Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
1. Wird ein Arbeitnehmer im Anwendungsbereich des BAT-KF vor der Erteilung einer Abmahnung nicht ordnungsgemäß angehört, so hat er aus § 241 Abs. 2 BGB i.V.m. § 3 Abs. 6 Satz 4 BAT-KF einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte.
2. Eine ordnungsgemäße Anhörung des Arbeitnehmers setzt voraus, dass er über die beabsichtigte Aufnahme eines Vorganges in die Personalakten informiert wird. Ihm muss mitgeteilt werden, welchen Inhalt die zu den Personalakten zu nehmende Abmahnung haben wird; hierzu ist es im Regelfall erforderlich, ihm die verschriftliche Abmahnungserklärung vorzulegen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 12.07.2016 – 5 Ca 120/16 – wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, das Abmahnungsschreiben vom 18.09.2015 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, eine Abmahnung aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.
3Die Beklagte ist Trägerin eines Alten- und Pflegeheims in B. Die Klägerin ist dort als examinierte Fachkraft in der Altenpflege beschäftigt. Arbeitsvertraglich ist vereinbart, dass sich das Arbeitsverhältnis bestimmt nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag in kirchlicher Fassung (BAT-KF).
4§ 3 Abs. 6 Satz 4 BAT-KF lautet:
5„Über Beschwerden und Behauptungen tatsächlicher Art, die für sie ungünstig sind oder ihnen nachteilig werden können, müssen Mitarbeitende vor Aufnahme in die Personalakte gehört werden.“
6Am 14.09.2015 war die Klägerin nach dem Dienstplan in der Zeit von 13.30 Uhr bis 21.00 Uhr zur Arbeit eingeteilt im Wohnbereich 2. Dort ist sie gewöhnlicherweise tätig. Auf einer anderen Etage, vom Wohnbereich 2 durch eine Treppe getrennt, befindet sich der Wohnbereich 1. Die examinierte Fachkraft, die am 14.09.2015 im Wohnbereich 1 mit gleichen Arbeitszeiten wie die Klägerin eingeteilt war, erschien krankheitsbedingt nicht zum Dienst.
7Der unmittelbare Vorgesetzte der Klägerin, der Wohnbereichsleiter, wies sie an, in Vertretung für die ausgefallene Fachkraft im Wohnbereich 1 Medikamente zu stellen und zu verabreichen. Die Medikamente befinden sich für jeden einzelnen Bewohner in einem namentlich gekennzeichneten Wochendispenser, der durch eine Apotheke bereits gefüllt ist. Der Wochendispenser enthält auch einen Musterdispenser, aus dem die an den einzelnen Tagen zu verabreichenden Medikamente ersichtlich sind. Lediglich etwaig einzunehmende Tropfen sind nicht so vorbereitet und müssen von der Pflegekraft selbst gestellt werden. Informationen hinsichtlich der zu verabreichenden Medikamente sind der Dokumentation der einzelnen Bewohner, insbesondere der Medikamentenverordnung, zu entnehmen.
8Die Klägerin lehnte es gegenüber ihrem Vorgesetzten ab, diese Arbeitsaufgabe zu erledigen. Daraufhin kam es zu einem Gespräch zwischen der Klägerin und der Pflegedienstleiterin. Die Klägerin erklärte, es sei für sie nicht ohne weiteres möglich, die Medikamente für die Bewohner im Wohnbereich 1 zu stellen, da sie diese Bewohner nicht hinreichend kenne. Sie fürchte eine etwaige Haftung bei Fehlern und werde die Medikamente im Wohnbereich 1 nur dann stellen und verteilen, sofern die Pflegedienstleiterin ihr vorher schriftlich bestätige, dass sie – die Pflegedienstleitung – hierfür die Verantwortung und gegebenenfalls die Haftung übernehme. Ein entsprechend vorbereitetes handschriftliches Schreiben hatte die Klägerin dabei. Die Pflegedienstleiterin wies die Klägerin darauf hin, dass diese das Stellen die Medikamente im Wohnbereich 1 in Vertretung zu stellen habe, und dass diese Aufgabe zu ihren arbeitsvertraglichen Pflichten zähle. Die Klägerin antwortete, sie könne aus fachlichen Gründen die Vertretung nicht übernehmen.
