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Einzelfallentscheidung im Fall eines Geringverdieners
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 18.07.2016 gegen den Prozesskostenhilfe-Aufhebungsbeschluss des Arbeitsgerichts Herford vom 16.06.2016 – 3 Ca 503/15 – wird der Beschluss aufgehoben.
Es verbleibt bei der mit Beschluss vom 23.06.2015 bewilligten Prozesskostenhilfe.
Gründe
2I. Der Kläger hatte unter dem 12.05.2015 Kündigungsschutzklage erhoben. Das Verfahren endete am 06.08.2015 durch einen gerichtlichen Vergleich, aufgrund dessen das Arbeitsverhältnis ohne Zahlung einer Abfindung endete.
3Mit Antrag vom 20.05.2015, bei Gericht eingegangen am 22.05.2015, beantragte der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und gab an, seit Mai arbeitslos zu sein und Arbeitslosengeld beantragt zu haben. Mit Beschluss vom 23.06.2015 wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe ohne Anordnung einer Eigenbeteiligung bewilligt. Zugrunde gelegt wurde dabei das von dem Kläger zu erwartende Arbeitslosengeld (Berechnung Bl. 45 d.A.).
4Mit gerichtlichem Schreiben vom 01.06.2016 forderte das Arbeitsgericht den Kläger auf, eine neue Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorzulegen, was dieser auch fristgerecht am 15.06.2016 tat. Als Veränderung ergab sich daraus insbesondere, dass der Kläger nunmehr wieder einer Erwerbstätigkeit nachging. Laut der vorgelegten Gehaltsabrechnungen bestand dieses bereits seit dem 21.05.2015. Das Nettoeinkommen beläuft sich auf durchschnittlich 1.100,00 €.
5Nach Eingang dieser Erklärung hob das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 16.06.2016, dem Kläger zugestellt am 16.06.2016, die Bewilligung der Prozess-kostenhilfe auf. Zur Begründung wurde angeführt, dass der Kläger bei der Antragstellung absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit falsche Angaben gemacht habe, da der Abschluss eines Arbeitsvertrages nicht mitgeteilt worden sei.
6Hiergegen wendet sich der Kläger mit der am Montag, 18.07.2016 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Hier führt er aus, dass die Angaben in dem Antrag aus 2015 zum Zeitpunkt der Antragstellung objektiv richtig gewesen seien. Ein Hinweis, dass der Kläger noch vor Beschlussfassung durch das Arbeitsgericht seine Angaben aktualisieren müsse, sei nicht erfolgt. Auch habe er erstmals am 09.06.2016 Entgelt in Höhe von 366,05 € erhalten. Arbeitslosengeld sei nicht gezahlt worden, weshalb er bis zum 15.07.2016 hieraus habe seinen Unterhalt bestreiten müssen.
7Mit Beschluss vom 02.08.2016 entschied das Arbeitsgericht, der sofortigen Beschwerde nicht abzuhelfen und wies insbesondere darauf hin, dass sich bereits aus der Belehrung in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ergebe, dass der Kläger wesentliche Verbesserungen seiner wirtschaftlichen Gegebenheiten mitteilen müsse; weiterhin sei er hierauf auch durch gerichtliches Schreiben vom 12.08.2015 hingewiesen worden. Hier ließ sich der Kläger noch ergänzend dahingehend ein, dass sich eine Verbesserung des Einkommens von mehr als 100,00 € gem. § 120 a Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht ergebe.
8Der Sachverhalt wurde dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
9II. Die gem. § 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. §§ 11a Abs. 1, 78 ArbGG und §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 ff ZPO an sich statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig und in der Sache begründet.
10II. 1. Nach § 11a Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in der ab dem 01.01.2014 geltenden Fassung, der vorliegend zur Anwendung kommt, da der Kläger den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Jahr 2015 gestellt hat, soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht oder eine Erklärung im Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren, § 120 a Abs. 1 Satz 3 ZPO, nicht abgegeben hat.
11a) Die Verschuldensanforderung der groben Nachlässigkeit in § 124 ZPO n.F. erfordert mehr als leichte Fahrlässigkeit, nämlich eine besondere Sorglosigkeit. Der Maßstab der groben Nachlässigkeit entspricht dem der groben Fahrlässigkeit. Danach handelt grob nachlässig nur derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich demnach bei einem grob nachlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Verhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt. Die Entscheidung, ob im Einzelfall von einfacher Fahrlässigkeit oder grober Nachlässigkeit auszugehen ist, erfordert eine Abwägung aller objektiven und subjektiven Umstände (siehe hierzu BAG, Beschluss vom 19. Oktober 2016 – 8 AZB 23/16 –, juris, bezüglich einer nicht mitgeteilten Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse; BAG, Beschluss vom 18.08.2016, 8 AZB 16/16, juris, bezüglich einer nicht mitgeteilten Adressänderung).
