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Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 03.08.2016 – 2 Ca 766/16 – teilweise abgeändert.Der Antrag auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt, wird abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtstreits trägt die Klägerin zu 7%, der Beklagte zu 93 %.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Die Parteien streiten u. a. um die Rechtswirksamkeit einer fristlosen Kündigung sowie im Wege der Widerklage um Schadensersatzansprüche des Beklagten.
3Die 1984 geborene, verheiratete und gegenüber zwei Kindern unterhaltspflichtige Klägerin ist jedenfalls seit Februar 2015 bei dem Beklagten zu einem Bruttomonatsentgelt von 450 Euro und einer regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit von 50 Stunden beschäftigt. Der Beklagte betreibt auch die Lottoannahmestelle in L, in welcher die Klägerin als Annahmestellenleiterin tätig war.
4In der Filiale sind insgesamt vier Videokameras im Verkaufsraum und im Tresorraum offen sichtbar installiert. Das Vorhandensein der Kameras ist den Mitarbeitern des Beklagten, auch der Klägerin, bekannt, wobei die Klägerin geltend macht, dass ihr Zweck und Einsichtsbereich der Kameras nicht bekannt gewesen seien. Auf die Tatsache der Videoüberwachung wird in der Filiale durch ein gelbes Schild hingewiesen. Die Aufzeichnung findet vor Ort in der Filiale statt. Eine Internetverbindung zur Verwaltung des Beklagten in K besteht nicht.
5In der Filiale gibt es eine Sortiments-/Registrierkasse und eine Lottokasse. Die Lottokasse hat keinen Verschluss. Zu jeder Schicht wird von der jeweiligen Mitarbeiterin ein Kassenrevisionsbericht erstellt. In diesem wird der gesamte Bargeldbestand zu Beginn und zu Ende einer Schicht von der Mitarbeiterin gezählt und eingetragen. Ebenfalls werden die bis dahin getätigten Umsätze aus dem Sortiments- und Lottobereich aus der Registrierkasse bzw. dem Lotto-Onlinegerät gezogen und miteinander verrechnet. Bei einer Kassendifferenz von mehr als fünf Euro muss der Differenzbetrag auf eine Mailbox der Revision gesprochen werden; dort werden die Differenzen dann später überprüft.
6Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis selbst fristgemäß zum 15.05.2016.
7Im April 2016 befand sich die Klägerin zunächst in einem Erholungsurlaub und war anschließend vom 13.04. bis 23.04.2016 arbeitsunfähig erkrankt.
8Mit Schreiben vom 21.04.2016, der Klägerin am 22.04.2016 zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis „wegen der begangenen Straftaten außerordentlich fristlos zum 22.04.2016, äußerst hilfsweise zum nächstmöglichen Termin“ (Bl. 9 d. A.). Zugleich wurde der Klägerin ein Hausverbot für die Filialen des Beklagten ausgesprochen, und ihr wurde mitgeteilt, dass ihr vor Einleitung des zivil- und strafrechtlichen Verfahrens bis zum 26.04.2016 die Möglichkeit gegeben werde, den Schaden in einem persönlichen Gespräch mit der Mitarbeiterin B zu beziffern und eine Wiedergutmachung zu vereinbaren.
9Die Mitarbeiterin B des Beklagten äußerte in einem zeitlich nicht näher bestimmten Gespräch gegenüber der Klägerin und deren Mutter, die Klägerin habe mindestens 15.000 Euro unterschlagen, woraufhin die Klägerin - nach dem Vorbringen der Beklagten - erklärt haben soll, dass es so viel nicht gewesen sei.
10Eine Entgeltzahlung für April und Mai 2016 erfolgte nicht. Auch erteilte der Beklagte der Klägerin trotz Aufforderung zunächst kein qualifiziertes Zeugnis.
11Mit ihrer am 12.05.2016 eingereichten Klage hat sich die Klägerin u. a. gegen die fristlose Kündigung gewandt, die Zahlung des April-Entgelts von 450 Euro und des anteiligen Mail-Entgelts von 225 Euro zuzüglich Verzugszinsen sowie die Erteilung eines Zeugnisses begehrt und verlangt, dass der Beklagte die Behauptung ihr oder Dritten gegenüber zu unterlassen habe, sie habe im Rahmen des Arbeitsverhältnisses Straftaten begangen oder habe den Beklagten um einen Betrag in Höhe von 15.000 Euro geschädigt.
12Mit Schriftsatz vom 25.05.2016 hat der Beklagte widerklagend die Zahlung von 10.922,42 Euro nebst Prozesszinsen geltend gemacht.
13Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die Videoüberwachung gegen das Bundesdatenschutzgesetz verstoße und daher nicht verwertet werden könne. Auch die von dem Beklagten vorgetragenen „Erkenntnisse“ aus der Videoüberwachung dürften nicht als prozessualer Vortrag gewertet werden. So habe der Beklagte den Zweck der Videoüberwachung nicht im Vorfeld hinreichend konkret und schriftlich bestimmt. Zudem werde unzulässigerweise der komplette Arbeitsbereich der Mitarbeiter überwacht; die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Überwachung sei nicht ersichtlich. Auch sei unter anderem nicht ersichtlich, dass der Beklagte gemäß § 9 BDSG im Vorfeld technische und organisatorische Maßnahmen zur Gewährleistung der Datensicherheit getroffen habe. Es sei auf einer Fortbildungsveranstaltung nur einmal kurz auf die Videoüberwachung zur Vermeidung Straftaten hingewiesen worden. Weitere Erklärungen dazu habe es nicht gegeben.
14Die Klägerin hat zudem bestritten, Geld unterschlagen zu haben, und macht darüber hinaus geltend, dass sich aus dem eigenen Vorbringen des Beklagten keine Unterschlagung ergebe, da der Vorwurf, sich das Geld selbst eingesteckt zu haben, gar nicht erhoben werde.
15Sie hat weiter behauptet, dass es Arbeitsanweisungen des Beklagten gebe, Bareinnahmen erst in die Lottokasse zu legen, da diese einen vor den Blicken der Kunden schützenden Deckel habe, und in die Sortimentskasse nur kleine Beträge zu geben, damit der erhebliche Bargeldbestand für die Kunden nicht einsichtbar sei.
16Nach außergerichtlicher Einsichtnahme in die von dem Beklagten zur Verfügung gestellten DVDs mit Videosequenzen vom 29.01.2016 und 30.11.2015 hat die Klägerin moniert, dass es eine Diskrepanz zwischen der Uhrzeit der Videokamera und der Uhrzeit der Kasse gebe, und dass zudem - unstreitig - nicht die vollständige Videoaufzeichnung vorgelegt worden sei. Sie hat insoweit geltend gemacht, immer viel zu tun gehabt zu haben und zwischen den verschiedenen Kassen gewechselt haben zu müssen. So habe sie Tabakwaren verkauft und diese nicht direkt, sondern nachträglich in die Sortimentskasse eingebucht. Hierzu habe sie zum Teil Notizen gefertigt. Später registrierte Beträge seien nur mit einer vollständigen Videoaufzeichnung überprüfbar. Die Klägerin hat weiter behauptet, dass sie die von dem Beklagten angeführten 16 Euro am 29.01.2016 zutreffend eingebongt habe; sie sei angewiesen gewesen, nach jedem Kundenvorgang die Kasse auszustellen.
