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Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 13.06.2017 – AZ. 7 Ca 449/17 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche aus einem zwischen ihnen begründeten Arbeitsverhältnis.
3Die 1981 geborene Klägerin ist seit dem 08.03.2012 bei dem beklagten Verein als Nachtbereitschaft in Nebentätigkeit beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 08.03.2012 vereinbarten die Parteien eine monatliche Vergütung in Höhe von 450,00 € brutto.
4§ 4 des Arbeitsvertrages lautet:
5„Dauer und Vergütung
6Der Bereitschaftsdienst beginnt um 19:45 Uhr und endet am nächsten Morgen um 07:45 Uhr.
7Drei Stunden des Bereitschaftsdienstes gelten arbeitsrechtlich als normale Arbeitszeit. Sie werden mit EG KR 7 a, Stufe 2 pro Stunde vergütet. Es erfolgt keine gesonderte Auszahlung von Zeitzuschlägen, da diese in die Berechnung des Stundensatzes mit eingeflossen sind.
8Die übrigen neun Stunden gelten als reiner Bereitschaftsdienst und werden insgesamt pauschal mit je 45,00 € vergütet. (…)“
9Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 6 ff. der Akte verwiesen.
10Auf das Arbeitsverhältnis finden der Tarifvertrag für die Arbeiterwohlfahrt in Nordrhein-Westfalen (TV AWO NRW) sowie die Pflegearbeitsbedingungenverordnung (in der Fassung vom 15.07.2010 für den Zeitraum von Juni 2014 bis Dezember 2014 sowie in der Fassung vom 27.11.2014 für Ansprüche aus den Jahren 2015 und 2016) Anwendung. Diese enthält in der Fassung vom 27.11.2014 in § 2 Abs. 3 folgende Regelung:
11„(3)
12Das nach Absatz 1 maßgebliche Mindestentgelt ist für Zeiten des Bereitschaftsdienstes gemäß nachstehender Grundsätze zu zahlen. Bereitschaftsdienste im Sinne dieser Verordnung leisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung mindestens 75 Prozent beträgt. Sie sind im Dienstplan zu hinterlegen. Zum Zwecke der Entgeltberechnung kann die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit auf der Grundlage einer kollektivrechtlichen oder einer schriftlichen einzelvertraglichen Regelung mit mindestens 25 Prozent als Arbeitszeit bewertet werden. “
13Ab dem 01.07.2013 betrug das Mindestentgelt gemäß Pflegearbeitsbedingungenverordnung 9,00 Euro je Stunde, ab dem 01.01.2015 9,40 € je Stunde und ab dem 01.01.2016 9,75 € je Stunde.
14Die Klägerin machte gegenüber dem beklagten Verein Ansprüche auf ein Mindestentgelt, beginnend mit dem Monat Juni 2014, erfolglos schriftlich geltend.
15Mit ihrer am 27.02.2017 beim Arbeitsgericht erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
16Sie hat die Ansicht vertreten, für den Zeitraum Juni 2014 bis Dezember 2014 Anspruch auf Vergütung gemäß den Bestimmungen der Pflegearbeitsbedingungenverordnung für insgesamt 161,5 Stunden Bereitschaftsdienst gegenüber dem beklagten Verein zu haben. Danach bestehe ein Anspruch in Höhe eines Differenzbetrages von 4,00 Euro je Bereitschaftsdienststunde, insgesamt also 646,00 € brutto. Für das Jahr 2015 habe sie demnach Anspruch auf weitere Vergütung für 342 Bereitschaftsdienststunden gegenüber dem beklagten Verein. Es ergebe sich insoweit eine Differenz i.H.v. 4,40 € je Stunde, insgesamt daher 1.504,80 € brutto. Für das Jahr 2016 bestehe ein Anspruch auf weitergehende Vergütung für 288 Bereitschaftsdienststunden. Es sei hierbei von einer Differenz i.H.v. 4,75 € je Stunde, insgesamt daher 1.368,00 € brutto auszugehen. Die Vergütung von Bereitschaftsdienststunden mit einer Pauschale in Höhe von nur 5,00 Euro entspreche weder dem gesetzlichen Mindestlohn nach dem MiLoG, noch dem Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 der jeweiligen Pflegearbeitsbedingungenverordnung.