12Allein die Nichtbeachtung der Belehrung unter Ziffer „K“ der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse reicht hierfür nicht aus. Die Partei handelt nicht schon dann grob nachlässig, wenn sie ihre daraus erwachsenen Verpflichtungen schlicht vergisst oder ihnen schlicht nicht nachkommt. Die schlichte Verletzung der in § 120a Abs. 2 ZPO n.F. bestimmten Mitteilungspflichten indiziert noch keine grobe Nachlässigkeit. (BAG, Beschluss vom 19. Oktober 2016 – 8 AZB 23/16, juris, Rz. 14).
13Danach liegt nach Auffassung der Beschwerdekammer bezüglich der Angaben bei Beantragung der Prozesskostenhilfe keine vorsätzliche oder grob nachlässige Falschangabe in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor. Die Erklärung des Klägers datiert vom 20.05.2015, zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger die neue Stelle noch nicht angetreten. Laut vorgelegter Abrechnungen war der Zeitpunkt des Eintrittes in das Arbeitsverhältnis der 21.05.2015. Zwar ist kaum vorstellbar, dass die Arbeitsaufnahme„ad hoc“ geschah, vielmehr dürfte der Arbeitsvertrag bereits vorher abgeschlossen worden sein. Auch wäre es wünschenswert gewesen, wenn der Kläger dem Gericht diese für die Zukunft zu erwartende Veränderung mitgeteilt hätte.
14Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Kläger auch bei Begründung des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht über ein geändertes Einkommen verfügte. Objektiv gesehen war die Erklärung daher (noch) nicht falsch.
15b) Die Aufhebung der Prozesskostenhilfe war auch nicht aufgrund unterbliebener Anzeige der wesentlichen Verbesserung der Einkommensverhältnisse begründet gem. § 124 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO n.F.. Dabei kann dahinstehen, ob sich das Verhalten des Klägers vorliegend als vorsätzlich oder grob fahrlässig darstellt.
16aa) Unbestreitbar haben sich die Einkommensverhältnisse des Klägers nach der Bestimmung des § 120a Abs. 2 Satz 2 ZPO entgegen der Auffassung des Klägers wesentlich verbessert.
17Eine Anwendung von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO n.F. scheidet nicht bereits dann aus, wenn sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Partei nicht in einem Umfang verbessert haben, der eine Änderung des Bewilligungsbeschlusses gebietet. Bei § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO n.F. handelt es sich um einen Verwirkungstatbestand, bei dem es auf die Kausalität nicht ankommt. § 120 a Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F. knüpft die Mitteilungspflicht nicht daran, dass die Verbesserung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse tatsächlich zu einer abändernden Entscheidung führt oder geführt hätte, sondern nur daran, ob sie wesentlich ist, wobei der Begriff der Wesentlichkeit im Hinblick auf eine Verbesserung der Einkommensverhältnisse bei Bezug eines laufenden monatlichen Einkommens in § 120a Abs. 2 Satz 2 ZPO n.F. näher bestimmt wird. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO n.F. stellt sich insoweit als Sanktion für das Unterlassen der nach § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F. geforderten Mitteilungen dar (BAG, Beschluss vom 19.10.2016 – 8 AZB 23/16 –, juris unter Hinweis auf BT-Drs. 17/11472, S. 35).
18Zweck der Mitteilungspflicht ist es, die missbräuchliche Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe zu vermeiden (BAG, Beschluss vom 19.10.2016 – 8 AZB 23/16 –, Rn. 28, juris). Die Prüfung, ob sich eine objektiv wesentliche Änderung der Einkommensverhältnisse im Sinne des § 120a Abs. 2. Satz 2 ZPO n.F. auch dahingehend auswirkt, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse insgesamt so verändert haben, dass etwa die Anordnung einer Ratenzahlung geboten ist, obliegt dabei dem Gericht.
19Das Verhalten des Klägers, der über einen ganz erheblichen Zeitraum eine im Sinne des Gesetzes erhebliche Verbesserung seiner Einkommensverhältnisse nicht mitgeteilt hat, könnte daher eine grob nachlässige Nichtanzeige indizieren. Von daher wäre es an dem Kläger gewesen, die Umstände darzutun, die bei der Abwägung, ob das Verhalten des Klägers sich als grob nachlässig darstellt, zu berücksichtigen sind. Entsprechender Vortrag dazu, weshalb die Anzeige der Verbesserung der Einkommensverhältnisse auch dauerhaft unterblieben ist, ist nicht erfolgt.
20c) Gleichwohl hat die Beschwerdekammer davon abgesehen, den Kläger noch weitergehend zu einer Stellungnahme aufzufordern, was im Übrigen bereits durch das Arbeitsgericht vor Erlass der Aufhebungsentscheidung hätte erfolgen müssen, da sich der Sachverhalt als atypischer Sachverhalt darstellt.