9Danach wurde ein gemeinsames Gespräch zwischen der Klägerin, der Pflegedienstleiterin und der Einrichtungsleiterin in deren Büro geführt. Der Sachverhalt wurde nochmals erörtert. Die Klägerin blieb bei ihrer Verweigerungshaltung. Die Einrichtungsleiterin wies die Klägerin darauf hin, dass ihre Weigerung, Vertretungsaufgaben wahrzunehmen, arbeitsrechtliche Konsequenzen haben werde.
10Mit Schreiben vom 18.09.2015 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung. In dem Schreiben heißt es:
11„Abmahnung
12Sehr geehrte Frau C,
13am Montag, 14.09.2015 haben Sie sich geweigert, die Anweisung der Pflegedienstleiterin Frau y befolgen und Medikamente für die Bewohnerinnen des Wohnbereich 1 zu verteilen.
14Diese hatte Ihnen aufgetragen, im Spätdienst diese Aufgabe für eine erkrankte Kollegin zu übernehmen.
15Sie äußerten Ihre Weigerung gegenüber der Einrichtungsleiterin Frau T im Beisein von Frau y.
16Sie hätten den Auftrag Ihrer Vorgesetzten ausführen müssen. In Ihrer Stellenbeschreibung vom 01.06.2006 ist die Aufgabe – Verabreichen von Medikamenten – auch auf anderen Wohnbereichen explizit beschrieben.
17Aufgrund dieses Verstoßes gegen Ihre arbeitsrechtlichen Pflichten mahnen wir Sie ab. Wir weisen Sie darauf hin, dass ein derartiges oben beschriebenes Verhalten durch uns nicht weiter toleriert wird. Eine Wiederholung kann Konsequenzen für Ihr bestehendes Arbeitsverhältnis, bis hin zur Kündigung, nach sich ziehen.
18Diese Abmahnung wird in Ihre Personalakte aufgenommen.
19Mit freundlichen Grüßen
20D B gGmbH“
21Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Abmahnung sei zu Unrecht erfolgt und daher ersatzlos aus der Personalakte zu entfernen. Sie sei als examinierte Fachkraft berechtigt gewesen, Tätigkeiten abzulehnen, deren Übernahme sie mit Blick auf eine etwaige Gefährdung der Bewohnerinnen und Bewohner fachlich nicht verantworten könne. Sie habe keine Zeit gehabt, sich mit den Bewohnerinnen und Bewohnern auf dem Wohnbereich 1 so vertraut zu machen, dass sie dort guten Gewissens die Medikamente hätte stellen können. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum unbedingt die Klägerin die Medikamente habe stellen müssen. Die Erkrankung der Kollegin auf dem Wohnbereich 1 sei, so hat die Klägerin behauptet, lange bekannt gewesen. Wenn es der Pflegedienstleitung in einer solchen Situation nicht gelinge, für Ersatz zu sorgen, sei die Klägerin nicht verpflichtet, die Bewohner zweier Wohnbereiche gleichzeitig zu versorgen. Die Pflegedienstleitung hätte die Medikamente selbst stellen können und müssen.
22Die Klägerin hat beantragt,
23die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 18.09.2015 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.
24Die Beklagte hat beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe das Stellen der Medikamente für die Bewohner des Wohnbereichs 1 zu Unrecht verweigert. Hierzu hat die Beklagte unter anderem behauptet, die Erkrankung der im Wohnbereich 1 dienstplanmäßig eingeteilten Pflegefachkraft sei erst am Morgen des 14.09.2015 durch deren Krankmeldung bekannt geworden. Aufgrund der Vertretungssituation habe die Klägerin nach Anweisung der Pflegedienstleiterin im betreffenden Dienst nur Behandlungspflegen durchführen sollen, um ausreichend Zeit für das Verteilen der Medikamente in beiden Wohnbereichen zu haben.
27Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe der Klägerin am 14.09.2015 die wirksame Weisung erteilt, auch für die Bewohner des Wohnbereichs 1 Medikamente zu stellen. Die Klägerin habe die zum Stellen der Medikamente notwendigen Informationen auch bei für sie unbekannten Bewohnern aus der vorhandenen Dokumentation entnehmen können. Die Klägerin sei zeitlich in der Lage gewesen, die Arbeitsaufgabe zu erledigen. Sie hätte andere Aufgaben im Wohnbereich 2 zurückstellen müssen. Zur Abgabe der von der Klägerin geforderten Erklärung sei die Pflegedienstleitung nicht verpflichtet gewesen; die Klägerin habe als examinierte Fachkraft in der Altenpflege die Verantwortung für das Stellen der Medikamente selbst übernehmen müssen.
28Das Urteil erster Instanz ist der Klägerin am 20.07.2016 zugestellt worden. Sie hat mit einem Schriftsatz, der am 02.08.2016 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung mit einem am 20.10.2016 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor die Berufungsbegründungsfrist durch gerichtlichen Beschluss bis zum 20.10.2016 verlängert worden war.
29Die Klägerin hält das erstinstanzliche Urteil für unrichtig. Das Arbeitsgericht habe ohne hinreichende Sachaufklärung angenommen, das Stellen der Medikamente für die Bewohner des Wohnbereichs 1 sei für die Klägerin zeitlich zumutbar gewesen. Die Klägerin trägt vor, es habe für sie keine Möglichkeit gegeben, andere Tätigkeiten entfallen zu lassen. Die personelle Besetzung sei zu gering gewesen. Im Falle einer Beschränkung ihrer Tätigkeit auf die Behandlungspflege wäre es zu einer Überlastung der anderen Mitarbeiter durch die Grundpflege gekommen. Es sei unbillig, wenn die Klägerin in einer Überlastungssituation eine Verantwortung tragen müsse, die auf der eigenen Weisung der Beklagten beruhe, die selbst aber für etwaige negativen Folgen dieser Weisung keine Verantwortung übernehmen wolle. Schließlich habe die Klägerin nicht die Tätigkeit abgelehnt, sondern nur die Übernahme der fachlichen Verantwortung.
30Die Klägerin beantragt,
31das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 12.07.2016 – Az.: 5 Ca 120/16 – abzuändern und nach dem Klageantrag erster Instanz zu erkennen.
32Die Beklagte beantragt,
33die Berufung zurückzuweisen.
34Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend. Sie trägt vor, die Situation am 14.09.2015 sei nicht durch einen Personalmangel gekennzeichnet gewesen. Ausgehend vom „Pflegepersonal-Soll“ habe es sogar einen Personalüberhang gegeben. Nachdem das Berufungsgericht darauf hingewiesen hatte, es sei bislang nicht hinreichend ersichtlich, inwiefern die Klägerin vor Ausspruch der Abmahnung gemäß § 3 Abs. 6 Satz 4 BAT-KF angehört worden sei, hat die Beklagte mit der Berufungserwiderung ein Protokoll des Gesprächs vom 14.09.2015, das zwischen der Klägerin, der Pflegedienstleiterin und der Einrichtungsleiterin geführt worden war, zu den Gerichtsakten gereicht.
35Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf das erstinstanzliche Urteil und den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
36Entscheidungsgründe
37I
38Die Berufung der Klägerin ist zulässig.
39Die Klägerin hat die Berufung insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.