17Die Klägerin hat hierzu ferner behauptet, dass während des Nachtdienstes die Zeit mit Arbeitsleistung mindestens 8 Stunden und damit mehr als 75 % betragen habe. Die aktive Arbeitszeit habe mit Dienstantritt um 19:45 Uhr begonnen. Nach der Übergabe durch den Spätdienst habe sie die ersten Bewohner besucht. Es habe sich eine Hauspräsenzzeit angeschlossen, in der die Küche aufgeräumt, die Spülmaschine ausgeräumt, der Tisch für das Frühstück am nächsten Morgen eingedeckt und Akten abgezeichnet worden seien. Danach habe sie noch Bewohnern die Nachtmedikation bringen müssen. Gegen ca. 22:40 Uhr habe sodann die aktive Zeit geendet. Sie habe sich sodann in das Bereitschaftszimmer begeben und die so genannte Schlafbereitschaft habe dann begonnen. Diese habe um 6:00 Uhr morgens geendet. Dann habe erneut die Aktivzeit begonnen. Sie habe dann einen Bewohner gewaschen und ihn für seine Arbeit fertig gemacht, ihn an den Frühstückstisch gebracht und Tabletten gegeben. Danach habe sie einen weiteren Bewohner, der auch zur Arbeit muss, versorgt. Danach sei dann die Übergabe erfolgt und der Dienst habe um 7:45 Uhr geendet. Dieser Verlauf habe sich regelmäßig wiederholt. Sie habe daher in einem zeitlichen Umfang von ca. 4 Stunden und 40 Minuten tatsächlich Arbeitsleistung erbracht. Daher müssten sämtliche Stunden des Bereitschaftsdienstes mit dem Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 Pflegearbeitsbedingungenverordnung vergütet werden. Zumindest hätte der beklagte Verein sämtliche Stunden des Bereitschaftsdienstes mit dem gesetzlichen Mindestlohn nach dem MiLoG vergüten müssen.
18Die Klägerin hat beantragt,
191. den beklagten Verein zu verurteilen, an sie 646,00 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 02.01.2015 zu zahlen,
202. den beklagten Verein zu verurteilen, an sie 1.504,80 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 04.01.2016 zu zahlen,
213. der beklagten Verein zu verurteilen, an sie 1.368,00 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 02.01.2017 zu zahlen,
224. den beklagten Verein zu verurteilen, an sie eine Schadensersatzpauschale i.H.v. 40,00 € zu zahlen.
23Der beklagte Verein hat beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Er hat zum einen die Richtigkeit der durch die Klägerin durchgeführten Berechnungen bestritten. Es sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin zwischen den Bereitschaftsstunden differenziert habe, die ihr bereits mit dem vollen Tariflohn vergütet worden seien, der, insofern unstreitig, deutlich höher als der Mindestlohn liege und denjenigen Stunden, für die sie nur die vereinbarte Pauschale erhalten habe. Im Übrigen sei zu beachten, dass stets eine monatsbezogene Abrechnung und Darstellung zu erfolgen habe. Die Mindestvergütung für Zeiten des Bereitschaftsdienstes liege oberhalb der durch die Pflegearbeitsbedingungenverordnung geregelten Mindestvergütung. Jedenfalls seien etwaige Ansprüche der Klägerin verfallen.
26Der Arbeitsalltag der Klägerin habe sich, so hat der beklagte Verein behauptet, so dargestellt, dass die Arbeit mit einer Aktivzeit um 19:45 Uhr bis 20:50 Uhr begonnen habe. Daran habe sich dann ein Bereitschaftsdienst bis 21:50 Uhr angeschlossen. Anschließend sei eine aktive Phase bis 22:30 Uhr erfolgt. Danach sei der eigentliche Bereitschaftsdienst, der bis 6:00 Uhr des nächsten Morgens angedauert habe, erfolgt. Die Arbeitszeit habe dann mit der folgenden aktiven Zeit bis 7:45 Uhr geendet. Insgesamt komme die Klägerin daher auf 3,5 Stunden aktive Zeit und 8,5 Stunden Bereitschaftsdienst. Entscheidend sei nur die tatsächliche Arbeitszeit während des eigentlichen Bereitschaftsdienstes. Die Arbeit, die während der aktiven Zeit geleistet wird, sei nicht zu berücksichtigen, da diese mit dem deutlich höheren Tariflohn vergütet werde.
27Mit Urteil vom 13.06.2017 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.
28Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe gegenüber dem beklagten Verein keinen Anspruch auf Zahlung von 646,00 € brutto für geleistete Bereitschaftsdienste im Zeitraum von Juni bis Dezember 2014. Ein solcher folge nicht aus § 611 Buchst. a Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 2 und 3 Arbeitsvertrag i.V.m. § 2 Abs. 1 Pflegearbeitsbedingungenverordnung. Gemäß § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrages gelten 3 Stunden des Bereitschaftsdienstes arbeitsrechtlich als normale Arbeitszeit und würden mit dem entsprechenden Tariflohn vergütet. Gemäß § 4 Abs. 3 des Arbeitsvertrages gelten die übrigen 9 Stunden als reiner Bereitschaftsdienst und würden insgesamt pauschal mit je 45,00 € vergütet.
29Die Klägerin könne einen Anspruch auf weitergehende Vergütung nicht aus § 2 der Pflegearbeitsbedingungenverordnung herleiten. Gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 der Verordnung sei das nach Abs. 1 maßgebliche Mindestentgelt auch für Zeiten des Bereitschaftsdienstes nach der Maßgabe zu zahlen, dass ein Bereitschaftsdienst im Sinne dieser Verordnung nur geleistet werde, wenn zu erwarten sei, dass zwar Arbeit anfalle, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung mindestens 75 % betrage.
30Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass ihr monatlicher Lohn für geleistete Bereitschaftsdienste das Mindestentgelt gemäß § 2 Abs. 1 Pflegearbeitsbedingungenverordnung unterschreite. Nach übereinstimmendem Parteivortrag und gemäß Regelung in § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrages beginne der Bereitschaftsdienst um 19:45 Uhr und ende am nächsten Morgen um 7:45 Uhr. Er betrage 12 Stunden. Für die Berechnung ihrer Klageforderung habe die Klägerin allein die 9 Stunden herangezogen, die nicht mit dem regulären Tariflohn vergütet würden. Der Arbeitgeber erfülle den Anspruch auf das Mindestentgelt jedoch, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreiche, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat geleisteten Bereitschaftsstunden mit dem jeweiligen Mindeststundenentgelt ergebe.
31Sollte die tatsächlich geleistete monatliche Vergütung das Mindestentgelt unterschritten haben, könne nach dem klägerischen Vortrag weiterhin nicht festgestellt werden, in welchem Umfang innerhalb eines Bereitschaftsdienstes Arbeitsleistung konkret erbracht worden sei. Denn die Klägerin stütze ihre Forderung nicht auf die in den jeweiligen Monaten tatsächlich geleisteten Aktivstunden, sondern anhand eines Stundendurchschnitts. Der Anspruch auf das Mindestentgelt entstehe aber mit jeder geleisteten Stunde. Dies erfordere daher die schlüssige Darlegung der tatsächlich geleisteten Stunden. Der Vortrag der Klägerin hinsichtlich des behaupteten Arbeitsalltages sei nicht hinreichend konkret.
32Ein Anspruch der Klägerin folge auch nicht aus § 1 Abs. 1 MiLoG. Ein Arbeitgeber erfülle den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreiche, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit dem gesetzlichen Mindestlohn ergebe. Hierzu verhalte sich der Klägervortrag jedoch nicht.
33Die Klägerin habe gegenüber dem beklagten Verein aus diesem Grunde auch keinen Anspruch auf Zahlung eines Betrages i.H.v. 1.504,80 € für geleistete Bereitschaftsdienste im Jahr 2015, sowie auf weitere 1.368,00 € für geleistete Bereitschaftsdienste im Jahr 2016.
34Gegen das unter dem 23.06.2017 zugestellte Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe im Übrigen Bezug genommen wird, hat die Klägerin unter dem 25.07.2017 Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 25.09.2017 unter dem 22.09.2017 begründet.
35Zutreffend sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass bei der Berechnung, ob der Mindestlohn unterschritten werde, das gesamte monatliche Entgelt zu berücksichtigen sei.
36Zwischen den Parteien sei unstreitig, dass sie während einer zwölfstündigen Schicht insgesamt auf eine Aktivzeit von 3,5 Stunden und 8,5 Stunden Passivzeit komme. Dies bedeute, dass die Zeit ohne Arbeitsleistung nicht mindestens 75 Prozent betrage. Es handele sich daher ihrer Meinung nach bei der Tätigkeit nicht um Bereitschaftsdienst, sondern um Arbeitszeit. Dies wiederum bedeute, dass sich der beklagte Verein nicht wirksam auf § 13a TV AWO NRW stützen könne.