17Die Klägerin hat den von dem Beklagten im Wege der Widerklage geltend gemachten Schaden bestritten. Dieser könne nicht anhand der - nicht nachvollziehbaren - Gewinnmarge errechnet werden, müsse vielmehr vom Beklagten konkret errechnet werden. Die Klägerin hat zudem mit Nichtwissen bestritten, dass es einen Warenschwund gegeben habe und dass sich im Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 29.02.2016 Waren im Einkaufswert von 212.020,97 Euro in der Filiale befunden hätten. Da sie als Filialleiterin die Kassenbestände an den Beklagten zu melden habe, hätten diesem etwaige Fehlbestände auffallen müssen.
18Letztlich hat die Klägerin geltend gemacht, dass sich der Beklagte vom 22.04. bis zum 15.05.2016 in Annahmeverzug befunden habe und ihr daher der volle April-Lohn (bestehend aus Urlaubsentgelt, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Verzugslohn) und der anteilige Mai-Lohn zustünden.
19Die Klägerin hat beantragt,
201. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht durch schriftliche Kündigung des Beklagten vom 21.04.2016 zum 22.04.2016 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 15.05.2016 fortbestanden hat,
2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 675 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen, bezüglich des Betrages in Höhe von 450 Euro seit dem 03.05.2016 und bezüglich eines Betrages in Höhe von 225 Euro seit dem 02.06.2016,
3. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin ein Arbeitszeugnis zu erteilen, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt und
4. den Beklagten zu verurteilen, unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, es zu unterlassen, der Klägerin oder Dritten gegenüber zu behaupten, die Klägerin habe im Rahmen des Arbeitsverhältnisses mit dem Beklagten Straftaten begangen, oder zu behaupten, die Klägerin habe den Beklagten um einen Betrag in Höhe von 15.000 Euro geschädigt.
Der Beklagte hat beantragt,
29die Klage abzuweisen,
30und widerklagend
31die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten 10.922,42 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
32Die Klägerin hat beantragt,
33die Widerklage abzuweisen.
34Der Beklagte hat behauptet, dass die Klägerin Waren nicht in die Kasse eingebongt und das Geld unterschlagen und auch Waren ohne Bezahlung mitgenommen habe. Die Klägerin habe den von der Kamera uneinsehbaren Bereich im Tresorraum, einen Büroschrank, genutzt, um das Geld zu entwenden.
35Der Beklagte hat insoweit behauptet, dass die Innenrevision bei einer Stichprobe im vierten Quartal 2015 festgestellt habe, dass Waren, insbesondere Tabakwaren, in der Filiale der Klägerin gefehlt hätten. Zudem habe er von der X GmbH & Co. OHG den Hinweis erhalten, dass sich die Klägerin mit einer Lottoannahmestelle selbstständig machen wolle, was inzwischen auch - unstreitig - erfolgt sei. Gegenüber mehreren Kolleginnen habe die Klägerin zudem geäußert, dass sie wenig Geld habe.
36Daraufhin seien die Videoaufzeichnungen aus der Filiale als einziges Mittel zur Sachverhaltsaufklärung herangezogen worden. Aus dem Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 31.03.2016, in dem die Klägerin an insgesamt 42 Tagen gearbeitet habe, seien bislang - so der Stand mit Schriftsatz vom 25.05.2016 - zwei Schichten der Klägerin analysiert worden. Es ergebe sich, dass die Klägerin am 13.11.2015 190 Euro und am 29.01.2016 504 Euro unterschlagen habe.
37Der Beklagte hat hierzu behauptet, dass eine Kundin am 29.01.2016 - nach der Systemzeit der Videoaufnahme um 14.33 Uhr - drei Schachteln Zigaretten für 15 Euro gekauft habe, die Klägerin diesen Verkauf nicht in die Sortimentskasse eingegeben und das Geld ohne Registrierung in die Lottokasse gelegt habe. Des Weiteren sei am 29.01.2016 - nach der Systemzeit der Videoaufnahme um 16.06 Uhr - eine Stange Zigaretten zum Preis von 66 Euro gekauft worden. Die Klägerin habe jedoch nur 16 Euro in die Sortimentskasse eingebongt und die Kasse sodann sofort über den Schlüssel ausgestellt, um nicht den falschen Bon sichtbar werden zu lassen. Der Revisionsbericht für den 29.01.2016 weist für die Schicht der Klägerin - unstreitig - einen Betrag von -8,10 Euro aus. Die übrigen Nichteingaben der Klägerin seien, so der Beklagte, aus der beigefügten Analyseliste (Bl. 40f. d. A.) ersichtlich. Der Revisionsbericht für die Schicht der Klägerin am 13.11.2015 weist - unstreitig - einen Betrag von - 0,40 Euro auf.
38Die Eingaben der Klägerin in die Sortimentskasse könnten, so der Beklagte weiter, anhand der Journalrolle, die alle Eingaben mit Uhrzeit protokolliere und die er für den 13.11.2015 und 29.01.2016 auszugsweise mit Schriftsatz vom 18.07.2016 vorgelegt hat (Bl. 118ff. d. A.), nachgewiesen werden. Die Uhrzeit der Sortimentskasse und die des Videoaufnahmegeräts wichen konstant voneinander ab, und zwar am 13.11.2015 um 30 Minuten, am 29.01.2016 um 27 Minuten. Das gesamte Videomaterial könne der Klägerin nicht zur Verfügung gestellt werden, da die Konvertierung in ein üblich abspielbares Format bei einem Datenvolumen von mehreren 100 GB enorm zeitaufwändig sei. Für weitere prozessrelevante Videosequenzen könne das Originalgerät mitgebracht werden.
39Die Klägerin habe das Geld auch entwendet. Denn wenn die Klägerin Waren nicht in die Kasse eingebe und das Geld nicht entwendet hätte, hätte der Kassenbericht ein entsprechendes Plus ausweisen müssen, was unstreitig nicht der Fall gewesen sei. Am 30.01.2016 habe die Klägerin offenbar 334,60 Euro entwendet; in dieser Höhe habe es einen Kassenfehlbestand gegeben, den sie nicht habe erklären können.
40In einem Gespräch mit der Revisionsmitarbeiterin W und der Objektbetreuerin B - dessen Zeitpunkt nicht aktenkundig ist - habe die Klägerin nach der Schadenshöhe und einer Wiedergutmachung gefragt.
41Die von der Klägerin behauptete Arbeitsanweisung gebe es nicht. Es handele sich um eine reine Schutzbehauptung, zumal die Klägerin ausweislich der Videoaufzeichnungen auch größere Beträge in die Sortimentskasse gelegt habe.
42Die zulässige Videoüberwachung werde zur Aufklärung von Straftaten Dritter, zur Klärung von Unstimmigkeiten zwischen Mitarbeitern und Kunden und bei größeren Gewinnausschüttungen genutzt.
43Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten sei. Die Videoauswertung sei sehr komplex; zur Auswertung einer einzigen Schicht von sechs Stunden würden etwa 10 Stunden benötigt, da die einzelnen, in Echtzeit vorliegenden Sequenzen vor- und zurückgespult werden müssten. Zudem gebe es nicht nur die Filiale, in der die Klägerin tätig war. Die Vorgänge würden nach Eingang abgearbeitet. Die Straftaten der Klägerin seien am 15.04.2016 final nachgewiesen worden.
44Der Beklagte hat weiter geltend gemacht, dass die Klägerin verpflichtet sei, an ihn einen Schadensersatz in Höhe von 10.922,42 Euro zu zahlen.
45Hierzu hat er behauptet, dass sich der Warenschwund in der Filiale der Klägerin vom 01.11.2015 bis zum 29.02.2016 auf 9.660,82 Euro netto belaufen habe. Die Netto-Gewinnmarge liege bei den 19%-umsatzsteuerpflichtigen Waren (Tabak) in allen seinen Filialen, auch in der Filiale in L, bei 10,6% vom Bruttoeinkaufswert oder etwas höher. Im Zeitraum 01.11.2015 bis zum 29.02.2016 habe die Gewinnmarge in der Filiale in L jedoch nur 6,39% betragen. Somit ergebe sich ein Warenschwund in Höhe von 4,21 % (10,6% - 6,39%). In der Filiale in L habe sich vom 01.11.2015 bis zum 29.02.2016 Ware im Einkaufswert von 212.020,97 Euro inkl. Umsatzsteuer (Bruttoeinkaufswert) befunden. Die Klägerin habe im gleichen Zeitraum Ware im Wert von 229.473,26 Euro inkl. Umsatzsteuer (Bruttoverkaufswert) verkauft. Die Differenz von 4,21% mache demnach einen Betrag von 9.660,82 Euro netto aus, für den die Klägerin einzustehen habe. Die Videoauswertung habe für die anderen, in der Filiale tätigen Mitarbeiterinnen keinen Befund ergeben.
46Zum Schaden hinzuzurechnen seien 1.092 Euro als Kosten für die Videoauswertung, die bislang (Stand des Schriftsatzes vom 25.05.2016) 60 Stunden gedauert habe und zur Aufklärung der Straftaten der Klägerin erforderlich gewesen sei. Letztlich sei noch der Kassenfehlbetrag vom 30.01.2016 in Höhe von 334,60 Euro hinzuzurechnen. Einen Teilbetrag von 165 Euro verrechne er mit dem aus seiner Sicht noch allein bestehenden Entgeltfortzahlungsanspruch der Klägerin für den Zeitraum vom 13.04. bis 23.04.2016, der sich auf diesen Betrag belaufe und der Klägerin grundsätzlich noch zustehe.
47Inzwischen, so hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 18.07.2016 geltend gemacht, sei die Videoaufzeichnung eines weiteren Tages, nämlich des 13.02.2016, analysiert worden. Die Klägerin habe demnach einen Betrag von 325 Euro nicht in die Kasse eingegeben. Aus den drei konkret angegebenen Tagen (13.11.2015, 29.01.2016 und 13.02.2016), die den Zeitraum, für den die Gewinnmarge geltend gemacht werde, ausreichend abdeckten, errechne sich ein Durchschnittsunterschlagungsbetrag von 340 Euro pro Arbeitstag. Bei 35 Arbeitstagen der Klägerin im Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 29.02.2016 ergebe sich demnach ein Betrag von 11.900 Euro. Dies zeige, dass die Größenordnung des nach der Gewinnmarge errechneten Schadens zutreffe.
48Das Arbeitsgericht Gelsenkirchen hat mit Urteil vom 03.08.2016 der Klage mit Ausnahme des Unterlassungsantrags stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Es hat seine Entscheidung wesentlich wie folgt begründet:
49Das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung der Klägerin fristgemäß zum 15.05.2016 beendet worden. Die fristlose Kündigung des Beklagten sei rechtsunwirksam.
50Soweit der Beklagte behaupte, die Klägerin habe am 13.11.2015 190 Euro, am 29.01.2016 504 Euro, am 30.01.2016 334,60 Euro und am 13.02.2016 325 Euro unterschlagen, sei dies - mit Ausnahme der einzelnen Beträge von 15 Euro und 50 Euro am 29.01.2016 - nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Der Beklagte habe es - mit Ausnahme der beiden Einzelbeträge von 15 Euro und 50 Euro - bei dem Verweis auf die beigefügten tabellarischen Übersichten belassen. Auch der Verweis auf die vorgelegten DVDs mit den Videosequenzen vom 13.11.2015 und 29.01.2016 ersetze nicht den Sachvortrag. Die Inaugenscheinnahme der Videosequenzen liefe - unabhängig von der Frage der Zulässigkeit im Hinblick auf § 32 BDSG - mit Ausnahme der Vorgänge am 29.01.2016 um 14.33 Uhr (Betrag von 15 Euro) und um 16.06 Uhr (Betrag von 50 Euro) auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus.
51Auch soweit der Beklagte behaupte, die Klägerin habe am 30.01.2016 den Kassendifferenzbetrag von 334,60 Euro unterschlagen, da sie den Fehlbetrag nicht habe erklären können, fehle jeglicher konkrete Sachvortrag. Sofern der Beklagte behaupte, die Klägerin habe am 29.01.2016 um 14.33 Uhr (Systemzeit Videogerät) 15 Euro nicht eingebongt und um 16.06 Uhr (Systemzeit Videogerät) 50 Euro nicht eingebongt, sei dies zwar hinreichend konkret und auch geeignet, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darzustellen. Ob diese Vorwürfe zuträfen und die Verwertung der Videoaufnahmen zulässig sei, könne allerdings dahinstehen. Denn der Beklagte habe nicht hinreichend dargelegt, dass die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt worden sei. Die pauschale Behauptung, die Straftaten seien der Klägerin am 15.04.2016 final nachgewiesen worden, genüge nicht. Es sei schon unklar, was der Beklagte mit einem „finalen“ Nachweis der Straftaten meine; es sei nicht ersichtlich, wann welche Erkenntnisse gewonnen worden seien. Gleiches gelte auch für die behaupteten Unterschlagungen vom 30.11.2015 und 30.01.2016, wenn man sie überhaupt als hinreichend substantiiert dargelegt ansehen wollte.
52Die Klägerin habe gegen den Beklagten gemäß § 11 Abs. 1 BUrlG, §§ 3, 4 EFZG und § 615 Satz 1 BGB Anspruch auf Zahlung der Vergütungen für April 2016 in Höhe von 450 Euro brutto und für Mai 2016 in Höhe von 225 Euro brutto zzgl. Verzugszinsen. Der Anspruch sei nicht gemäß § 389 BGB durch Aufrechnung in Höhe von 165 Euro erloschen. Es sei schon nicht klar, auf welche konkrete Schadensersatzforderung sich die Aufrechnung beziehe (Warenschwund, Videoauswertung oder Kassendifferenzbetrag). Zudem handele es sich bei dem Anspruch der Klägerin um nach § 850c ZPO unpfändbares Einkommen. Darüber hinaus sei die gemäß § 387 BGB erforderliche Gleichartigkeit der Forderungen nicht ersichtlich, da es sich bei dem Schadensersatzanspruch des Beklagten um eine Nettoforderung handele, bei dem Entgeltfortzahlungsanspruch der Klägerin hingegen um eine Bruttoforderung.