40II
41Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
421. Es kann offen bleiben, ob die Klägerin mit ihrer Weigerung, am 14.09.2015 Medikamente für die Bewohner des Wohnbereiches 1 zu stellen, arbeitsvertragliche Pflichten verletzt hat, wie das Arbeitsgericht mit gut nachvollziehbaren Erwägungen angenommen hat. Insbesondere bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob 14.09.2015 (wie die Klägerin annimmt) eine „Überlastungssituation“ bestand und ob sich aus einem etwaigen vorwerfbaren Herbeiführen dieser Überlastungssituation durch die Beklagte die arbeitsrechtliche Konsequenz zu ziehen wäre, dass die Klägerin einen Anspruch auf Abgabe einer „Haftungsfreistellungserklärung“ hätte und berechtigt gewesen wäre, die Bewohner unversorgt zu lassen, solange die Beklagte diese Erklärung nicht abgibt.
432. Das Abmahnungsschreiben vom 18.09.2015 ist schon deshalb aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen, weil sie nicht gemäß § 3 Abs. 6 Satz 4 BAT-KF vor Aufnahme in ihre Personalakte ordnungsgemäß angehört wurde. Der Klägerin steht aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB und § 3 Abs. 6 Satz 4 BAT-KF ein vertraglicher Anspruch auf Entfernung des Abmahnungsschreibens vom 18.09.2015 aus ihrer Personalakte zu.
44a) Nimmt der Arbeitgeber eine Abmahnung ohne vorherige Anhörung des Arbeitnehmers zu den Personalakten, so kann dem Arbeitnehmer wegen Verletzung einer Nebenpflicht ein schuldrechtlicher Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus den Personalakten zustehen (BAG, Urteil vom 16.11.1989 – 6 AZR 64/88; LAG Hamm, Urteil vom 09.01.1992 – 17 Sa 1419/91). Im Streitfall ergibt sich eine entsprechende vertragliche Nebenpflicht für die Beklagte aus § 3 Abs. 6 Satz 4 BAT-KF.
45aa) Sind Vorgänge ohne Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers zu den Personalakten gelangt, folgt aus einer Auslegung der Vorschrift des § 3 Abs. 6 Satz 4 BAT-KF, dass der Arbeitgeber zur Entfernung der Abmahnung aus den Personalakten verpflichtet ist (so im Ergebnis auch Scheffer/Mayer, AVR-Kommentar, 4. Ergänzungslieferung März 2015, § 4 Anm. 4, zur gleich lautenden Vorschrift des § 4 Abs. 2 AVR der Diakonie Deutschland; ebenso Zetl/Zwosta/Schiering, Die AVR von A bis Z, 27. Aktualisierung Mai 2008, A 1 Abmahnung, Randnr. 55, zur gleich lautenden Vorschrift des § 6 Abs. 3 AVR Caritas).
46Nur mit dieser Rechtsfolge wird dem Sinn und Zweck des Anhörungsrechts genügt Die Grundsätze, die das BAG insoweit hinsichtlich der vormals geltenden Tarifvorschrift des § 13 Abs. 2 Satz 1 BAT aufgestellt hat (BAG, Urteil vom 16.11.1989 – 6 AZR 64/88), gelten für die Auslegung des § 3 Abs. 6 Satz 4 BAT-KF entsprechend. § 3 Abs. 6 Satz 4 BAT-KF entspricht in seinem Wortlaut der Tarifregelung des § 13 Abs. 2 Satz 1 BAT.
