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Auch nach einem Zeitablauf von 16 Jahren ist eine weitere vollstreckbare Ausfertigung nach § 733 ZPO zu erteilen, wenn der Gläubiger glaubhaft macht, dass ihm die damals erteilte vollstreckbare Ausfertigung verloren gegangen ist.
Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 16.12.2016 – 5 Ca 192/98 – wird zurückgewiesen.
Die Schuldnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auf 12.459,16 € festgesetzt.
Gründe:
2I. Die Schuldnerin wendet sich dagegen, dass das Arbeitsgericht eine weitere vollstreckbare Ausfertigung nach § 733 ZPO erteilt hat.
3Mit Schlussurteil vom 16.11.1999 wurde die Schuldnerin verurteilt, Vergütung in Höhe von 27.300,- DM brutto abzüglich gezahlter 15.496,- € netto und weitere 1.768,20 € netto sowie 10.018,- DM brutto und weitere 777,60 DM netto für die Jahre 1997 und 1998 zu zahlen. Das Urteil wurde der Beklagten am 23.12.1999 zugestellt und nach Prüfung durch einen Rechtsanwalt am 28.12.1999 nicht angegriffen.
4Die vollstreckbare Ausfertigung des rechtkräftigen Urteils wurde dem Gläubiger zu Händen seines damaligen Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt V am 29.12.1999 erteilt.
5Rechtsanwalt V verstarb im Jahre 2003. Ein Abwickler wurde von der Rechtsanwaltskammer nicht bestellt. Während die Notariatsakten in die amtliche Verwahrung beim zuständigen Amtsgericht gegeben wurden, wurden nach Auskunft seiner Witwe die Akten, Unterlagen und Dokumente der Anwaltskanzlei vernichtet.
6Mit Antrag vom 27.11.2015 beantragte der Gläubiger durch seinen neuen Prozessbevollmächtigten die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Schlussurteils. Mit eidesstattlicher Versicherungen erklärte er, dass die vollstreckbare Ausfertigung bei seinem damaligen Prozessbevollmächtigten verblieben und verloren gegangen sei, er hinsichtlich der ausgeurteilten Zahlungsansprüche über den Betrag von 15496,- netto hinaus keine Zahlungen erhalten habe und eine Vollstreckung nicht erfolgt sei.
7Mit Schriftsatz vom 11.03.2016 zeigten die Rechtsanwälte T pp. an, dass sie die rechtlichen Interessen der zwischenzeitlich umfirmierten Firma „H Autovermietung“ verträten, deren Inhaberin die Beklagte des Ausgangsverfahrens Frau H sei, und widersprachen der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung.
8Zur Begründung verwiesen sie darauf, dass der Gläubiger sein berechtigtes Interesse an einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung nicht substantiiert dargelegt habe. Es sei nicht plausibel, dass dem Gläubiger erst 18 Jahre später aufgefallen sein will, dass die vollstreckbaren Ausfertigungen verloren gegangen und bislang keine Vollstreckung bzw. Erfüllung erfolgt sein soll. Im Übrigen überwiege das Interesse der Schuldnerin. Die titulierten Ansprüche seien vollumfänglich erfüllt worden. Hierzu beruft sie sich auf ein Schreiben der Rechtsanwälte L und Partner vom 28.12.1999, die mit der Überprüfung der Erfolgsaussichten für die Durchführung des Berufungsverfahrens betraut waren. Aus diesem Schreiben ergebe sich, dass die Forderung in Höhe von 27.300,- DM brutto durch Zahlung in Höhe von 26.641,- DM erfüllt worden sei.
9Mit Beschluss vom 20.10.2016 hat der funktionell zuständige Rechtspfleger eine zweite vollstreckbare Ausfertigung erteilt. Die dagegen gerichtete Erinnerung vom 07.11.2016 hatte keinen Erfolg. Mit Beschluss vom 16.12.2016 hat das Arbeitsgericht Iserlohn die Erinnerung zurückgewiesen.