53Die Widerklage sei unbegründet. Der Beklagte habe gegen die Klägerin keinen Schadensersatzanspruch nach § 280 BGB oder § 823 BGB i. V. m. §§ 249ff. BGB in Höhe von 10.922,42 Euro. Soweit der Beklagte behaupte, die Gewinnmarge in der Filiale der Klägerin habe normalerweise bei 10,6% (oder höher) gelegen, im Zeitraum vom 01.11.2015 bis 29.01.2016 tatsächlich nur bei 6,39 %, so dass bei Waren mit einem Bruttoeinkaufswert von 229.473,26 Euro ein Warenschwund von 9.660,82 Euro (4,21%) festzustellen und der Klägerin zuzuordnen sei, werde daraus schon nicht ersichtlich, weshalb die Klägerin für jegliche Abweichung von der erwarteten Gewinnmarge der gesamten Filiale einzustehen haben soll, etwaige Pflichtverletzungen also kausal für den geltend gemachten Schaden sein sollen. Auch sei der Warenwert von 229.473,26 Euro von der Klägerin bestritten worden, so dass es dem Beklagten oblegen hätte, konkret darzulegen, welche Waren wann mit welchem Einkaufs- bzw. Verkaufswert eingekauft und wieder verkauft worden seien. Dem Beklagten hätte es angesichts der bestrittenen Gewinnmarge von 10,6% oblegen, konkret darzulegen, wie er diese - bezogen auf die Filiale der Klägerin - ermittelt hat und inwieweit diese tatsächlich vor November 2015 sowie ab April 2016 erreicht worden ist. Soweit der Beklagte des Weiteren den Ersatz von 1.092 Euro für die 60stündige Auswertung der Videoaufnahmen verlangt, ist auch dies unsubstantiiert. Ob der Aufwand der Auswertung der Klägerin überhaupt in Rechnung gestellt werden dürfe, könne daher dahinstehen.
54Hinsichtlich der Erstattung eines Kassenfehlbetrags von 334,60 Euro vom 30.01.2016 sei auch insoweit nicht dargelegt, inwieweit die Klägerin dieses Geld unterschlagen bzw. ansonsten für den Fehlbetrag einzustehen habe. Bei offensichtlich nicht getroffener Mankoabrede setze eine sonstige vertragliche oder deliktische Haftung der Klägerin eine schuldhafte Pflichtverletzung voraus. Hierzu fehle jeglicher konkrete Vortrag des Beklagten.
55Gegen das ihm am 16.09.2016 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat der Beklagte 11.10.2016 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 16.12.2016 - mit am 16.12.2016 beim Landesarbeitsgericht eingereichtem Schriftsatz begründet.
56Unter Bezugnahme auf seinen erstinstanzlichen Prozessvortrag behauptet er zu seiner Verurteilung zu Ziff. 3, er habe der Klägerin ein qualifiziertes Arbeitszeugnis erteilt.
57Im Rahmen stichprobenartiger Ermittlungen habe seine Innenrevision, so das Vorbringen des Beklagten, festgestellt, dass insbesondere Tabakwaren im Bestand der Filiale L fehlten. Die in seinen Filialen durchgeführte Videoüberwachung sei die einzige Möglichkeit, den Kassenbereich zu überwachen; von der Überwachung hätten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch Kenntnis. Im Rahmen einer dreitägigen Schulung zu Beginn der Tätigkeitsaufnahme sowie wiederkehrend jährlich im November würde die gesamte Belegschaft auf die Videoaufzeichnung hingewiesen und mit den Geschäftsabläufen und geltenden Regelungen vertraut gemacht.
58Am 19.03.2016 sei bei ihm eine stichprobenartige Revision durchgeführt worden, die sich auf das 4. Quartal 2015 erstreckt habe. Unmittelbar danach sei die Entnahme des Videogeräts aus der Filiale in L angeordnet worden wegen aufgetretener Verdachtsmomente gegen die Klägerin (Warenverlust, unstimmige Kassiervorgänge). Zu dem Zeitpunkt habe nicht festgestanden, wer konkret für den Warenverlust verantwortlich gewesen sei. Die zeitaufwendige Analyse (für eine Arbeitsschicht von sechs Stunden würden etwa 10 Analysestunden benötigt) des Videomaterials sei im Zeitraum 05. bis 14.04.2016 durch die dafür abgestellt Sachbearbeiterin G erfolgt. Über die Ergebnisse der Videoaufzeichnungen und der daraus für ihn ersichtlichen Taten der Klägerin habe er am 15.04.2016 nach persönlicher Inaugenscheinnahme Kenntnis erlangt. Unmittelbar danach habe er entschieden, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos zu kündigen.
59Die Klägerin, die im Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 31.03.2016 an 42 Kalendertagen gearbeitet habe, habe am 13.11.2015 zumindest 190,00 Euro an sich genommen, am 29.01.2016 zumindest 504,00 Euro. Die Auswertung des Videomaterials ab dem 01.11.2015 bis zum Tag des Kündigungszugangs habe keine Erkenntnisse über ein Fehlverhalten der anderweitigen in der Filiale L tätigen Mitarbeiter ergeben. Am 30.01.2016 habe die Klägerin einen Differenzbetrag von 334,60 Euro verursacht, den sie auf Nachfrage nicht habe erläutern können. Zu Lasten der Klägerin ergebe sich hinsichtlich des 13.02.2016 ein durch diese nicht in das Kassiersystem eingegebener Betrag von 325,00 Euro. Für die Einzelheiten der gegenüber der Klägerin erhobenen Vorwürfe bezogen auf die Daten 13.11.2015, 29.01.2016 und 13.02.2016 wird verwiesen auf Bl. 184 bis 191 d. A.
60Weitere private Vereinnahmungen von Bargeldbeträgen durch die Klägerin behauptet der Beklagte für das Datum 13.02.2016. Für die Einzelheiten wird verwiesen auf Bl. 191 bis 193 d. A.
61Die Klägerin habe am 13.11.2015, am 25.05.(sic!) 2016 und am 13.02.2016 in der Filiale in L allein Dienst gehabt. Während der relevanten und vorgetragenen Zeiten seien die ebenfalls in der Filiale L beschäftigten Mitarbeiterinnen Z, T, D und V dort nicht tätig gewesen.
62Auf den Bl. 196 bis 311 d. A. stellt der Beklagte nach seiner Behauptung anhand von Eingangsrechnungen den Bestand der Tabakwaren - bezogen ausschließlich über „DTV“ - im Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 29.02.2016 dar, und zwar unter Einfügung in die Berufungsbegründung von kopierten Listen hinsichtlich der in seinen Warenbestand aufgenommenen Tabakwaren (so für den 06.11.2015 Kopien Bl. 198 bis 204 d. A., die am Ende auf Bl. 204 d. A. einen Rechnungsbetrag von 15.737,78 Euro brutto aufweisen).