21aa) Bei der Änderung des § 124 ZPO mit Wirkung ab dem 01.01.2014 aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31.08.2013 wurde die bisherige Kann-Vorschrift durch eine Soll-Vorschrift ersetzt. Damit stellte sich die Frage, inwieweit das Ermessen des entscheidenden Gerichtes bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 124 ZPO n.F. eingeschränkt oder in Gänze aufgehoben wird. Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/11472, S. 34) führt hierzu aus:
22„Grundsätzlich ist bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 124 kein Raum für ein gerichtliches Ermessen. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass die völlige Aufhebung gerichtlicher Spielräume in besonders gelagerten Einzelfällen zu unangemessenen Ergebnissen führen könnte. Deshalb ist Absatz 1 als Soll-Vorschrift auszugestalten, die zwar bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen eine Aufhebung als Regelfall vorsieht, in atypischen Fällen aber eine andere Entscheidung zulässt.“
23Damit steht fest, dass eine Ermessensentscheidung bezogen auf den Einzelfall durchzuführen ist unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten. Diese Ermessensentscheidung ist auch entsprechend zu dokumentieren, will meinen, das entscheidende Gericht hat seine Überlegungen zu der getroffenen Entscheidung, ob ggf. ein atypischer Fall vorliegt und – verneinendenfalls – warum nicht, darzulegen (grundlegend in diesem Sinne schon Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 16.06.2016, 9 Ta 77/16, juris; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.04.2015, 19 Ta 519/15, juris; für die Prüfung jetzt auch BAG, Beschluss vom 19.10.2016, 8 AZB 23/16, juris, Rz. 32).
24bb) Vor diesem Hintergrund stellt sich der vorliegende Sachverhalt als atypischer Fall dar.
25In dem Monat, in dem sich die Einkommensart vom Bezug von Arbeitslosengeld zu einem Anspruch auf Arbeitsentgelt aufgrund des Beginns einer neuen Tätigkeit geändert hat, bezog der Kläger nach seinen Angaben lediglich 366,05 € aus der neuen Tätigkeit, die auch erst zum 09.06.2015 ausgezahlt wurden. Dabei ist zu beachten, dass der Kläger im Rahmen seines Klageverfahrens bereits die rückständigen Entgelte für die Monate April und Mai 2015 geltend gemacht hatte, welche erst aufgrund des Vergleiches vom 06.08.2015 zugesprochen wurden. Der Kläger hatte somit zum Zeitpunkt der Antragstellung zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe ebenso wie zum Zeitpunkt der angetretenen neuen Arbeitsstelle objektiv kein Einkommen und konnte sich lediglich auf den Unterhalt vonseiten seiner Frau stützen. Aus Sicht des Klägers hat sich daher seine wirtschaftliche Lage nicht wesentlich verbessert. Letztlich gilt dies auch für die dann in der Folge weiterhin unterbliebene Meldung.
26Zu berücksichtigen war dabei letztlich auch, dass sich das Einkommen zwar „wesentlich“ verbessert hat, jedenfalls in Bezug auf den hier nur möglichen Vergleich des geschätzten Netto-Arbeitslosengeldes und des später erhaltenen Netto-Entgelts im neuen Arbeitsverhältnis. Tatsache ist aber, dass der Kläger bei Erhalt eines Netto-Entgeltes von nunmehr 1.100,00 € abzüglich der Freibeträge gem. § 115 Abs. 1 Ziff. 1b) und Ziff. 2a) ZPO in Höhe von 468,00 € und 213,00 €, der nunmehr zu 50 % von ihm zu tragenden Wohnkosten in Höhe von 266,50 €, Heizkosten von 38,00 €, Unterhaltsleistungen von nunmehr 334,00 € immer noch rechnerisch über ein negatives Einkommen von 219,50 € verfügt. Dass der Kläger in Anbetracht dieser eher prekären monetären Situation nicht bedacht hat, dass sich sein Einkommen nominell im Bruttobereich erheblich verbessert hatte, scheint nicht zu rechtfertigen, ihn angesichts einer erkennbar schwierigen finanziellen Situation mit weiteren Belastungen zu überziehen, zumal weiterhin für den Kläger streitet, dass er, nachdem er zur Abgabe einer neuen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aufgefordert wurde, diese umgehend und vollständig abgegeben hat, eine Verschleierungsabsicht hinsichtlich seiner Einkommenssituation somit auch nicht erkennbar ist.
27Auf die sofortige Beschwerde des Klägers war daher die Aufhebungsentscheidung des Arbeitsgerichtes Herford aufzuheben und dem Kläger Prozesskostenhilfe gemäß dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid weiter zu gewähren, da der Kläger auch derzeit nicht über ein Einkommen verfügt, welches die Anordnung einer Ratenzahlung begründen würde.
28Der Kläger mag sich allerdings dieses Verfahren als Anhalt dafür dienen lassen, dass er in Zukunft wesentliche Veränderungen seiner Einkommensverhältnisse sowie Adressänderungen entsprechend der zu Recht erfolgten Belehrungen des Arbeitsgerichtes mitzuteilen haben wird, wenn er nicht den Anspruch auf Weitergewährung von Prozesskostenhilfe gefährden will.
29Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, sind nach der klarstellenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 19.10.2016 (8 AZB 23/16, juris) nicht gegeben.