10Gegen den ihr am 19.12.2016 zugestellten Beschluss hat die Schuldnerin am 20.12.2016 sofortige Beschwerde eingelegt, der das Arbeitsgericht am 22.12.2016 nicht abgeholfen hat, sondern die sofortige Beschwerde dem Beschwerdegericht vorgelegt hat.
11Hinsichtlich weiteren Einzelheiten des Sachstandes wird auf die Verfahrensakte verwiesen.
12II. Die gemäß § 78 ArbGG i. V. m. §§ 567, 732 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Der Rechtspfleger des Arbeitsgerichts hat zu Recht und mit zutreffender Begründung eine weitere vollstreckbare Ausfertigung des Schlussurteils vom 16.11.1999 erteilt. Deswegen hat das Arbeitsgericht die Erinnerung auch zutreffend zurückgewiesen und der Beschwerde gegen den Beschluss nicht abgeholfen.
131. Eine zweite vollstreckbare Ausfertigung eines Titels darf gemäß § 733 ZPO nur erteilt werden, wenn die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung gemäß § 724 ZPO vorliegen und der Gläubiger ein zusätzliches Interesse an einer zweiten vollstreckbaren Ausfertigung hat und keine überwiegenden berechtigten Interessen des Schuldners entgegenstehen. Dadurch soll der Gefahr von Doppelvollstreckungen begegnet werden (hM. vgl. nur Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht 12. Aufl. 2010 § 16 Rn 140).
14Als zusätzliches Interesse für die Erteilung einer zweiten vollstreckbaren Ausfertigung wird nach einhelliger Meinung der Verlust der ersten Ausfertigung angesehen (vgl. nur Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, aaO § 16 Rn 140; Zöller-Stöber, 31. Auflage 2016, § 733 ZPO Rn 5; OLG Koblenz, 07.06.2013 – 3 W 295/13, juris; OLG Düsseldorf, 19.10.2012 – 7 W 56/12, juris). Der Verlust des Titels ist vom Gläubiger zu beweisen, wobei die Glaubhaftmachung gemäß § 294 ZPO ausreichend ist (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann 75. Aufl. 2017, § 733 ZPO Rn 7; vgl. auch LAG Niedersachsen, 23.05.2003 – 5 Ta 276/02, juris). Nach § 294 Abs. 1 ZPO kann sich der Gläubiger dabei aller Beweismittel bedienen einschließlich der Versicherung an Eides statt. In den Fällen der Glaubhaftmachung tritt an die Stelle des Vollbeweises eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung (vgl. Zöller-Greger, § 294 ZPO Rn 1). Zur Glaubhaftmachung genügt deshalb ein geringerer Grad der richterlichen Überzeugungsbildung. Eine Behauptung ist nämlich schon dann glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft. Das ist der Fall, wenn bei der umfassenden Würdigung der Umstände des jeweiligen Falls mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen (BAG, 07.11.2012 – 7 AZR 314/12, BeckRS 2013, 67122).
152. Das Arbeitsgericht hat zu Recht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür angenommen, dass der Titel tatsächlich verloren gegangen ist und damit das erforderliche zusätzliche Interesse des Gläubigers vorliegt.