37Für die von ihr näher dargelegten Schichten in den Kalenderjahren 2014 bis 2016 habe sie daher insgesamt den Mindestlohn zu beanspruchen, wobei sie sich erhaltende Vergütungen anrechnen lässt.
38Die Klägerin beantragt,
39das Urteil des Arbeitsrechts Bielefeld vom 13.06 2017 abzuändern:
401. Der beklagte Verein wird verurteilt, an sie 732,66 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 02.01.2015 zu zahlen.
412. Der beklagte Verein wird verurteilt, an sie 550,02 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 04.01.2016 zu zahlen.
423. Der beklagte Verein wird verurteilt, an sie 715,03 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 02.01.2017 zu zahlen
434. Der beklagte Verein wird verurteilt, an sie eine Schadensersatzpauschale in Höhe von 40,00 € zu zahlen.
44Der beklagte Verein beantragt,
45die Berufung zurückzuweisen.
46Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil.
47Trotz einleitender Formulierung in § 4 des Arbeitsvertrages hätten die Parteien streng zwischen der eigentlichen Vollarbeit und dem reinen dazwischen liegenden Bereitschaftsdienst differenziert. Dies sei insbesondere dadurch zum Ausdruck gekommen, dass die Parteien für die Vollarbeit eine deutlich höhere Vergütung zu Grunde gelegt hätten. Auch textlich habe man diese Differenzierung hervorgehoben. Es sei daher von einer Vollarbeit von 3,5 Stunden auszugehen, während einer Dauer von 8,5 Stunden habe der Mitarbeiter nur Bereitschaftsdienst. Bezogen auf den reinen Bereitschaftsdienst sei aber zwischen den Parteien unstreitig, dass der Arbeitsanteil deutlich unter 25 Prozent liege. Auf eine Überschreitung komme die Klägerin nur, wenn sie unzulässigerweise auf den gesamten zwölfstündigen Dienst abstelle.
48Der beklagte Verein bestreitet darüber hinaus die geltend gemachten Ansprüche auch der Höhe nach. Unter Bezugnahme auf die von ihm eingereichte Aufstellung könne die Klägerin höchstens 204,18 € für 2014, 476,08 Euro für 2015 und 369 Euro für 2017 verlangen.
49Auf das Bestreiten der angegebenen Zahlungen durch den beklagten Verein hat dieser in der mündlichen Verhandlung vom 22.11 2017 erklärt, mit der Abrechnung würden jeweils die Arbeitszeiten des vorigen Monats, also beispielsweise mit der Abrechnung für Januar 2016 die Arbeitszeiten des Monats Dezember 2015 abgerechnet.
50Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
51Entscheidungsgründe
52Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet.
53A.
54Durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen nicht.
55Die Berufung ist statthaft gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 b) ArbGG.
56Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 517 ff. ZPO.
57B.
58Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet.
59Die Klägerin hat auch nach ihrem Vorbringen im Berufungsverfahren weder einen Anspruch auf eine Differenzvergütung für geleistete Schichten in den Kalenderjahren 2015 und 2016 (I.), noch für solche in 2014 (II).
60I.
61Differenzansprüche für die geleisteten Schichten in 2015 und 2016 sind nicht gegeben.
621. Ansprüche aus dem MiLoG macht der Kläger im Berufungsverfahren nicht mehr geltend.
632. Ansprüche ergeben sich auch nicht aus § 2 Abs. 1 der 2. Pflegearbeitsbedingungenverordnung vom 27.11.2014 (künftig: PflegeArbbV), die nach ihrem Geltungsbereich in § 1 Abs. 1 und 2 streitlos für das Arbeitsverhältnis der Parteien zur Anwendung kommt.
64a. Zwar legt diese in § 2 Abs. 1 ein bestimmtes Mindestentgelt je Stunde fest und erfasst damit grundsätzlich auch Zeiten des Bereitschaftsdienstes.
65Denn ebenso wie das MiLoG wird das Mindestentgelt grundsätzlich für jede Stunde geschuldet, während der ein Arbeitnehmer die nach seinem Vertrag festgelegte Arbeit erbringt (für das MiLoG insoweit BAG 29.06.2016, NZA 2016, 1332). Auch mit der Ableistung von Bereitschaftsdienst erbringt der Arbeitnehmer eine vergütungspflichtige Arbeit.