63Für die Zeitschriftenlieferungen im Zeitraum 09.11.2015 bis 28.02.2016 und deren Rechnungswerte wird verwiesen auf den entsprechenden Vortrag des Beklagten auf Bl. 311 d. A., der zusätzlich umfasst 16 Kopien von Rechnungen der PMG Print Medien Gesellschaft sowie Kopien der Kassenberichte vom 01.11.2015 bis 29.02.2016 (vier Seiten).
64Danach, so der Beklagte, stehe unter Berücksichtigung der Revisionsberichte der jeweils in den Schichten tätigen Mitarbeiter und des registrierten Warenein- und -ausgangs nach Ermittlung der Innenrevision für den Zeitraum vom 30.11.2015 bis zum 29.02.2016 ein Warenverlust im Bereich Tabak von 9.660,82 Euro netto für die Filiale L fest.
65Die Gewinnmarge werde im Wege der Rückkalkulation vom Bruttoverkaufswert ermittelt, sie liege - netto - bei den Waren im Tabakbereich in allen Filialen bei 10,6 % vom Bruttoeinkaufswert bzw. leicht höher. In der Filiale L habe sich im Zeitraum 01.11.2015 bis 29.02.2016 Ware im Einkaufswert von 212.020,97 Euro inklusive Umsatzsteuer befunden; die Klägerin habe in diesem Zeitraum Ware im Wert von 229.473,26 Euro inklusive Umsatzsteuer (Verkaufswert) verkauft.
66Der Beklagte beantragt,
67das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 03.08.2016, Az. 2 Ca 766/16, zugestellt am 16.09.2016 teilweise abzuändern, die Klage abzuweisen und hinsichtlich der Widerklage nach dem Schlussantrag des Beklagten erster Instanz zu entscheiden.
68Die Klägerin beantragt,
69die Berufung vollumfänglich abzuweisen.
70Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend; der Beklagte sei seiner Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen. Es bleibe insbesondere sein Geheimnis, zu welchen konkreten Zeiten bei der Videoauswertung welche „Taten“ erkannt worden seien. Der jetzige Vortrag des Beklagten sei als verspätet zurückzuweisen. Zudem sei die Videoüberwachung schon deshalb rechtswidrig, da sie in diese nicht eingewilligt habe. Ebensowenig habe der Beklagte eine Dokumentation tatsächlicher Anhaltspunkte für den Verdacht einer Straftat nicht vorgelegt (§ 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG). Auch greife das gesetzliche Nutzungsverbot des § 4 Abs. 1 BDSG, welches mitumfasse die gerichtliche Beweiserhebung und -verwertung.
71Sie bestreite weiterhin, Waren bzw. Gelder unterschlagen zu haben. Die Klägerin erklärt sich mit Nichtwissen dazu, dass im Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 31.03.2016 Warenbestände verschwunden seien. Hierzu müsse der Beklagte zunächst den Warenbestand zum 01.11.2015 darlegen und sodann die weiteren Wa-renzu- und -abgänge einschließlich unbrauchbarer oder reklamierter Ware angeben. Wie der Beklagte zu einer zu erwartenden Gewinnmarge von 10,6% für den angegebenen Zeitraum komme, bestreite sie und könne sie zudem nicht nachvollziehen. Auch erklärt sich die Klägerin mit Nichtwissen zu der Behauptung des Beklagten, in der Filiale hätten sich in dem angegebene Zeitraum Waren im Einkaufswert von 212.020,97 Euro brutto befunden; ebenso, dass sie in diesem Zeitraum Waren im Wert von 229.473, 26 Euro brutto verkauft habe. Bei den vorgelegten Kopien fehlten die Anschrift der Filiale, der Absender, Angaben zum Lieferanten und das Datum. Mit Nichtwissen erklärt sich die Klägerin des weiteren zu der Behauptung des Beklagten, es handele sich bei der Rechnung vom 08.11.2015 um eine für die Filiale L; es werde bestritten, dass die aufgelisteten Waren am 06.11.2015 an die dortige File geliefert worden seien. Zu der Lieferung vom 10.11.2015 trägt die Klägerin unter anderem vor, der Beklagte habe ersichtlich die Rechnungsköpfe unkenntlich gemacht. Hinsichtlich des weiteren Bestreitens der Klägerin wird auf die Einzelheiten auf Bl. 553 bis 456 d. A. verwiesen.
72Zu den Anlagen in der Berufungsbegründung führt die Klägerin aus, es werde bei ihnen deutlich, weshalb der Beklagte die Rechnungsköpfe entfernt habe. In den Aufstellungen würden u.a. zwei Artikelnummern genannt, welche in der einen Aufstellung mit der Mengenangabe 1 / 2 geführt würden, um auf einer anderen Seite mit der Mengenangabe 1 / 3 noch einmal aufzutauchen. Dies bedeute, dass der Beklagte die Ausstellungslisten verschiedener Lieferungen nach seinem Belieben zusammenmische, es sich aber tatsächlich um verschiedene Listen aus verschiedenen Lieferscheinen handele.
73Der Beklagte vertritt die Ansicht, das Bestreiten der Klägerin sei prozessual unzulässig. Denn die Klägerin habe positive Kenntnis davon, dass er die in den Rechnungen dokumentierten Waren jeweils an den angegebenen Daten in den angegebenen Mengen zu den ferner ausgewiesenen Preisen erhalten habe, weil sie in der Filiale tätig gewesen sei. Er überreiche noch einmal in Kopie die vollständigen Rechnungen (für die Einzelheiten s. Bl. 491 f. d. A.).
74Sämtliche Waren, die in den Rechnungen ausgewiesen seien, seien bezogen auf den Tag der in den Rechnungen ausgewiesenen Lieferungen auch in seiner Filiale in L eingegangen. – Dies bestreitet die Klägerin auch zuletzt.
75Wegen des weiteren tatsächlichen Vorbringens der Parteien wird auf deren wechselseitige Schriftsätze nebst sämtlicher Anlagen sowie auf die Protokolle der öffentlichen Sitzungen in erster und zweiter Instanz verwiesen, die insgesamt Gegenstand der letzten mündlichen Verhandlung waren.
76Entscheidungsgründe
77Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber im Wesentlichen unbegründet.
78I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen
79vom 03.08.2016 ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b und c, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 517 ff. ZPO an sich statthaft und auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist damit zulässig.
80II. In der Sache erweist sich das Rechtsmittel ganz überwiegend als unbegründet. Die Klägerin hat zwar keinen Anspruch (mehr) auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses; insoweit war das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern (1.). Im Übrigen hingegen bleibt die Berufung erfolglos.
81Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung des Beklagten zum 22.04.2016 aufgelöst, sondern fand sein Ende aufgrund der Eigenkündigung mit dem 15.05.2015 (2.). In Folge hat die Klägerin gegen den Beklagten Anspruch auf Vergütung für den Zeitraum 01.04. bis 15.05.2016 nebst Zinsen (3.). Die Widerklage ist unbegründet (4.).
821. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses (§ 109 Abs. 1 Satz 3 GewO).
83Der Beklagte hat der Klägerin nach seinem unbestritten gebliebenen Vorbringen ein wohlwollendes und qualifiziertes Arbeitszeugnis erteilt und damit den gesetzlichen Anspruch der Klägerin erfüllt.
842. Die außerordentliche Kündigung des Beklagten, schriftlich gegenüber der Klägerin unter dem 21.04.2016 erklärt, hat das Arbeitsverhältnis nicht zum 22.04.2016 aufgelöst. Denn diese fristlos erklärte Kündigung ist gemäß § 626 BGB rechtsunwirksam.
85a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller V des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen V „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG, 20.10.2016 – 6 AZR 471/15, NZA 2016, 1527; BAG, 17.03.2016 – 2 AZR 110/15 m.w.N.). Für die Beurteilung des Vorliegens eines wichtigen Grundes im Sinne des Gesetzes ist der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung maßgeblich.
86Gemäß § 626 Abs. 2 BGB hat der Kündigende die zweiwöchige Ausschlussfrist einzuhalten. Die außerordentliche Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erklärt werden. Die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB beginnt nach Satz 2 der Vorschrift mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Selbst eine grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang (BAG, 16.07.2015 – 2 AZR 85/15, NZA 2016, 161; BAG, 12.02.2015 - 6 AZR 845/13, NZA 2015, 741; BAG; 22.11.2012, NZA 2013, 665). Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände (BAG, 22.11.2012 - Rn. 30 m.w.N., NZA 2013, 665). Der Kündigungsberechtigte, der gewisse Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und dazu auch den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen und mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen. Für die Ermittlungen gilt mit Ausnahme des Falls der Anhörung des Kündigungsgegners keine Regelfrist. Es ist fallbezogen zu beurteilen, ob sie hinreichend zügig betrieben wurden (BAG, 31.03.1993 - 2 AZR 492/92, BAGE 73, 42; BAG, 10.06.1988 - 2 AZR 25/88 - zu III 3 c der Gründe).
87Der Kündigungsberechtigte ist für die Einhaltung der Ausschlussfrist darlegungs- und beweispflichtig (BAG in st. Rspr., so bereits BAG, 17.08.1972 - 2 AZR 359/71). Derjenige, der eine Kündigung aus wichtigem Grund ausspricht, muss darlegen und ggf. beweisen, dass er von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erst innerhalb der letzten zwei Wochen vor ihrem Ausspruch erfahren hat. Der Kündigende muss die Umstände schildern, aus denen sich ergibt, wann und wodurch er von den maßgebenden Tatsachen erfahren hat. Um den Zeitpunkt, in dem der Wissensstand des Kündigungsberechtigten ausreicht, bestimmen zu können, und um es dem Gekündigten zu ermöglichen, die behauptete Schilderung zu überprüfen und gegebenenfalls qualifiziert zu bestreiten, muss grundsätzlich angegeben werden, wie es zu der Aufdeckung des Kündigungsgrundes gekommen sein soll (BAG, 17.08.1972 - 2 AZR 359/71 a.a.O. m.w.N.). Hat der Kündigungsberechtigte noch Ermittlungen durchgeführt, muss er hierzu weiter darlegen, welche Tatsachenbehauptungen unklar und daher ermittlungsbedürftig waren, und welche - sei es auch nur aus damaliger Sicht - weiteren Ermittlungen er zur Klärung der Zweifel angestellt hat (BAG, 01.02.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744).
88b) Unter Anwendung dieser Grundsätze, die insbesondere die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aufgestellt hat und denen sich die erkennende Berufungskammer anschließt, muss sich die Kündigung als rechtsunwirksam erweisen.
89Es kann insoweit unentschieden bleiben, ob der Beklagte die von ihm behaupteten Unterschlagungen von Geldbeträgen durch die Klägerin am 13.11.2015, 29.01.2016 30.01.2016 und 13.02.2016 hinreichend substantiiert darzulegen vermocht hat. Mit dem Arbeitsgericht geht allerdings auch die Kammer davon aus, dass der Verweis des Beklagten auf die vorgelegten DVDs und die darauf befindlichen Videosequenzen den Sachvortrag nicht ersetzt. Dahinstehen kann auch, ob zumindest das Vorbringen des Beklagten zu den von der Klägerin nicht eingebongten Beträgen von 15 und 50 Euro am 29.01.2016 hinreichend substantiiert ist und die außerordentliche Kündigung an sich zu rechtfertigen vermag.
90Jedenfalls vermochte der Beklagte nicht hinreichend darzutun, dass er bei der Kündigung vom 21.04.2016 die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten hat.
91Das Berufungsgericht folgt insoweit den zutreffenden Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts, § 69 Abs. 2 ArbGG, und sieht von einer lediglich wiederholenden eigenen Darstellung ab. Die Berufung des Beklagten gibt Anlass zu den nachstehenden Anmerkungen:
92Soweit der Beklagte bei seinem erstinstanzlichen Vorbringen verbleibt, von den Taten der Klägerin erst am 15.04.2016 Kenntnis erlangt zu haben, führt seine Schilderung, aufgrund welcher Umstände er gerade und erst zu diesem Zeitpunkt positive Kenntnis vom Kündigungssachverhalt hatte, nicht dazu, die Wahrung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB annehmen zu können. Insbesondere trägt der Beklagte nicht hinreichend dazu vor, wie es zu der Aufdeckung des Kündigungsgrundes gekommen sein soll. Das Vorbringen, die Innenrevision habe im Rahmen stichprobenartiger Ermittlungen festgestellt, dass Waren, insbesondere Tabakwaren, in dem Warenbestand der Filiale L fehlten, bleibt in zeitlicher Hinsicht völlig unbe-stimmt und kann daher keinen Aufschluss darüber geben, ob die gesetzliche Zweiwochenfrist eingehalten wurde. Es kann mit dem