16Dies ergibt sich nicht nur aus der eidesstattlichen Versicherung des Gläubigers, sondern auch aus den übrigen Umständen. Der ehemalige verstorbene Prozessbevollmächtigte des Gläubigers hat die vollstreckbare Ausfertigung erhalten. Nach seinem Tod sind die Unterlagen der Rechtsanwaltskanzlei nach Auskunft der Witwe vernichtet worden. Weitere Recherchen bei der Rechtsanwaltskammer und beim Amtsgericht blieben erfolglos. Auch die Schuldnerin behauptet nicht, es sei aus dem Titel vollstreckt und dieser an sie herausgegeben worden, weswegen der Gläubiger den Titel nicht mehr in Händen halte. Auch der lange Zeitraum von 16 Jahren zwischen der Entscheidung Ende 1999 und dem Antrag auf Erteilung einer (weiteren) vollstreckbaren Ausfertigung im Dezember 2015 lässt an der Behauptung des Gläubigers, der Titel sei verloren gegangen, nicht zweifeln. Seine Erklärung, zum Zeit der Entscheidung des Arbeitsgerichts, habe er bereits längere Zeit in einem festen Arbeitsverhältnis gestanden, weswegen er auf die Zahlungen aus der Vergangenheit zur Sicherung seines Lebensstandards nicht angewiesenen gewesen sei, ist nachvollziehbar. Letztlich will die Schuldnerin vortragen, der Gläubiger habe aufgrund des Urteils damals deswegen nichts mehr unternommen, weil der Titel bereits erfüllt war, was sich aus dem Gutachten der Rechtsanwälte L und Partner ergebe. Dabei handelt es sich der Sache nach jedoch um den Erfüllungseinwand, der im Rahmen der Klauselerteilung nach § 733 ZPO keine Rolle spielen kann (statt aller Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, aaO § 16 Rn 147). Wenn der Kläger den Titel nämlich noch hätte, würde er sicher daraus vollstrecken und die Schuldnerin wäre ebenfalls auf die Vollstreckungsgegenklage verwiesen.
17Dabei ist das Vorbringen der Schuldnerin nicht einmal plausibel, sondern spricht für Richtigkeit der Angaben des Gläubigers. Die Rechtsanwälte L und Partner sind am 28.12.1999, also 5 Tage nach der Zustellung des Urteils am 23.12.1999 zu der Erkenntnis gelangt, nur Ziff. 1 des Urteils (27300,- DM brutto abzgl. gezahlter 15496, DM- netto) sei erfüllt. Alle übrigen titulierten Ansprüche (1768,20 DM netto, 10.018,- DM brutto und 777,80 DM netto) sind nach dem Gutachten der Rechtsanwälte zum damaligen Zeitpunkt nach den ihnen überlassenen Unterlagen der Schuldnerin nicht erfüllt worden. Dabei ergibt sich aus dem Gutachten - soweit Erfüllung angenommen wurde - nur, dass dem Rechtsanwalt von der Schuldnerin (!) Unterlagen vorgelegt worden sind, aus denen der Rechtsanwalt auf eine Erfüllung schließt. Gegen die Tatsache, dass die Unterlagen überhaupt richtig sind, spricht aber nicht nur der Zeitablauf der anwaltlichen Prüfung, sondern auch dass die Schuldnerin ihren Verpflichtungen im vom Urteil betroffenen Zeitraum gegenüber der Rentenversicherung nicht nachgekommen ist, was sich aus der Rentenauskunft ergibt. Wäre die genannte Zahlung bis zur Verkündung des Urteils am 16.11.1999 erfolgt, aber dort nicht berücksichtigt worden, wäre das Urteil unrichtig gewesen, so dass der Anwalt nicht von einer Berufung abgeraten hätte. Dass die Schuldnerin nach Verkündung des Urteils aber vor Zustellung der Entscheidungsgründe am 23.12.1999 gezahlt hat, wird von ihr selbst nicht behauptet, zumal die vollstreckbare Ausfertigung erst am 29.12.1999 erteilt worden ist und deshalb kein Vollstreckungsdruck bestand.
183. Demgegenüber ist es der Schuldnerin auch nicht gelungen, ihr überwiegendes berechtigtes Interesse darzulegen. Der einzige Einwand ist die unsubstantiierte Behauptung der Titel sei erfüllt worden. Dieser Einwand kann aber nach einhelliger Meinung (statt aller Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, aaO § 16 Rn 147) im Rahmen der Kauselerteilung keine Rolle spielen, sondern muss im Verlauf der folgenden Zwangsvollstreckung im Rahmen des § 767 ZPO substantiiert dargelegt werden.
194. Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 732 Abs. 2 ZPO wird mit dieser Entscheidung gegenstandlos, ohne dass es einer gesonderten Aufhebung bedarf (vgl. Zöller-Stöber, § 732 ZPO Rn 17).
20Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Schuldnerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
21Ein Anlass, die Rechtsbeschwerde gemäß § 78 ArbGG zuzulassen, ist nicht ersichtlich.