66§ 2 Abs. 3 Satz 1 PflegeArbbV legt jedoch für Zeiten des Bereitschafsdienstes die Zahlung des Mindestentgelts in abweichender Weise gemäß nachfolgenden Bestimmungen fest. Nach § 2 Abs. .3 Satz 4 PflegeArbbV kann die Zeit des Bereitschaftsdienstes zum Zwecke der Entgeltberechnung und damit vergütungsrechtlich auf der Grundlage einer kollektivrechtlichen oder einer schriftlichen einzelvertraglichen Regelung mit mindestens 25 % als Arbeitszeit bewertet werden.
67Für den Begriff des Bereitschaftsdienstes wiederum enthält § 2 Abs. 3 Satz 2 PflegeArbbV eine eigenständige Definition mit der Festlegung eines Prozentsatzes von mindestens 75 einer Zeit, für die erfahrungsgemäß eine Arbeitsleistung nicht anfällt.
68b. Eine solche kollektivrechtliche Grundlage bildet § 13a TV AWO NRW.
69Dort ist in Abs. 1.1 geregelt, dass der Bereitschaftsdienst einschließlich der geleisteten Arbeit zum Zwecke der Entgeltberechnung grundsätzlich mit 25 v.H. als Arbeitszeit bewertet wird.
70aa. Unter den Parteien besteht jedenfalls im Berufungsverfahren kein Streit darüber, dass der angesprochene Tarifvertrag infolge Nachbindung des beklagten Vereins bei eigener Tarifbindung der Klägerin auf das Arbeitsverhältnis der Parteien normativ zur Anwendung kommt.
71bb. Die Voraussetzungen für das Vorliegen von Bereitschaftsdienst im tariflichen Sinne in den vom beklagten Verein dargelegten Zeiten außerhalb der Zeiten mit reiner Vollarbeit sind gegeben.
72Insoweit bestimmt § 13a Abs. 1 TV AWO NRW, dass Beschäftigte in Heimen, die überwiegend pflegerische Tätigkeiten ausüben oder denen überwiegend die Betreuung oder Erziehung untergebrachter Personen obliegt, Bereitschaftsdienst ausüben, wenn sie verpflichtet sind, sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten haben, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen.
73cc. Solchen Bereitschaftsdienst übt die Klägerin nur in den Zeiten aus, für die er nicht zur Ableistung von Vollarbeit verpflichtet war. Ein anderes tarifliches Verständnis ergibt sich dabei nicht daraus, dass die Verpflichtung zum Aufenthalt an einer bestimmten Stelle „außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit“ besteht. Aus dieser Formulierung folgt nicht, dass Bereitschaftsdienst nur vorliegen kann, wenn er sich allein auf Zeiten vor einer Zeit mit Vollarbeit oder danach erstreckt.
74aaa. Die Auslegung tariflicher Bestimmungen hat entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Über den reinen Tarifwortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen dann mit zu berücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben.
75Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen mit berücksichtigt werden muss, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur so bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhanges der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann (BAG 12.12.1973, EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 1; BAG 12.09.1984, EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 14).
76Erst dann, wenn bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs als den in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel bleiben, kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages zurückgegriffen werden, wobei jedoch keine Bindung an eine bestimmte Reihenfolge bei der Heranziehung der weiteren Auslegungsmittel gegeben ist. Maßgeblich sind jedoch zunächst zwingend die am Tarifwortlaut orientierten Auslegungsmittel des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhanges zu berücksichtigen (BAG 12.09.1984, aaO.; BAG 10.11.1993, EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 70).
77bbb. Die tarifliche Bestimmung knüpft an das allgemeine Verständnis zum Vorliegen von Bereitschaftsdienst an. Ein solche ist nach allgemeinem Verständnis gegeben, wenn der Arbeitnehmer sich an einer vom Arbeitgeber festgelegten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufzuhalten hat, um bei Bedarf seine volle Arbeitstätigkeit unverzüglich aufzunehmen (BAG, 24.10.2000,NZA 2001, 449).
78Mit der Formulierung „außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit“ wird kein bestimmter Aspekt zur zeitlichen Lage des Bereitschaftsdienstes angesprochen, insbesondere nicht in der Weise, dass solcher vor oder hinter einem Block von Vollarbeit liegen muss, die innerhalb der „regelmäßigen“ Arbeitszeit zu erbringen ist.