47Die vorherige Anhörung des Angestellten ist nicht nur eine Förmelei, sondern bezweckt eine Auseinandersetzung des Arbeitgebers mit der Gegendarstellung des Betroffenen. Diese Auseinandersetzung, die im Idealfall zu einer Korrektur oder sogar zum Fallenlassen der beabsichtigten Rüge führen kann, findet erfahrungsgemäß weniger intensiv statt, wenn der Vorwurf bereits in Form eines zu den Personalakten genommenen Schreibens manifestiert ist. Die Friedensfunktion der vorherigen Anhörung würde unterlaufen. Die nachträgliche Anhörung des Arbeitnehmers in Form der Übersendung des zu den Akten genommenen Abmahnungsschreibens heilt den Mangel nicht; der Arbeitnehmer kann auch nicht auf sein Recht zur Gegendarstellung oder zur Überprüfung der inhaltlichen Unrichtigkeit der Abmahnung verwiesen werden. Diese Möglichkeiten bieten nicht denselben umfassenden Schutz wie das mit der Entfernungsfolge belegte Gebot, den Arbeitnehmer vor der Aufnahme eines Vorgangs in die Personalakten anzuhören. Zur Gewährleistung eines uneingeschränkten Anhörungsrechts ist deshalb, sofern dem Mitarbeiter vorheriges rechtliches Gehör nicht gewährt wurde, der zu den Akten genommene Vorgang zunächst bis zur Durchführung einer erneuten Anhörung zu entfernen. Hätte eine Verletzung der vertraglichen Anhörungspflicht nicht diese Folge, wäre das Anhörungsrecht im Ergebnis bedeutungslos.
48bb) Nicht nur die unterbliebene, sondern auch die nicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung des Arbeitnehmers vor der Aufnahme einer Abmahnung in seine Personalakten kann zu einem Entfernungsanspruch führen.
49Die Anhörungspflicht des Arbeitgebers ist Ausdruck der allgemeinen Fürsorgepflicht, die durch die Regelung in § 3 Abs. 6 Satz 4 BAT-KF betont und im Sinne eines Offenheitsgrundsatzes ausgeprägt wird (vgl. Steinherr/Wollensak, in: Sponer/Steinherr, TVöD Gesamtausgabe, 167.AL1/2017, 5.1 Zweck der Anhörung). Aus dem im Sinne einer vertraglichen Nebenpflicht speziell ausgestalteten Grundsatz von Offenheit und Vertrauen zwischen den Arbeitsvertragsparteien folgt, dass eine Anhörung auch im Hinblick auf die besondere Bedeutung, die dem Inhalt der Personalakte für die weitere berufliche Entwicklung des Arbeitnehmers zukommt, so erfolgen muss, dass sie dem Zweck des Anhörungsrechts entspricht. Der Arbeitnehmer soll durch die Anhörung die Möglichkeit erhalten, darauf Einfluss zu nehmen, ob und wie Abmahnungen oder andere für ihn ungünstige Dokumente zur Personalakte gelangen. Dazu ist es erforderlich, dass mit dem Arbeitnehmer nicht nur bestimmte Tatsachen erörtert werden, die der Arbeitgeber als vertragliches Fehlverhalten wertet, vielmehr muss dem Arbeitnehmer bewusst sein, dass gerade diese Tatsachen in den Personalakten fixiert werden (BVerwG, Urteil vom 12.10.1971 – VI C 99/67). Nur dann hat er nämlich Anlass, dazu näher Stellung zu nehmen. Dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und dem Gebot des Offenheitsgrundsatzes genügt eine Anhörung nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer sich über die Tragweite seiner Erklärung im Unklaren ist, weil der Arbeitgeber ihn über den Grund der Anhörung (nämlich über die beabsichtigte Aufnahme eines bestimmten Vorganges in die Personalakten) nicht unterrichtet (BVerwG, Urteil vom 12.10.1971 – VI C 99/67).
50b) Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall festzustellen, dass die Klägerin vor Aufnahme des Abmahnungsschreibens in ihre Personalakten nicht ordnungsgemäß angehört wurde.
51aa) Das Gespräch, das zwischen der Klägerin, der Pflegedienstleiterin und der Einrichtungsleiterin am 14.09.2015 geführt wurde, erfüllt nicht die Anforderungen, die an eine ordnungsgemäße Anhörung zu stellen sind.
52(1) Dies gilt schon deshalb, weil das Gespräch geführt wurde, bevor die Klägerin die mit der Abmahnung gerügte Pflichtverletzung beging.
53Zwar hatte die Klägerin schon vor dem Gespräch ihre Weigerung, Medikamente für die Bewohner des Wohnbereichs 1 zu stellen, gegenüber der Pflegedienstleitung und ihrem unmittelbaren Vorgesetzten erklärt. Bereits diese Weigerung kann eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten darstellen. In der Abmahnung wird aber nicht nur die Weigerungserklärung als arbeitsvertragliche Pflichtverletzung gerügt, sondern auch die Nichterledigung der Arbeitsaufgabe („Sie hätten den Auftrag Ihrer Vorgesetzten ausführen müssen“).
54(2) Der Klägerin ist im Gespräch vom 14.09.2015 nicht mitgeteilt worden, dass ihr gegenüber eine Abmahnung ausgesprochen werden soll, die in die Personalakten aufgenommen wird.
55Im Gespräch war vielmehr, wie die Parteien übereinstimmend vortragen, nur von „arbeitsrechtlichen Konsequenzen“ die Rede. Unter dem Begriff der „arbeitsrechtlichen Konsequenzen“ musste die Klägerin aber nicht notwendigerweise allein den Ausspruch einer Abmahnung verstehen. Vielmehr konnten als Konsequenzen ihres Verhaltens auch eine Versetzung oder sogar der Ausspruch einer Kündigung (unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsverweigerung) in Betracht gezogen werden.
56(3) Schließlich ist der Klägerin auch nicht mitgeteilt worden, welchen Inhalt die zu den Personalakten zu nehmende Abmahnungserklärung haben wird.
57Schon aus diesem Grund hatte die Klägerin nicht die Möglichkeit, substantiiert zu den gerügten Vorwürfen Stellung zu nehmen, ihr Verhalten zu erklären und die Vorwürfe gegebenenfalls zu entkräften. Sie konnte damit nicht hinreichend beeinflussen, ob und wie Tatsachen in der Personalakte fixiert werden. Da das Abmahnungsschreiben die Behauptungen tatsächlicher Art enthält, die für den Mitarbeiter ungünstig sind und Eingang in seine Personalakten finden, wird es im Regelfall erforderlich sein, den Mitarbeiter unter Vorlage der verschriftlichten Abmahnungserklärung anzuhören. Ob und inwieweit hiervon eine Ausnahme zu machen ist, wenn es sich um einen ganz einfachen und zwischen den Parteien unstreitigen Sachverhalt handelt, oder wenn der Arbeitgeber den Inhalt des Anhörungsschreibens für den Mitarbeiter wörtlich oder zumindest sinngemäß im Rahmen einer mündlichen Erörterung wiedergibt, muss nicht entschieden werden. Im Streitfall handelt es sich nicht um einen einfachen und unstreitigen Sachverhalt. Die Beklagte hat auch den Inhalt der Abmahnungserklärung im Gespräch vom 14.09.2015 nicht gegenüber der Klägerin vorgetragen.
58bb) Mit dem Abmahnungsschreiben vom 18.09.2015 gab die Beklagte der Klägerin keine Möglichkeit zur Stellungnahme.
59In der Praxis ist es üblich (und rechtlich nicht zu beanstanden), die erforderliche Anhörung des Arbeitnehmer durchzuführen, indem im Abmahnungsschreiben mitgeteilt wird, der Arbeitnehmer habe Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer bestimmten Frist, nach Fristablauf sei beabsichtigt, die Abmahnung zu den Personalakten zunehmen. Dieser Passus fehlt im Abmahnungsschreiben vom 18.09.2015. Im Abmahnungsschreiben heißt es, die Abmahnung werde in die Personalakte aufgenommen.
60III
61Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte unterlag im Rechtsstreit und hat die Kosten zu tragen.
62Es bestand keine Veranlassung, die Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere wirft der Rechtsstreit keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.