weder außerordentlich noch ordentlich aufgelöst ist;
4. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1, 2 und 3, die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Krankenschwester (Pflegefachkraft) weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
37die Berufung zurückzuweisen.
38Die Beklagte behauptet, der Geldbetrag sei an die Klägerin ohne Einbindung des Sohnes der Patientin I übergeben worden. Der Darlehensvertrag sei nur auf dessen Drängen zustande gekommen und erst nach Zugang der Kündigung abgeschlossen worden. Frau I habe die Folgen ihres Handelns nicht mehr überblickt; die Abhebung des Betrages habe dazu geführt, dass ihre EC-Karte für den Einkauf nicht mehr gedeckt gewesen sei. Die Klägerin hat nach Auffassung der Beklagten durch die Übergabe des Geldbetrages eine Vergünstigung in Bezug auf ihre Tätigkeit erhalten, da ihr die Patientin I – was zwischen den Parteien unstreitig ist – allein aufgrund ihrer Pflegetätigkeit bekannt gewesen sei.
39Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
40Entscheidungsgründe
41I
42Die Berufung der Klägerin ist zulässig.
43Die Klägerin hat die Berufung insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin mit der Berufungsbegründung den Antrag angekündigt hat, das erstinstanzliche Urteil „aufzuheben“. Zwar handelt es sich dem Wortlaut nach um einen Revisionsantrag (§ 551 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) und nicht um einen Berufungsantrag (§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO). Der Antrag ist aber als Berufungsantrag auszulegen, da sich aus der Berufungsschrift und aus der Berufungsbegründung eindeutig ergibt, dass die Klägerin das zulässige Rechtsmittel der Berufung einlegen will.
44II
45Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
46Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 09.03.2018 aufgelöst worden. Die Kündigung ist rechtswirksam. Aufgrund dessen bedurfte es keiner Entscheidung über den hilfsweise gestellten Weiterbeschäftigungsantrag.
471. Für die Kündigung besteht ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB.
48Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 20.10.2016 – 6 AZR 471/15, Urteil vom 17.03.2016 – 2 AZR 110/15 m.w.N.).
49a) Ein wichtiger Kündigungsgrund „an sich“ liegt vor.
50Verletzt der Arbeitnehmer seine vertraglichen Nebenpflichten, kann dies das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigen und einen Kündigungsgrund „an sich“ darstellen (vgl. nur Fischermeier, in: KR, 11. Aufl. 2016, § 626 BGB Rdnr. 179 m.w.N.). Im Streitfall hat die Klägerin, wie das Arbeitsgericht richtig erkannt hat, ihre vertraglichen Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 3 Abs. 2 BAT-KF verletzt.
51aa) Die Klägerin nahm von Dritten eine Vergünstigung in Bezug auf ihre Tätigkeit an.
52Das ergibt sich aus dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien. Dabei geht das Berufungsgericht zugunsten der Klägerin davon aus, dass der Geldbetrag, den sie von Frau I erhielt, (letztlich) darlehensweise überlassen werden sollte (auch wenn bei Abhebung des Betrages – auch nach dem Vorbringen der Klägerin – eine Darlehensabrede nicht getroffen wurde).
53(1) Die Vergünstigung, die die Klägerin erhielt, bestand in der Hergabe eines zinslosen Darlehens mit – jedenfalls vor Abschluss des schriftlichen Darlehensvertrag Ende März 2018 – von der Klägerin selbst gewählten Raten. Hierin liegt, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ein wirtschaftlicher Vorteil, da die Klägerin in den Besitz des Geldbetrages gelangte und ein Darlehen zu den vereinbarten Konditionen am Markt nicht erhältlich ist.
54(2) Die Klägerin erlangte die Vergünstigung in Bezug auf ihre Tätigkeit.
55Ausreichend ist ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Geschenk und der dienstlichen Tätigkeit (BAG, Urteil vom 17.06.2003 – 2 AZR 62/02; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.10.2004 – 3 Sa 314/04). Das ergibt sich aus dem Zweck der Nebenpflicht, die in § 3 Abs. 2 S. 1 BAT-KF geregelt ist. Mit dem Verbot, Vergünstigungen in Bezug auf die dienstliche Tätigkeit anzunehmen, wird bezweckt, dass Mitarbeiter nicht in Versuchung geführt werden sollen, das Arbeitsverhältnis missbräuchlich auszunutzen, um sich über die Entgeltzahlung hinaus von Dritten wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen. Zudem bezweckt die Nebenpflicht den Schutz der geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers. Sein Ansehen könnte geschädigt werden, wenn der Eindruck entstünde, die Mitarbeiter seien zur gewissenhaften Erfüllung der übernommenen Aufgaben gegenüber Dritten nur bereit, falls diese bereit sind, zusätzliche Zuwendungen zu gewähren. Das Verbot verfolgt überdies den Zweck, zu vermeiden, dass Mitarbeiter in einen Loyalitätskonflikt geraten und die berechtigten Interessen des Arbeitgebers nicht gegenüber einem Dritten zu vertreten, der eine Vergünstigung gewährt. Dass die Nebenpflicht auch auf die Verhinderung des Loyalitätskonflikts abzielt, ergibt sich aus dem Regelungszusammenhang: In § 3 Abs. 2 S. 2 BAT-KF ist geregelt, dass die Annahme von Vergünstigungen mit Zustimmung des Arbeitgebers (die er erteilen wird, falls er seine berechtigten Belange nicht beeinträchtigt sieht) möglich ist. Zudem wird dem Mitarbeiter in § 3 Abs. 2 S. 3 BAT-KF die Pflicht auferlegt, bereits das Anerbieten einer Vergünstigung (und nicht erst deren tatsächliche Entgegennahme) dem Arbeitgeber gegenüber anzuzeigen. Diese Regelungszwecke sprechen für eine weite Auslegung des Verbots.
56Der Bezug zur dienstlichen Tätigkeit der Klägerin wird danach bereits dadurch hergestellt, dass sie die Patientin I nur durch ihre dienstliche Tätigkeit kannte. Demgegenüber spielt es keine Rolle, dass die Klägerin mit Frau I übereinkam, der Darlehensbetrag sei für die Krankenhausrechnung des Ehemanns zu verwenden und die Klägerin die ordnungsgemäße Durchführung der von ihr zu erbringenden (geringfügigen) Pflegeleistungen nicht von einer Darlehensgewährung abhängig machte. Schon die Übergabe des Darlehens für private Zwecke der Klägerin kann das Ansehen der Beklagten schädigen, ihre Geschäftsinteressen beeinträchtigen und den Loyalitätskonflikt auslösen, der durch die auferlegte Nebenpflicht gerade verhindert werden soll.
57(3) Die Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 2 S. 2 BAT-KF greift nicht zugunsten der Klägerin ein. Die Beklagte hat ihre Zustimmung zur Gewährung des Darlehens nicht erteilt. Dies behauptet die Klägerin selbst nicht.
58bb) Einen weiteren Pflichtenverstoß beging die Klägerin, indem sie die Vergünstigung, die ihr angeboten wurde, der Beklagten entgegen § 3 Abs. 2 S. 3 BAT-KF nicht anzeigte.
59Nach dem Vorbringen der Klägerin war es ja die Patientin I, die sich erbot, der Klägerin einen Betrag in Höhe von 800,-- Euro zu überlassen, der für die Renovierung der Einliegerwohnung, in die die Klägerin einziehen sollte, zu verwenden war. Diese Vergünstigung zeigte die Klägerin nicht an, obgleich der Arbeitsvertrag vom 07.02.2018 diese Pflicht nicht nur durch die Inbezugnahme des BAT-KF, sondern ausdrücklich (am Ende des Vertrages unter „Nebenabreden“) regelt.
60b) Die Interessenabwägung, die nach § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmen ist, ergibt, dass das Interesse der Beklagten an der sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses das Interesse der Klägerin an der Fortführung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist überwiegt.
61Zugunsten der Klägerin ist zu berücksichtigen, dass es sich um einen einmaligen Vorfall handelte. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin auch von anderen Patienten materielle Zuwendungen erlangte oder zu erlangen versuchte. Zugunsten der Klägerin ist ferner zu berücksichtigen, dass sie gegenüber einem Kind unterhaltspflichtig ist, so dass der Verlust des Arbeitseinkommens auch finanzielle Auswirkungen auf die unterhaltsberechtigte Person hat. Das Berufungsgericht berücksichtigt zugunsten der Klägerin auch, dass sie das Darlehen für die Begleichung der Behandlungskosten verwenden wollte, die ihrem Mann entstanden waren. Insofern war ihre Motivation nicht eigennützig im engeren Sinne. Andererseits ist eine wirtschaftliche Notlage nicht erkennbar, aufgrund derer zu befürchten gewesen wäre, dass die ausstehende medizinische Behandlung nicht durchgeführt werden kann oder die Krankenhausrechnung im Wege der Zwangsvollstreckung beigetrieben wird.
62Zugunsten der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin sowohl ihre Nebenpflichten aus § 1 Abs. 2 S. 1 BAT-KF als auch ihre Nebenpflichten aus § 3 Abs. 2 S. 3 BAT-KF verletzte. Der Darlehensbetrag in Höhe von 800,-- Euro geht weit über dasjenige hinaus, was als übliches Gelegenheitsgeschenk anzusehen wäre. Weil die Klägerin den Darlehensbetrag annahm, sind genau die Folgen eingetreten, die das in § 3 Abs. 2 BAT-KF geregelte Verbot verhindern will. Die Vertragsbeziehung zur Patientin I, die ja als „Kundin“ der Beklagten anzusehen ist, wurde erheblich gestört. Es musste der Eindruck entstehen, die Klägerin habe sich auf Kosten einer Patientin bereichert. Es entstanden massive Irritationen bei den Angehörigen, die sich, wie das Arbeitsgericht nach erfolgter Beweisaufnahme zutreffend festgestellt hat, an die Pflegedienstleitung der Beklagten wandten. Es stand ernstlich zu besorgen, dass Frau I bzw. ihre Angehörigen die Vertragsbeziehungen zur Beklagten beenden. Die Beklagte musste auch damit rechnen, in ein schlechtes Licht gerückt zu werden, falls die Patientin oder deren Angehörige den Vorfall verbreiten. Schließlich bestand die Gefahr, dass die Klägerin mit Rücksicht auf die zu zahlenden Darlehensraten in ein Loyalitätskonflikt gerät und der Patientin I Vergünstigungen gewährt, die dem geschäftlichen Interesse der Beklagten widersprechen. Weil es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt und weil das Arbeitsverhältnis bei Zugang der Kündigung erst kurze Zeit (knapp zwei Jahre) bestand, ist das Auflösungsinteresse der Beklagten gegenüber dem Weiterbeschäftigungsinteresse der Klägerin deutlich vorrangig.
63Der Beklagten war nicht zuzumuten, die Klägerin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Es bestand die Gefahr, dass die Klägerin während des Laufs der Kündigungsfrist ähnliche Pflichtverletzungen begeht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin die Pflichtverletzung verheimlichte. Entgegen § 3 Abs. 2 S. 3 BAT-KF informierte sie die Beklagte nicht darüber, dass die Patientin I ihr ein Darlehen gewährte. Insofern kann zugunsten der Klägerin nicht davon ausgegangen werden, sie habe ihr Verhalten als von der Beklagten noch tolerierbar angesehen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Klägerin die Hingabe des Darlehens deshalb verschwieg, weil sie annahm, die Beklagte werde nicht damit einverstanden sein, dass ihre Arbeitnehmer gegenüber zu behandelnden Patienten Darlehensverbindlichkeiten eingehen. Für die Beklagte bestand keine wirksame Möglichkeit, den zu erwartenden abermaligen Pflichtenverstoß der Klägerin zu unterbinden. Da die Klägerin ihre Arbeitsleistung im Rahmen des Pflegedienstes bei den Patienten erbringt, entzieht sich ihr Verhalten größtenteils der Kontrolle der Beklagten.
64Die Beklagte war nicht gehalten, die Klägerin vor dem Ausspruch einer Kündigung zunächst abzumahnen. Einer Abmahnung bedarf es nicht, wenn der Arbeitnehmer von vornherein nicht damit rechnen durfte, der Arbeitgeber werde die Vertragsverletzung billigen (ständige Rechtsprechung des BAG, z. B. BAG, Urteil vom 31.07.2014 – 2 AZR 434/13). So verhält es sich im Streitfall. Die Klägerin beging eine schwere Vertragsverletzung, deren Billigung – auch aus Sicht der Klägerin – durch die Beklagte von vornherein ausgeschlossen war.
652. Die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt.
66Die Beklagte erlangte von dem kündigungsrelevanten Vorfall Kenntnis am 26.02.2018. Dies hat das Arbeitsgericht nach Einvernahme des Pflegedienstleiters als Zeugen festgestellt. Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts hat die Klägerin in der Berufungsinstanz nicht erhoben. Solche Bedenken sind auch sonst nicht ersichtlich. Die Kündigung vom 09.03.2018 ging der Klägerin am gleichen Tag zu, mithin innerhalb der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist.
673. Die Kündigung ist nicht unwirksam gemäß § 45 Abs. 2 S. 1 des Mitarbeitervertretergesetzes der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG).
68Die Beklagte hat die Mitarbeitervertretung ordnungsgemäß beteiligt. Nach § 46b MVG steht der Mitarbeitervertretung in den Fällen der außerordentlichen Kündigung ein Mitberatungsrecht zu. Die beabsichtigte Maßnahme ist der Mitarbeitervertretung vor der Durchführung bekannt zu geben und auf Verlangen mit ihr zu erörtern (§ 45 Abs. 1 S. 1 MVG). Die Frist für das Erörterungsverlangen kann die Dienststellenleitung auf drei Arbeitstage verkürzen (§ 45 Abs. 1 S. 3 MVG).
69Das Anhörungsverfahren, das die Beklagte durchführte, genügt diesen Vorgaben. Mit dem Schreiben vom 07.03.2018 gab die Beklagte die beabsichtigte Maßnahme bekannt. Die Beklagte schilderte den Vorfall, den sie zum Anlass für die Kündigung nehmen wollte, eingehend und teilte der Mitarbeitervertretung auch die sozialen Daten der Klägerin zutreffend mit. Zu Recht hat das Arbeitsgericht angenommen, dass die Wortwahl im Schreiben vom 07.03.2018 (die Klägerin habe sich 800,-- Euro „erschlichen“) einer ordnungsgemäßen Information der Mitarbeitervertretung nicht entgegensteht. Die Beklagte hat der Mitarbeitervertretung keine unzutreffenden Informationen gegeben. Das Wort „erschlichen“ stellt lediglich eine rechtliche Wertung dar. Die Beklagte behauptete gegenüber der Mitarbeitervertretung keinen Betrugsversuch. Die Beklagte verkürzte zudem mit dem Schreiben vom 07.03.2018 die Frist, innerhalb derer die Mitarbeitervertretung eine Erörterung verlangen kann, zulässigerweise auf drei Arbeitstage. Innerhalb dieser Frist verlangte die Mitarbeitervertretung nicht die Erörterung. Vielmehr stimmte der Vorsitzende der Mitarbeitervertretung am 08.03.2018 der fristlosen Kündigung ausdrücklich zu. Dies hat die Beklagte bereits erstinstanzlich vorgetragen, ohne dass die Klägerin dem näher entgegengetreten ist. Das Arbeitsgericht ist deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass das Vorbringen der Beklagten insoweit gemäß § 138 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen ist. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin hierzu keinen weiteren Vortrag gehalten.
704. Sonstige Unwirksamkeitsgründe für die Kündigung sind nicht ersichtlich.
71III
72Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin hat die Kosten der erfolglosen Berufung zu tragen.
73Es bestand keine Veranlassung, die Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere wirft der Rechtsstreit keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.