nur pauschal gehaltenen Vortrag der Zeitpunkt, in dem der Wissensstand des Kündigungsberechtigten ausreicht, nicht bestimmt werden. Gleiches gilt für die weiteren Darlegungen des Beklagten, es sei am 19.03.2016 eine stichprobenartige Revision durchgeführt worden, die sich auf das 4. Quartal 2015 erstreckt habe. Auch in diesem Zusammenhang trägt der Beklagte nicht vor, was denn in Bezug auf den angeblich festgestellten (Tabak-)Warenschwund in der Filiale L unklar und daher weiter ermittlungsbedürftig war. Auch erfolgt kein Vortrag dazu, welche Verdachtsmomente sich in Bezug auf die Klägerin nach der Revision am 19.03.2016 ergeben haben sollen. Der Beklagte spricht insoweit zwar von Verdachtsmomenten gegen die Klägerin wegen Warenverlusts und unstimmiger Kassiervorgänge, erklärt sich weitergehend indes nicht. Darüber hinaus erläutert der Beklagte nicht, warum es für ihn nicht schon nach dem 19.03.2016 festgestanden habe, welche Belegschaftsangehörige für den „wahren Verlust“ als verantwortlich zu individualisieren war. Unklar bleibt somit, ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht bereits direkt nach der Revision vom 19.03.2016 anlief. All dies gehört zur Darlegungspflicht des Kündigenden in Bezug auf die Einhaltung der Ausschlussfrist. Auch hätte an dieser Stelle der Beklagte dazulegen gehabt, warum er trotz der Verdachtsmomente (s.o.: welcher?) noch Ermittlungen habe durchführen müssen, weil bestimmte, von ihm ebenfalls darzustellende Sachverhalte ermittlungsbedürftig waren. Nicht mitgeteilt hat der Beklagte zudem, wann nach dem 19.03.2016 die Entnahme des Videogeräts aus der Filiale L angeordnet wurde. Es erschließt sich nämlich nicht ohne weiteres, dass die nachfolgend angestellten Ermittlungen des Beklagten mit der gebotenen Eile durchgeführt wurden, wenn nach seinem Vorbringen die Analyse des Videomaterials im Zeitraum vom 05. bis zum 14.04.0216 erfolgte. Sollte der Vortrag des Beklagten zur unverzüglichen Entnahme des Videogeräts als unverzüglich im Rechtssinne, nämlich ohne schuldhaftes Zögern, zu verstehen sein, hätte die Analyse des Videomaterials am (Montag) 21.03.2016 einsetzen müssen. Die nach Angaben des Beklagten für die Auswertung des Videomaterials zuständige Sachbearbeiterin G hätte die Analyse über einen Zeitraum von drei Tagen vornehmen können und müssen. Im Übrigen erschließt sich nicht, warum der Beklagte nicht einen anderen Beschäftigten als die Arbeitnehmerin G, die sich in der Zeit vom 24.03. bis zum 02.04.2016 in einem Erholungsurlaub befand, mit der Analyse betraut hat. Allein der Hinweis auf die Zuständigkeit der Sachbearbeiterin G kann nicht verfangen. Zumindest hätte der Beklagte Ausführungen dazu machen müssen, warum kein anderer Arbeitnehmer (etwa fachlich) in der Lage gewesen sein soll, die Videoauswertung durchzuführen. Zudem bleibt unklar, wann genau im Zeitraum vom 05. bis zum 14.04.2016 bei der Auswertung des Videomaterials die zuverlässige Kenntnis des Beklagten über den Kündigungssachverhalt vorlag. Denn auch hiervon hängt ab, ob der Zugang der streitigen Kündigung mit dem 22.04.32016 noch innerhalb der gesetzlichen Frist des § 626 Abs. 2 BGB lag.
93Nach dem Gesamtvorbringen des Beklagten kann daher weder der Beginn des Laufs der zweiwöchigen Ausschlussfrist am 15.04.2016 noch eine mit der gebotenen Eile durchgeführte zügig betriebene Ermittlung des Kündigungssachverhalts angenommen werden.
943. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit dem 22.04.2016, sondern erst aufgrund der (Eigen-)Kündigung der Klägerin zum 15.05.2016 sein Ende fand, hat die Klägerin, wie das Arbeitsgericht zutreffend befunden hat, Anspruch gegen den Beklagten auf Vergütung für den Zeitraum 01.04. bis 15.05.2016 in unstreitiger von insgesamt 675 Euro brutto, § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 EFZG, § 615 Satz 1 BGB. Für die Berechnung im Einzelnen wird auf Punkt 2.1 der erstinstanzlichen Entscheidungsgründe (Bl. 143 d. A.) verwiesen.
95Zinsen stehen der Klägerin in beanspruchter Höhe zu aus §§ 286, 614, 288 Abs. 1 BGB.
964. Die Widerklage ist nicht begründet.
97Der Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Schadensersatz nach § 280 BGB bzw. § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit §§ 249 ff. BGB in Höhe von 10.922,42 Euro.
98Das Berufungsgericht folgt den zutreffenden Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts, § 69 Abs. 2 ArbGG, und sieht von einer lediglich wiederholenden eigenen Darstellung ab. Die Berufung des Beklagten gibt Anlass zu den nachstehenden Anmerkungen:
99Der von dem Beklagten mit seiner Widerklage verlangte Betrag setzt sich zusammen aus drei Positionen. Zunächst betrifft der höchste Teilbetrag von 9.660,82 Euro (netto) einen behaupteten Warenschwund in der Filiale L in der Zeit vom 30.11.2015 (vgl. Bl. 23 d. A.) bzw. 01.11.2015 bis zum 29.02.2016 (a)). Darüber hinaus begehrt der Beklagte von der Klägerin einen Betrag von 1.092,00 Euro für die Auswertung von Videobändern (b)), schließlich 334,60 Euro aus einem Kassenfehlbestand (c)). Das nicht an die Klägerin ausgezahlte Entgelt für April 2016 in Höhe von 165,00 Euro hat der Beklagte nach seinem Vortrag verrechnet mit der Schadensersatzforderung.
100Auf sämtliche Schadensersatzbeträge besteht kein Anspruch.
101a) Soweit der Beklagte die Klägerin wegen eines behaupteten Warenschwunds in Anspruch nimmt, scheitert ein solcher Anspruch zum einen an dem substantiiert nicht dargelegten Schaden, der dem Beklagten entstanden sein soll, zum anderen an einer ebensowenig dargelegten schuldhaften Verletzungshandlung der Klägerin.