79Mit dem Wort "außerhalb" wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass während des Bereitschaftsdienstes eben nicht volle Arbeitsleistung erbracht werden muss (so LAG Sachsen 16.04.2015, 8 Sa 502/14 .n.v.).
80Es handelt sich um kein Merkmal dieser Dienste. Mit dieser Formulierung wird lediglich ausgedrückt, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber üblicherweise arbeitsvertraglich eine bestimmte Stundenzahl in der Woche als regelmäßige Arbeitszeit festlegen und zusätzlich vereinbaren, dass der Arbeitnehmer außerdem Bereitschaften zuleisten hat. Der Arbeitnehmer erbringt mit ihnen eine andere, zusätzliche Leistung, indem er während der Bereitschaftszeiten dem Arbeitgeber auf Abruf zur Verfügung steht (BAG 24.10.2010, NZA 2001,449). Es wird daher lediglich zum Ausdruck gebracht, dass diese Dienste neben der Zeit liegen, in der vollständig Vollarbeit zu erbringen ist, sie über die Zeiten hinausgehen, die als regelmäßige Arbeitszeit mit der Verpflichtung zur Ableistung der geschuldeten Tätigkeit anfallen, ohne dass erfahrungsgemäß zu leistende Arbeit tatsächlich oberhalb einer bestimmten Grenze gegeben ist.
81Das Bundesarbeitsgericht hat insbesondere zu Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes bereits ausgeführt, soweit Voraussetzung für die Anordnung von Bereitschaftsdienst in der Regel vorgesehen sei, dass diese Arbeitsform "außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" zu leisten seien, gehe dies auf das frühere Verständnis des Bereitschaftsdienstes als Ruhezeit zurück, mit der Formulierung "außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" sei verdeutlicht worden, dass Bereitschaftsdienst nicht als regelmäßige Arbeitszeit betrachtet worden sei (BAG 20.01.2016, NZA 2016, 1015).
82Soweit entsprechende Bestimmungen nunmehr, nachdem auch Bereitschaftszeiten als Arbeitszeit angesehen werden, dahingehend zu verstehen sind, dass sie nur zusätzlich zur regelmäßigen Arbeitszeit angeordnet werden dürfen, ist für das Verständnis zur zeitlichen Lage ohne Bedeutung.
83Bereitschaftsdienst im tariflichen Sinne kann daher auch dann vorliegen, wenn sich Zeiten der „regelmäßigen“ Arbeit mit solchen des Bestehens lediglich einer Verpflichtung zur Bereitschaft abwechseln.
84c. Die Klägerin erbringt auch nicht deswegen über ihre gesamte Schicht von 12 Stunden „regelmäßige Arbeitszeit“ mit der Folge, dass bei 3,5 Stunden aktiver Tätigkeit innerhalb dieser Schichtdauer die Grenze von 75 % überschritten wäre und eine kollektivrechtliche Regelung zur Bewertung als Arbeitszeit nur mit einem bestimmten Satz nicht in Betracht käme, weil im Arbeitsvertrag vom 08.03.2012 in § 4 festgelegt ist, dass der Bereitschafsdienst um 19:45 Uhr beginnt und am nächsten Morgen um 7:45 Uhr endet. Die Auslegung der vertraglichen Bestimmung ergibt nicht, dass die gesamte Schichtdauer als Bereitschaftszeit anzusehen ist.
85aa. Bei dem Arbeitsvertrag handelt es sich nach Aufbau und Inhalt um einen Formulararbeitsvertrag.
86Aus dem Inhalt und der äußeren Gestaltung der in einem Vertrag verwendeten Bedingungen kann sich dabei ein vom Verwender zu widerlegender Schein dafür ergeben, dass sie zur Mehrfachverwendung formuliert sind, z. B., wenn der Vertrag zahlreiche formelhafte Klauseln enthält und nicht auf die individuelle Vertragssituation abgestimmt ist (BAG 01.03.2006, EzA BGB 2002 § 308 Nr. 4 unter Hinweis auf BGH vom 24.11.2005, WM 2006, 247 und BGH vom 27.11.2003, BGHZ 157, 102).
87bb. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind.
88Soweit auch der mit dem Vertrag verbundene Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten: Bleiben nach Erwägung dieser Umstände Zweifel, geht dies nach § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders (BAG 31.08.2005, EzA ArbZG § 6 Nr. 6;. BAG 09.11.2005, EzA BGB 2002 § 305c Nr. 3; BAG 19.07.2007, EzA BGB 2002 § 623 Nr. 7).
89cc. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist die Regelung des § 4 des Arbeitsvertrages nicht dahingehend zu verstehen, dass die gesamte Schichtdauer sich als Bereitschafsdienst darstellt.
90Zwar spricht der Eingangssatz mit den festgelegten Zeiten insgesamt von „Bereitschaftsdienst“. Isoliert betrachtet spricht diese Formulierung für das Verständnis der Klägerin.
91Die Eingangsregelung ist jedoch im Zusammenhang mit den beiden nachfolgenden Absätzen zu sehen.
92Bereits in § 4 Absatz 2 ist angegeben, dass drei Stunden als normale Arbeitszeit anzusehen sind. Gerade aus der Formulierung „Drei Stunden des Bereitschaftsdienstes …“ macht ausreichend deutlich, dass eben nicht alle Zeiten, die im Eingangssatz zusammenfassend als Bereitschaftsdienst bezeichnet worden sind, auch solche sein sollen, sondern als Zeiten mit ausschließlich aktiver Tätigkeit anzusehen sein sollen.
93Zusätzlich wird für dies eine tarifliche Vergütung festgelegt, woraus klar wird, dass sie gesondert zu betrachten sind und ohne Rücksichtnahme auf eine eingeschränkte Inanspruchnahme als Vollarbeit angesehen werden.
94Auch die nachfolgende Gegenüberstellung dieser drei Stunden zu den „übrigen neun Stunden“ zeigt, dass selbst ungeachtet der deutlichen Qualifizierung der neun Stunden als reiner Bereitschaftsdienst eine Trennung vorgenommen werden soll und hiermit unterschiedliche Verpflichtungen der Klägerin normiert werden.
954. Für die Entscheidung des Rechtsstreits konnte es für die Jahre 2015 und 2016 daher dahingestellt bleiben, ob sich aus den Berechnungen der Klägerin unter Berücksichtigung der vom beklagten Verein dargestellten Abrechnungsweise überhaupt eine Forderung in der geltend gemachten Höhe ergeben hätte.
96II.
97Auch für die geleisteten Schichten im Kalenderjahr 2014 ergaben sich keine Differenzansprüche.
98Ansprüche der Klägerin für diesen Zeitraum sind jedenfalls verfallen.
991. § 4 PflegearbbV vom 15.07.2010 sieht vor, dass Ansprüche auf das Mindestentgelt verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 12 Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.
100Eine Geltendmachung von Ansprüchen erfordert eine Spezifizierung des Anspruchs nach Grund und Höhe, wozu grundsätzlich eine deutliche Bezeichnung hierzu erforderlich ist (BAG 17.04.2002, DB 2002, 1455; BAG 20.06.2002, DB 2002, 2275 für tarifliche Ausschlussfristen).
1012. Mit dem Schreiben vom 24.06.2015 macht die Klägerin isoliert eine zusätzliche Bezahlung von Bereitschaftsstunden geltend, die sie in 2014 geleistet hat. Ausschließlich für diese Stunden macht sie Differenzzahlungen geltend, so wie sie dies auch erstinstanzlich getan hat.
102Nunmehr verfolgt die Klägerin abweichend hiervon jedoch eine Zahlung, die sich aus der gesamten 12-stündigen Schicht abzüglich der geleisteten Zahlungen für den gesamten Zeitraum errechnet.
103Dabei handelt es sich um eine andere Berechnung, die mit dem Geltendmachungsschreiben nicht aufgemacht worden ist und erfasst eine Gesamtheit von Stunden, die zuvor nicht angesprochen worden sind.
104Es kann daher für die Entscheidung des Rechtsstreits des Weiteren dahinstehen, ob mögliche Ansprüche überhaupt in der geltend gemachten Höhe bestanden haben.
105III.
106Die geltend gemachte Pauschale aus § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB fiel jedenfalls mangels Hauptforderung nicht an.
107C.
108Die Klägerin hat die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
109Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Fragen zur Auslegung der maßgeblichen tariflichen Bestimmung war die Revision nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.