102aa) Der Beklagte hat es nicht vermocht, einen ihm entstandenen Schaden in Höhe von 9.660,82 Euro substantiiert darzutun. Auch die Berufung lässt an keiner Stelle erkennen, dass sich, wie der Beklagte behauptet hat, in der Filiale L im Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 29.02.2016 Ware im Einkaufswert von 212.020,97 Euro inklusive Umsatzsteuer befunden haben. Der Beklagte legt zwar auf Bl. 197 bis 313 d. A. dar, welche Waren er beginnend mit dem 06.11.2015 in den Warenbestand der Filiale L aufgenommen haben will. Wie sich der Warenbestand zum 01.11.2015 darstellte, lässt sich dem Vorbringen indes nicht entnehmen. Den von dem Beklagten vorgelegten und in die Berufungsbegründung eingefügten Kopien von Listen mit Artikel-Bezeichnungen sowie Rechnungen lässt sich ein Wareneinkaufswert von 212.020,97 Euro einschließlich Umsatzsteuer nicht entnehmen. Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 09.03.2017 erstmals - nach seiner Behauptung - vollständige Rechnungen über den Zeitraum 08.11.2015 bis 29.02.2016 vorlegt, führt eine Addition der Rechnungsbeträge, soweit diese überhaupt lesbar sind, nicht zu dem behaupteten Wareneinkaufswert. Unklar, da ohne substantiiertes Sachvorbringen des Beklagten bleibt auch, in welchem Umfang Warenlieferungen zur Retouren geführt haben, etwa wegen Beschädigung oder sonstiger Unbrauchbarkeit. Hinsichtlich der Warenentnahmen durch Verkauf fehlt ein substantiierter Vortrag des Beklagten gleichfalls. Die Behauptung eines Bruttoverkaufswerts von 229.473,26 Euro einschließlich Umsatzsteuer wird nicht nachvollziehbar dargelegt. Hierzu reicht nicht die Vorlage einer tabellarischen Auflistung der Innenrevision des Beklagten (vgl. Bl. 29 d. A.). Ebensowenig hinreichend ist die Behauptung, der Warenschwund habe bei 4,21 % des Bruttoverkaufswerts gelegen. Es ist insoweit nicht nachvollziehbar, dass der Beklagte von einer durchschnittlichen Gewinnmarge von 10,6 % (und mehr) ausgeht und behauptet, die Gewinnmarge habe sich in dem Zeitraum 01.11.2015 bis 29.02.2016 auf 6,39 % gemindert. Zwar hat der Beklagte in der Berufungsbegründung vorgetragen, die Gewinnmarge werde im Wege der Rückkalkulation vom Bruttoverkaufswert ermittelt, das heiße, er erwarte eine bestimmte Gewinnmarge, bezieht sich im Übrigen indes auf sein erstinstanzliches Vorbringen. Eine Gewinnerwartung ist jedoch nicht mit einer Gewinnmarge gleichzusetzen. Ohne konkrete Anhaltspunkte dazu, dass von einer Gewinnmarge in einer bestimmten Höhe auszugehen sei, kann ein bestimmter Punktwert einer Berechnung nicht zugrunde gelegt werden. Weshalb der Beklagte für den streitigen Zeitraum mit einer Gewinnmarge von (mindestens) 10,6 % ausgehen konnte, erschließt sich aus seinem Vorbringen nicht und ist auch sonst nicht nachvollziehbar. Damit ist im Ergebnis nicht hinreichend dargetan, dass die Klägerin in den streitigen Monaten tatsächlich Waren im Wert von 229.473,26 Euro brutto verkauft hat.
103bb) Schon das Arbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Verantwortlichkeit (gerade) der Klägerin für eine Abweichung von der Gewinnmarge in der Filiale nicht ersichtlich sei. Hierzu hat der Beklagte dargelegt, dass die Klägerin im Zeitraum vom 01.11.2015 bis zum 31.03.2016 an 42 Kalendertagen gearbeitet habe. Bereits dieses Vorbringen lässt keine sicheren Rückschlüsse darauf zu, dass die Klägerin einen bei dem Beklagten eingetretenen Schaden schuldhaft verursacht hat. Denn in der Filiale L waren neben der Klägerin unstreitig weitere vier Mitarbeiterinnen beschäftigt. Welchen eventuellen Anteil die Klägerin an einer Eigentumsschädigung des Beklagten hat, bleibt in jeder Weise unklar insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin in vier Monaten durchschnittlich nur gut zehn Arbeitstage monatlich in der Filiale tätig war. Völlig unzureichend dafür, ein schuldhaftes Verhalten der Klägerin anzunehmen, ist die zudem nur pauschale Behauptung des Beklagten, die Videoauswertungen hätten für die anderen Mitarbeiterinnen einen Befund bzw. ein Fehlverhalten nicht ergeben. Eingetretener Warenschwund wird sich im Zweifel nicht allein an aufgezeichneten Videosequenzen festmachen lassen.
104Soweit der Beklagte in seiner Berufungsbegründung der Klägerin vorwirft, am 13.11.2015, 29.01.2016, 30.01.2016 und 13.02.2016 Unterschlagungen begangen zu haben, lässt sich seinem Vorbringen für den 30.01.2016 und den 13.02.2016 schon nicht entnehmen, worin der Vorwurf gegenüber der Klägerin in Bezug auf die angeblich festgestellten Differenzbeträge liegt. Die weiteren Sachverhalte, betreffend den Vorwurf der Unterschlagungen am 13.11.2015 und 29.01.2016, bleiben, sofern sie von dem Beklagten nicht lediglich zur Begründung der Kündigung herangezogen werden sollen, insgesamt unsubstantiiert. Zwar trägt der Beklagte jeweils unter Angabe einer Uhrzeit ein Geschehen vor, das erkennen lassen soll, dass die Klägerin Geld für eigene Zwecke vereinnahmt hat. Das Vorbringen ist jedoch bereits deswegen nicht hinreichend konkret, weil zum einen die durch das Videosystem dokumentierten Uhrzeiten von den Uhrzeiten des Kassensystems abweichen und daher eine Zuordnung der einzelnen Sachverhalte nicht ermöglichen, zum anderen der Beklagte die Einbongvorgänge nicht substantiiert darlegt. Dass die Klägerin einen bestimmten, niedrigen Euro-Betrag eingebongt haben soll, wird schlicht behauptet, erschließ sich aber ohne nähere Erläuterung des Einbongvorgangs nicht. Eine Inaugenscheinnahme der Videosequenzen stellt einen unzulässigen Ausforschungsbeweis dar. Gleiches gilt für das Beweisangebot „Kopie der Kassenrolle“. Zwar hat der Beklagte erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 18.07.2016 einige Kopien der Journalrolle zur Akte gereicht. Diese lassen sich indes mangels Synchronizität der Uhrzeiten von Video- und Kassensystem einem konkreten Geschehen nicht zuordnen.
105b) Kein Schadensersatz kann der Beklagte von der Klägerin für Aufwendungen beanspruchen, die ihm für die Auswertung von Videobändern entstanden sind. Der Beklagte vermochte jedenfalls eine 60stündige Auswertung nicht substantiiert darzulegen. Es erschließt sich keineswegs, dass die Videoanalyse einer sechsstündigen Schicht einen Zeitraufwand von 10 Stunden erfordert. Mit einem Vor- und Zurückspulen allein kann dies jedenfalls nicht begründet werden. Zudem hat der Beklagte nicht dargelegt, dass er auch dem Grunde nach berechtigt war, den Aufwand der Auswertung der Klägerin in Rechnung zu stellen. Es wurde hierzu bereits ausgeführt, dass der Beklagte nichts zu gegen die Klägerin bestehenden konkreten Verdachtsmomente vorgetragen hat. Ein entsprechender Verdacht wäre allerdings Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs wegen angefallener Aufwendungen.
106c) Schließlich kann der Beklagte von der Klägerin im Wege des Schadensersatzes nicht 334,60 Euro wegen einer Kassendifferenz verlangen. Der Vorwurf, die Klägerin habe am 30.01.2016 einen Differenzbetrag von 334,60 Euro verursacht, bleibt schlichte Behauptung ohne jede Substanz. Dass die Klägerin dem Beklagten auf Nachfrage „diese Differenz“ nicht habe erläutern können, befreit den Beklagten nicht davon, im Einzelnen darzustellen, welches schuldhafte Verhalten er der Klägerin in dem Zusammenhang vorwirft. Hieran fehlt es.
107III. Die Kostenentscheidung berücksichtigt in ihrer Quotierung das wechselseitige Obsiegen und Unterliegen; sie beruht auf § 64 Abs. 6 ArbGG, § 92 Abs. 1 ZPO.
108Gründe, die Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Das Berufungsgericht ist der höchstrichterlichen Rechtsprechung gefolgt. Eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor.